Meinungsfreiheit vs widerliche Kommentare

Liebe Lage,

So sehr ich eure Angewidertheit von Kommentaren wie von Hildebrand verstehen kann, geht mir euer Vorschlag für eine strafrechtliche Vorschlag für eine Gesetzesverschärfung zu weitgehend.

Ich finde bei sowas hilft immer der Gegencheck, was ich mir verbieten lassen will.

Ich möchte nicht für Aussagen bestraft werden, wie:

Den italienischen Ministerpräsident, der wochenlang die Retterboote voll mit Flüchtlinge nicht gar anlanden lassen, sollte einmal auf so ein Boot eingesperrt werden/mit einem wackeligen Schlauchboot im Mittelmeer ausgesetzt werden.

Mit fallen so viele Skandale ein, wo ich gesagt habe, den Verantwortlichen sollte man … und das waren nicht immer nur nette Sachen und natürlich kein Aufruf zur konkreten Umsetzung des Vorschlags und zur Lynchjustiz.

Ich glaube sowas muss man in einer Demokratie einfach aushalten und die Richter sollten den Beleidigungstatbestand lieber besser (als zB bei Kühnast) auslegen, dann gibt es auch keine Lücke.

Viele Grüße

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Hallo@Kommentar, hallo Lage

ich bin mir nicht ganz sicher, ob man wirklich solche Kommentare aushalten muss. Zumal wenn so etwas Massenhaft passiert, und wie bei Attila Hildman anscheindend sehr konkret gewählt, gewaltbereit formuliert, (quasi) öffentlich publiziert, und gegen eine einzelne Person gerichtet ist.
Für mich gehört hier auch das Thema ‚Shitstorms‘ mit dazu, unter dem vielen Menschen leiden, und sich machtlos fühlen.

Ich gebe Dir in so weit recht, daß man bei der Formulierung eines solchen Straftatbestandes sehr vorsichtig sein muss, um nicht evtl. Humor, oder eben einfache Meinungsäußerung unmöglich zu machen. Ich unterstelle Dir jetzt einmal, daß du nicht möchtest, daß jemand bei deinem ‚Experiment zur See‘ ums Leben kommt. Jemanden Foltern zu wollen, bis er/sie zu Tode kommt, ist aus meiner Sicht um einiges Härter.

Natürlich muss auch gegen offensichtliche, jetzt schon strafbare Beleidigungen stärker vorgegangen werden, auch ohne neue Regelungen.

Was mich aber besonders an dieser ‚Lücke‘ stört ist, das ein sogenanntes ‚Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und Hasskriminalität‘ verabschiedet wird, daß meiner Meinung nach zu weit geht und quasi die Plattformen zum Hüter der Gesetzte macht. Außerdem taucht immer wieder der unsägliche Begriff der Vorratsdatenspeicherung auf, da man ja angeblich nicht an die Täter herankommt.
Hier findet Beleidigung und Aufruf zur Gewalt (quasi) öffentlich und mit Klarnamen statt. Anstatt nun jedem die Möglichkeit zu geben, sich juristisch dagegen zur Wehr zu setzten, beschäftigt sich die Politik lieber damit, wie der Polizei und den Ermittlungsbehörden mehr vom privaten ‚Datenschatz‘ der IT-Unternehmen zur Verfügung gestellt werden kann.

Viele Grüße
Artur

Ich bin nicht grundsätzlich gegen eine Verschärfung des Strafrechts, habe dabei aber immer so ein kleines Bauchgrummeln.

Das hat immer nen Hauch von „Ich als Privilegierter, der von dem Hass gar nicht betroffen ist, möchte es nicht mehr sehen“.

Wer davon betroffen ist, kennt den Hass nämlich oft auch aus dem echten Leben. Und gegen den würde eine Verschärfung nicht helfen.

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Hallo Yo_Lo_Vi,

interessanter Punkt. Ich muss zugeben, daß ich persönlich nicht von Anfeindungen im Netz betroffen bin. Wahrscheinlich auch, wel ich ‚soziale Medien‘ nicht so ausgiebig nutze.

Dafür kenne ich Hass und Aggression aus dem ‚echten Leben‘ sehr gut. Ich bin in einer ‚sozial schwachen‘ Gegend groß geworden, in der Kriminalität und Gewalt mehr oder weniger normal waren. Ich bin als Kind nicht gerne nach draußen gegangen, weil es mir unangehm war, und ich immer auch etwas Angst hatte, ausgeraubt oder verprügelt zu werden.

Natürlich sollte man alles Möglichkeiten ausschöpfen. Gegenrede, Diskussion, Bekämpfung von Ursachen, wie Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit, etc.

Meine Perspektive ist mehr, daß ich, falls ich selber so angefeindet werden sollte, nicht Hilflos sein möchte. Es gibt den ‚Tätern‘ doch auch das Gefühl, daß das was sie tun ‚richtig‘ und rechtlich Zulässig ist. Das widerspricht meiner Vorstellung von Moral und Gerechtigkeit.

