Ich würde gerne ein paar Argumente bezüglich elektronischer Wahlen loswerden. Ich bin bei den meisten netzpolitischen Themen mit meiner Meinung eher beim CCC, bei diesem Thema kann ich jedoch die weit verbreitete Positionierung elektronisch Wahlen kategorisch abzulehnen nicht voll nachvollziehen:
Am meisten verwundert mich, dass die Papierwahl aus “vielleicht etwas kompliziert” und “ein bisschen teuer” aber dafür als vollkommen transparent, manipulationssicher und demokratisch bezeichnet wird.
Dabei gibt es bei der Papierwahl einige offensichtliche Probleme, die mir deutlich zu kurz kommen. Ich möchte damit nicht implizieren, dass ich Manipulation bei der Wahl vermute, vielmehr möchte ich herausstellen, dass Deutschland in einer besonderen Position ist, sodass dieses Wahlsystem funktionieren kann.
(1) Als wichtigst Prämisse muss davon ausgegangen werden, dass wir bereits in einer stabilen Demokratie leben und alle an der Wahlauszählung beteiligten Personen dieses demokratische Verständnis auch besitzen. Letztlich muss komplett auszuschließen sein, dass z.B. in einem kleinen Wahlkreis auf dem Land, eine Gruppe von Wahlhelfer:innen mit ähnlicher parteipräferenz nach einem Augenzwinkern den Strich “versehentlich” in der falschen Spalte machen.
Für Beispiele muss man außerhalb von Deutschland nicht lang suchen. Die Schlagzeile “In XY haben Wahlen stattgefunden” verbunden mit “Massive Wahlfälschungen in XY” finden sich ja reichlich.
(2) Ich finde die Papierwahl abgesehen vom generellen Prinzip auch nicht wirklich nachvollziehbar. Klar: jeder hat eine Stimme und am Ende wird zusammengezählt. Aber letztlich kann ich mich selbst maximal bei der Auszählung einem Wahllokal mit einem Augenpaar versichern, dass alles ordentlich abläuft. Ob sich auch genügend Demokratie Enthusiasten im Wahlkreis hinter Klein Finsterwalde finden lassen, ist jedoch auch mindestens fraglich. Ich selbst habe dieses Jahr über Briefwahl abgestimmt, weil ich gerade in Japan wohne. Ob mein Brief in meinem Wahlkreis angekommen ist und richtig gezählt wurde, ist für micht auch nicht überprüfbar.
(3) Spätestens bei der Zusammenführung der Ergebnisse wird ja auch jetzt schon auf Software gesetzt, die nachweislich mit keiner besonderer Qualität gesegnet ist. Und auch wenn bis hierhin alles mit rechten Dingen zugegangen ist und eine “gute” Software verwendet würde, würden alle wesentlichen Kritikpunkte gegen elektronische Stimmenauswahl auch hier zutreffen.
(4) Sollte etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, fehlt mir letztlich jeder Anhaltspunkt meinen Verdacht zu beweisen oder eine erneute Auszählung anzustoßen. Zunächst mal muss aber ein Verdacht vorliegen und ab wann ist ein Ergebnis denn anzuzweifeln? Wenn eine Partei 5% neben den Umfragen liegt, erst ab 10%? Ansonsten gibt es noch das Benfordsche Gesetz, das häufig herangezogen wird, das aber auch nur einen möglichen Hinweis auf Wahlfälschung geben kann. Und selbst wenn sich genügend Anhaltspunkte auf Manipulation finden lassen, kann eine Neuauszählung auch einfach gerichtlich verhindert werden, wie es schon in den USA vorgekommen ist. Das führt die gesamte Transparenz letztlich ad absurdum. Und im Zweifel kommt ein kaputtes Regime auch mit offensichtlichen Wahlbetrug durch, wie man z.B. in Belarus beobachten durfte.
Unter all diesen Punkten finde ich es anmaßend die Papierwahl als “problemlos” wie in der aktuellen Lage zu bezeichnen auch wenn ich in Deutschland mit ausnahme kleiner menschlicher Fehler keinen Wahlbetrug vermute. Ich kann aber auch nicht ausschließen, dass das mit zunehmender Zustimmung zu undemokratischen Parteien auch so bleiben wird.
Ich möchte auch betonen, dass ich die Kritik an bisherigen Wahlcomputern und Wahlsoftwarelösungen komplett teile. Ich kann mich an einige Vorträge auf dem 33c3 erinnern, die von Wahlcomputern berichtet haben, die im Wesentlichen das Level von einem Python Skript auf einem Raspberry Pi nicht überschritten haben. Und ich bin immernoch völlig entsetzt mit welcher Naivität Wahlcomputer auch heute zum Einsatz kommen.
Ich bin mir auch vollkommen bewusst welche Angriffsfläche und welche Herausforderung ein solches System auftun würde und dass ein gutes Ergebnis vielleicht nur IT Expert:innen nachvollzogen werden kann.
Ich möchte mich nicht in einen Fettnapf setzen und mit meinem laienhaften Halbwissen in Kryptographie eine Lösung skizzieren. Ein wirklich weitgehend sicheres Wahlsystem kann ich mir jedoch nur mit der richtigen Komposition kryprograpischer Verfahren in einem weltweit umspannenden Netzwerk sinnvoll vorstellen. Sodass - ähnlich wie bei Tor oder Kryptowährungen - Überwachung und Manipulation nur möglich ist, wenn ein Akteur einen erheblichen Anteil des Netzwerks über landesgrenzen hinweg manipuliert. Ich kann mich nicht erinnern, dass so ein System schon einmal diskutiert wurde. Falls ja, würden mich Argumente dafür oder dagegen sehr interessieren.
Abgesehen davon dass sich in einem solchen System sicherlich Features implementieren ließen wie das verifizieren der eigenen Stimme an Gesamtergebnis oder das Errechnen des Gesamtergebnisses auf dem eigenen Laptop, wäre es auch denkbar andere Wahlmethoden zu implementieren, die mit aktuellen System zu komplex auszuwerten.
Wie erwähnt, wäre solch ein System sicherlich nur für IT Experte:innen nachvollziehbar. Mir persönlich würde es jedoch besser gehen, wenn unsere Wahl auf einem kryptographischen System basieren würde, welches von international renommierten Expert:innen und Sicherheitsforscher:innen über Jahre entwickelt und bis aufs letzte Detail auseinandergenommen wurde, statt auf ein System zu setzen, das letztlich auf Vertrauen basiert.