Neuer Aufschlag: EU-Verordnungsentwurf zu Transparenz und Targeting politischer Werbung

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Moin,

ich weiß, es gab schon einen Thread, wegen neuer Entwicklungen möchte ich aber einen neuen Thread starten.

Die EU arbeitet an einer Verordnung zu Transparenz und Targeting politischer Werbung und das Thema sollte wirklich in die Lage kommen! Dafür zuerst ein paar Argumente aus Sicht der Berichterstattung, im Anschluss dann in Post II ein inhaltlicher Überblick und ein paar ausgewählte Punkte zur Vertiefung.

Warum behandeln?

  1. Aktualität - die VO ist gerade im Trilog und soll (lt. Plänen von Kommission und Parlament) schon im Europawahlkampf Anfang 2024 Wirkung entfalten können. Wenn das Trilogergebnis feststeht, könnte man zwar noch immer berichten, aber wenn es um öffentliche Partizipation geht, ist der Zug dann wohl abgefahren, will man nicht riskieren, einen hart errungenen Kompromiss (danach sieht es aus) zu riskieren, mind. aber den Prozess so zu verzögern, dass vor den Europawahlen gar nichts mehr kommt.

  2. Hohe politische Wichtigkeit und Brisanz - s. die schon entfachte Diskussion um die Meinungsfreiheit (übersichtlich wiedergegeben hier).

  3. Schnittstelle zwischen Politik, Recht und Technik - eigentlich ein klassisches Lage-Thema, oder? :wink:

Überblick

Volltext des Kommissionsentwurfs (25. November 2021), Verfahrensinfos und verbundene Dokumente hier abrufbar.

Ratsentwurf, 13. Dezem,ber 2022. Parlamentsentwurf, 2. Februar 2023, dem Kommissionsentwurf mit Änderungen gegenübergestellt. Gibt auch ein nützliches FAQ von MEP Alexandra Geese.

Insgesamt geht es um (1) Transparenzreglungen für jede politische Werbung (Kap. II aller Entwürfe) und (2) um spezielle Datenschutzvorschriften für politische Werbung (Kap. III aller Entwürfe). Dabei soll das Ganze auf dem schon bestehenden Rechtsrahmen aus DSA und DSGVO aufbauen und ihn ergänzen. Das EP fügt dem auch ein Verbot hinzu, politische Werbedienstleistungen an Sponsoren zu erbringen, die weder Unionsbürger sind noch ihren Sitz/Wohnsitz in der EU haben.

Politisch solol damit auf die Entwicklungen der zielgerichteten politischen Werbung insb. in Social Media sowie (besonders prominent im EP-Entwurf) auf ausländische Wahlbeeinflussung reagiert werden. Stichwort Cambridge Analytica. Sorgen bereiten Polarisierung, Manipulation, Echokammern und „Filterblasen“, Demobilisierungskampagnen, Intransparenz der zur Wahl stehenden Inhalte. Persönlich bin ich - nach unvollständiger Lektüre von sozial- und geisteswissenschaftlicher Literatur dazu - der Meinung, dass viele Befürchtungen nicht stark empirisch abgesichert sind (die Filterblasentheorie im Speziellen ist etwa zwar eine gute Theorie, konnte aber empirisch nicht bestätigt werden: Zusammenfassung) und vieles (v.a. Tribalisierung/Spaltung) sich auch ohne digitale Technik abspielt. Die Integrität der politischen Kommunikation ist aber so herausragend wichtig, dass für eine gewisse Regulierung angesichts einer großen anekdotischen Evidenz (nur Schlagworte: Cambridge Analytica, brasilianische Wahlkämpfe, russische Desinformationskampagnen, Rolle von Facebook in Myanmar) aber durchaus gute Gründe angeführt werden können. Problematisch könnte sein, dass Transparenz meist nicht schadet, aber alleine auch nicht viel nützt, was Erfahrungen z.B. mit der datenschutzrechtlichen Einwilligung zeigen; außerdem sind die von RobBubble u.a. kritisierte überschießende Regulierung (KOM- und Ratsentwurf) und der pauschale Ausschluss ausländischer Sponsoren (EP-Entwurf) von politischen Werbedienstleistungen problematisch.

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Hier ein Blick auf ausgewählte Themen

Ich habe mich zuletzt im Rahmen der Arbeit (als wiss. MA an einem informationsrechtlichen Institut) mit dem Thema befasst, um einen kurzen Überblick darüber zu verfassen. Hier eine Auswahl dessen, was ich dabei gelernt habe und interessant oder problematisch fand.

Meinungsfreiheit
Der EP-Entwurf entschärft die Thematik der Beschränkung der Meinungsfreiheit nach meiner Interpretation deutlich. Denn dort wird die Anwendung der Regelungen auf „Werbedienstleistungen“ beschränkt. Das ist deshalb deutlich enger, weil es auf Tätigkeiten beschränkt ist, die „regelmäßig gegen Entgelt erbracht“ werden. Damit wäre die bei RobBubble, Rezo u.a. befürchtete Regulierung der politischen Beteiligung von Otto Normal und NGOs raus (jedenfalls zu NGOs gibt es einschlägige Rspr. des EuGH, s. Society for the Protection of Unborn Children Ireland, Rn. 25f.) und die Chancen stehen gut, dass es sich wirklich auf das beschränkt, was Lai:innen unter Werbung verstehen. Ein Grenzfall könnten Influencer:innen sein, die ihre private Meinung verbreiten. Insgesamt wird die Meinungsfreiheit im EP-Entwurf deutlich aufgewertet. So soll zB die in der DSGVO verankerte Balance zwischen Meinungsfreiheit und Datenschutz durch den Entwurf nicht verschoben werden.

