Nordstream 2 - ein "privatwirtschaftliches Projekt"?

Immer wieder höre ich in diversen Nachrichtenformaten, so auch im letzten LdN-Podcast, die Aussage, Olaf Scholz behaupte, Nord Stream 2 sei ein privatwirtschaftliches Projekt - und wie falsch dies sei.

In keinem Fall wurde allerdings jemals diskutiert, wie wir eigentlich ein „privatwirtschaftliches Projekt“ definieren und von einem „politischen Projekt“ unterscheiden. Ich finde es hochgradig problematisch, wenn stets in den Medien über einen Begriff diskutiert wird, ohne sich auf eine klare Definition des Begriffs zu beziehen.

Ich habe mir meine Meinung zu dem Thema noch nicht vollständig gebildet, tendiere aber dazu, Olaf Scholz Recht zu geben, wenn er Nord Stream 2 als privatwirtschaftliches Projekt bezeichnet. Ich würde gerne eine Diskussion dazu anregen, einmal zu diskutieren, an welchen Kriterien wir festmachen, ob es ein privatwirtschaftliches oder politisches Projekt ist.

Dazu werde ich zuerst ausführen, wie ich die Situation nach meinem aktuellen Kenntnisstand bewerte und warum ich aktuell zu dem Ergebnis komme, dass es sich durchaus um ein privatwirtschaftliches Projekt handelt. Natürlich bin ich für alle Ergänzungen, gerade auch solche, die anderer Meinung sind, dankbar.

Was ist also ein privatwirtschaftliches Projekt? Was sind seine Merkmale?

Primäres Merkmal für ein privatwirtschaftliches Projekt aus deutscher Sicht sind meines Erachtens die für die deutsche Seite beteiligten Akteure. Agiert der Staat direkt (als Staat/Land) oder indirekt (über Unternehmen, auf die der Staat beherrschenden Einfluss hat), liegt zweifelsohne kein privatwirtschaftliches Projekt vor, da der Handelnde auf deutscher Seite aus einer politischen Motivation heraus handelt.

Sekundäres Merkmal ist die wirtschaftliche Bedeutung des Projekts für die Gesamtwirtschaft des betroffenen Staates. Wenn ein Projekt in seinen Auswirkungen massive Bedeutung für die Grundversorgung der Bevölkerung hat, deutet dies ungeachtet der auf deutscher Seite Beteiligten Unternehmen auf eine starke politische Komponente hin.

Wenn ich diese beiden Merkmale auf Nord Stream 2 anwende, komme ich zu folgendem Ergebnis:

Die Beteiligten an Nord Stream 2 sind folgende:

  1. Winterschall Dea (67% BASF, 33% LetterOne, das einem russischen Oligarchen gehört). Es handelt sich also aus unserer Sicht um einen staatsfernen Konzern.
  2. UniPer (75% Fortum, an dem der finnische Staat eine Mehrheitsbeteiligung hat, 25% Streubesitz, daher aus deutscher Sicht staatsfern, aus finnischer Sicht staatsnah, da Finnland über die Mehrheit bei Fortum auch die Mehrheit an UniPer hält)
  3. Gasunie (100% Niederlande, aus deutscher Sicht daher staatsfern, aus niederländischer Sicht staatsnah)
  4. Engie (24,1% in französischem Besitz, daher keine beherrschende, doch aber eine bedeutende Beteiligung. Auch hier aus deutscher Sicht staatsfern, aus französischer fragwürdig)
  5. Gasprom (50% + 1 Aktie in russischem Staatsbesitz, daher beherrschender Einfluss Russlands)

Resultat:
Die deutsche Politik ist an Nord Stream 2 nicht in irgendeiner Form wesentlich als Akteur beteiligt. Natürlich könnte man anführen, dass Gerhard Schröder als Altkanzler für Gasprom arbeitet, aber daraus ein politisches Projekt für Deutschland zu konstruieren halte ich für gewagt.

