Niedergang der deutschen Gewerkschaften? Brauchen wir sie etwa nicht mehr?

Da sie „selbstständig“ sind bringt es ihnen nicht viel.

Sie haben ihr Streikrecht gleich mit abgegeben.

Inwieweit da Vertragsbruch gilt weiß ich nicht, kann mir aber gut vorstellen, dass das gilt.

Schlechtes Planspiel.

Also wenn die zumindest offiziell selbstständig sind, ist die Sache einfach: Sie haben keinerlei Kündigungsschutz. „Streiken“ ist also gleichbedeutend mit „ihren Auftrag nicht erfüllen“. Gibt kein Geld, der Chef sucht sich jemand anders, und du bist raus.

Aber auch wenn reguläre Arbeitsverhältnisse existieren, ist das bei weitem nicht so einfach, denn das deutsche Streikrecht ist in weiten Teilen eher ein Streikverhinderungsrecht. So sind u.a. nur Streiks legal, die von Gewerkschaften organisiert werden, und um rechtlich als Gewerkschaft zu zählen, benötigt man eine gewisse Anzahl an Mitgliedern, Organisationsgrad, etc. Eine Handvoll Leute in einem einzelnen Betrieb sind regelmäßig keine Gewerkschaft, und der Streik wäre damit rechtlich ein sogenannter Wilder Streik und gleichzusetzen mit Arbeitsverweigerung = Grund zur fristlosen Kündigung.

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Hier würde ich nicht soweit gehen, die Betriebsräte als ein mögliches - großflächiges - Problem darzustellen. Denn Betriebsräte bilden, anders als Gewerkschaften, keine Organisation, sondern werden regelmäßig, mittels geheimer Wahlen, von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Ihres Betriebes in dieses Ehrenamt gewählt. Eine Einflussnahme in diese Wahl durch Dritte (also auch durch den eigentlichen Arbeitgeber) ist gesetzlich verboten. Aber natürlich brauchen wir uns nichts vormachen, es gibt sie natürlich: die einflussnehmenden Arbeitgeber und die bestechlichen Betriebsräte. Meine Erfahrung sagt aber, dass dies nicht die Norm sondern tatsächlich Ausnahmen sind. Die Betriebsräte die ich kennen gelernt habe, machen das aus guten Überzeugungen.

Aber um durch diese Ausführungen, den Schwenk zurück auf die ursprüngliche Frage nach unseren Gewerkschaften und ihren vermeintlich schwindende (politisch sowie gesellschaftlich) Einfluss zu vollziehen: ich nehme tatsächlich war, dass Gewerkschaften - im Rahmen von Betriebsratswahlen gezielt, und ausschließlich, Ihre eigenen Mitglieder in diesem innerbetrieblichen Ehrenamt positionieren wollen. Mittels: Geschenke, Hochglanz-Werbung, Veranstaltungen und alles was der Gewerkschaftliche Apparat zu bieten hat.
Jetzt könnte man als Argument entgegnen, dass dies auch nur legitim sei - denn eine starke Gewerkschaft im Betrieb ist gut für die Arbeitnehmer. Aber darin könnte auch ein Problem liegen. Ein „Mitgliedsausweis“ ist noch keine Kompetenz um innerhalb eines Betriebes die Menschen und Ihre Arbeitssituationen bestens zu verstehen und diese dann auch dem dortigen Arbeitgeber gegenüber anzubringen.
Diese harte Abgrenzung auf Basis einer „Nur wer Mitglied ist, kann auch ein guter Betriebsrat sein“-Argumentation, kann Beschäftigte in ein Art „Anti-Gewerschafts-Haltung“ drängen.
Von Außen betrachtet wären in diesem Fall zwei Gruppen, mit dem eigentlich gleichen Ziel (für die Beschäftigten einstehen zu wollen) im direkten konkurrierenden Wettstreit zueinander - anstelle sich dem gemeinsamen Ziel zu widmen und die Kräfte dafür zu bündeln.

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Die Gewerkschaft bietet aber im Regelfall Ausbildungenan, die man als nicht-Mitglied nicht so einfach bekommt.

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Und das ist nur eine tolle Sache von vielen. So gibt es auch Rechtsschutz-Absicherungen, Ausfallgelder für Lohnverluste im Streikfall, kostenloser Zugangs zu anwaltlicher Beratung, Vergünstigungen in lokalen ÖPNV usw…
Was aber anscheinend für viele Menschen nicht ausreicht um daraus eine Mitgliedschaft als notwendig abzuleiten. Ich eröffne mal die These: Sie wiegen die Vorteile gegenüber ihren empfundenen Nachteilen (hohe monatliche Kosten, Persönliche Einflussmöglichkeiten usw.) ab.

