Nuklearer-Schutzschirm für Europa

Hallo,
ich nehme aus dem Interview mit Frau Major folgende Schlussfolgerung raus.

  1. Nukleare-Abschreckung funktioniert, für denjenigen der Atomwaffen besitzt.
  2. Wer Nukleare-Waffen besitzt kann einen Angriffskrieg mit konventionellen Waffen führen ohne dass jemand eingreift, da die eigenen Atomwaffen zur Abschreckung dienen.
  3. wer keine Atomwaffen besitzt, ist de facto vogelfrei.

Wäre es unter diesen Gesichtspunkten nicht angebracht, dass Europa/EU einen eigenen Nuklearen-Schutzschirm aufbaut?
Ja, die EU steht teilweise unter dem Schirm der Amerikaner, aber gilt das auch unter einem Präsidenten Trump? Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser in zwei Jahren wieder gewählt wird.
Und ja, mit Frankreich hat ein EU Staat ebenfalls Nuklearwaffen. Aber würde Frankreich diese für ein anderes EU-Land einsetzten vor allem unter einer Präsidentin
Marine le Pen oder eines Eric Zemmour?

Eine atomwaffenfreie Welt wäre wünschenswert. Aber Länder wie Russland, Nordkorea, China,… werden ihre Waffen niemals abgeben. Insofern ist das pure Utopie.
Wie kann es sein, dass ein auf Demokratie und Menschenrechte basierender Staatenbund wie die EU einer solchen Gefahr völlig schutzlos ausgeliefert ist. Gerade dann wenn man einen Staat wie Russland in seiner Nachbarschaft hat.

gruß
MiBi174

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Die Frage, die ich mir nach dem Interview gestellt habe ist. Was passiert denn, wenn die Ukraine plötzlich Atomwaffen hätte? Im Prinzip müsste der Krieg dann ja vorbei sein.

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Finde ich auch eine spannende Frage. Es ist zwar so, dass Frankreich Atomwaffen besitzt aber wahrscheinlich nicht genug. Nicht genug, dass eine Abschreckung im Sinn der MAD-Doktrin für die vollständige Zerstörung der Gegenseite in einem Zweitschlag garantiert wäre. Das heißt, wenn aus Europa alleine steht, ist die Abschreckung aus Sicht der Nuklear-Doktrin nicht sehr groß. Hört sich brutal an, ist aber leider der Logik der Nukleardoktrin geschuldet….

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Ich denke, die Frage nach einem europäischen, nuklearen Schutzschirm lenkt in erster Linie von wichtigeren Fragen ab. Relevant ist doch aktuell, wie die Europäer und insbesondere Deutschland sich überhaupt konventionell aufstellen können, um weniger abhängig von den USA zu sein. Die Debatte um Atomwaffen sollte am Ende dieser Diskussion, nicht am Anfang kommen:

Die Rufe für einen europäischen Schutzschirm halte ich für grundfalsch. Erstens spricht wenig dafür, dass Staaten, die unter einem nuklearen Schutzschirm eines anderen Landes stehen, wirklich besser geschützt sind. Zweitens stellt sich die Frage, ob die US-amerikanischen Sicherheitsgarantien überhaupt jemals glaubhaft waren. Tatsächlich ist das Problem der Glaubwürdigkeit (würden die USA New York und Washington für Berlin oder Bonn opfern?) so alt wie das Konzept der erweiterten Abschreckung selbst. Zum Nachlesen sei hier nur der NATO Doppelbeschluss erwähnt. Drittens ist fraglich – und das hat ja bereits @mibi174 geschrieben – ob Frankreich oder etwa UK glaubhaftere Partnerstaaten wären:

Am Ende bleibt die konventionelle Abschreckung doch die glaubhafteste. Darin sollten wir also investieren. :wink:

Mutually Assured Destruction (MAD) bedeutet aber auch in der Realität nicht die vollständige Zerstörung des Gegners. Der damalige US-Verteidigungsminister Robert McNamara hatte die notwendige Anzahl an Atomwaffen mit dem Ertragsgesetz ermittelt: Sobald zusätzliche Atomwaffen keinen zusätzlichen Nutzen (bedeutet hier: Zerstörung) verursachen würden, war die notwendige Obergrenze erreicht.

Abgesehen davon ist MAD ja nicht die einzige mögliche Abschreckungsdoktrin. Es gibt etwa auch das Konzept der Minimalabschreckung, für das nur eine sehr geringe Anzahl an Atomwaffen benötigt würde. Allerdings wäre eine solche Doktrin vermutlich illegal, weil sie gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung bedeuten würden: The Rule of Law and the Role of Strategy in U.S. Nuclear Doctrine | International Security | MIT Press

Das US-Atomwaffenarsenal ist ja auch deshalb so groß, weil die Vereinigten Staaten nicht auf MAD, sondern auf Damage Limitation/Counterforce setzen: Im Falle eines russischen atomaren Angriffs würde man versuchen, so schnell wie möglich sämtliche russischen Atomwaffen zu zerstören, um die Zerstörung in den USA und den NATO-Staaten zu begrenzen.

