Munitionsengpass - politisches Versagen oder sinnvolle Planung?

Im Thread um die neusten Fehltritte unserer Verteidigungsministerin ging es u.a. auch um die Munitionsknappheit der Bundeswehr.

Ich finde, dieses Thema sollte generell mal - gerne in Form eines Experteninterviews - erörtert werden, weil ich das Gefühl habe, dass das Thema in seiner Tiefe medial so gut wie nie erkundet wird. Es wird immer nur im Rahmen des 100-Milliarden-Paketes für die Bundeswehr erwähnt, ohne mal in der Tiefe darauf zu schauen, warum wir so wenig Munition haben und ob das nicht vielleicht sogar sinnvoll war und weiterhin ist.

Hier also meine Position dazu:

Der Ukraine-Krieg zeigt es deutlich: Munition ist im Krieg eine Mangelware. Die Produktionskapazitäten auszubauen, wenn der Krieg ausgebrochen ist, ist kaum möglich. Experten und Verteidigungspolitiker im Bundestag gehen davon aus, dass Deutschland im Ernstfall nur Munition für zwei Tage hat. Der Finanzbedarf, um die Munitionsvorräte auf die von der NATO vorgegebenen 30 Tage auszubauen, beträgt 20 bis 30 Milliarden Euro.

Der Grund, warum die Munitionsvorräte so klein gehalten werden, liegt meines Erachtens in der Wirtschaftlichkeit. Wir haben nur so viel Munition, wie wir in Friedenszeiten im Rahmen von Auslandseinsätzen und Übungen verwenden können. Denn Munition hat eine Haltbarkeit, größere Munition wie Raketen und Bomben bedürfen zudem ständige Instandhaltung. Munitionshersteller geben eine Haltbarkeit von 10 Jahren an. In der politischen Diskussion werden die Folgekosten jedoch kaum berücksichtigt – es ist nicht damit getan, 20 bis 30 Milliarden für neue Munition auszugeben. Der ständige Ersatz ungenutzter Altmunition würde bei einer Haltbarkeit von 10 Jahren jährliche Zusatzkosten in Höhe von 2 bis 3 Milliarden Euro erzeugen – dies entspricht einer Erhöhung des Wehretats um 4 bis 6%.

Was wären jedoch die Folgen, wenn wir die Munitionsvorräte auf NATO-Standard aufstocken würden? Nicht nur kostet die überschüssige, in Friedenszeiten nicht verwendete Munition viel Geld – auch die Entsorgung von Altmunition ist teuer und umweltschädlich. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Munition in der Nord- und Ostsee verkappt. Dadurch ist die gesamte Ostsee bis heute ein Risikogebiet und weist hohe Schadstoffbelastungen auf. Dazu kommt, dass regelmäßig weißer Phosphor an den Stränden angeschwemmt wird, von dem eine hohe Unfallgefahr ausgeht. Eine sichere Entsorgung hingegen ist ausgesprochen teuer – auch, weil verhindert werden muss, dass die Altmunition in die falschen Hände gerät. Das nährt die Befürchtung, dass Altmunition vor Erreichen des Ablaufdatums in Krisengebiete verkauft werden könnte – oder gar ein Einsatz dieser Munition im Rahmen von Auslandseinsätzen als wirtschaftlich erachtet werden könnte. Das Aufstocken der Munitionsvorräte kann deshalb auch zum Kriegsrisiko werden.

Eine wesentliche Aufstockung der Munitionsvorräte bedeutet auch, mehr geeignete und vor allem ständig gesicherte Lagerorte betreiben zu müssen. Auch ist das Risiko von Diebstählen und Unterschlagungen signifikant höher, wenn es mehr Munition gibt, da Diebstähle kleinerer Mengen bei größeren Vorräten weniger stark in’s Gewicht fallen.

Die Munitionsbestände waren seit jeher Gegenstand komplexer Abwägungen – kein europäisches NATO-Mitglied entspricht aktuell der 30-Tage-Vorgabe der NATO. Nur NATO-Beitrittskandidat Finnland erfüllt diese Vorgabe, was in Anbetracht einer 1340 km langen Grenze zu Russland nachvollziehbar ist. In der Friedenszeit zwischen dem Fall der Sowjetunion und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gab es für die anderen europäischen NATO-Staaten keine Notwendigkeit, sich für einen großen Krieg zu rüsten. Hätte man die Munitionsstände zwischen 1990 und 2020 permanent an der 30-Tages-Grenze gehalten, wären dafür hunderte Milliarden an Produktionskosten, Verwaltungskosten und Entsorgungskosten angefallen – Milliarden, die in anderen Bereichen gefehlt hätten.

