Mangelnde Kommunikation oder nehmen Politiker die Wähler nicht ernst?

Mal eine Frage ins Forum;

Wenn man Kanzler Scholz aktuell sieht, aber auch Verkehrsminister Wissing, um nur zwei aktuelle Beispiele zu nehmen:

Ich gewinne den Eindruck, das viele Politiker/innen entweder kaum oder wenig dem Wahlvolk gegenüber ihre Vorgehensweise oder zumindest ihre Ziele erläutern, sie kanzeln von oben herab mit Allgemeinplätzen oder Schwurbelei ab, um Fragen oder Diskussionen abzuwürgen.

Nehmen diese gewählten Volksvertreter ihre Wähler nicht ernst, haben wir zuviele Narzisten in der Politik, oder ist selbst den Politikern und -innen die Demokratie zu mühsam?

Das soll kein Pauschalangriff sein, es gibt reichlich gute Menschen in der Politik.

Aber der Eindruck, dass die Politik nicht mehr genug mit dem Volk spricht oder abweisend/arrogant reagiert und damit Politikverdrossenheit fördert, drängt sich schon auf.
Man muss nicht alles diskutieren bis ins Detail, aber die Politik sollte die Wähler bzw das Volk schon mitnehmen, statt nur vor Wahlen Versprechungen zu machen.

Eure Meinung?

Das größte Problem ist, dass Politiker sich angreifbar machen, wenn sie Dinge erklären. Leider.

Man merkt das letztlich auch in Diskussionen hier im Forum. Egal, wie gut eine Seite ihr Anliegen versucht, zu erklären, es finden sich immer Argumente gegen die erklärte Ansicht, weil es sich eben um komplexe Abwägungsprozesse handelt. Und das öffnet Tür und Tor für Populismus.

Eine „einfache“ Erklärung wäre angreifbar, weil sie zwangsläufig nicht alle Argumente berücksichtigt, eine „komplexe“ Erklärung würden 99% der Bevölkerung nicht lesen und ist auch noch angreifbar, weil die Gewichtung der Argumente nicht absolut ist (gerade bei den Lützerath-Diskussionen wird das sehr deutlich, bei der Abwägung Umweltschutz vs. Versorgungssicherheit).

Dazu kommt, dass nicht alle Argumente einer Abwägung eines Ministers genannt werden können. Aspekte wie Absprachen mit Koalitionspartnern, Absprachen mit der eigenen Parteiführung, diplomatische Konsequenzen, Konsequenzen im Rahmen von Verhandlungen mit Unternehmen und anderen Nationen, eventuelle Geheimhaltungsaspekte (gerade bei militärischen Fragen wie Panzerlieferungen). Wenn man diese Argumente in der Abwägung nicht nennen kann, wirkt die Abwägung schnell falsch.

Dazu kommt, dass Menschen (und auch Medien) dazu neigen, aus einer Plethora von Informationen vor allem diejenigen wahr zu nehmen, die negativ / skandalträchtig sind. Desto mehr man schreibt, desto mehr Dinge werden zwangsläufig gesagt, die genutzt werden können, um eine Person negativ darzustellen.

Ein einzelner Abgeordneter könnte daher eine Website betreiben, auf der er jede seiner Entscheidungen und Haltungen im Detail begründet - aber auch das wäre schon gefährlich, denn einzelne Aspekte davon würden gegen ihn verwendet. Ein Minister hingegen kann das denke ich kaum machen, er würde sehr schnell damit die eigene Karriere beenden.

Als Politiker fährt man daher oft besser, indem man den Eindruck erweckt, dass man auf Grund überlegender Informationslage schon die bessere Entscheidung treffen würde - oder eben, indem man seine Position wie Wissing mit populistischen, relativ offensichtlich falschen, Meinungen vertritt (im Hinblick auf e-Fuels), wenn man davon ausgeht, dass die eigene Wählerschaft genau das hören will.

