(Oster-) Lockdown mit Schnelltest kombinieren

Hallo,

Schnelltests sind inzwischen in der breiten Verwendung angekommen. Ich frage mich, ob Massen Schnelltests die Effektivität eines Lockdowns erhöhen und die Lockdownzeit verringern können.
Das Konzept, wie ich es mir vorstelle:

  • 5 Tage Quarantäne/harter Lockdown mit Ausgangsbeschränkung für alle, die nicht für kritische Infrastruktur sorgen.
  • Am ersten und am Letzten Tag des Lockdowns macht jeder einen Schnelltest
  • Wer einen positiven Schnelltest hat verlängert die Quarantäne auf 2 Wochen oder bis zu einem negativen PCR Test

Ergänzt durch eine Woche Vorlauf um sich mit Lebensmittlen einzudecken und der Aufforderung, Kontakttagebuch zu führen und evtl. Kontakte persönlich zu benachrichtigen.

Die Vorteile:

  • Durch die 5 Tage Lockdown wird die Inkubationszeit abgedeckt, sodass die Tests frisch Infizierte verlässlicher erkennen können, ohne, dass diese zwischendurch andere infizieren.
  • Die komplette Bevölkerung wird gleichzeitig getestet, sodass Clustererkennung besser möglich ist. Aus einem Cluster von 6 Infizierten sollten zumindest 3 Tests anschlagen, sodass die Existenz von Infektionen im persönlichen Umfeld relativ sicher festestellbar ist.

Als Rechnung dazu:
Sensitivität (Erkrankte mit positivem Ergebnis): 50%
Spezifität (gesunde mit negativem Ergebnis): 98%
Infizierte Bevölkerung (Wegen Dunkelziffer erhöht angenommen): 300/100.000

Da die beiden Tests (am Anfang und am Ende) statistisch nicht unabhängig sind, tue ich einfach so als wären sie nur einer (Man könnte wahrscheinlich von einer erhöhten Sensitivität ausgehen). Dann werden die Hälfte der Erkrankten richtig erkannt, dass sind 150/100.000 Einwohner. Außerdem werden 2% der restlichen Bevölkerung falsch Positiv getestet, das sind 1.994/100.000 Einwohner. Also grob 2% der Bevölkerung. Dazu kommen pro Person 4 enge Kontaktpersononen, wobei es wegen Clustern wahrscheinlich Überschneidungen gibt. Dann müssen 8% der Bevölkerung 2 Wochen (oder bis zum negativen PCR Test) in Quarantäne und der Rest nur die anfänglichen 5 Tage. Durch die Kontaktpersonen erwischt man wahrscheinlich die Hälfte der Covid Positiven mit negativem Schnelltest, sodass man 3/4 der Infizierten isoliert.

Bewertung:

  • 5 Tage Lockdown für alle, sowie 2 Wochen für 8% der Bevölkerung erscheint mir ein geringer Preis für eine potenzielle Viertelung der Inzidenz.
  • Natürlich wären die wirtschaftlichen Folgen eines harten Lockdowns groß, aber die Kosten der Coronapandemie z.b. für die Gastronomie oder Gesundheit und Psyche der Bevölkerung erscheinen mir höher. Außerdem wird ein härterer Lockdown ohnehin kommen und bis jetzt sagt die Wissenschaft besser kurz als lang.
  • Wie in der letzten Lage angesprochen wäre der Effekt einer Osterruhe ohne Tests gering gewesen. So jedoch erscheint der Effekt verhältnismäßig hoch und die Maßnahme ließe sich über Pfingsten, Frohnleichnahm oder Christi Himmelfahrt genau so implementieren.