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Die Frage ist doch, würde Frankreich bei einem Angriff mit konventionellen Waffen auf ein EU-Land, zB. Polen, seine Nuklearen Waffen einsetzten auch wenn dies zur Folge hat, dass unter Umständen französische Städt bei einem Gegenschlag vernichtet werden? Würden die Franzosen Paris für Warschau opfern?

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Die Frage, die ich mir nach dem Interview gestellt habe ist. Was passiert denn, wenn die Ukraine plötzlich Atomwaffen hätte? Im Prinzip müsste der Krieg dann ja vorbei sein.

Entscheidet dürft sein, dass man in der Lage ist einen Zweitschlag auszuführen. Die einfache Präsenz von Atomwaffen allein dürfte nicht ausreichend sein.
Aber die Frage ist hypothetisch und bezieht sich auf den Konflikt in der Ukraine.
In meinem Beitrag oben ging es mir rein um den Schutz der EU und die Frage, ob Europa einen eigenen Nuklearen-Schirm benötigt.

Da habe Sie natürlich recht es gibt auch noch andere Möglichkeiten außer die MAD- Doktrin. Sie sprechen ja an dass das Konzept der Minimalen Abschreckung mutmaßlich illegal ist. Gilt das für Andere Nuklear Strategien nicht auch ? Immerhin wird man wahrscheinlich bei einem Erstschlag mit dem Ziel strategische Kernwaffen des Opponenten zu zerstören immer zwangsläufig zivile Opfer hervorrufen, da eine große Kernwaffe mit erheblichen Wirkradius nie wirklich zwischen zivilen Zielen und militärischen Zielen unterscheiden kann.

Ganz sicher nicht. Der Einsatz von Atomwaffen als Antwort auf konventionelle Waffen ist unlogisch. Dann wären es die Franzosen, die den Untergang der Menschheit zu verantworten hätten.

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Interessant. Wie stellen Sie sich einen EU-Schutzschirm dann vor, wenn Sie gleichzeitig die Atomwaffen Frankreichs für unzuverlässig halten? Sollte Ungarns President Orbán Atomwaffen bekommen um auch Deutschland zu beschützen? Dann ist Berlin wohl genauso gut geschützt als unter Le Pen. Oder soll gar Deutschland sich atomar bewaffnen, wo es sich doch schon 70+ Jahre mit konventioneller Bewaffnung so schwer getan hat? Verteidigung ist noch Ländersache innerhalb der EU. Wenn man die NATO als Schutzschirm nicht traut, und Frankreich als EU Mitglied auch nicht reicht, ist Europa mMn nicht die Alternative. Dann müsste Deutschland selbst Atomwaffen entwickeln und testen. Und dann überzeugen, dass es auch dazu bereit ist, sie einzusetzen.

Das ist ein sehr guter und richtiger Punkt. Auch die pauschale Zerstörung gegnerischer Atomstreitkräfte mit Atomwaffen wäre vermutlich illegal.

Grundsätzlich ist es ja so, dass nach humanitärem Völkerrecht (auch als „Kriegsvölkerrecht“ bekannt), nur militärische Ziele angegriffen werden dürfen. Zivile Opfer und die Zerstörung von ziviler Infrastruktur sind quasi als ungewollte Nebenerscheinung (Kollateralschäden) erlaubt, sofern dies nicht unverhältnismäßig zum militärischen Nutzen ist. Nun könnte man durchaus argumentieren, dass selbst enorme zivile Opfer in einem anderen Land noch proportional zum militärischen Nutzen wären, wenn man dafür die weitestgehende Zerstörung des eigenen Landes verhindern könnte.

Allerdings gibt es noch das Vorbeugeprinzip, nach dem „die Konfliktparteien […] alle durchführbaren Vorkehrungen treffen [müssen], um die Zivilbevölkerung und zivile Objekte unter ihrer Kontrolle vor den Auswirkungen von Angriffen zu schützen.“ Das würde bedeuten, dass man die Atomwaffen des Gegners mit konventionellen Waffen zerstören müsste, sofern das möglich wäre. Wenn dies nicht möglich wäre, müssten Atomwaffen mit der geringstmöglichen Sprengkraft verwendet werden, um das feindliche Arsenal zu zerstören.

Long Story short: Unter bestimmten Umständen könnten Counterforce-Angriffe mit Nuklearwaffen legal sein. Aber das trifft eben bei weitem nicht auf alle solcher Angriffe zu.