Beim sekundären Merkmal komme ich zu dem Ergebnis, dass Nord Stream 2 nach Einlassung beider Seiten nicht zwingend für die Energieversorgung gebraucht wird. Die Pipeline soll viel mehr die Transitkosten reduzieren, indem Transitländer umgangen werden. Die Motivation dahinter ist aus russischer Sicht unklar, aus deutscher Sicht jedoch deutlich wirtschaftlich - wir wollen schlicht günstigeres Gas. Ob Russland über die Mehrheitsbeteiligung an Gasprom neben der Erhöhung der eigenen Gewinnmarge, was das vorgebliche Ziel ist, auch gezielt die Ukraine und Polen schädigen will, ist gut möglich und sogar sehr wahrscheinlich. Damit wäre es für Russland ein politisches Projekt, weil eine politische Absicht hinter dem Projekt stehen würde, die über die wirtschaftlichen Vorteile hinausgeht.

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Wenn Olaf Scholz nun sagt, Nord Stream 2 sei aus seiner und aus deutscher Sicht ein unpolitisches Projekt, würde ich dem generell zustimmen. Das Gegenargument wäre, dass es auch für die anderen Beteiligten automatisch ein politisches Projekt würde, indem eine Teilnahme an Nord Stream 2 die (nicht bewiesene, aber sehr wahrscheinliche) russische wirtschaftliche Aggression gegenüber der Ukraine und Polen zumindest billigen würde. Diesem Argument schließe ich mich aber nicht an.

Warum?
Hätte Deutschland eine wesentliche staatliche Beteiligung, wäre es die Pflicht Deutschlands, die politischen Konsequenzen zu berücksichtigen. Aber eine solche Beteiligung liegt gerade nicht vor. Grundsätzlich gilt, dass die privatwirtschaftlichen Akteure und die Akteure der anderen europäischen Staaten Handlungsfreiheit genießen - daher: Die Genehmigungsverfahren und das allgemeine Prozedere muss für alle gleich sein. Eine Pipeline nach z.B. Norwegen darf nicht anders bewertet werden als eine Pipeline nach z.B. Russland. Erst dadurch, dass man den Fall anders behandelt als vergleichbare Fälle, lädt man sie politisch auf.

Daher:
Würde die deutsche Politik „Nord Stream 2“ untersagen, weil sie damit ein politisches Zeichen gegenüber Russland setzen will, wäre exakt das der Punkt, zu dem „Nord Stream 2“ zu einem politischen Projekt würde. So lange der deutsche Staat nicht selbst an Nord Stream 2 beteiligt ist und Nord Stream 2 behandelt, wie es jedes vergleichbare Projekt mit einem anderen Land behandeln würde, ist es aus deutscher Sicht tatsächlich ein „privatwirtschaftliches Projekt“, daher ein Projekt, dass weder auf staatliche Initiative, noch durch staatliche Intervention, gestartet , gefördert oder gestoppt wurde.

Die Ironie ist daher, dass gerade diejenigen, die „Nord Stream 2“ beharrlich als „politisches Projekt“ bezeichnen, es damit zu einem politischen Projekt machen. Selbstverständlich hat jedes internationale Projekt ab einer gewissen Größenordnung eine politische Ebene - aber bei der Unterscheidung zwischen einem „privatwirtschaftlichen Großprojekt“ und einem „politischen Großprojekt“ muss es gerade herausgehobene Gründe geben, warum ein Projekt politischer sein soll als ein anderes - sonst entbehrt die Diskussion jedem Sinn, weil sonst jedes grenzübergreifende Großprojekt automatisch ein politisches Projekt wäre. Darum geht es jenen, die Olaf Scholz’ Aussage kritisieren, aber gerade nicht.

Nochmal:
Würde das identische Projekt nicht nach Russland unter Beteiligung einer mehrheitlich russisch geführten Firma, sondern nach Schweden, Norwegen oder Finnland unter Beteiligung einer mehrheitlich skandinavisch geführten Firma führen, würde man es dann als „politisches Projekt“ bezeichnen? Ich würde schätzen: Nein, das würde man nicht. Und das ist für mich ein klarer Indikator dafür, dass das Projekt von seinen Gegnern bewusst politisiert wird.