Die 30-Tage-Vorgabe der NATO ist der Goldstandard, der jedoch zu einem hohen Preis erkauft werden muss. Ob jeder NATO-Staat Munition braucht, um seine gesamten Streitkräfte für 30 Tage unterhalten zu können, muss jedoch hinterfragt werden. Desto stärker die unmittelbare Bedrohungslage ist, desto mehr Munitionsvorräte müssen vorrätig sein. Die Länder an der NATO-Ostflanke, also die baltischen Staaten, Finnland und Polen, sollten daher die 30-Tage-Vorgabe zweifellos erfüllen, schon aus eigenem Interesse. Die anderen NATO-Staaten, die keiner direkten Bedrohung ausgesetzt sind, aber im Bündnisfall zum Beistand verpflichtet wären – darunter auch Deutschland – würden auch in einem Bündnisfall nicht ihre gesamten Streitkräfte in den Krieg entsenden. Die 30-Tage-Munitionsvorgabe ist hier nur für die Teile der Streitkräfte sinnvoll, die in einem Bündnisfall zum Einsatz kommen würden, nicht jedoch für die gesamte Bundeswehr.

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Wie du richtig schreibst, ist Munition nicht etwas, dass man mal eben in irgendeine Halle packen kann, dazu brauchst es entsprechendes Fachpersonal und auch entsprechende Depots.

In seinem Tagesbefehl vom 15.01.2019 schreibt der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Zorn:

[…]
Zusätzlich werden mit dem Munitionsdepot Kriegsfeld (Rheinland-Pfalz) und dem
Materiallager Bargum (Schleswig-Holstein) zwei Liegenschaften wieder in Betrieb
genommen, die bereits an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zurückgegeben
worden waren.
[…]

Das ist jetzt also auf den Tag fast vier Jahre her.

Was ist in der Zwischenzeit passiert? Fast nichts:

[…]
Bis dahin muss noch einiges getan werden auf dem Gelände. Unter anderem wird ein Büro- und Unterkunftsgebäude gebaut, zudem entstehen verschiedene Werk- und Abstellhallen. Die Munitionslagerhäuser und das Munitionsarbeitshaus müssten saniert werden, ebenso einige Straßen. Ursprünglich war der Baubeginn schon für 2022 vorgesehen, kurzfristig hatte er aber wegen eines fehlenden Umweltgutachtens auf 2024 verschoben werden müssen.

Planmäßig soll das Depot zum 01.04.2026 in Dienst gestellt werden - also 7 Jahre nach der Ankündigung. Da mit den Baumaßnamen noch nicht begonnen wurde ist davon auszugehen, dass das Ziel nicht eingehalten werden kann.

Da haben wir letztlich das generelle Problem in Deutschland, dass solche Dinge einfach unmöglich lange dauern. Also generell alles. Das ist kein Bundeswehr-spezifisches Problem, wobei die Bundeswehr mit ihrer massiven Bürokratie sicherlich eine Institution ist, die besonders stark betroffen ist.

Ein Beispiel aus dem zivilen Bereich:
Bei mir gegenüber ist ein Kindergarten, wegen Schadstoffbelastung im Gebäude wurde der Spielplatz nebenan zum neuen Container-Kindergarten. Das war 2017. Es wurde angekündigt, dass das Hauptgebäude binnen eines Jahres entkernt und erweitert werden sollte, die Kinder sollten also nur ein Jahr zur Überbrückung in den Container. Die Container stehen heute noch da, der belastete Gebäudeteil wurde relativ schnell abgerissen, seither ist das Gelände eine Ruine. Es passiert nichts.

Sowas ist leider in Deutschland standard. Bürokratische Hürden, mangelnde Arbeitskräfte, offene Finanzierungsfragen - all diese Dinge verhindern, dass sich schnell etwas tut. Und das muss sich wirklich ändern.