Oder ganz doof gesagt: Ich bin ernsthaft davon überzeugt, dass man mit ehrlicher Kommunikation nur schwer Wahlen gegen Populisten gewinnen kann. Gewählt wird der Politiker, der Steuererleichterungen verspricht, nicht der, der seitenlang auf hohem Niveau erklärt, warum Steuererleichterungen gerade nicht drin sind…

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Meine Interpretation geht so:
Politiker, die ihre Ziele klar und quantifizierbar benennen, machen sich angreifbar. Ambitions- und Umsetzungslücken können dann bestimmt und sie daran gemessen werden. Je mehr ich im vagen bleibe, desto besser kann ich mich diesem Prozess entziehen, bzw. meine Ziele im Nachhinein umdeuten.
Das ist natürlich zum einen den Politikern selbst anzulasten. Zum anderen aber auch uns Wählern, denn wir müssten so ein Vorgehen härter bestrafen und andererseits großzügiger mit (nominalen) Misserfolgen transparenter Politiker sein.

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Also erfolgt die Kommunikation mit dem Wahlvolk nur auf Grundlage politischem Kalküls?
Oder traut man der Masse der Bevölkerung ein Verständnis für politische Themen nicht zu (berechtigt?)?
Möchte man mit dem (kleinen?) Teil der Bevölkerung, der inhaltlich aber auch kritisch mitreden und diskutieren kann, eher aus dem Weg gehen? Weil Diskussionen mühsam, zeitraubend und oft auch unangenehm sind?

Ist eher die Denkweise, wir wählen für 4 Jahre eine Regierung, die macht dann für sich erstmal und wir halten uns als Wähler raus, stimmen bei der nächsten Wahl ab ob wir einverstanden waren oder nicht?
Welchen Stellenwert hätten dann Proteste wie in Lützerath oder welche Bedeutung eine freie kritische Presse?
Muss man den Wähler auch während der Legislaturperiode mitnehmen?

Viele Fragen…

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Eigentlich ist das doch dann Abgesang auf die Demokratie. Wenn ich nicht weiß, warum ein Politiker eine Entscheidung trifft, ob es seine Überzeugung oder Sachzwänge waren, wie soll ich dann meine Wahlentscheidung fällen?

Was genau hält Scholz davon ab, Panzer zu liefern? Oder ist es seine Überzeugung?
Warum will Wissing kein Tempolimit? Zumindest Habeck versucht, seine Entscheidungen zu begründen und die Sachzwänge zu erläutern. Baerbock und Habeck sind aktuell die beliebtesten Politiker, gibt es da vielleicht doch einen Zusammenhang?

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Das ist ein guter Punkt, den man vielleicht auch mal positiv hervorheben sollte.
Der Bürger weiß denke ich durchaus zu schätzen, wenn Politiker ihre Politik erklären. Wenn Habeck und Baerbock - was ich hoffe - unbeschadet als beliebteste Politiker aus dieser Legislaturperiode hervorgehen, kann das vielleicht für die nächsten Spitzenpolitiker ein Anreiz sein, es auch mit etwas mehr Kommunikation zu versuchen.

Ich hoffe, es wird so kommen. Aber wie schnell das Ganze in’s Gegenteil umschlagen kann, hat man gerade bei Habeck ja leider auch gesehen. Ein ungünstiger Auftritt und schon fällt die gesamte Presse über ihn her, als würde er Kinder fressen…

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Sind wir zu kritisch, ggf zu „gnadenlos“ mit unseren Politiker/innen?
Fehler werden nicht zugelassen, positive Ergebnisse schlechtgeredet?

Das man daher jegliche Risiken einer Kommunikation im Sinne „Erklären“ meidet?

Die Bevölkerung dadurch noch unzufriedener und damit kritischer macht?

Teufelskreis?

Also Scholz nimmt meiner Ansicht nach seine Wähler schon insoweit Ernst, als dass er genau das macht, was er auch schon im Wahlkampf gemacht hat: keine Aussagen zu nichts. Das hat 25% der Wähler gereicht, um ihn zu wählen.

Habeck hat schon im Wahlkampf angekündigt, dass er Verantwortung übernehmen will und dass das bedeutet, dass er sich auch die Hände schmutzig machen wird. Er erläutert regelmäßig seine Beweggründe für Entscheidungen. Ich bin diesbezüglich als Grünenwähler nicht enttäuscht. Reicht in Deutschland aber leider nur zu Umfrageerfolgen und nicht zu guten Wahlerfolgen.

