Pazifismus/Wehrpflicht

Hallo liebe Lage.

Ich würde mich freuen, wenn Ihr Euch in einer Folge mal ausgiebig mit dem Themenkomplex Pazifismus/Wehrpflicht/Zivildienst beschäftigen würdet.

Denn aufgrund des aktuellen Geschehen, gibt es ja recht hitzige Debatten, wie man vorzugehen habe. In meiner Beobachtung auch, weil manche Fragen etwas konkreter geworden sind und sich z.B. oft die Frage stellt, wie man selbst handeln würde, wenn man einem Angriffskrieg ausgesetzt wäre.
Würde man fliehen? Dürfte man das Land überhaupt verlassen? Würde man kapitulieren, um möglichst viel Land und Leben zu retten? Würde die Rechnung aufgehen? Würde man bis zum letzten Mann und Patrone das Land verteidigen?

Viele haben in der Vergangenheit den Kriegsdienst verweigert bzw. Ersatzdienst gemacht. Manche anscheinend aus Bequemlichkeit, manche aus Missverständnis (da sie wohl dachten, dass die Frage lautet, ob man Pro oder Kontra Frieden ist, oder ob man bereit sei, selbst einen Angriffskrieg zu führen), manche allerdings auch aus religiöser sowie unreligiöser und politischer Überzeugung.

Es gibt da etliches zu beleuchten, zu besprechen und zu Weiterdenken anzuregen, von moralischen über pragmatischen zu rechtlichen Gesichtspunkten.

Vielen Dank im voraus.

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Ein Aspekt ist das Grundgesetz, Paragraph 12.
Personen, die „männlich“ im Personalausweis stehen haben, können zum Dienst an der Waffe herangezogen werden. Diese Personen können aus Gewissensgründen verweigern und müssen dann zivile Dienste ableisten.
Personen, die „weiblich“ im Personalausweis stehen haben, können in einem Altersabschnitt zwischen 18 und 25 zu zivilen Sanitäts- und Heilwesendiensten verpflichtet werden- keinesfalls aber zum Dienst an der Waffe.
Personen, die „divers“ im Personalausweis stehen haben, können vom Staat nicht zu Diensten herangezogen werden.

Naja, das Problem ist, dass die Diskussion sehr fiktiv ist, weil aktuell kein Staat auch nur annähernd die militärische Stärke hätte, die NATO bzw. die EU aktiv im Sinne einer Bodeninvasion anzugreifen - und eine Bodeninvasion wäre der einzige Fall, in dem die Einberufung von Wehrdienstleistenden Sinn machen würde. Es ist einfach nahezu ausgeschlossen, dass sich das die nächstes Jahrzehnte wesentlich ändern wird. Dazu kommt noch, dass die NATO und auch die EU (über Frankreich) Atommächte sind und alleine deshalb ein Angriffskrieg unrealistisch erscheint.

Also kein Staat würde realistisch betrachtet kapitulieren, so lange eine Niederlage nicht im wahrsten Sinne des Wortes unausweichlich ist. Die Rechnung würde natürlich in der Regel aufgehen - also wenn ein Land kapituliert, wird es danach nicht mehr zu so viel Blutvergießen kommen. Einige Menschen würden natürlich trotz Kapitulationserklärung weiter kämpfen (Freiheitskämpfer oder Terroristen, je nach Sichtweise) und andere würden protestieren, was je nach angreifendem Staat unterschiedlich brutal niedergeschlagen würde. Außerdem sind einzelne Übergriffe der besetzenden Armee nahezu unvermeidbar, bei faschistischer Motivation des Angreifers (wie bei Russland gegen die Ukraine gegeben) sind auch systematische Übergriffe denkbar. Trotzdem weniger Tote als im „Krieg bis zum letzten Mann“, aber dennoch alles andere als schön…

Aber natürlich ist Kapitulation im Normalfall keine Option. Eben weil man einem Staat, der bereit ist, einen Angriffskrieg zu führen, keinesfalls entgegenkommen darf, wenn man auf die Friedensordnung seit Ende des zweiten Weltkriegs Wert legt, was wir alle tun sollten. Diese Friedensordnung besagt unter anderem, dass Kriege zur Erweiterung des eigenen Territoriums ein absolutes No-Go sind… diese Ordnung aufzugeben würde bedeuten, wieder in die dunkelsten Zeiten zurück zu fallen, in der Krieg ein normales Mittel der außenpolitischen Auseinandersetzung wäre.