Gerade im Forum aus einem anderen Grund angemeldet und über diesen Thread gestolpert und eingetaucht. Möchte den Themenvorschlag ausdrücklich unterstützen und noch eine Empfehlung für einen Podcast-Gast abgeben. Dr. Johanna Wenckebach Leiterin des Hugo Sinzheimer Institut und bei Twitter unter https://mobile.twitter.com/jo_wenckebach?

Zum Thema: Gewerkschaften stehen traditionell für die Demokratisierung der Arbeitswelt. Ihrer Stärke verdanken wir das Betriebsverfassungsgesetzt und damit den Betriebsräten und der betrieblichen Mitbestimmung in ihrer jetzigen Form. Studien zeigen, Unternehmen mit starker betrieblicher Mitbestimmung sind nicht nur besser für die Beschäftigten, sondern auch die wirtschaftlich nachhaltiger.

Wichtig bei einer Diskussion zu Gewerkschaften ist zu beachten, dass sie nicht nur für die Demokratisierung der Arbeitswelt einstehen, sondern selber auch versuchen, demokratische zu arbeiten. Dh das es auf allen Funktionsebenen, von Wahlgremien gibt, die alle 4 Jahre neu gewählt werden und das Handeln der Gewerkschaften und Funktionäre kontrolliert und legitimiert. Führungspositionen sind idR Wahlämter und ab den oberen Führungsebene, müssen die Führungskräfte regelmäßig wiedergewählt werden.

Auch Streiks und Tarifverträge, sozusagen die „Hauptprodukte“ der Gewerkschaften, werden häufig demokratisch, durch Urabstimmungen, legitimiert.

Das ist in der Theorie super und aus meiner Sicht sehr bewundernswert. In der Praxis macht es Gewerkschaften oft eher behäbig und strukturkonservativ. Die Frage, wer Zeit hat, sich in diesen Gremien zu engagieren und was die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Ehrenamt angeht ist ein eigenes und umfangreiches Thema. Auch die Reaktionsgeschwindigkeit auf unternehmerisches Handeln oder Entwicklungen auf dem Markt sind nicht besonders schnell. Gewerkschaften sind strukturell erstmal an ihrer bestehende Mitgliederstruktur gebunden. Neue Branchen, neue Unternehmen sind erstmal nicht im Fokus von Gewerkschaften. Hier bedarf es in der Regel der Selbstorganisation der Beschäftigten. Siehe dazu die aktuellen Auseinandersetzung rund um Fahrradlieferdienste in Deutschen Innenstädten. Erst ab einer Kritischen Masse von gewerkschaftlicher Selbstorganisation entsteht eine gewerkschaftliche Machtbasis, die kollektives Handeln möglich macht und am Ende oft darin mündet, dass Hauptamtliche Gewerkschaftsstrukturen entstehen.

Gewerkschaften haben aus meiner Sicht diese strukturelle Schwäche erkannt und versuchen mittlerweile Branchen und Unternehmen aktiv zu erschließen und gewerkschaftliche Selbstorganisation zu unterstützen. Siehe dazu die IG Metall Strategie in Grünheide beim neuen Teslawerk.

Im Zusammenhang des Mitglieder

Schwundes bei Gewerkschaften darf das Thema Union Busting nicht fehlen. Damit ist eine Unternehmensstrategie gemeint die aktiv die Etablierung von gewerkschaftsstrukturen im Unternehmen verhindert. Amazon hat diese Strategie perfektioniert, aber auch im deutschen Rettungsdienst können solche Strategie beobachtet werden. Siehe hier Arbeitsunrecht e.V…

Einen weiteren Aspekt würde ich hier noch zu bedenken geben. Gewerkschaften haben ihren Bereich des Handels in manchen Bereichen in den letzten Jahren explizit ausgeweitet.

Neben Löhnen und Arbeitszeit haben die Beschäftigten auch die Frage der Arbeitsqualität in die eigene Hand genommen. Pflegekräfte haben in Berlin erfolgreich bindende Persobaluntergrenzen auf Dein Stationen in der Charité und Vivantes mit der #Berlinerkrankenhausbewegung durchgesetzt. Das gleiche findet aktuelle bei den Unikliniken in NRW statt.