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Vielen Dank für deine Antwort :slight_smile: Sehr Interessante Ausführungen des Gedankens, dass die eigenen Zivile durch einen atomaren Schlagabtausch auch geschützt werden könnten. dieser Gedanke ist mir noch nicht so wirklich gekommen. Hoffen wir trotzdem alle, dass es niemals soweit kommen muss …

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Ganz ehrlich:
Die Debatte wie legal oder illegal der Einsatz von Atomwaffen ist, ist doch nun wirklich völlig theoretisch.

Sollte das passieren, ist die existierende Weltordnung sehr wahrscheinlich sowieso vorbei und davon abgesehen waren die einzigen beiden tatsächlichen Atomwaffen-Einsätze (Nagasaki, Hiroshima) natürlich Kriegsverbrechen und natürlich sind die USA dafür in keiner Weise zur Verantwortung gezogen worden.

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Vielleicht können wir erstmal mit einer europäischen Armee anfangen…
Wenn wir das auf die Kette bekommen haben, können wir weiterreden.

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Und doch muss die Frage erlaubt sein: Wozu? Um einen konventionellen Angriff Russlands gegen eine EU Land abzuwehren? Gibt es dafür nicht genügend Militär in Europa? Würde das nicht die ganze atomare Abschreckung für sinnlos erklären?

Aufrüstung bedeutet Geld in Dinge zu stecken die man hoffentlich nie braucht, das Klima noch stärker zu belasten (anbei nur das Beispiel US Militär: Das US-Militär - einer der größten Klimasünder in der Welt | Telepolis ) und am Ende doch keine Lösungen für die Konflikte zu haben. Das Geld ist deutlich besser in die Forschung und den Ausbau alternativer Energiequellen gesteckt, u.a. auch um von Staaten wie Russland, Saudi Arabien, Katar, etc unabhängiger zu werden.

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Naja, z.B. einfach, weil es billiger wäre… Es ist doch eigentlich unsinnig, dass jedes Land seine eigene militärische Infrastruktur vorhalten muss.

Wenn die Truppen international bunt zusammengewürfelt wären, würde sich vielleicht auch unser Naziproblem in diversen Truppenteilen von alleine erledigen… :rofl:

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Kleine allgemeine Beruhigung:
Die Russen erklären noch mal ganz genau, dass sie wegen den kämpfen in Ukraine keine Atomwaffen einsetzen werden:

Diese Debatte kann theoretisch erscheinen, hat aber sehr praktische Auswirkungen: Auch in den USA darf das Militär nur legale Befehle ausführen. Ein besseres Verständnis der Rechtslage in Bezug auf den Einsatz von Nuklearwaffen stellt somit ein zusätzliches Hindernis für den Einsatz von US-Atomwaffen dar. Das ist begrüßenswert, da es leider nur sehr wenige bis gar keine Hindernisse gibt. Der Präsident kann ja relativ frei entscheiden.

Zu Hiroshima und Nagasaki: Unter heutigen Bedingungen wäre der Einsatz der Atombomben illegal gewesen. Und die flächendeckende Bombardierung von Städten mit konventionellen Bomben übrigens auch. Aber das Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten wurde erst 1949 unterzeichnet, also nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Wichtig: Das bedeutet nicht, dass die Angriffe damals gerechtfertigt waren. Aber nach der Haager Landkriegsordnung waren zwar der Angriff oder die Bombardierung von Städten, Dörfern, Wohnungen oder Gebäuden, die unverteidigt sind, verboten. Militärische Einrichtungen, die kriegswichtige Industrie und die Arbeiter in solchen Betrieben galten jedoch als legitime militärische Ziele.

Aber du hast natürlich insofern recht, als dass die Frage nach der Verantwortlichkeit nach einem Atomkrieg bisher weitestgehend außer Acht gelassen wurde.

Ich finde den Fokus auf eine europäische Armee in Deutschland immer etwas lustig. Das ist in anderen Ländern einfach ein kompletter Non-Starter.

Der Begriff „existenzielle Bedrohung“ ist natürlich dehnbar. Aber bislang hat die russische Führung ja keine Handlung des Westens oder der Ukraine als solche bezeichnet. Insofern ist Beruhigung sicherlich angemessen.

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Haben die Russen nicht auch bis zum 23. Februar steif und fest behauptet, die Truppen an der Grenze der Ukraine sind nur eine Übung? Soviel zur Glaubwürdigkeit einer solcher Aussage…

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Die Russen werden keine Atomwaffen einsetzen, weil sie nicht völlig plemplem sind. So einfach.

Was wäre daran „plemplem“?
imo spricht aus Putins Sicht viel dafür (mal ganz davon abgesehen, dass ich es für fatal halte, davon auszugehen, dass Putin komplett rational handelt)

Das einzige Risiko besteht darin, dass die NATO dann doch eingreift.
Das Risiko ist aber überschaubar. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Westen die Füße stillhält ist groß.

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