Die von @lib genannten Regelungen sind so weit zutreffend, allerdings wage ich zu behaupten, dass bei einem realen Verteidigungsfall ganz schnell eine Verfassungsänderung kommen könnte, sobald dies nötig erscheint - an einer zwei-drittel Mehrheit dürfte es dazu nicht scheitern. Also wäre ich Kriegsdienstverweigerer oder Frau, was ich tatsächlich beides nicht bin, würde ich mich nicht zu sehr darauf verlassen, nicht herangezogen werden zu können. Ich denke aber, gerade im Hinblick auf die Frauen, würde man es eher als Option ausgestalten. Die Frauen, die kämpfen wollen, würde man nicht daran hindern, die Frauen, die nicht kämpfen wollen, sind vermutlich ohnehin nicht sinnvoll in einem militärischen Kontext einsetzbar. Daher würde es wohl so laufen wie in der Ukraine (Frauen dürfen fliehen, aber man lässt jede Frau, die es will, auch kämpfen).

Da wäre ich nicht so sicher. Vermutlich wären Die Linke und die FDP gegen eine Zwangsverpflichtung der BürgerInnen. CDUCSU und SPD vermutlich dafür - also würden die Grünen wie aktuell auch schon Zünglein an der Wage sein.
Sicherlich würde das Verfassungsänderungsverfahren jedoch lang genug brauchen um Personen mit „weiblich“ und „divers“ im Personalausweis genügend Zeit zum Grenzübertritt zu geben.
Aber klar: Wer bleiben und sein Land verteidigen will, dem steht sicherlich frei dies zu tuen.

Und die Männer, die nicht kämpfen wollen aber schon? Das musst du erklären, warum das einen Unterschied machen sollte

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Auch eher nicht, aber das Problem ist halt, dass man im Verteidigungsfall, wie man ihm z.B. aktuell in der Ukraine hat, nicht die Möglichkeit hat, die jeweiligen Sachverhalte zu prüfen. Daher: Man hat nicht die Zeit, zu prüfen, ob jemand, der sagt, er könne nicht kämpfen, tatsächlich aus tiefgreifenden psychischen oder physischen Gründen nicht kämpfen kann - oder ob derjenige nur lieber auch schnell das Land verlassen würde, um nicht kämpfen zu müssen.

Letztlich wollte man zwei Dinge erreichen:
a) Möglichst viele Nichtkombattanten (Frauen, Kinder, Senioren) sollten das Land verlassen können.
b) Möglichst viele wehrfähige Menschen sollten das Land nicht verlassen können.

Da die Quote der Nicht-Wehrfähigen in bestimmten Bevölkerungsgruppen (Kinder 100%, Rentner und Frauen relativ hoch…) besonders hoch war, wurde diesen die Flucht erlaubt. Denn hätte man z.B. bei jeder Frau auch erst prüfen wollen, ob sie nicht doch wehrfähig sei, wäre keine rechtzeitige Flucht mehr möglich gewesen.

Umgekehrt ist die Quote der Wehrfähigen in der Gruppe der jungen und mittelalten Männer aller Erfahrung nach besonders hoch, daher hat man dieser Gruppe die Flucht grundsätzlich nicht erlaubt. Diejenigen in dieser Gruppe, die sich im Rahmen ihrer Einziehung in die Verteidigung als absolut Nicht-Wehrfähig herausstellen, haben dann natürlich das Problem, dass das Zeitfenster, dass eine Flucht ermöglichen würde, i.d.R. bei Feststellung ihrer Nicht-Wehrfähigkeit geschlossen sein wird.