Zurück zum Thema Bundeswehr:
Es geht hier um einen neuen, gewaltigen Krieg in Europa und wir sind nicht in der Lage, mal in den Krisenmodus umzuschalten und etwas in Bewegung zu setzen. Stattdessen gibt es vollmundige Ankündigungen, gefolgt von massiven Blamagen (ich sag nur Deutschland als NATO-Speerspitze mit den Pannen-Pumas…).

Von daher gebe ich dir Recht. Es macht immer noch den Eindruck, als hätte unsere gesamte Politik und Bundeswehrverwaltung nicht verstanden, dass Krieg herrscht. In der Friedenszeit - auch während meines Grundwehrdienstes um die Jahrtausendwende - hatte ich immer das Gefühl, dass die Bürokratie in der Bundeswehr der Arbeitsbeschaffung dient. Nach dem Motto: „Wir wollen x tausend Soldaten haben und die können sich nur die Eier kraulen, also geben wir ihnen was zu tun, so sinnlos es auch sein mag“. Das ist seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine aber nun einfach ganz anders. Aber wir scheinen nicht aus dem Arbeitsbeschaffungs-Bürokratie-Modus rauszufinden.

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Die Grundfragen wären ja eher:

  1. Wollen wir als deutsche Gesellschaft eine Armee? Mit allen Kosten und Risiken?
  2. Wenn Ja, was ist die konkrete Aufgabe dieser Armee? Landesverteidigung? Bündnisverteidigung? Nur hübsch aussehen für repräsentative Zwecke? Einen bewaffneten THW?

Wenn man diese Fragen beantwortet, dann ergibt sich daraus ein Bedarf, den man bereit sein muss zu decken, soll diese Armee ihren Auftrag vernünftig und realistisch erfüllen.

Interessante Folge von Markus Lanz, mit Eva Högl und Sönke Neitzel, auch zum Thema Munition:

Hab mir die Folge jetzt mal angehört (ich wünschte YouTube würde 3-fache Geschwindigkeit anbieten, 2-fach erscheint einem immer noch wie Schneckentempo, wenn man von Podcasts 3-fach gewohnt ist…).

Das Problem im Hinblick auf die Beschaffung wird bei Minute 11:45 ganz gut erörtert. Da fehlt ein winziges Teil an einer Modellreihe von Helmen, welches nicht mehr von der Industrie produziert wird (warum?!?), dann verfällt die Zertifizierung und dann wird quasi der ganze Helm weggeworfen. Sowas geht einfach nicht. Ich erwarte, dass hier der Industrie einfach Druck gemacht werden kann, solche Kleinteile zu produzieren, und zwar Pronto. Und im Zweifel erwarte ich, dass man für die Übergangszeit Lösungen improvisiert, auch wenn diese dann nicht zertifizierungskonform sind.

Das Thema Munition, um das es hier gehen soll, beginnt bei Zeitmarke 16:20 und endet quasi sofort wieder. Es wird kurz über den Gepard gesprochen, für den nicht mal Munition da wäre, wenn wir die 30-Tage-Vorgabe der NATO einhalten würden, weil der Gepard offiziell ausgemustert ist. Über all die Kritikpunkte, die ich oben aufgeworfen habe, wird leider wieder nichts gesagt. Wieder nur das übliche „es fehlen 20 bis 30 Milliarden“ und „Wir haben nur Ammo für 2 Tage, maximal eine Woche“, aber keine Hintergründe, keine Details.

Wie gesagt, hier gibt es mehrere Grautöne und nicht nur Schwarz-Weiß.
Die 30-Tage-Vorgabe der NATO ist das eine Extrem, quasi die Vorbereitung für einen All-Out-War, einen Welt- und Verteidigungskrieg, bei dem sämtliche deutsche Militärkapazitäten eingesetzt werden. Das Szenario ist aber eben weiterhin nicht realistisch - die Russen können nicht mal die Ukraine bezwingen, würden sie in Polen einfallen und die anderen NATO-Staaten würden auch nur ihre mobilsten Kampfverbände zur Unterstützung schicken, würde Russland keinen Fuß Land gewinnen.

Die Grundfrage wäre daher eher:

Wollen wir eine Armee, die auf den totalen Krieg vorbereitet ist, auch wenn dieser extrem unwahrscheinlich ist? Ich sage nein, weil der Preis dafür zu hoch ist!