Nebenbei:
Selbstverständlich ist „Nord Stream 2“ ein potentieller Kandidat für wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland. Aber eben nicht, weil Nord Stream 2 ein „politisches Projekt“ sei, sondern schlicht, weil Nord Stream 2 für Russland eine große wirtschaftliche Bedeutung hat. Ebenso wenig wie ich SWIFT als „politische Organisation“ beschreiben würde, nur weil man Russland durch einen Ausschluss von SWIFT sanktionieren könnte…

So weit zu meinem Versuch einer Definition - ich höre mir gerne andere Meinungen an, würde mir aber wünschen, diesen Thread wirklich auf die Sachfrage zu beschränken und nicht dahingehend auszuufern, dass Russland selbstverständlich eine widerliche Autokratie ist, die weltweit über Leichen geht. Dem widerspricht niemand. Es geht bei der Frage um eine neutrale Definition, die unabhängig vom Einzelfall sein sollte.

Also, was sind die Argumente dafür, dass Nord Stream 2 aus deutscher Sicht ein politisches Projekt sei, wenn Deutschland selbst nicht maßgeblich daran beteiligt ist und das Projekt schlicht „neutral“ behandelt, daher weder fördert noch verhindert?

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Aber damit ist es doch sofort auch hierzulande ein politisches Projekt. Politisches Handeln drückt sich ja nicht nur in aktiv herbeigeführten Maßnahmen aus, sondern auch in dem bewussten Geschehenlassen von Dingen. Und die Nord Stream Pipelines sind derart große Dinge, dass sie ohne wenigstens freundliche Duldung durch die deutsche Seite nie realisiert worden wären.

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Naja, dann sind wir halt wieder bei dem Punkt, dass jedes Großprojekt mit internationalen Bezügen zwangsläufig ein „politisches Projekt“ wäre, was dann eine Definition zur Folge hätte, die so weit ist, dass sie nutzlos wäre. Kurzum: Man könnte dann bei Großprojekten nicht zwischen „privatwirtschaftlich“ und „politisch“ unterscheiden. Das ist es aber meiner Einschätzung nach nicht das, was diejenigen, die Olaf Scholz’ Aussage kritisieren, damit meinen.

Daher finde ich die Definition überzeugender, nach der ein Projekt aus deutscher Sicht „politisch“ ist, wenn der Staat entweder direkt beteiligt ist („Beteiligung“) oder aber das Projekt zumindest anders behandelt, als er derartige Projekte normalerweise behandeln würde („Intervention“).

Ein Nichthandeln im Sinne von „wir lassen die privatwirtschaftlichen Akteure machen und verhalten uns ansonsten passiv und erfüllen unsere normalen Rechtspflichten“ (im Hinblick auf Genehmigungsverfahren und ähnliches) kann ich einfach nicht als „politisches Projekt“ betrachten, weil in der Aussage, Nord Stream 2 sei ein politisches Projekt, meines Erachtens immer ein Vorwurf steckt, dass man mit Russland aktiv kooperieren würde. Wie gesagt, aus der Aussage, Nord Stream 2 sei ein politisches Projekt erwachsen ja gerade die Forderungen, dass Deutschland politisch intervenieren und das Projekt stoppen sollte - was es gerade zu einem politischen Projekt machen würde. Das finde ich einfach absurd. Ebenso wie ich es absurd finde, dass Finnland und Frankreich über staatliche beherrschte oder zumindest stark beeinflusste Konzerne an Nord Stream 2 beteiligt sind, Deutschland aber nicht - während gleichzeitig Deutschland sagt, dass es nicht intervenieren will, während Frankreich Intervention gefordert hat und Finnland sich als Grenzstaat zu Russland von Russland bedroht sieht. Gerade diese beiden Staaten, die über staatliche Beteiligung direkt in Nord Stream 2 involviert sind, nutzen diese Optionen aber nicht.

Daraus erwächst eine weitere Absurdität:
Würde Deutschland nun im Sinne Frankreichs und Finnlands intervenieren würden daraus massive Entschädigungsforderungen für die Konzerne erwachsen, an denen Frankreich und Finnland - und vor allem Russland - maßgeblich beteiligt sind. Bin ich wirklich der Einzige, für den das ein gewisses Geschmäckle hat? Oder werden diese Zusammenhänge in deutschen Medien einfach nicht hinreichend beleuchtet?