Das ist natürlich problematisch und alles andere als schön, auch durchaus diskriminierend und generell geschlechter-ungerecht. Aber irgendwie auch nahezu alternativlos. Zumindest fällt mir keine andere Methode ein, gleichzeitig die schnelle Flucht für möglichst viele Nicht-Wehrfähige zu ermöglichen und gleichzeitig möglichst viele Wehrfähige für die Landesverteidigung zu verpflichten.

Und dass ein Staat, der existenziell bedroht wird, seine Landesverteidigung zweifellos höherwertig ansiedeln wird als z.B. Geschlechtergerechtigkeit oder das Recht des Einzelnen, nicht in einem Krieg kämpfen zu wollen, ist denke ich ein roter Faden, der sich durch die Geschichte aller Staaten zieht… die USA (Vietnam) und Russland (Ukraine) haben letztlich sogar ohne eine eigene, existenzielle Bedrohung Wehrpflichtige gegen ihren Willen in einen Krieg in’s Ausland verschifft. Dagegen ist die Verwendung von nicht-willigen im Verteidigungsfall noch recht verständlich.

Kurzum:
Dass Männer und Frauen im Hinblick auf die Einziehung im Verteidigungsfall anders behandelt würden, ist unschön, aber auch nur schwer vermeidbar, wie das Beispiel der Ukraine zeigt…

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Warum hälst du Frauen für “grundsätzlich nicht wehrfähig “ und Männer für “grundsätzlich wehrfähig” ?

Eine Beispiel für Staaten die das tendenziell anders sehen wäre zb Israel, wo ja auch Frauen zum Militärdienst gezogen werden.

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Huh, das habe ich doch explizit nicht gesagt, sondern:

Kurzum:
Ich stelle doch ganz klar auf Wahrscheinlichkeiten innerhalb bestimmter Kohorten ab und gehe später sogar noch explizit auf die Männer ein, die sich im Rahmen ihrer Einziehung dann als doch nicht wehrfähig herausstellen.

Das hat halt was mit gesellschaftlichen Werten und der darauf basierenden Erziehung zu tun. Wenn man Mädchen schon früh daraufhin erzieht, später Wehrdienst abzuleisten, bekommt man halt auch einen höheren Anteil an wehrfähigen Frauen. Und in der Situation, in der Israel ist, ist nachvollziehbar, dass Verteidigungsbereitschaft und Verteidigungsfähigkeit in der Erziehung ein anderes Gewicht hat als in typischen, stabilen, westlichen Demokratien (oder islamischen Ländern, aus anderen Gründen).

Diese ganzen Probleme im Bereich der Gleichberechtigung beruhen halt zu einem großen Teil darauf, dass wir unsere Kinder immer noch unterschiedlich erziehen. So lange die Mädchen stark behütet werden, während wir den Jungen beibringen, sich durchzusetzen, wird sich daran auch wenig ändern.

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Ich glaube nicht, dass deutsche Männer aus Gründen der Erziehung charakterlich (?) wehrfähiger sind als Frauen. Ein spontanes Gegenbeispiel wäre die Arbeit im Krankenhaus - KrankenpflegerInnen in Notaufnahmen sind überwiegend weiblich und müssen auch in stressigen Situationen schnell harte Entscheidungen treffen. Ich sehe keinen Grund, warum so etwas Männer besser können sollten.

Der einzige Unterschied ist die der durchschnittlichen körperlichen Statur und da zeigen Länder wie Israel, dass man mit diesem „Problem“ umgehen kann und es kein Ausschlusskriterium für den Wehrdienst ist.