Wollen wir eine Armee, die im Bündnisfall ihre schnellen Eingreiftruppen für mindestens 30 Tage mit solidem Nachschub versorgen kann und deren schnelle Eingreiftruppen jederzeit optimal ausgerüstet sind? Ich sage ja, das muss das Ziel sein.

Eine Situation, in der tatsächlich ein Verteidigungsfall, der sämtliche Kapazitäten der Bundeswehr erfordert, eintritt, wird sich lange ankündigen. Da müssen schon die Chinesen in den Krieg eintreten. Für dieses Szenario reichen mir Planungen, wie wir im Fall der Fälle von Friedenswirtschaft auf Kriegswirtschaft umstellen können, wie wir also im Notfall unsere immense Industrie umrüsten können, um unsere Verteidigungsfähigkeit langfristig zu gewährleisten…

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Sönke Neitzel macht es an einem Beispiel mit Simulatoren deutlich. Er sagt einem General, der den Staatssekretär nach Simulatoren fragt, das es keine Simulatoren gibt, weil die Bundeswehr nicht kämpfen soll.
Ähnlich ist es auch mit der Munition. Wenn ein Verteidigungsminister/in vor 10 Jahren gesagt hätte, wir kaufen für 3 Milliarden Euro Munition nur zum üben, der/die wäre politisches Kanonenfutter gewesen. Es gab keinen Bedarf. Die Bundeswehr war nicht zum kämpfen da.
Heute ist Krieg in Europa. Die Wahrscheinlichkeit, das Russland Deutschland oder die Nato angreift, ist sicher unwahrscheinlich. Doch können solche Enwticklungen schnell gehen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine kam wohl auch schneller als von vielen erwartet (außer der Ukraine).
Zu denken, wenn es zum Ernstfall kommt, haben für noch paar Jahre Zeit uns darauf einzustellen, finde ich zumindest sehr optimistisch.

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Also ich als absolut unwissender in Sachen Militär hätte da ja mal eine blöde Frage:

Wieviel ist 30 Tage Munition in Stück?

Ich meine ein MG braucht in Stück durchaus mehr Schuss als ein Karabiner, aber ein MG das nur 5 Minuten eingesetzt wird deutlich weniger als ein Karabiner mit dem mehrere Stunden am Tag direkt an der Front gekämpft wird.

Auch z.B. Wieviel Stück Raketen braucht so ein Flugzeug pro Tag / pro Einsatz?

Ich finde alleine die Bestimmung für 30 Tage Munition vorrätig zu haben sehr diffus.

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Das ist in der Tat auch ein wunder Punkt der Diskussion, denn es geht hier quasi um Modell-Kriegstage.

Der Ukraine-Konflikt zeigt hingegen, dass im realen Verteidigungsfall wort-wörtlich „aus allen Rohren gefeuert wird, bis die Rohre glühen“ - und dann werden die Rohre getauscht und es wird weiter gefeuert.

So gesehen geht es immer um statistische Größen, die von einem „Normal-Gefechtstag“ ausgehen, und davon sollte für 30 Tage Munition vorliegen, für alle Waffengattungen und alle Truppenteile. Es besteht halt ein großer Unterschied zwischen einem Stellungskrieg mit gelegentlichen Gefechten (wie von 2014-2022 in der Ostukraine) und einem vollen Krieg mit dem Ziel (der Vereitelung von) größtmöglichen Gebietsgewinnen…

Naja, er sagt eher, es braucht keine Simulatoren, weil die Bundeswehr realistischerweise in absehbarer Zeit nicht kämpfen wird - und zumindest die Annahme stimmt natürlich. Die Konsequenz hingegen ist selbstverständlich falsch, da solche Simulatoren ja gerade dazu dienen, zu verhindern, dass die Truppe einrostet. Regelmäßige Übungen - auch an Simulatoren - werden umso wichtiger, wenn es jahrelang keine „ernsten Einsätze“ gibt, weil Erfahrung aus Übungen immer noch besser ist als gar keine Erfahrung.

Meine Argumentation geht ja eher in’s Gegenteil: Die Höhe der Munitionsvorräte wurde in der Vergangenheit gerade so gewählt, dass es zu keiner Verschwendung kommt. Daher: Es wird noch so viel Munitionsbestand angeschafft und gelagert, wie man realistischerweise vor Erreichen der maximalen Lagerdauer auf Übungen verballern kann.

