Moria 2. Was geht uns das Elend der Anderen an?

Liebes Lage-Team,

ich höre schon ziemlich lange euren wöchentlichen Podcast und bin immer ganz erfreut: super recherchiert, aufgeweckt, voll interessanter Hintergründe, im besten Sinne linksliberal (staatstragend und trotzdem gut)! Fast scheint es, als könnte die Sendung ein neues Lagefeuer der Nation werden. Aber liegt darin vielleicht auch eine Gefahr?

Weniger kuschelig ist es derzeit in den Lagern an den europäischen Außengrenzen.

Ihr sagt eingangs immer so schön, dass ihr über die Ereignisse berichtet, „so sie euch interessieren und ihr sie für relevant haltet“. Tja. Was soll ich sagen? Sagt ihr es mir!

Eins zwei drei müsste man über die europäische Grenzsicherung, über tausende von Toten, tötliche Pushbacks und Stillhalteabkommen reden (wir halten zu jeder Sauerei den Mund und ihr haltet uns die Flüchtlinge vom Hals). Wie soll man sich zum rassistischen Konsens stellen (2015 darf sich um keinen Preis wiederholen, nie wieder 2015, nie wieder Menschlichkeit), ohne das größer werdende Publikum zu düpieren? Lauter schier unlösbare Schwierigkeiten. Aber doch wohl nicht für zwei blitzgescheite Plaudertaschen wie euch!?

Ich fand es gut, wie ihr über den Brand in Moria oder an anderer Stelle über die Festsetzung von Rettungsboten berichtet habt. Vielleicht greift ihr das Thema ja mal wieder auf, „so es euch interessiert und ihr es für relevant haltet“.

Es ist viel vom „Versagen“ Europas die Rede, vom „Totalversagen“ gar usw. Das ist natürlich ganz falsch. Jan Ole Arps hat dazu schon vor Monaten alles nötige gesagt:

usw.

Aber recherchieren könnt ihr selber viel besser!

Mit den allerbesten Grüßen und Wünschen verbleibe ich

euer einstweilen getreuer Hörer,

Jan R.

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Nachtrag:

Ich verstehe ehrlich gesagt nicht den sarkastischen Ton deiner Kritik.

Die „Lage der Nation“ greift meist aktuelle Themen aus der vergangenen Woche auf und dies ist natürlich selektiv im Sinne von „relevant und interessant“, die Zustände auf Moria, Flüchtlingspolitik usw sind immer wieder Thema, eben hauptsächlich dann wenn es gerade etwas Neues dazu zu sagen gibt oder es Aktuelles Thema ist. Auch Rassismus wird immer wieder kritisch thematisiert und besprochen. Ein beschönigen und nicht-thematisieren heikler Themen um die Hörer nicht „zu düpieren“ sehe ich nicht, ob es Rassismus, Gender oder Sexismus ist setzen sich die beiden doch immer wieder (selbst)kritisch damit auseinander.

Es gibt aber immer auch genug andere Themen die aktuell, relevant und interessant sind und selbst in einer bis zwei Stunden können nur begrenzt viele Themen mit hinreichender Tiefe angesprochen werden.
Wie du in deinen Links ja selbst beweist, wird über das Thema Moria an anderer Stelle berichtet, auch wenn es leider immer wieder untergeht.

Dass die Auswahl der für „relevant und interessant“ befundenen Themen „selektiv“ ist, habe ich selber gesagt. Das war mein Punkt. Wenn ich mich nicht täusche, waren die Zustände auf den griechischen Inseln seit Folge 204 nicht „relevant und interessant“ genug, um in der Lage besprochen zu werden. Gut möglich, dass sich dies mit dem anbrechenden Winter und der Berichterstattung in anderen Medien ändert. Das wäre meine Hoffnung.
Auch muss ich mich korrigieren: Die Festsetzung der Schiffe und der Brand in Moria wurden beide in Folge 204 berichtet. Zum Brand sind genau zwei Medieninhalte in den Shownotes verlinkt, darunter ein Interview von Philip Banse mit dem Architekten des „EU-Türkei-Deals“ Gerald Knaus, der u. a. das Szenario der Abschreckung durch Pushbacks, das Ende des Asylrechts, Schüsse auf Geflüchtete (inzwischen geschehen) usw. an die Wand malt. Hier ließe sich mit einer Bestandsaufnahme anschließen. Dazu passend ein aktueller Bericht:

Doch selbst der von Knaus vertretene „Deal“ hatte nicht nur einen finanziellen Preis; unter dem „Deal“ ist das Türkische Militär im Frühjahr 2018 unter Einsatz von deutschen Panzern im Verein mit Grauen Wölfen und anderen Dschihadisten in Afrin eingefallen, und zwar – wir erinnern uns – unter der zynischen Bezeichnung „Operation Olivenzweig“, was schnell zu allen möglichen Abscheulichkeiten geführt hat, die hierzulande leider kaum berichtet wurden. Eine Region, die für viele zum einzig verbleibenden Rückzugsraum aus Kriegsgebieten geworden war, wurde wiederum von Dschihadisten heimgesucht, was zu massenhaften Fluchtbewegungen geführt hat. Gerichtet war die Operation „Olivenzweig“ gegen das Projekt Rojava, mithin gegen das wahrscheinlich wichtigste demokratische Projekt der Gegenwart (basierend auf kommunaler Demokratie, einer multi-ethnischen Perspektive, Frauenbefreiung und Ökologie). Hier ein beliebiger Link zu einem Artikel, der einige der Folgen des Angriffs thematisiert und auch einen Artikel zum Modell Rojava verlinkt:

Afrin: Der türkische Dschihad | Telepolis

Vor ein paar Tagen hat übrigens die Türkei den Waffenstillstand unter der Kontrolle Russlands gebrochen:

Ob die aktuelle Situation in den Lagern oder die Begleitumstände in diesem Podcast berichtenswert erscheinen oder nicht, werden wir hören. (Ein Corona-Beitrag weniger täte es vielleicht auch.) Zu den Begleitumständen gehört übrigens auch, dass der Klimawandel maßgeblich zum Krieg in Syrien geführt hat.

Weshalb Knaus sich irrt, wenn er meint, dass eine vergleichbare Situation sich „nicht wiederholen“ würde. Die Dynamik von massenhaften Fluchtbewegungen und ihrer autoritären Einhegung wird absehbar unsere Normalität werden. Knaus glaubt an die Möglichkeit „menschlicher Grenzen“, und wäre das nicht schön.

Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass man mit solchen pampigen Kommentaren irgendeine Redaktion dazu bringt, sich ein Thema anzusehen … Wie kann man denn nur so ungeschickt sein?

Natürlich schauen wir uns das Thema ohnehin an, weil wir es für wichtig und interessant halten, aber solche Beiträge machen darauf nicht gerade Lust.