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Ich poste mal, weil es so gut passt, ein Video von den Israeli Defense Forces dazu:

Darüber hinaus hat man in Norwegen mit gemischten Zimmern wohl gute Erfahrungen gemacht, auch wenn die Wehrpflicht dort nur für Männer gilt:

Was mich interessieren würde: Wie ist das mit der rein männlichen Wehrpflicht eigentlich aus Sicht der Verfassung? Verstößt das nicht eventuell gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung? Ich frage deshalb, weil in den Niederlanden seit 2020 auch für Frauen die Wehrpflicht gilt – aus Gründen der Gleichberechtigung. (In den Niederlanden wurde schon seit 1996 niemand mehr eingezogen, deshalb ist das rein symbolisch.) Vielleicht wäre das mal was für die Lage, @vieuxrenard?

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Ich habe vor 36 Jahren verweigert.

Und zwar aus politisch / moralischen Gründen: Ablehnung von Krieg. Mein schriftliche Begründung, die man damals einreichen musste, habe ich heute noch und bin unverändert über die Gedanken des damals 19Jährigen beeindruckt. Übrigens haben mich damals einige aus der Generation meiner Eltern - z.B. meine Eltern oder mein Chemielehrer, der mich damals mal zur Seite genommen hatte - den Rücken darin bestärkt. Argument war: „Krieg auf dem Schlachtfeld ist so etwas fürchterliches - das sollte niemand erlebt haben“.

Und ich habe für diese Überzeugung auch den „Preis“ bezahlt: Wenn ich das korrekt in Erinnerung haben, hatte ich 24 Monate Zivildienst statt 16 Monate Wehrdienst absolviert.

Dessen ungeachtet denke ich heute immer wieder darüber nach, wie ich wohl entscheiden würde, wenn mein Land heute von Russland angegriffen würde: Das Weite suchen (wofür ich auch bei anderen durchaus Verständnis hätte) oder mein Land, meine Freiheit, die Demokratie und den Rechtsstaat verteidigen. Auch wenn ich heute eigentlich schon fast zu alt bin, um Soldat zu sein: Ich bin mir da gar nicht mehr so sicher …. Auch wenn ich ganz sicher „die Hosen“ voll hätte.

Ebensowenig bin ich mir sicher, ob die Deutschen heute mit ähnlicher Verve ihr Land, ihre Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat verteidigen würden wie wir das bei den Ukrainern bezeugen können ….

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Das ist letztlich eine reine Abwägungsfrage, die man in beide Richtungen begründen kann. Bisher hat das BVerfG nicht erkennen lassen, den aktuellen Status Quo ändern zu wollen.

Warum es eine Abwägungsfrage ist, ist leicht zu erklären:
Der Gleichbehandlungsgrundsatz besagt nicht nur, dass gleiches gleich behandelt werden müsse, sondern auch, dass Ungleiches ungleich behandelt werden muss.

Ab wann eine Ungleichheit vorliegt ist natürlich ein großes, offenes Feld für Argumentationen. Würde man mit Geschlechterklischees argumentieren, dass die schlechtere Bezahlung von Frauen in einem beliebigen Schreibtischjob gerechtfertigt wäre, würde das wohl ziemlich sicher scheitern.

Im Hinblick auf einen Zwangsdienst wird jedoch gerne z.B. darauf verwiesen, dass Frauen auch oft 9 Monate ihres Lebens verlieren, weil sie in Folge von Schwangerschaft (im Durchschnitt in Deutschland etwa 1,5 Schwangerschaften pro Frau) nicht arbeitsfähig seien. Ein Pflichtdienst nur für Männer würde diesen biologischen Umstand, der ein klarer Unterschied zwischen den Geschlechtern ist, ausgleichen. Dies würde dem BVerfG unter Umständen genügen, um eine Ungleichbehandlung der Geschlechter in diesem Falle zu rechtfertigen (oder sogar einzufordern).