Anders gefragt: Was hilft denn deiner Meinung nach gegen den Hass?

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Der letzte Punkt ist mir auch sehr wichtig. Legitimität der Aussagen wird anders wahrgenommen, wenn strafbewehrt. Siehe z.B. Volksverhetzung. Wer damit belangt werden kann, wird in der Öffentlichkeit wahrgenommen (kann leichter so geframt werden) als jemand, der außerhalb des Sagbaren spricht. Wichtig hierfür ist aber eine effektive und unparteiische Handhabe (Glaubwürdigkeit!). Und wir sollten uns im Klaren sein, was dann alles nicht mehr unsagbar ist. Eben auch „den Berlusconi sollte man mal auf ein sinkendes Schiff stellen“. Da gilt es abzuwägen.

Den Opfern von Hassreden und Gewaltfantasien hilft das nur indirekt, weil evtl Hemmschwelle steigt. Zur Unterstützung braucht es da wohl andere Mittel.

… fragst Du einen Zyniker. Ähh… Ursachen bekämpfen, bedingungsloses Grundeinkommen und irgend jemand anderem die Schuld geben. Wie wäre es mal mit Anwälten. Die sind nämlich wirklich böse. Von mir aus auch nur die nicht-jüdischen. Ich nehm’, was ich kriegen kann. Aber ehrlich: Keine Ahnung.

Ich kenne Hass halt auch eher aus dem „echten“ Leben. Bei mir ist es die Arbeit. Der ist zwar subtiler als im Internet, aber er wirkt auf mich halt deutlich bedrohlicher. Ich brauch den Job.

Jetzt aber auch nicht falsch verstehen. Wenn härtere Gesetze dafür sorgen, dass ein größeres Unrechtsbewusstsein eintritt. Tut Euch keinen Zwang an.

Kann mir aber halt umgekehrt auch vorstellen, dass der Effekt gar nicht so groß ist. Und dann seh’ ich halt immer auch die andere Seite. Naja… Mittelschichtler haben nur ne zeitlich sehr begrenzte Aufmerksamkeitsspanne. Es tut ihnen schon gut, wenn sie penetrant dran erinnert werdet, wo es in unserer Gesellschaft gerade brennt.

Dann gibt es aber auch wieder das Argument, mit denjenigen, die vom Hass im Internet vielleicht sogar so dermaßen abgeschreckt werden, dass sie sich gänzlich zurückziehen. Ich kenn zwar niemanden. Klingt aber auch plausibel. Daumenschrauben wieder an!

Kurz. Keinen Schimmer. Würfeln?

Mal nen’ anderer Gedanke: Falls so ein Gesetzt kommt. Hilft Dir das, wenn Du betroffen bist?

Folgende Reportage finde ich da als Beispiel super interessant. Da geht es zwar nicht um Beleidigungen, aber um ein vom Ablauf vergleichbares, in der Sache aber sogar noch viel schlimmeres Problem:

Es geht um Frauen, die heimlich auf der Toilette oder im Bad gefilmt und dessen Aufnahmen dann ins Internet gestellt werden.

In diesem Teil geht es auch darum, was Du als Betroffene (nicht) tun kannst. Selbst da, wo die Gesetzeslage noch greift, ist es rein praktisch einfach schwierig etwas zu tun. Mein Hass auf (Privat-) Anwälte hat übrigens ne Vorgeschichte. Sei an dieser Stelle nur mal kurz eingeworfen.

Liebes Lageteam,

was neue Straftatbestände und Verschärftungen angeht, bin ich auch immer sehr skeptisch. Mir ist auch in den hier maßgeblichen Fällen noch nicht ganz klar, warum eine öffentliche Aufforderung, man sollte die/den totschlagen o.ä. nicht im Einzelfall unter § 111 StGB fallen soll.

Das Konkretisierungsproblem des Anstiftungsvorsatzes dürfte hier nicht bestehen und der BGH hat eine Strafbarkeit von an Hauswänden geschmierten Parolen mit dem Inhalt „Tod XY“ „HÄNGT Z“ als zumindest möglicherweise tatbestandlich i.S.v. §§ 111, 130 StGB angesehen (Urteil v. 14.03.1984 - 3 StR 36/84, BGHSt 32, 310). Kernfrage ist immer, wie ernst gemeint die Aufforderung erscheint.

Solange hier die Dateils nicht ausgelotet sind und wir nicht sicher sagen können, wo tatsächlich Schutzlücken - den Begriff der Strafbarkeitslücke sollte man sich nicht zu eigen machen, weil er verfassungsrechtlich bedenklich ist - bestehen.

Und schließlich: Aus der Auslegung einer Strafvorschrift durch eine einzelne Staatsanwältin oder einen einzelnen Staatsanwalt zu folgern, eine Vorschrift sei anwendbar oder nicht anwendbar, finde ich nicht ganz unproblematisch.

Besten Gruß
Jens