Das ist genau so albern wie die Tatsache, dass die USA gegen Nord Stream 2 poltern, weil wir damit von den Russen mehr Gas kaufen können, während die USA gleichzeitig ihre Öl-Importe von den Russen steigern. Das alles verstärkt bei mir den Eindruck, dass hinter dem „Nord Stream 2 ist ein politisches Projekt“-Narrativ wenig Substanz steckt.

Du hast jetzt echt viel Text geschrieben bist aber mit keinem Wort darauf eingegangen, dass bezüglich NordStream2 Deutschland in der EU isoliert wurde.
Wir können natürlich so tun, als wäre das alles etwas, was uns und die Pipeline nichts angehen würde, aber das tut es.
Und sobald ein wirtschaftliches Projekt politische Folgen nach sich zieht, ist das natürlich etwas, das die Politik betrifft.
Und sobald diese Folgen weitreichend sein können (wie zum Beispiel, dass wir plötzlich in einem Russland-Ukraine-Konflikt aufgrund wirtschaftlicher Interessen zwischen den Stühlen sitzen) wird es ein politisches Projekt - das war ja auch das, was die EU kritisierte (und meiner Meinung nach zurecht).

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Du zählst hier so viele geopolitische Implikationen von Nordstream 2 auf und landest dann bei der Ansicht, dass in diesem Projekt kaum politische Interessen stecken? Oder habe ich dich da falsch verstanden?

Was Nordstream 2 zu einem „politischen Projekt“ macht, ist meiner Meinung nach schlicht die politische Aufladung durch die aktuelle Ukraine-Krise. Und ich denke darin liegt auch der eigentliche Streitpunkt: Will man die Russen mit einer „Verzögerung/Stilllegung“ von Nordstream 2 unter Druck setzen oder nicht?

Ich für meinen Teil finde, dass man das durchaus erwägen sollte, denn hier hat Deutschland ein echtes wirtschaftliches Druckmittel um eventuell einen militärischen Konflikt zu verhindern bzw. teuer zu machen.

Wie gesagt, das Argument kann ich vor dem Hintergrund der Beteiligungsverhältnisse nicht gelten lassen. Frankreich, Finnland und die Niederlande sind über Beteiligungen an den entsprechenden Unternehmen direkt an Nord Stream 2 beteiligt. Die Niederlande (Gasunie) und Finnland (UniPer) könnten die von ihnen beherrschten Unternehmen jederzeit anweisen, aus Nord Stream 2 auszusteigen - was dazu führen würde, dass Gasprom und die anderen beteiligten Unternehmen Schadenersatzforderungen stellen könnten würden. Tun sie aber nicht.

Gleichzeitig tun diese Länder so, als sei es Deutschlands Verantwortung, Nord Stream 2 zu stoppen, weil die Pipeline in Deutschland ankommt - in diesem Fall würde Deutschland sich allen beteiligten Unternehmen gegenüber Schadenersatzpflichtig machen, auch den finnischen, niederländischen und französischen, die sich selbst weigern, von sich aus auszusteigen.

Die Frage muss doch sein:
Wer hat die größere Verpflichtung, Nord Stream 2 zu stoppen?

  1. Das Land, bei dem die Pipeline ankommt und welches folglich für die behördliche Behandlung (Genehmigungsverfahren usw.) zuständig ist.
  2. Die Länder, die an der Pipeline direkt wirtschaftlich beteiligt sind und die Pipeline finanzieren

Ich sehe die Verantwortung hier schlicht nicht bei Deutschland - Deutschland hat die Pflicht, die behördlichen Prozeduren durchzuführen. Und in einem Rechtstaat sollte dies ohne Ansehen der Beteiligten geschehen. Daher: Der Staat sollte nicht von einem festgelegten Genehmigungsverfahren abrücken, weil ihm einer der Beteiligten nicht passt.