Natürlich kann man das auch ganz anders sehen und sagen, dass die Tatsache, dass Frauen Kinder in die Welt setzen, gar keinen Bezug zu einem etwaigen Pflichtdienst hätte und daher auch keine Ungleichheit darstelle. Ebenso könnte man auf die persönliche Ebene verweisen und eine Aussetzung der Wehrpflicht nur für die Frauen fordern, die auch tatsächlich Kinder in die Welt setzen (oder dies glaubhaft vorhaben), was aber kaum umsetzbar wäre.

Vor 30 Jahren wäre das Ganze natürlich noch gar kein Thema gewesen. Ob der gesellschaftliche Fortschritt vor allem im Hinblick auf die Geschlechtergerechtigkeit hier nun zu einem auch juristischen Umdenken des BVerfG geführt hat, wäre die große Frage.

(Ich bleibe weiterhin gegen die Einführung eines Wehrdienstes, da dieser wie gesagt nur in einem Verteidigungsfall gegen eine Landinvasion überhaupt militärisch sinnvoll wäre. Und dieser Fall ist auch heute noch absolut unrealistisch - und ich sehe nicht, wie sie das die nächstes Jahrzehnte ändern sollte. Sollte ein Pflichtdienst wieder eingeführt werden, wäre ich auch dafür, dass alle Geschlechter ihn ableisten müssen… und ich wäre dafür, dass der soziale Dienst der Normalfall und der Wehrdienst die willentliche Ausnahme wäre - statt wie zuvor umgekehrt…)

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Das Argument mit der Schwangerschaft kann ich noch nicht, danke! Wirklich überzeugend finde ich es im Jahr 2022 nicht mehr, aber zu berücksichtigen wäre es freilich schon.

Nur for the record: Ich finde die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht auch Unfug—insbesondere deshalb, weil die Bundeswehr keine ausreichenden Ausbildungskapazitäten mehr hat und die Waffensysteme mittlerweile so komplex geworden sind, dass man mit Wehrpflichtigen einfach nur noch wenig anfangen kann. Das hatte ja Thomas Wiegold vor einigen Wochen in der Lage erörtert.

Ich würde es aber trotzdem begrüßen, wenn in Zukunft auch Frauen theoretisch zur Wehrpflicht eingezogen würden — also ähnlich wie in den Niederlanden eine Wehrpflicht nur auf dem Papier.

Das ist doch keine Frage des Wollens.

In der Ukraine gab bzw. gibt es für Männer eine Wehrpflicht. Die Männer, die das Land nicht verlassen dürfen, haben i. d. R. in der ukrainischen oder früher der sowjetischen Armee eine Ausbildung durchlaufen, idealerweise an den Waffensystemen, die zum Einsatz kommen.

Die Frauen haben keine militärische Ausbildung. Für was sollten sie jetzt in der Armee eingesetzt werden?

Als Gesellschaft muss man wohl zuerst für sich klären, wie man Pazifismus für sich als Land definiert. Will man bestimmte Kapazitäten, sprich eine bewaffnete Armee, im Land vorhalten, finanziell entsprechend unterfüttert? Bzw ist einem die eigene Lebensweise / Staatsform es wert, sie zu verteidigen, oder ist es einem eher unwichtig?
Wenn man sich für eine Armee entscheidet, stellt sich die Frage nach der Organisationsform. Eine Berufsarmee mit ausschließlich Freiwilligen, auch im Ernstfall? Egal ob Männer oder Frauen. Oder sehe ich die Verteidigung als Gemeinschaftsaufgabe und implementiere eine Wehrpflicht, so das alle (dazu fähigen) Bürger und Bürgerinnen in der Lage (und im Falle auch verpflichtet) sind, eine Waffe einzusetzen?
In diesem Fall stellt sich natürlich die Frage, wie umfassend ich die Gleichberechtigung der Geschlechter dann fasse.
Pazifismus ist grundsätzlich eine positive Einstellung, doch wie weit ist man im Falle von drohender Gewalt bereit, diese um des reinen Friedens willens über sich ergehen zu lassen?