Munitionsmangel auf Übungen war jedenfalls zur Zeit meines Wehrdienstes nie ein Problem - eher das Gegenteil. Quasi jede Übung endete mit dem „Restmunitionverschießen“, bei dem gerne auch tausende Runden teure Leuchtspurmunition verballert wurde, einfach, weil sie weg musste. Ebenso wie wir in der Ausbildung echte Handgranaten geworfen und teure Übungspanzerfäuste abgefeuert haben, vermutlich auch nur, weil die wegen der Lagerung weg mussten. Die Zuteilung von hinreichenden Munitionskapazitäten auf Übungen war daher nie wirklich ein Problem, eher im Gegenteil.

Und das ist halt der Aspekt, der m.M.n. zu wenig beleuchtet wird. Wenn wir weiterhin keine schweren Gefechtseinsätze haben (was ich auch hoffe!) und wir dennoch permanent Munition für 30 Gefechtstage vorrätig halten, haben wir extrem viel mehr überlagerte Munition, als wir in Übungen sinnvoll verwenden können. Was passiert dann mit dieser Munition? Export in Krisengebiete? Teure und umweltschädliche Vernichtung?

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Als ich in den frühen 90ern zur Bundeswehr kam, als Panzergrenadier, war Munitionsmangel tatsächlich kein Problem, da war allein aus Zeiten des kalten Krieges genug da. Anfang 2000 gab es schon die Fälle, wo 10 Schuss pro Soldat reuchen mussten pro Tag Übung. Da sind wir oft auf Schiess-Simulatoren wie das AGSHP ausgewichen. Ist aber was anderes wie draussen dauerhaft.
Mein Ausgangspunkt war eher, das ich erst wissen muss, was unsere Bundeswehr denn machen soll, dann kann ich kalkulieren was ich dafür realistisch brauche, unabhängig von NATO-Vorgaben.

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Weiter einlagern. Im Kriegsfall wird, wie wir aktuell beobachten können, auch Jahrzehnte alte Munition verschossen. Kein Mensch interessiert sich dann mehr für das „Mindesthaltbarkeitsdatum“.

Und dies gilt natürlich nicht nur für Munition, sondern auch für ganze Waffensysteme. Von dem Flugabwehr-Panzer Gepard wurden z. B. mehrere 100 Stück hergestellt. Hätte man die nicht abgewrackt, sondern in Hallen untergestellt und einmal im Jahr bewegt/minimale Instandhaltung gemacht, könnten heute noch Dutzende mehr an die Ukraine abgegeben werden. Oder selbst wieder in Dienst stellen.

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Das kommt sehr stark auf die Intensität der Kriegsführung an. Schau mal hier:


Meines Erachtens sollte die Frage eher sein, was potentielle Gegner auf Lager haben. Klar ist, dass die eigene Armee mindestens solange schießen sowie Mensch und Material ersetzen können muss wie der Gegner.

Wenn ich mir anschaue, dass der Westen die halbe Welt nach Munition und anderem Material abgrast, um die Ukraine gerade so mit der Russischen Föderation (ca. 145 Mio Einwohner) mithalten zu lassen, wundere ich mich schon.

Hätte die russische Armee nicht einen Gutteil ihrer Kampfkraft in dem schlecht geplanten und noch schlechter umgesetzen Versuch, die Ukraine einfach zu überrennen, verschleudert, dann sähe es jetzt sehr übel aus. Allein der anfänglichen Verschwendung von Mensch und Material aus russischer Seite ist es zu verdanken, dass das ukrainische Militär sich mit westlicher Unterstützung behaupten konnte.

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Naja, es geht ja um „passende Munition“. Und die Geräte, die das Gros der ukrainischen Armee darstellen, sind halt alte Sowjet-Geräte. Dass Russland dafür mehr Munition hat als die pro-westlichen Ex-Sowjet-Staaten, wundert eigentlich kaum, weil letztere teilweise schon auf den NATO-Standard gewechselt sind.

Würden wir westliche Waffensysteme schicken - z.B. die Kampfpanzer - würden wir auch genug Munition dafür schicken können.