Hier wird das Versagen der deutschen Gesundheitspolitik gewerkschaftlich beantwortet. Vergleichbares wird aktuell von den Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienst versucht. Sie fordern neben der Aufwertung ihrer Berufsgruppen (traditionelle Frauenberufe) bessere Arbeitsbedingungen, die die Qualität ihrer pädagogischen Arbeit zu erhöhen. Kleine Gruppen in der frühkindlichen Bildung usw…

Um meinen Enthusiasmus wieder etwas zu relativieren. Die Arbeitsbedingungen in der Pflege und bei den Erzieherinnen werden durch diese Auseinandersetzung nicht mit einem Mal super sein. Hauptgrund ist der im Vergleich zur Autoindustrie schlechte Organisationsgrad der Beschäftigten. Dort ist ein Organisationsgrad von über 90 % heute immer noch nicht unüblich. Pflegepersonal und Erzieherinnen sind deutlich schlechter organisiert.

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Frage dazu:

  • Ist diese Behäbigkeit vielleicht auch die Notwendigkeit bzw. die Chance für neue Pflanzen in der „gewerkschaftlichen Idee“?

Wenn man hier tiefer in das Thema einsteigt, landet man irgendwann auch bei der FAU ( Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union;https://www.fau.org/). Die Organisation findet u.a. auch ausgiebige Beachtung im Verfassungsschutzbericht 2020.
Fragen:

  • Ist diese Organisation eine wirkliche Alternative zu den abbauenden „Groß“-Gewerkschaften?
  • Sind ihre Ansätze moderner und zielführender für die Interessen der Arbeitnehmer*innen?
  • Gibt es eine Chance auf ein friedliches Nebeneinander von Gewerkschaften oder gilt das Highlander-Prinzip („There can be only one“) und der damit vorprogrammierte Machtkampf?

In Schweden gilt ein bisschen beides.
Abgesehen davon ob man nun Bürojob oder Produktion macht (unterschiedliche Gewerkschaften) gilt in den Produktionsbetrieben, dass die Gewerkschaft die den größten Arbeitsanteil hat zuständig ist.

Funktioniert bis dato bis auf Ausnahmen recht gut.

Das Prinzip „Ein Betrieb eine Gewerkschaft“ gilt auch in Deutschland. Die Gewerkschaft, die am meisten Beschäftigte in einem
Betrieb organisiert hat, darf Tarifverhandlungen führen. Das die FAU direkt in Konkurrenz zu großen DGB Gewerkschaften steht ist eher selten. Stattdessen sind sie gut darin, Leerstellen zu besetzen, bei denen die oben beschriebene Behäbigkeit zuschlägt. Auch legen sie den Finger in die Wunde, wo große Gewerkschaften durch Stellvertreter-handeln über die Köpfe der Beschäftigten handeln.

Manchmal kommt es zu Machtkämpfen, oft gelingt es mindestens eine gemeinsame Strategie gegenüber dem Arbeitgeber durchzuhalten. Ein Beispiel wäre die TV Stud Bewegung in Berlin, getragen von ver.di, GEW und FAU. Sicher nicht Konfliktfrei, aber mit einem gemeinsamen Gegner.

Gleichzeitig gibt es auch bei großen Gewerkschaften Bewegung. Insbesondere die Auseinandersetzung der Berliner Krankenhausbewegung und aktuell an den Unikliniken in NRW, zeigt versuche, die Gewerkschaften und die Tarifauseinandersetzung weiter zu demokratisieren. Die Forderungen sind keine klassischen Lohnforderungen, sondern zielen auf die Arbeitsabläufe und werden direkt von den Beschäftigten für ihre Stationen entwickelt. An den Verhandlungen sollen über Delegierten Strukturen 1000 Menschen direkt und alle Beschäftigten indirekt beteiligt werden. Siehe dazu:

https://jacobin.de/artikel/krankenhausstreik-weil-der-normalzustand-nicht-mehr-tragbar-ist-nrw-erzwingungsstreik-unikliniken-krankenhausbewegung/

Na das hast du jetzt etwas falsch verstanden.
Wir haben hier in der Industrie per se zwei Gewerkschaften im Betrieb.

Man unterscheidet hier zwischen Produktion (kollektivare) und Büro (tjänstemän) die jeweils ihre eigene Gewerkschaft haben.

Und die Gewerkschaften sind nach ihren jeweiligen „Arbeitsbereichen“ aufgeteilt.

Also wir als Elektroproduktion gehören zu IF Metall, während z.B. die LKW Fahrer zu Transport gehören.

Hätte jetzt meine Firma einen eigenen Transportzweig mit sagen wir 10 Fahrern und die Produktion mit 100 Mitarbeiterin so ist das hier so geregelt, dass Transport nichtmal versucht selbst zu organisieren.
Wird ein Fahrer angestellt der bereits zu Transport gehört so wird er mit allen dort bestehenden Vorteilen und Arbeitslosengeldanspruch an IF Metall „übergeben“.