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Pazifismus-Militarismus ist halt kein Dualismus, sondern eine abgestufte Skala bezüglich der Hemmschwelle des Einsatzes von Gewalt. Und die Extreme sind - wie fast immer - nicht positiv. Auch extremer Pazifismus ist ganz und gar nicht positiv, weder auf der staatlichen Ebene, noch auf der zwischenmenschlichen Ebene (wer würde sich nicht wünschen, dass ein Mitmensch einem hilft, wenn man unverschuldet Opfer einer Gewalttat wird?!?). Extremer Militarismus, also jedes Problem primär mit Gewalt lösen zu wollen, ist selbstverständlich noch schlimmer, ebenfalls sowohl im staatlichen als auch im zwischenmenschlichen Bereich.

Eine sinnvolle, deutlich zum Pazifismus geneigte Sicht zu vertreten bedeutet, auf Gewalt zu verzichten, obwohl Gewalt das Ziel unter Umständen schneller und effektiver erreichen könnte als die nicht-gewalttätigen Alternativen. Es bedeutet, Gewalt nicht als „normale“ Problemlösungsstrategie zu verstehen und deshalb Gewalt nicht als normales Mittel der Außenpolitik einzusetzen. Es bedeutet jedoch nicht, sich und andere nicht verteidigen zu wollen, wenn sie unmittelbar angegriffen werden.

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Nach meinem Verständnis ist „Pazifismus“ überhaupt nicht klar definiert und jeder scheint darunter etwas anderes zu verstehen.

Man schaue sich nur den ersten Absatz des Eintrags Pazifismus in Wikipedia an. Da ist die Rede von einer „weltanschaulichen Strömung“ bzw. einer „ ethische Grundhaltung“ , die

  1. jeglichen Krieg als Mittel der Auseinandersetzung ablehnt
  2. den Verzicht auf Rüstung und militärische Ausbildung fordert.
  3. auf Soziale Verteidigung und Zivilen Ungehorsam als geeignete Mittel gegen bewaffnete Besetzungen setzt
  4. danach strebt, bewaffnete Konflikte zu vermeiden, zu verhindern und die Bedingungen für dauerhaften Frieden zu schaffen
  5. jede Form der Gewaltanwendung kategorisch ablehnt und für vollkommene Gewaltlosigkeit eintritt (strenge Auslegung).

Ich denke mal, auf 1. und 4. können wir uns hier alle einigen. Oder gibt es hier bekennende Bellizisten (Befürworter von Krieg und militärischer Gewalt)?

Ich denke, die meisten werden auch eine Politik befürworten, die internationale Rahmenbedingungen fördert, Rüstung zu begrenzen und zurückzuführen.

Nur das mit dem kategorischen Verzicht auf eine militärische Verteidigung (weil Gewalt) und auf Militär und Rüstung als Abschreckung scheint mir angesichts der Tatsache, dass es Menschen wie Putin in dieser Welt gibt und vermutlich immer geben wird, reichlich naiv.

Eine Friedenspolitik kann doch nur sein, eine schlagkräftige Verteidigungsarmee zu etablieren, die jeden potenziellen Angreifer glaubhaft abschreckt. Um dann in ehrliche internationale Abrüstungsverhandlungen zu gehen, um zwischen Nato/dem Westen, Russland und China überall die Rüstung auf ein möglichst geringes Mindestmaß zurück zu schrauben, um potenzielle Angreifer außerhalb dieser Verhandlungsgruppe glaubhaft abschmecken zu können. Denn diese Ressourcen sind bei Klimaschutz, Sozialausgaben, Gesundheit, etc. viel besser aufgehoben.

Viel kniffliger ist die Frage, ob / inwieweit die Weltgemeinschaft oder Staaten(gruppen) in innerstaatlichem Völkermord, Genozid etc. eingreifen und dafür entsprechende militärische Fähigkeiten vorhalten soll.