Bei der Munition für westliche Mehrfachraketenwerfer (HIMARS und co.) gibt es eigentlich keinen Mangel, es ist eine rein politische Frage, wie viel die USA und die westlichen NATO-Verbündeten schicken wollen. Momentan haben die USA nur ihre Überschüsse geliefert, also das, was zusätzlich zu ihrem eigenen Bedarf noch produziert werden kann. Die USA haben noch nicht mal angefangen, die eigenen militärischen Vorräte einzusetzen, wie sie es in einem Bündnisfall natürlich tun würden. Gleiches gilt für alle anderen Länder.

Der Grund, warum die Ukraine daher so wenig Munition bekommt, liegt daran, dass wir eben keinen Bündnisfall haben und das deswegen jedes Land immer argumentiert, nicht die Bestände der eigenen Armee senden zu wollen, sondern nur die „Extras“.

Exakt, es ist letztlich auch hier ein Wettrüsten. Man muss so viel Munition haben, wie der Gegner in einem realistischen Bedrohungsszenario erfordert. Und wie gesagt, Russland tut sich schon mit der Ukraine schwer und würde in Polen oder Finnland grandios scheitert, wenn diese Länder auch nur minimale Unterstützung durch mobile Kampfverbände der NATO-Staaten bekommen würden (ebenso wie Russland schon längst aus der Ukraine vertrieben wäre, wenn die NATO hier aktiv eingreifen würde…). Meine zentrale Frage war daher ja auch: Welcher realistische Feind erfordert 30 Tage Munitionsvorrat? Vor dem Angriffskrieg Russlands war die Antwort ganz klar „Keiner“ und so hat die Politik auch gehandelt, die Frage ist: Hat sich diese Einschätzung wirklich verändert?

Das Problem dabei ist dann, dass wir dann irgendwann so viel altes Zeug eingelagert haben, dass es sehr leicht ist, hier den Überblick zu verlieren. Und es einfach nicht mehr möglich ist, all dieses Zeug effektiv zu bewachen. Denn alte Munition ist in den falschen Händen immer noch genau so gefährlich wie neue Munition, mal davon abgesehen, dass der Instandsetzungsaufwand bei alten Bomben, Raketen und Fahrzeugen im Laufe der Jahre eher steigt und gerade alte Fahrzeuge keinen Wert mehr haben, wenn es keine Ersatzteile mehr gibt. „Einfach alles einlagern“ ist so ein Szenario, das meines Erachtens mehr Probleme und Risiken erzeugt, als es hilft.

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Hängt meines Erachtens davon ab, ob man voraussetzt, dass der politische Zusammenhalt „des Westens“ mit dem NATO-Bündnis als Kernelement für immer bestehenden bleibt. Ist man jederzeit in der Lage, die militärischen Fähigkeiten von Japan bis Lettland in einen Pool zu werfen, so dürfte selbst bei einem geringen „Klarstand“ der einzelnen Partner die Summe der Kräfte ausreichend sein, um jeder potentiellen Bedrohung zu entgegen zu treten. Aber unter dieser Annahme ist es auch sehr unwahrscheinlich, dass es jemals zu einem Angriff auf einen der Partner käme.

Allerdings hat man schon Pferde kotzen gesehen (Brexit-Abstimmung, Wahl Donald Trumps), so dass meines Erachtens ein Fragmentieren des Westens nicht ausgeschlossen werden kann. Wäre Europa plötzlich auf sich selbst gestellt (und dann noch mit potentiellen internen Abweichlern wie Ungarn oder die Türkei konfrontiert), dann würde die Militärmacht Russlands - in dem zustand vor der Invasion der Ukraine - eine echte Bedrohung darstellen. Nicht nur aufgrund der reinen Schlagkraft sondern vor allem wegen der Fähigkeit, diese ohne Rücksicht auf eigene Verluste auch einzusetzen.

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Alle Überlegungen aus dem Ausgangspost sind ja so plausibel, dass ich mich frage, warum dann die NATO so unrealistische Zielmarken aufstellt. Bzw., da die NATO ja eine Vereinigung souveräner Staaten ist, warum verpflichten sich die Mitglieder zu solchen Zielen, die sie dann eh nicht einhalten?
Das 2%-Ziel ist ja auch sowas.