Kurzer Exkurs zu der angeblichen Privilegierung der Regierungsparteien (Stein des Anstoßes sind Art. 2 b) ii. und iii. Ratsentwurf): das war aus meiner Sicht insoweit eine Fehlinterpretation, als es dort (ii.) um amtliche Informationen zu Wahlmodalitäten etc. ging. Selbstverständlich muss das aber sorgfältig formuliert werden, um keine Missbrauchsmöglichkeiten zu geben. Problematischer ist in dieser Hinsicht die iii. im Ratsentwurf, da dort recht weit die Kommunikation öffentlicher Behörden privilegiert wird, was Regierungsmitglieder einschließt. Ich interpretiere das so, dass es um diese als Teil der Exekutive, also idR Chef:innen der obersten Bundesbehörden (-> Ministerien) geht. Es ist nicht beispiellos, dass behördliche Kommunikation privilegiert oder „verstärkt“ wird (Bsp. Katastrohpenwarnungen). Man fragt sich aber, warum dabei keine Transparenzanforderungen gelten sollen und Targeting mit sensiblen Daten nicht eingeschränkt werden soll.

Datenschutz
KOM und Rat wollen nur wenig über die DSGVO hinausgehen, indem sie insb. einige Rechtsgrundlagen für die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten nach Art. 9 Abs. 2 DSGVO ausschließen. Dieser wird ohnehin schon recht streng ausgelegt (s. entsprechende Leitlinien des Europäischen Datenschutzausschusses), daher dürfte die Verschärfung eher dabei helfen, Umsetzungsdefizite für diesen speziellen Bereich zu bekämpfen. Bemerkenswert ist, dass unter besondere Kategorien personenbezogener Daten auch politische Meinungen fallen, die Spielräume für politische Werbung also - tlw. mit gutem Grund - schon nach DSGVO recht eng sind.

Das EP ist deutlich strenger und geht über den DSGVO-Grundsatz des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt (und einem damit verbundenen „Alles oder Nichts“) hinaus. Es legt detaillierte Beschränkungen und Verbote fest (unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und Überprüfbarkeit ggf. zu begrüßen). All dies findet man in den Artikeln -12 und 12 des EP-Entwurfs: Herausgeber von Werbung (das sind v.a. Online-Plattformen) sollen innerhalb einer vom Auftraggeber gewählten Zielgruppe nur zufällig wählen dürfen, wem Werbung angezeigt wird (sog. Ad Delivery). Targeting, also die Auswahl durch den Sponsor oder von ihm beauftragte Dritte, soll keine besonderen Kategorien personenbezogener Daten nutzen, Geotargeting wird in der Granularität beschränkt, behavioural Targeting (etwa unter Verwendung von beobachteten Nutzungsdaten) weitgehend ausgeschlossen, die Zielgruppe muss eine Mindestgröße aufweisen.

Aus meiner Sicht ist zwischen dem weitgehenden „business as usual“-Ansatz von KOM und Rat sowie dem sehr strengen Parlamentsentwurf durchaus ein fruchtbarer Kompromiss möglich.

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Nicht-EU-Sponsor:innen
Im EP-Entwurf findet sich in Art. 3a ein höchst bemerkenswerter Vorstoß, nach dem Werbedienstleisatungen nicht an Nicht-Unionsbürger:innen mit Sitz oder Wohnsitz außerhalb der EU erbracht werden sollen. Das betrifft, wenn man es in Verbindung mit den Definitionen und dem Anwendungsbereich des EP-Entwurfs liest, nicht nur Einmischung in „innere“ Angelegenheiten, sondern auch Werbung im Zsh. mit politischen Themen oder Ereignissen in Drittstaaten. Dabei scheint es einen gewissen Widerspruch mit Erwägungsgrund 13 VO-E EP zu geben, laut dem Regelungen über die Durchführung politischer Kampagnen, einschließlich Werbeverboten, unberührt bleiben sollen. Mit dieser Forderung geht das EP weit über ein „level playing field“ hinaus und riskiert nach meiner vorläufigen Sicht, dass Mio. Drittstaatsangehörige in der EU sich schlechter über politische Ereignisse in ihren Herkunftsländern informieren können. Man könnte mit der Durchsetzung argumentieren, das verfängt aber nicht, weil die Regelungen nicht an Sponsor:innen ansetzen, sondern maßgeblich bei den Anbieter:innen von Werbedienstleistungen und Herausgeber:innen. Diese müssen nach DSGVO, DSA oder Art. 14 der vorliegenden Entwürfe ohnehin eine:n Vertreter:in in der EU benennen.