Sonstige Gedanken und Faktoren

  • Die Anzahl der Schnelltests ist begrenzt. Sie eignen sich wie diskutiert eher um festzustellen, ob eine Person akut ansteckend ist, als um festzustellen, ob eine Person infiziert ist. Der derzeitige Einsatzt um kurzfristig Kontakte zu ermöglichen ist daher effizient, erscheint jedoch auch verschwenderisch und trägt nicht signifikant zu einer Verringerung der Inzidenz bei.
  • Die niedrige Sensitivität der Tests sollte durch den Lockdown verbessert werden. Er sollte den Effekt der Phase niedriger Virenlast am Anfang der Infektion abmindern. Außerdem gibt es eine lange Phase am Ende der Infektion, in der die Viruslast niedrig ist, sodass falsch-negative Ergebnisse in dieser Phase kaum mehr ansteckenden Personen zuzuordnen sind (Seite 14)
  • Es ist davon auszugehen, dass ein gewisser Teil der Bevölkerung sich nicht testen wird, oder auf positive Testergebnisse nicht reagiert. Das wird die Effektivität sicherlich verringern. Andererseits bietet die Maßnahme eine Möglichkeit wieder aktiv, kurzfristig und mit einfachen Handlungen Einfluss auf das Pandemiegeschehen zu nehmen und somit eine Perspektive im Vergleich zu einem nicht endenden Lockdown. Die Rahmenbedingung wird von der Regierung gestellt, aber die Maßnahme erfordert das Mitwirken der Bevölkerung. So wie Gestaltung in einer liberalen Demokratie funktionieren sollte.
  • Die Gesundheitsämter wären mit der Kontaktnachvervolung überfordert, sodass das ebenfalls Initiative aus der Bevölkerung erfordert. Bisher lassen sich 3/4 der Infektionen keinem Infektionsherd zuordnen. Die gesammtgesellschaftlich Kontaktnachverfolgung und Clustererkennung würde Studien dazu ermöglichen.
  • Die von mir beschriebene Strategie scheint nach Berichten im Lageforum bereits im kleinen eingesetzt zu werden aber im Internet konnte ich in 2 Stunden + Suche nichts dazu finden.
  • Massentests für ganze Bevölkerungen (PCR ohne Lockdown) wurden z.b. in Slovenien anfang November durchgeführt (Erster Test). Bei den Zweiten Massentests eine Woche später waren dann statt 1,06% nur noch 0,6% der Getesteten positiv getestet (Zweiter Test). Scheinbar gingen danach die Zahlen einfach wieder hoch jedoch konnte ich keine Wissenschaftliche Auswertung der Tests finden und wäre da an Quellen sehr interessiert.
  • Deutschland hat wöchentlich PCR Testkapazitäten von knapp 1,5 Mio. Davon werden einige durch Krankenhäuser gebunden, jedoch sollte man zumindest die Hälfte der Positiven Tests innerhalb von einer Woche validieren können.

Ich wäre sehr interessiert an Anregungen und Kritik an meinen Rechnungen und der Idee, sowie weiteren Quellen zu diesem Thema. Seit Wochen schon frage ich mich, warum diese Strategie nicht verfolgt wird und ich würde mich über eine rege Diskussion freuen.

Deine Überlegungen und Annahmen erscheinen mir erst mal schlüssig. Vor allem in Bezug auf die wirtschaftlichen Vorteile, wenn die Testung zu einem nachhaltigen Rückgang der Inzidenz führt. Es gibt ja auch Beispiele anderer Länder wo Massentestungen erfolgreich angewendet wurden.

Ich glaube es gibt keine allgemeinen Hindernisse Massentestungen auch in Deutschland durchzuführen. Allerdings sehe ich drei große Stolpersteine: Freiwilligkeit, Logistik und politischer Durchsetzungswille.

Freiwilligkeit
Wie groß wäre die Testbereitschaft in der Bevölkerung tatsächlich? Wie kann man politisch darauf Einfluss nehmen? In der Slowakei war die Testung ja mit einer Zwangsisolation von nicht getesteten verbunden. Wäre dies rechtlich möglich? Was passiert wenn sich jemand nicht testen lassen möchte?

