Neonazis in Russland und der Ukraine

[Zetoph]

Hallo Lage,

wahrscheinlich war jedem, der sich vor dem Kriegsausbruch mit europäischen Neonazi-Strukturen befasst hat, bewusst, dass auf beiden Seiten des Konlfikts jede Menge menschenverachtende Gruppierungen kämpfen würden.
Der De-Nazifizierungs-Narrativ Putins ist natürlich allein deswegen zurückzuweisen weil einfach alle Neonazis und Faschisten durch diesen Krieg massiv Aufwind, positive PR und Zuwachs bekommen haben. Auf beiden Seiten und, um ehrlich zu sein, wahrscheinlich auch weit darüber hinaus. Seien es die russchen Imperialisten, orthodoxe Klerofaschisten, esoterische Hitlerverehrer oder slavisch-heidnische Nazigruppen.

Ein Stück weit ist das einfach ein weiterer tragischer Aspekt eines Krieges und der damit einhergehenden Verrohung und Menschenverachtung.

Was mich darüer hinaus wütend macht ist - mal wieder - die scheue und zurückhaltende Rolle der Qualitätsmedien. Sämtliche Faktenchecker haben 2022 einzelne Fäschungen russischer Propaganda ausfindig gemacht und auf sehr manipulative Weise extrapoliert. Und was tun sie nun, wo sich spätestens durch den Neonazi Superstar Denis Kapustin nicht mehr leugnen lässt, dass auf ukrainischer Seite Faschisten kämpfen?
Richtig, sie interviewen einige davon und fragen sie, ob sie denn wohl Neonazis seien! Das ist einfach unerträglich. Es ist genau, was diese Leute wollen: Eine Gelegenheit sich auf großer Bühne als Freiheitskämpfer darzustellen und anschlussfähig zu machen.

Ich persönlich kann das ehrlich gesagt nicht fassen und finde es zudem sehr unangenehm, dass die schlimmsten eurasischen Neonazis aktuell (indirekt) durch die Nato bewaffnet werden und russische Kleinstädte angreifen. Außerdem, was passiert denn mit diesen Waffen und Gruppen, sollte der Konlfikt irgendwann einmal zuende gehen? Geben die das dann zurück und suchen sich einen Job als Landschaftsgärtner? Oder werden uns ein Haufen kampferfahrener und PTSD-geschädigter Neonazis mit Kriegswaffen in Zukunft noch beschäftigen? Wer sich im dt. publizistischen Raum ein wenig Integrität erhalten möchte, sollte hier in meinen Augen nicht schweigen oder verharmlosen.

Eine klare antifaschistische Haltung macht niemanden zum Putin-Apologeten. Im Gegenteil.

[Daniel_K]

Das ist in der Tat ein großes Problem - wobei ich verstehen kann, dass unsere Medien hier zurückhaltend sind. Es ist immer eine Gratwanderung - wir befinden uns zumindest in einer Konfrontation mit Russland, jedenfalls stehen wir klar an der Seite der Ukraine und unterstützen diese recht deutlich. Wir sind daher völkerrechtlich keine Kriegspartei, aber auch alles andere als Neutral (was gut ist: Wenn eine Nation einen Angriffskrieg führt, ist Neutralität letztlich Billigung, weshalb ich die Neutralität der Schweiz im Hinblick auf Waffenlieferungen stark kritisiere!).

Die russische Propaganda zielt relativ klar auch darauf, die Unterstützung der westlichen Länder für die Ukraine zu reduzieren, indem die Bevölkerungen gegen mehr Hilfe für die Ukraine beeinflusst werden sollten. Die Frage ist nun: Halten wir - als Demokratien - unsere Bevölkerungen für klug genug, dass sie die richtigen Schlüsse ziehen werden, wenn wir eindeutig nur „die Wahrheit“ berichten, daher wenn unsere Medien und Staatsauskünfte stets zu 100% neutral sind. Oder müssen auch wir Propaganda betreiben, damit Russland den Propaganda-Krieg nicht gewinnt?

Wir gehen hier einen Mittelweg - wir verbieten keine Berichterstattung (die Zeit hat sowohl Artikel als auch Podcasts zum Thema pro-ukrainische Nazis und ihre Rolle in Belgorod), aber wir gewichten dieses Thema in den meisten Medien schon etwas niedriger als andere Themen, daher: Wir richten kein Scheinwerferlicht auf Dennis Nikitin und ähnliche rechtsextreme Gesellen, die aktuell für die Ukraine gegen Russland in Belgorod kämpfen.

Das kann man kritisieren, aber man kann auch Verständnis dafür haben. Letztlich gilt weiterhin: Das erste Opfer des Krieges ist immer die Wahrheit.

Die von dir geäußerten Befürchtungen werden hoffentlich in NATO- und Geheimdienstzirkeln hinreichend diskutiert - die Befürchtung, dass die Nazis nach der Niederlage Russlands ihr militärisches Equipment und ihre militärische Erfahrung über Europa verteilen, ist definitiv nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen sollte.