Das nennt man Politik. Absichtserklärungen sind da in den meisten Fällen ausreichend und erzeugen die nötige Aufmerksamkeit. Eine konkrete Umsetzung wäre aus politischer Sicht zu wenig aufmerksamkeitsträchtig und birgt Gefahren des Scheiterns, daher zögert man das so lange wie möglich hinaus, bis das Thema nicht mehr im öffentlichen Bewusstsein ist.

Auch da bin ich mir keinesfalls sicher. Ich glaube auch hier, dass Russland wesentlich überschätzt und einige europäische Armeen deutlich unterschätzt würden. Würde Russland in Estland, Finnland oder über Belarus in Polen einmarschieren, denke ich schon, dass die direkt betroffenen Länder sich noch ein Stück weit besser wehren könnten (bei Finnland und Polen bin ich mir da fast 100% sicher) und dass die anderen europäischen Staaten deutlich mehr auch direkte Hilfe schicken würden, als sie aktuell in die Ukraine schicken. Ich denke, auch Europa alleine hätte Russland ohne Weiteres stand gehalten. Hier wird meines Erachtens zu viel schwarz gemalt, was daran liegt, dass vor allem die sicherheitspolitische Community natürlich ein Interesse an dieser Schwarzmalerei hat, weil man damit mehr Geld für das Militär fordern kann.

Das hat viel mit Verhandlungsstrategien zu tun. Wenn die NATO 2% BIP für Militär festlegt, wird man in der Praxis zumindest um die 1,5% bekommen, würde die NATO nur 1% festlegen, stünden am Ende vermutlich oft nur 0,8%… es hat ja auch einen Grund, warum diese Zielvorgaben (sei es die Quote am BIP oder der Munitionsvorrat) grundsätzlich nicht mit Nachdruck im Sinne von Strafen eingefordert wird, sondern nur im Sinne einer Absichtserklärung vereinbart wird (ähnlich wie leider auch das 1,5°-Ziel, aber das ist ein anderes Thema…). Absichtserklärungen ohne jede direkte Konsequenz beim Nichterreichen der Zielvorgabe sind eben die loseste Form einer Vereinbarung, der auch schnell zugestimmt werden kann, obwohl man weiß, dass man das Ziel nicht erreichen wird (und das vielleicht auch gar nicht will…). So kann der Punkt von der Tagesordnung abgehakt und ein paar Jahre in die Zukunft verschoben werden…

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Das ist nur ein Problem, wenn man mit einem Konzept wie dem Mindesthaltbarkeitsdatum an Dinge wie Munition rangeht. Das ist IMHO grundsätzlich Schwachsinn.

Bei den meisten Lebensmitteln übrigens auch - jedenfalls bei allen, bei denen du durch deine Sensorik ganz einfach feststellen kannst, ob sie noch „gut“ sind oder nicht. Da machst du halt den abgelaufenen Joghurt auf, riechst dran, schaust drauf und stellst in 95% der Fälle fest: „jo, der geht noch“.

Übertragen auf die Munition muss man halt die Gefechtstauglichkeit danach bestimmen, ob das Zeug noch gut ist, und nicht strikt nach dem Alter. Sprich z.B. regelmäßig Stichproben älterer Bestände nehmen und auf Funktion testen, entweder durch Prüfungsmethoden oder ganz simpel durch Testschießen. Wenn mehr als X % einer Charge dabei durchfällt, erst dann wird die Charge als „untauglich“ betrachtet, rausgerechnet aus der Menge der vorzuhaltenden Munition (und dementsprechend Ersatz beschafft) und letztlich entsorgt.

Wurde doch jetzt bei den STRELAs, die an die Ukraine gingen, genau so gemacht: die wurden irgendwie auf Funktion getestet, dabei sind einige davon aufgrund des extrem hohen Alters durchgefallen (was wir wissen, weil das einigen politischen Spott erzeugt hat), und der Rest ging in die Ukraine. Wenn das bei 50 Jahre alten Luftabwehrraketen möglich ist und dabei noch genug brauchbares Material für einen Kriegseinsatz rauskommt, scheint mir das Prinzip a) gangbar auch für Friedenszeiten und b) die genannte Zahl von 10 Jahren für die Lebensdauer von Munition doch eher sehr, sehr niedrig gegriffen.