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Das geht mir ähnlich, auch ich habe dereinst verweigert und dann noch Glück gehabt durch eine Regeländerung aus dem Ersatzdienst herauszufallen.

Nun hat Schweden sowieso eine Sonderregelung die sich „Totalförsvaret“ nennt, übersetzt so etwas wie die totale Verteidigung.
Wird der ausgerufen, wird jede in Schweden dauerhaft gemeldete Person Dienstverpflichtet und nach seinen Möglichkeiten eingesetzt.

Ich denke aber ich würde im Fall der Fälle schon vorher meine Dienste freiwillig anbieten, wenn ich auch persönlich immernoch Zweifel habe ob ich für den Dienst am der Waffe tatsächlich den nötigen Mit aufbringen würde. Nur gibt es ja bei der Verteidigung deutlich mehr Arbeit als mit einer Schusswaffe in der Hand den Angreifer aufzuhalten.

Ich persönlich denke dass man alle Personen unabhängig von Alter, Geschlecht u.s.w. irgendwie sinnvoll bei der Verteidigung einsetzen kann.

Nicht „wehrfähige“ Personen können z.B. in den Versorgungszügen sicher einiges leisten. Verwaltung, Logistik, Medizin, technische Unterstützung U.s.w.

Eine ganzheitliche Betrachtung des Begriffes Verteidigung wäre evt auch sinnvoll. Nicht nur eine bewaffnete Bundeswehr, auch ein stressresistentes Gesundheitswesen (also Krankenhäuser, die auch eine große Zahl Opfer versorgen können), ein flächendeckender Katastrophenschutz samt THW, eine krisensichere Energie- und Wasserversorgung, samt entsprechender Vorräte an Grundbedarf und Medikamenten, enge Zusammenarbeit von Feuerwehr, Polizei, THW und Bundeswehr samt regelmässiger Übungen zur Optimirung der Schnittstellen, dazu ggf die Überlegung, wie in einem Ernstfall (Krieg, Naturkatastrophen, Unglücke) entsprechend Personal für alle diese Aufgaben rekrutiert werden kann.
Dann ist man annähernd auf vieles vorbereitet.
Thema Wehrpflicht: Ich habe als Soldat in den 90ern Wehrpflichtige ausgebildet, und die pragmatische Motivation zur Verteidigung war fast durchweg gegeben, da war kein Hurra-Patriotismus, sondern eher ein nüchternes „Was mir wichtig ist, das schütze ich“. War also nix grundlegend verkehrtes, und die meisten betrachten die Wehrpflicht im Nachhinein als durchaus wertvolle Erfahrung.

Jup, dem würde ich zustimmen.
Dieses „im Verteidigungsfall werden Männer einberufen“ ist halt noch die Logik der prä-moderne, als man noch mit großen Heeren aufeinander zumarschiert ist.

In einem wirklichen Verteidigungsfall gibt es definitiv genug Tätigkeiten für absolut jeden - und letztlich würde das ja auch so praktiziert werden. Daher: Erst würde Art. 12a Abs. 1 bis 2 GG aktiviert, sodass alle „wehrpflichtigen“ primär an die Waffen gebracht werden. Direkt danach, praktisch zeitgleich, würden aber auch Art. 12a Abs. 3 und 4 GG aktiviert, die bei der mit Sicherheit stattfindenden Umstellung auf die Kriegswirtschaft sofort dazu führen würden, dass auch alle nicht-wehrpflichtigen Männer und alle Frauen zwischen 18 und 55 im zivilen Bereich verpflichtet würden, wann immer es Bedarf gibt, der nicht mit Freiwilligen gedeckt werden kann.

So gesehen ist unser System nicht so viel anders als das in Schweden, historisch betrachtet ist es nur etwas detaillierter formuliert. Im Ergebnis würde es vermutlich auf’s Gleiche rauslaufen, halt eine Generalmobilmachung und Umstellung auf Kriegswirtschaft unter Einbindung aller arbeitsfähigen Bevölkerungsteile…