Maßnahmenunterstützung und gesellschaftliche Risse durch Corona

In meinem Bekanntenkreis erlebe ich zunehmend eine Aufspaltung in der Unterstützung der Maßnahmen und sehe gleichzeitig die Umfragen zur Unterstützung bzw. Kritik an den Maßnahmen.
Mir fällt dabei folgendes auf:

  1. Beamte und Journalisten im ÖR nehme ich als sehr starke Befürworter der Maßnahmen wahr. Sie setzen sich stark damit auseinander und tragen die Lockdownverlängerungen tendenziell mit.
  2. Angestellte teilen sich zunehmend in zwei Gruppen - diejenigen, die in sicheren Jobs sind (IT, teilweise Führungsjobs), erleben die Lockdownmaßnahmen als Unannehmlichkeit und klagen über Homeofficeprobleme. Im großen und ganzen tragen sie die Maßnahmen aber noch mit.
  3. Angestellte in Kurzarbeit, Selbständige, also ein großer Teil der Mittelschicht. Bei denen bricht die Unterstützung massiv ein, und es macht sich sogar eine Wut breit, die ich unterschwellig wahrnehme. Hier bemerke ich auch eine unterschwellige Abkehr vom Staat und seinen Institutionen.
  4. Rentner: Leiden häufig sehr stark, tragen die Maßnahmen aber auch mit, hauptsächlich in meiner Wahrnehmung aus Angst.

Was ich in den Raum stellen möchte: Haben wir hier eine neue Privilegierung? Bemerkt ihr etwas ähnliches? Ist es einfacher, die Maßnahmen zu unterstützen, wenn ich eine sichere und unverrückbare Einkommensquelle habe, wie es bei ÖR-Angestellten, Beamten etc der Fall ist? Gibt es diese Korrelation überhaupt? Und was passiert mit denen, die sie nicht haben?
Da ich selbst zu der Gruppe 2 gehöre - haben wir eine mangelnde Empathie, weil wir ihre Lebenswelt aus einem Sicherheitsgefühl heraus nur sehr theoretisch nachvollziehen können?

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Dass unterschiedliche Art und Ausmaß von Betroffensein durch die Corinamaßnahmen zu unterschiedlichen Ausmaß an Zustimmung bzw. Ablehnung und Compliance führt, ist nicht wirklich überraschend.

Diejenigen, die stärker betroffen und daher gegen die Maßnahmen sind, müssen sich die Frage gefallen lassen: Was ist die Alternative?

  • Weniger Maßnahmen und dafür mehr Tote, schwere Verläufe und Langzeitfolgen und Überlastung der Krankenhäuser mit entsprechenden Folgen? Wohl kaum
  • Intelligentere Maßnahmen? Gern! Welche sind das denn? (und ja, die eine oder andere würde auch mir einfallen, z.B. NoCovid mit einer Zielinzidenz „unter 10“
  • Bessere Unterstützung für die Betroffenen. Ja! Scheint aber nicht ganz so trivial zu sein …
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Ja, das wäre das sachlich richtige Verhalten. Passiert aber leider nicht immer. Menschen bei denen es um richtig viel geht tendieren dazu, die doofe Realität durch eine bessere Realität zu ersetzen:

  • Corona ist ja nur wie Grippe
  • Ich hab meine Naturheilmittel und halte mich gesund, da kann mir nix passieren.
  • Querdenken
  • usw.

Wieso leiden Rentner sehr stark? Die Rentner, die ich kenne sind von den Maßnahmen faktisch so gut wie gar nicht betroffen und teilen das auch mit. Sie müssen im Supermarkt eine Maske tragen und Einkaufsbummel geht gerade nicht. Aber das wars. Keine Betreuung von Angehörigen, keine finanziellen Einbußen, keine Probleme mit dem Job und erwachsen, so dass sie mit der Isolation auch so gut klar kommen wie es halt geht.

Ich geh Mal auf den Punkt „intelligentere Maßnahmen“ ein.

Wichtigster Punkt wäre hier eine Einzelfallprüfung.

Ich hatte jetzt einen Bericht über einen Lamahof gesehen der ja auch geschlossen ist, weil pauschal.

Jetzt Frage ich mich: wie hoch wird das Ansteckungsrisiko sein in einer Wandergruppe die mit einem Lama an der Leine durch die Natur stiefelt?

Wir hätten da sowohl Abstand als auch frische Luft als gegebene Vorraussetzung.

Oder auch bei Tourismus: klar dass man bei Hotels Einschränkungen vornehmen sollte, aber warum müssen Ferienhäuser/Ferienwohnungen geschlossen sein?