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Die Vorstellung, als Soldat im Kriegseinsatz hoffen zu müssen, dass man keine überlagerte Munition hat, die im Moment, in dem es um Leben und Tod geht, eine Fehlzündung produziert, ist nicht unbedingt akzeptabel.

Aber ich gebe dir natürlich Recht, dass im Krieg schlechte Ausrüstung immer noch besser ist als gar keine Ausrüstung ist klar. Aber ob man die Politik überzeugen kann, ihre Planung auf „bewussten Mangel im Ernstfall“ auszurichten, kann man halt auch bestreiten.

Ich würde halt sagen:
Wenn wir davon ausgehen, dass ein realer Konfliktfall realistisch ist, der einen 30-Tages-Munitionsvorrat bedarf, sollten wir auch einen einwandfreien 30-Tages-Vorrat haben. Aber das ist wie gesagt ein großes „Wenn“. Aktuell gehe ich wie gesagt trotz der Russland-Invasion (oder gerade wegen der Russland-Invasion im Hinblick auf die dort gezeigte Schwäche der russischen Armee) nicht davon aus, dass ein NATO-Bündnisfall, der die gesamten Kapazitäten der Bundeswehr binden wird, realistisch ist.

Ich sehe eigentlich die grundsätzliche Problematik darin, dass wenn ein Krieg ausbricht, der so massiv ist, dass man einen vollen Munitionsvorrat benötigt, dieser eigentlich nur ein Krieg zwischen zwei Atommächten sein kann (z.B. „III. Weltkrieg“ zwischen Russland+China und der NATO). Und in diesem Szenario wird es vermutlich keinen Gewinner geben, egal, wie groß die Munitionsvorräte sind, weil die Seite, der zuerst die Munition und damit die Verteidigungsfähigkeit ausgeht, den großen roten Knopf drücken wird…

Daher bleibt meine Position, dass wir so viel Munition haben sollten, wie wir realistisch brauchen, um in einem NATO- oder EU-Bündnisfall die Teile der Bundeswehr, die eingeplant sind, um Polen, Estland oder Finnland zu verteidigen, mindestens 30 Tage lang zu unterstützen. Beim Rest sollten wir weiter den sparsamen Kurs fahren, den wir seit 1990 fahren.

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Ich lehne mich jetzt ein wenig aus dem Fenster (bin nicht in der Waffenindustrie tätig und habe daher kein Insiderwissen), aber ich gehe davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit eines Versagens auch bei brandneuer Munition niemals 0% ist, sondern immer nur irgendeine Zahl größer 0%, aber kleiner X%, wobei X ein irgendwie festgelegter, akzeptabler Prozentsatz an „Blindgängern“ ist, der vermutlich ne Null vor dem Komma hat und so klein gewählt wurde, dass man für den praktischen Einsatz genug Vertrauen in das Material haben kann.

Ich plädiere jetzt nicht dafür, X auf gefährlich hohe Werte zu erhöhen, sondern dafür, konkret zu prüfen, ob gelagerte Munition noch unter X liegt, statt irgendwelche vom Hersteller angegebenen Schätzungen bzw. aus irgendwelchen Gründen so festgelegte Lagerzeiten (vermutlich häufiger als uns lieb sein kann aus rein juristischen Gründen, aber auch hier: bin kein Insider, ist ne Vermutung) als einzigen Maßstab zu wählen.

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Grundsätzlich stimme ich dir da zu, eine richtige Lagerung kann die Haltbarkeit wohl deutlich erhöhen.
Dann kommt es aber wohl auf die Menge des Munitionstyps und den Preis der Munition an damit sich eine Überprüfung/Instandhaltung lohnt.

Fehlerquellen können sein:

  • die Treibladung/Explosivstoff kann sich (chemisch) verändern
  • die Zünder (der Treibladung) können nicht mehr funktionieren
  • bei komplexen Systemen die elektronischen Bauteile

Was mich bei der ganzen Diskussion um Munition verstört Ist

  • es muss doch ein Szenario geben wie im Krisenfall (die gängige) Munition schnell beschafft werden kann.

Hat die Ukraine keine westlichen Waffentypen ist es natürlich schwierig sie mit Munition zu versorgen.
Für z.B. die Panzerhaubitze 2000 wurde hoffentlich genügend Munition mitgeliefert und neue geordert.