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Ja, ich stimme zu, dass das ein positiver Aspekt ist. Wir sollten aber beachten, dass Habeck und Baerbock sich eher noch am Anfang ihrer Arbeit befinden. Wenn man am Ende ganz genau sehen wird, welche ihrer vorher transparent dargestellten Ziele sie nicht erreicht haben, ist das natürlich ein einfaches Ziel für mediale Kritik.

Aber auch das könnte man aus meiner Sicht durchaus benennen in einer Diskussion/Erklärung.

Bezogen auf die Panzerdebatte gibt es bis jetzt ja nur Forderungen und ausweichende Aussagen.
Warum nicht z.B. sowas wie: Aufgrund von laufenden Gesprächen und Gründen der Geheimhaltung können wir(kann ich) derzeit dazu keine konkreten Angaben machen. Wir sind aber im Gespräch mit allen Parteien.

Kommt in meinen Augen besser als so eine Floskel wie „Deutschland macht keine Alleingänge“ und daneben steht dann der Pole und sagt, „wie würden ja gerne aber uns fehlt die Freigabe aus Berlin“

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Sind WIR das?

Ich würde ja eher die Presse benennen, allen vorran BLÖD die bei jedem Hüsteln eines Grünen den Untergang Deutschlands beschwören und bei jeder Aussage eines Linken die Wiederauferstehung der DDR unken …

Das wäre die Frage, wenn auch zugegebenermassen sehr pauschal.

Ich würde behaupten das ist schon systematischer. Selbst öffentlich rechtliche Presse stürzt sich dankbar auf jeden sichtbaren Fehler eines Politikers. Und da kann man ihr auch nur bedingt einen Vorwurf machen, denn am Ende ist das leider die Erwartungshaltung, die wir als Gesellschaft haben. Nehme ich zumindest so wahr. Eine Fehlerkultur in der Politik muss m.E. vom Wähler initiiert werden, nicht von der Presse

Schön gesagt, aber dumme Frage: Wie mache ich das als Wähler? Ich hätte ganz gern, dass Scholz seine Zurückhaltung bei den Panzerlieferungen heute begründet und nicht erst nach der nächsten Wahl.

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Du bist als Wähler schon auch selbst in der Pflicht, dir Informationen herbeizuschaffen.

Hier ein schönes Beispiel von gestern: Europe Calling mit einem Interview von Robert Habek, an dem man live teilnehmen konnte:

Aufgemerkt:

quote=„Patrick38, post:19, topic:18073“]
Baerbock im September meinte „es ist mir egal was die deutschen Wähler wollen
[/quote]

Aufgemerkt 2:

Aber hier wird unbedingtes Vertrauen geschenkt und nicht hinterfragt:

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Zunächst würde ich sagen, dass das Thema Fehlerkultur ein Langfristprojekt ist und ein kurzfristiges Scholz Problem kaum beheben kann.
Aber natürlich kann man als Wähler auch kurzfristig Einfluss nehmen, denn es ist ja nicht nur die Wählerstimme sondern auch die Erwartung dieser relevant. Wenn hier eine kritische Masse gegen die Politik des Kanzlers auf die Straße gehen würde, wäre Scholz sehr schnell unter massivem Druck.
Und was die Presse angeht würde ich behaupten, dass die ein sehr gutes Gespür für die Stimmung und die Anliegen in der Bevölkerung hat.

Ich sehe das Problem, dass die Politiker freie Mandate haben und keine imperativen Mandate.
Politiker können machen was sie wollen und wie Frau Baerbock im September meinte „es ist mir egal was die deutschen Wähler wollen“.

Und der Imperativ ist dann wer? Du?

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Der Imperativ sollte in diesem Fall der Wähler sein, so das die Politiker an das Wahlversprechen gebunden sind.
Habe nicht gesagt das dies nur Vorteile hat, jedoch wären die Bürger mit Sicherheit nicht ganz so politikverdrossen.

Erklär mal, wie das rein logisch gehen soll, dass z.B. die FDP mit 11% Stimmenanteil alle Ihre Forderungen durchbringen soll?