Worin besteht der Unterschied zwischen den eigenen vier Wänden und einem kurzfristig gemieteten Haus?

Alles geht zurück auf die Frage nach dem Sinn von pauschalen Maßnahmen die sich nach nunmehr einem Jahr nur durch „wir wissen nicht genau wo man sich infiziert“ begründen.

Im Endeffekt hätte man direkt genauer schauen müssen wo es herkommt und wenn das nicht geht mittels try and error arbeiten, sprich erst alles zu und dann einzelnes öffnen, nach zwei Wochen schauen ob es hoch geht oder nicht, geht es hoch zumachen und das nächste probieren (selbst bei geringem Anstieg) geht es nicht hoch das nächste wieder aufmachen.

Ja, das ist unstrittig. Nur: Welche Konsequenz soll die Politik daraus ziehen? Bestimmt keine Rücksichtnahme gegenüber Realitätsverweigerer!

Alte Menschen haben vielfach nackte Angst vor Erkrankung und Tor und sind oft sehr viel einsamer als sie es vorher schon wahren

Wie bei allen Maßnahmen muss man den Sachverhalt im großen Rahmen und mit epidemiologischen Augen anschauen.

  1. Du vergisst An- und Abreise (öffentliche Verkehrsmittel, Tankstellen, …) sowie den Einkauf vor Ort. Generell: Mehr Mobilität = mehr Kontakte.
  2. Reisen unterstützen den überregionalen Eintrag von Virus-Varianten.

Ja, das ist mein Hauptkritikpunkt an der Exekutive, dass sie nicht dafür gesorgt hat, dass diese Daten vorliegen …

Bei logarithmischen Entwicklungen wie epidemieartigem Infektionsgeschehen ist „Try & Error“ m.E. eine ganz schlechte Idee, weil es wesentlich aufwändiger ist, zurückzuschrauben - wie wir aktuell erleben …

Nach meinem Eindruck nimmt die Unterstützung für die Maßnahmen immer weiter ab, auch in der zweiten Gruppe.

Es wird zunehmend deutlich, dass die Maßnahmen zu gewaltigen wirtschaftlichen Verwerfungen führen werden und die Jobs, die jetzt noch sicher scheinen, werden es in ihrer Gesamtheit nicht mehr lange sein. Die konkrete Bedrohung der existenziellen Lebensgrundlagen halten inzwischen vermutlich viele für deutlich größer als die abstrakten gesundheitlichen Gefahren durch die Pandemie.

Hinzu kommt, dass die Coronamaßnahmen zunehmend willkürlich erscheinen, es wird das gemacht, was sich politsch leicht durchsetzen kann, nicht dass, was notwendig wäre. Zudem ist die Lastenverteilung ein riesiges Problem.

Mich würde ja mal interessieren, wie due Unterstützung aussähe, müsste die erste, zweite und vierte Gruppe einen Solidaritätszuschlag für die dritte Gruppe leisten.

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Ich finde es bemerkenswert, wie leichthin hier Menschen abgeurteilt werden, die durch die Krise ihre Ersparnisse aufbrauchen müssen, an den Rand der finanziellen Existenz gedrängt werden, Rücklagen aufbrauchen, die für die Altersvorsorge gedacht war.
Alle die sind also „dumme Realitätsverweigerer“? Oha. Das hört sich für mich wie eine ganz eigene Filterblase an. Ich rate bei solchen Abwertungen sehr zur Vorsicht. Wir reden Stand 2018 über 38 Mio. Erwerbstätige, davon ca. 4,8 Mio im öffentlichen Dienst. 4 Mio. sind Selbständige und der große Rest ist in Angestelltenverhältnissen, davon vielfach schon prekär oder am unteren Rand des Einkommens. Wenn von 50% Menschen ausgehe, die hier durch Kurzarbeitergeld oder Geschäftsschließungen Einbußen haben, reden wir von 17 Mio. Menschen, die eben mal abgeurteilt werden. Das hören diese „dummen Menschen“ sicher gerne.

@Olaf.K: Das sehe ich genauso.

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In der zugrundeliegenden Aussage von @FlorianR wurde nur eine Tendenz unterstellt:

War im ersten Moment auch etwas besorgt, ob hier alle über einen Kamm geschoren werden… :wink:

Zugegebenermaßen würde ich es eher so formulieren: Bei den „Realitätsverweigerern“ handelt es sich tendenziell um Menschen, bei denen es um richtig viel geht.

Bitte keine Zitate aus dem Kontext reißen. Das war eine Antwort auf:

Auch wenn die innere Motivation für solche Realitätsverweigerung wirtschaftliche Verzweiflung sein kann, bleibt es doch, was es ist: Realitätsverweigerung.

