Man kann mal einzelne Highlights durchgehen. Kursiv ist der Text des Manifests:
Heute ist der 352. Kriegstag in der Ukraine. Über 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher getötet. Zahlen korrekt? Ach, ist doch egal.
[…] Wenn die Kämpfe so weitergehen, ist die Ukraine bald ein entvölkertes, zerstörtes Land. Und auch viele Menschen in ganz Europa haben Angst vor einer Ausweitung des Krieges. Sie fürchten um ihre und die Zukunft ihrer Kinder.
Nicht nur die Ukrainer leiden - auch wir in Europa.
Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch?
Für die Antwort auf diese Frage, sollte man am Besten diejenigen fragen, die an der Solidarität teilhaben sollen - die Ukrainerinnen und Ukrainer.
Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden?
Auch für diese Frage sollten man diejenigen fragen, die auf dem Schlachtfeld Ukraine kämpfen und sterben - die Ukrainerinnen und Ukrainer.
Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges?
Die beste Antwort könnten auch hier die Ukrainerinnen und Ukrainer geben.
Die deutsche Außenministerin sprach jüngst davon, dass „wir“ einen „Krieg gegen Russland“ führen. Im Ernst?
Die Außenministerin und auch sonst niemand hat diese unglückliche Wortwahl wiederholt. M.E. ein großer Fehler von Baerbock. Diesen Fehler weiter zu wiederholen im Wissen, dass dies nicht die Position der Bundesregierung wiedergibt, ist eine bewusste Irreführung der Bevölkerung. Der Zusatz Im Ernst? legt nahe, dass die AutorInnen sich bzw. Deutschland nicht im Kriegszustand mit Russland sehen. Das hindert sie aber anscheinend nicht daran, nach den Kriegszielen zu fragen.
Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis. Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen? […]
Die Position im Text und im entsprechenden Absatz, an der der ukrainische Präsident genannt wird, soll dem Leser trotz aller Disclaimer klar machen, wen die AutorInnen für den (Mit-)Aggressor sehen, wen sie für das entscheidende Hindernis zum Frieden ist: Die Ukraine und ihr Präsident.
[…] - um Russland auf ganzer Linie zu besiegen?
Eine klassische Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hat. Verweis auf die militärische Fantasie, ukrainische Panzer könnten bald über den Roten Platz rollen. In Kombination mit der Einleitung des Absatzes Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis wird hier weiter suggeriert, die Ukraine treibe die Eskalation des Krieges voran. Und wer mag, darf hier auch reinlesen, dass es vielmehr Russland ist, dass sich in einem Abwehrkampf befindet.
Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. […]
Lesart: Russland hat sich bis jetzt sogar noch zurückgehalten. Es sind die erfolgreichen Gegenoffensiven der Ukraine, die Putin dazu bringen werden, den dritten Weltkrieg zu beginnen.
Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen.
Es ist dies vor allem die Lesart von Erich Vad, der seit Kriegsbeginn diese Botschaft zu vermitteln sucht und nicht müde wurde, die ukrainischen Erfolge klein, Russland dagegen groß zu reden („Eskalationsdominanz“). Steht im krassen Widerspruch zur verblüffend inkompetenten taktischen und operativen Performance der russischen Armee in diesem Krieg.
Das sagt auch der höchste Militär der USA, General Milley. Er spricht von einer Pattsituation, in der keine Seite militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann. Warum dann nicht jetzt? Sofort!
Eine verzerrende Widergabe des von Mark Milley Gesagten: Im November letzten Jahres sagte er auf einer Pressekonferenz: „The probability of a Ukrainian military victory - defined as kicking the Russians out of all of Ukraine to include what they claim as Crimea - the probability of that happening anytime soon is not high, militarily.“
Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten.
Inzwischen ein Klassiker: Leider kein Vorschlag der AutorInnen, worin dieser Kompromiss bestehen könnte.
Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken.
(Die These vom Stellvertreterkrieg)
Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen.
In den Augen der AutorInnen sind die Waffenlieferungen nicht nur eine Eskalation, sondern die Eskalation. Kein Wort darüber, wie Russland den Krieg fortwährend eskaliert: Flächenbombardement durch Artillerie, Annexion von Gebieten, Bombardierung von ziviler Infrastruktur, Mobilisierung und Verheizung von hunderttausenden eigener Bürger usw. Den AutorInnen keine Erwähnung wert.