Wie gesagt, Nord Stream 2 als Druckmittel im Hinblick für Sanktionen zu verwenden, steht auf einem anderen Blatt. Das Projekt aber von vorne herein abzulehnen und zu versuchen, Wege zu konstruieren, wie man es verhindern kann, halte ich für falsch. Und für genau so falsch halte ich es, dass Deutschland hier alleine den Preis der Entschädigungszahlungen tragen soll, während die Länder, die einen Stopp von Nord Stream 2 fordern, selbst mit staatlich beherrschten oder beeinflussten Unternehmen an Nord stream 2 mitarbeiten.

Demnach müsste man noch den zeitlichen Horizont berücksichtigen. Kurzum: Es wäre möglich, dass ein Projekt als rein privatwirtschaftliches Projekt startet, dann aber wegen politischen Entwicklungen zu einem „politischen Projekt“ würde?

Könnte es sein, dass das Problem in der Diskussion ist, dass wir „politisches Projekt“ und „privatwirtschaftliches Projekt“ zwangsläufig als sich ausschließender Gegensatz betrachten? Vielleicht kann ein Projekt ja auch durchaus beides zugleich sein. Daher: Das Projekt ist privatwirtschaftlich organisiert (keine deutsche Staatsbeteiligung bei den beteiligten Unternehmen, keine deutsche Intervention / Sonderbehandlung im Hinblick auf die Verfahren), hat aber klare geopolitische Bedeutung.

In diesem Kontext wäre Scholz’ Aussage, es handelt sich um ein privatwirtschaftliches Projekt, ebenfalls korrekt. Was Scholz mit dieser Aussage meint, ist eben, dass der deutsche Staat an diesem Projekt nur als Dritter („Genehmigungsbehörde“) beteiligt ist, was abzugrenzen von einem „staatlichen Projekt“ wäre, wo der Staat direkt beteiligt ist und direkte Durchgriffsrechte hätte.

Kurzum:
Bestreitet Olaf Scholz mit dem Zitat, Nord Stream 2 sei ein privatwirtschaftliches Projekt, wirklich die politische Dimension? Wie ich öfters schon schrieb, kommen wir ja hier auch immer wieder zu dem Ergebnis, dass internationale Projekte ab einer gewissen Größenordnung immer eine politische Dimension haben - und ich glaube auch nicht, dass Olaf Scholz das bestreitet.

Das Rumhacken auf dieser Aussage von Scholz mit dem Nachtrag, dass Nord Stream 2 doch selbstverständlich ein politisches Projekt sei, wäre in diesem Fall nichts anderes als ein klassisches Strohmann-Argument.

Ich hoffe, ich konnte zumindest verständlich machen, warum ich diese Diskussion darüber, ob Nord Stream 2 ein „privatwirtschaftliches“ oder „politisches“ Projekt sei, so befremdlich finde… das Problem ist meines Erachtens weiterhin, dass hinter der Kritik an Olaf Scholz’ Aussage mehr steckt als nur der selbstverständliche und wohl auch Olaf Scholz bewusste Fakt, dass jedes Großprojekt, vor allem mit russischer Beteiligung, eine hochpolitische Angelegenheit ist. Ich bezweifle nur, dass es Olaf Scholz wirklich darum ging, als er Nord Stream 2 ein privatwirtschaftliches Projekt genannt hat.

Nur eine Anmerkungen: Angela Merkel hat 2018 eingeräumt, dass natürlich auch politische Faktoren im Spiel sind: https://www.faz.net/aktuell/politik/merkels-sinneswandel-im-fall-der-gasleitung-nord-stream-2-15540994.html?GEPC=s3#void

@Daniel_K: Ich finde deine Überlegungen interessant, aber letztendlich sind es doch definitorische Spitzfindigkeiten. Nordstream 2 hat geopolitische Relevanz, und dadurch wird es zum politischen Projekt. Wie da jetzt die Firmenbeteiligungen aus deutscher Sicht sind, ist im Endeffekt nachrangig. Deine Aufzählung der Beteiligten oben suggeriert auch, dass alle fünf Beteiligten gleichermaßen Anteilseigner wären, was nicht der Fall ist. Gazprom alleine hält schon 50%. Ich würde argumentieren, dass Nordstream 2 schon alleine durch die signifikaten Beteiligung der russischen Regierung zum politischen Projekt wird. Aber viele in Deutschland haben glaube ich noch nicht verstanden, wie der russische Staatskapitalismus funktioniert. Auch „Privatunternehmen“ sind dort letztendlich staatliche Unternehmen. Der private Inhaber ist de-facto nur der Verwalter. :wink: Buchtipp: Putin’s People/Putin’s Netz von C. Belton.