Es herrscht also so eine Art Friedenspflicht zwischen den unterschiedlichen Gewerkschaften.

Es ist aber eben auch so, das der AG nicht wählen kann mit welcher Gewerkschaft er gerne einen Tarifvertrag abschließen möchte.
Gehört er zum Elektrogewerbe wie wir, dann ist es IF Metall, alle anderen Gewerkschaften würden ihn abweisen.

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Unter der Mithilfe der Arbeitnehmergewerkschaften ist die Verdienstschere zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber definitiv weiter aufgegangen. Ob die Arbeitnehmer für sich selbst bessere Abschlüsse herausgehandelt hätten, vermag ich aber nicht zu beurteilen. Wenn die Arbeitnehmer glücklich mit den Abschlüssen durch die Gewerkschaften sind, ist ja alles gut. Für mich wäre das nichts.

Bitte mit einer Quelle begründen, ansonsten ist das Populismus und hat nichts hier im Forum verloren.

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Und wo genau steht da, dass die Gewerkschaften Schuld sind? Ich lese da nur Habgier der Vorstände raus, due den Hals nicht voll kriegen?

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Den Spruch bringen alle die glauben gut im Verhandeln und Verkaufen zu sein.

Gibt aber reichlich mehr Menschen die das nicht glauben und für die Tarifverträge essentiell sind um an der wirtschaftlichen Entwicklung Teil zu haben.

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Keine Ahnung, was er oder sie eigentlich mit den Abbildungen sagen will. Die passen nicht wirklich zusammen. Aber weil von der Person ja vorab die Meinung vertreten wurde, dass die Gewerkschaften mit geholfen hätten die Verdienstschere zu öffnen. Da würde ich nur rauslesen, dass mit der Abnahme der Mitgliederzahlen, die Ralation der Vergütung nach oben gegangen ist. Ich könnte nun interpretieren, dass es da einen Zusammenhang gibt und das daran liegt, dass die Gewerkschaften immer weniger Einfluss haben. Aber das wäre ja das komplette Gegenteil :wink: .

Aber an sich hilft mir das auch erst mal alles nicht, weil selbst wenn da eine Korrelation wäre, dann muss es keine Kausalität sein. Von daher bitte nicht einfach irgendwelche Behauptungen aufstellen und meinen, dass man sie mit zwei Abbildungen belegen könnte, die dazu selber keine Aussage treffen. Da muss schon etwas mehr dahinter stehen.

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Vielleicht ist Schuld ein hartes Wort.
Zumindest ist trotz hoher gewerkschaftlicher Organisation die Schere extrem auseinandergelaufen. Insbesondere in den extrem gewerkschaftlich geordneten Branchen wie der Automobilbranche. Das legt eine Duldung oder Einwilligung zu dieser Entwicklung nahe.

In einigen Branchen ist es ja üblich, dass Rechtsanwälte oder Agenten um die Höhe der Entlohnung verhandelt. Zu glauben dass eine Gewerkschaft, zumeist bestehend aus Arbeitnehmern, das besser kann ist meines Erachtens nach ein Trugschluss. Wir werden ja sehen ob die Gewerkschaften es besipeislweise schaffen Lohnentwicklungen oberhalb der Inflationsrate bei skandinavischen Fluglinien durchzusetzen. Ende Juni fliegen einige meiner Mitarbeiter nach Stockholm. Wie es jetzt aussieht wieder private Corporate, um trotz den Gewerkschaftsstreiks anzukommen. Wenn du magst kannst du dann dort eine investigative Recherche anstellen um meine Thesen der Fürsorge als Arbeitgeber zu hinterfragen. Grundsätzlich würde ich mich ja über die Unschuldsvermutung freuen - aber die scheine ich in deinen Augen verwirkt zu haben.

Es legt auch Nahe, dass die Oberen gierig sind und wir zu lange die Union in der Regierung hatten. Das was du hier schreibst sind unbelegbare Behauptungen und haben in einer Diskussion nichts zu suchen.

Die Entwicklung war ja nicht nur in Deutschland so, sondern in allen westlichen Staaten mit einer hohen Affinität zu Gewerkschaften.
Gier ist ja erst einmal nur extremes Gewinnstreben und nichts per se schlechtes. Die Aufgabe der Arbeitnehmer-Gewerkschaften ist es, unter anderem, einen gerechten Teil des wachsenden Kuchens herauszuhandeln. Wenn sie diese Aufgabe nicht hinbekommen, dann brauchen die Arbeitnehmer bessere Verhandler für sich an ihrer Seite. Wenn sie glauben für sich nicht gut genug verhandeln zu können, gibt es genügend Alternativen neben Gewerkschaften.