Wie wird die möglicherweise an den Test anschließende Quarantäne umgesetzt und verfolgt? Hier sehe ich in Deutschland bislang die größten Schwächen. Quarantäneanordnungen erfolgen häufig sehr spät oder nie und werden nicht kontrolliert.

Logistik
Theoretisch haben wir genug Tests und Testkapazitäten. Das will aber alles organisiert sein, die Menschen müssen lokal informiert werden und Testströme geordnet werden. Viele Städte und Kommunen zeigen sich zuletzt so überfordert, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass das bundesweit erfolgreich umgesetzt werden kann.

Politischer Durchsetzungswille
Im Moment findet man kaum eine Politiker:in, die sich offen zu einer Strategie bekennt und praktische Vorschläge unterbreitet. Für eine solche Aktion müssten alle großen Parteien an einem Strang ziehen, um die Öffentlichkeit zu überzeugen. Aber da das Thema wohl auch in zwei Monaten noch Relevanz haben wird, könnte man hier mit einem Krisenstab sicher gute Pläne entwickeln.

tl;dr
Alles in allem finde ich die Idee gut, weil sie uns mal endlich wieder wirklich nach vorn bringen könnte. Allerdings müsste die Isolation sinnvoll überwacht werden und möglichst viele Menschen teilnehmen. Hier sehe ich die größten Knackpunkte.

1 „Gefällt mir“

Vielen Dank für deine Einschätzung!

Zur Freiwilligkeit:
Du hast ja die Slovakei angesprochen, die die Testungen nicht mit einem Lockdown kombiniert hat, sondern gesagt hat: „Ihr Testet euch oder ihr müsst in Isolation“. In meinem Vorschlag müsste ja ohnehin jeder 5 Tage in Isolation. Das stelle ich mir eher wie einen der Lockdowns in Frankreich vor, kompletter Stillegung des öffentlichen Lebens. Eine Einschätzung wie kompatibel das mit Grundrechten ist würde mich sehr interessieren. Das andere Länder bereits viel härtere Lockdowns gemacht haben spricht aus meiner sicht dafür. Außerdem wurde in der Lage auch oft gesagt, dass zeitliche Befristung bei Grundrechteinschränkungen wichtig ist. Das der Lockdown kurz ist, ist der Ausgleich für die Härte und der Vorzug gegenüber dem war wir das letzte halbe Jahr machen.

Die Frage, wie viele dann wirklich beim Testen mitmachen ist allerdings ein guter Einwand. Wenn nur 70% der Bevolkerung sich auch testen lässt, entdeckt man nur noch 3/4 * 0,7 also ungefähr die Hälfte der Infizierten.
Immerhin haben wir ja wahrscheinlich ca. 70% Bevölkerung die motiviert ist.
Ich könnte mir vorstellen, dass man durch Anreize (z.b. 20€ bei Testung) einen Gutteil der „Corona-Desinteressierten“ ebenfalls motivieren könnte.

Zur Überprüfung könnte ich mir z.b. einen Stempel auf die Hand vorstellen, der einige Tage zum Abwaschen braucht und bei positiv z.b. Rot und sonst Schwarz wäre.

Zur Logistik:
Es würde auf jeden Fall mindestens eine Woche Vorlauf brauchen, zur Informationsverbreitung und Vorbereitung. Ich habe allerdings zumindest mit der Schnelltest Infrastruktur bei mir in der Stadt gute Erfahrungen gemacht und kann mir das gut vorstellen.

Zum Politischen Durchsetztungswille:
Da sehe ich auch den eigentlichen Knackpunkt. Ich bekomme von der Politik nicht das Gefühl, dass wir uns noch in einer Kriese befinden und sehe wenig Bereitschft neues in der Pandemiebekämpfung zu erproben. Für mich ist der Vorschlag auch ein wenig ein Gedankenexperiment um konstruktiv Kritik an der Coronapolitik zu üben.