In Deutschland gibt es ja zudem die merkwürdige Ansicht, dass sich Wirtschaft und Politik einfach trennen ließen. Das ist aber nie der Fall; der Staat setzt durch Regulierung immer die Rahmenbedingungen und kann natürlich auch bestimmte Wirtschaftsbeziehungen fördern. (Als Beispiel seien hier die Hermes-Bürgschaften genannt.) So war das ja auch bei Nordstream 2: Die Vereinbarung wurde im Beisein Schröders und Putins unterschrieben. Ganz schön hohe Politiker für ein lediglich wirtschaftliches Projekt.

Es gab ja sogar eine staatliche Bürgschaft für einen Kredit an Gazprom – obwohl es sich da ja nichtmal um einen deutschen Konzern handelt, im Geheimen genehmigt und generell höchst ungewöhnlich. Gazprom hat den Kredit dann nicht angenommen, aber da von einem privatwirtschaftlichen Projekt zu sprechen, das erscheint mir doch abenteuerlich.

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Hallo,
hier ist ein Interessanter Artikel bei t-online.de der die anscheinend zahlreichen „Russland-Verbindungen“ von Manuela Schwesig und Russland sowie Gerhard Schröder beleuchtet.
t-online.de: Schwesigs Russland-Geheimnis

Auch hiernach erschließt sich zwar nicht, was genau die SPD und vor allem Manuela Schwesig so bindet und fasziniert an diesem Projekt, aber es wird von mehreren „geheimen“ oder zumindes innoffoziellen Treffen berichtet, die inzwischen nachgewissen werden können, die aus meiner Sicht ein dubioses Licht auf die Sache werden.

Zur Frage „ist es ein politsches Projekt?“:
Ohne auf jedes oben genannte Argument einzugehen, handelt es sich nach meiner Sicht schon deshalb zwangsläufig um ein „poltitisches Projekt“ und zwar dadurch begründet, dass dieses Projekt über Jahre hinweg von ranghohen Politikern von beiden Seiten „verhandelt“ wird und die Interessen von hierin engagierten Firmen im öffentlichen Diskurs keine Rolle spielen.

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Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat extra eine Klimaschutzstiftung gegründet, die neben Geld vom Land primär durch die NordStream AG (einer Tochtergesellschaft von Gazprom) und Gazprom selbst finanziert wird. Geleitet wird sie vom Vorsitzenden des deutsch-russischen Partnerschaftsverein (und ehemaligen MV-Ministerpräsidenten (SPD)) Erwin Sellering.

Mal abgesehen von der Dreistigkeit, eine unter anderem mit Steuern finanzierte Stiftung für Gasimporte als Klimaschutzstiftung zu betiteln und der grundsätzlichen Kritik an solchen Verschleierungsmethoden, zeigt das ja eindeutig die politische Seite von Nordstream 2. Ein direktes Ziel der Stiftung ist ja auch, damit us-amerikanische Sanktionen zum Bau von Nordstream 2 umgehen zu können.

Wikipedia NordStream#Stiftung_Klima-_und_Umweltschutz

https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-01/nord-stream-2-gaspipeline-ostsee-umwelt-stiftung-mecklenburg-vorpommern

Ein Gegenbeispiel hierzu wäre der finnische Reaktor Olkiluoto III, der in den nächsten Tagen ans Netz geht. Dieser ist cofinanziert durch die bayrische Landestochter BayernLB - meines Wissens hat Deutschland respektive Bayern aber kein politisches Interesse, sondern nur ein wirtschaftliches.
Ganz unumstritten ist das aber auch nicht - schliesslich wurde die BayernLB 2009 mit Steuergeld gerettet - Geld, was jetzt in AKW-Finanzierung verwendet wird. Immerhin haben die Finnen einige deutsche Kernkraftphysiker und -Ingenieure eingekauft, das Geld kommt also zumindest teilweise (Auslands-)Deutschen zugute.