Ich halte try and error nicht für die schlechteste Idee, wenn man nicht so genau weiß wo man sich infiziert.

Mach halt einfach erstmal das maximal mögliche dicht um die Zahlen runter zu kriegen.

Dann machst du die Kitas wieder auf und wenn die Zahlen nach 2 Wochen nicht steigen sind Kitas keine Pandemietreiber.

Wenn die Zahlen nach der Inkubationszeit steigen, hast du einen Pandemietreiber gefunden und kannst dich damit beschäftigen wie du genau dort Infektionen verhindern kannst.

Und egal wie man es betrachtet, lieber eine schlechte Strategie wie try and error als gar keine, wie aktuell in der deutschen Politik.

Das ist in meinen Augen der größte Unterschied zwischen Deutschland und Schweden (wo ich lebe) Tegnell hatte eine Strategie, dass sich diese inzwischen als eher untauglich erwiesen hat und jetzt geändert wird ist eine andere Sache, aber Deutschland hatte von Anfang an keine ersichtliche Strategie.

@TilRq: Dein Zitat ist da mit reingelaufen. Ich wäre bei dem Wort „Realitätsverweigerung“ allerdings auch vorsichtig. Ein Teil der Realität ist nun mal, dass wir (geschätzt) 15 Millionen Menschen in Deutschland durch die derzeitigen Maßnahmen mit jedem Monat in eine finanzielle Ecke drängen. Ich kann jetzt Überschuldungsstatistiken schon vor Corona suchen. Fakt ist: Viele Arbeitnehmer leben vom monatlichen Einkommen und haben, wenn, nur wenig Rücklagen.
Es ist ein Teil der Realität, der mir zu häufig ausgeblendet wird, besonders von denen, die dieses Problem eben nicht haben (Rentner, Pensionäre, Beamte, ÖR-gesicherte Arbeitnehmer). Ich beobachte, dass dann von diesen gerne sehr abfällig geurteilt wird („Realitätsverleugnung“, „Leugner“, „Verschwörungstheoretiker“) etc.
Deswegen rate ich generell zur großen Vorsicht mit solchen Worten.

@Ellen : Danke für die Rückmeldung. Ich denke nur, dass alleine diese Tendenz schon nicht recht stimmt. Jemand kann in Verschwörungstheorien abgleiten, ohne dass man direkt von irgend etwas betroffen ist. Ich glaube sogar, dass das häufiger passiert.

Ich bemerke eine große Pauschalisierung in der Beurteilung der NoCovid-Unterstützer aus einem Geist der Rechtschaffenheit und Inbesitznahme der absoluten Wahrheit heraus.
Die sozialen Kosten werden in diesem Zusammenhang ausgeblendet. Oder die Argumentationskette geht so, dass „die Wirtschaft“ keine Sonderrechte bekommen soll. Nur wird vergessen, dass „die Wirtschaft“ den Arbeitnehmern das regelmäßige Einkommen gibt, und wenn „die Wirtschaft“ dann schläft, geraten auch die Arbeitnehmer in Schieflage. Gut, dass muss einen Beamten oder Pensionär jetzt nicht interessieren.

Allerdings soll man dann eben auch ehrlich sein und sagen „Diese Kosten sollen wir als Gesellschaft bereit sein zu akzeptieren. Das ist mit NoCovid halt das Opfer, dass wir bringen müssen“. Wenn jetzt Betroffene, die ihr Erspartes angreifen müssen, dagegen an gehen, ist es natürlich wohlfeil, sie als „Realitätsverweigerer“ zu betrachten. Nur tut man damit der Debatte nicht gut und sorgt mit der Haltung massiv für eine Spaltung in der Gesellschaft, die uns mehr mehr Schaden bereiten wird als Covid.
Meine Meinung.

Häh? Wie wird aus einem „Passiert nicht immer“ ein „alle“? Ich habe in anderen Bereichen sehr oft auf die negativen Folgen der Maßnahmen hingewiesen und das man diese mehr in Betracht ziehen sollte, u. a. auch mit dem Argument, dass es jetzt gerade Personen gibt, die ihre Altersvorsorge aufbrauchen.
Nichts desto trotz bleibe ich bei meiner Aussage. Wenn man die Altersvorsorge, also seine Existenz verliert, dann ist das schon so krass, dass es da einen nicht zu vernachlässigenden Anteil an Menschen gibt, die geistig so stark belastet sind, dass sie sich aus unserer Gesellschaft ausklinken. Denen ist mit den von @TilRq genannten Alternativen nicht geholfen und entsprechend gering dürfte die dort ausgelöste Begeisterung sein.