Long Covid Studie aus Mainz

Hey liebe Community,

ich bin über die Studie aus Mainz zu Long Covid gestolpert, die laut den meisten Medien gestern folgende Überschrift hervorgerufen hat „40% der infizierten leiden unter Long-Covid“.

Ich finde Informationen zur Studie leider nur hier: GCS Dashboard

Mir scheint die Studie wirklich hochgradig fahrlässig ausgewertet zu sein und ich wundere mich über einige Schlussfolgerungen. Insbesondere folgender Sachverhalt:

Die Studie kommt zum Schluss, dass ca. 40% der infizierten (wissentlich oder unwissentlich) Long-Covid artige Symptome aufweisen. Gleichzeitig wird aber geschrieben, dass auch über 40% der nicht infizierten Long-Covid artige Symptome aufweisen. Die nicht infizierten sind ja sozusagen die „Kontrollgruppe“

Wie kann man dann zu dem Schluss, und zu der vielzitierten Überschrift (sogar Tagesschau) kommen, dass 40 % der infizierten an Long-Covid leiden? In meinen Augen ist dieser Effekt ganz simpel nichtsignifikant, und hätte einfach nicht interpretiert werden dürfen.

Wer kann mir helfen? Was übersehe ich hier? Wo könnte ich die Rohdaten bekommen?

Das, was ich ehrlich gesagt auch ziemlich lange übersehen habe. Die Präsentation ist da etwas verwirrend. Sie beinhaltet im Prinzip ZWEI Studien. Die erste (bis Folie 23) ist die Gutenberg-Covid-19-Studie. In dieser hat man rein deskriptiv die präsentierten Daten in einer großen Bevölkerungsstichprobe erhoben (>10.000 Proband*innen). Und weil das rein deskriptiv ist, gibt es auch keine Angabe zum Signifkanzniveau. Weil man dabei festgestellt hat, dass Long-Covid derzeit zu unscharf definiert ist (weil es eben Symptome beinhaltet, die nicht häufiger auftreten als in der Allgemeinbevölkerung, wie von dir ja ganz richtig beobachtet), hat man jetzt eine zweite Studie initiiert - die Gutenberg-Long-Covid-Studie. Von der gibt es aber noch keine Ergebnisse. Das eigentlich problematische ist, dass sich seitens der Medienschaffenden direkt auf diese eine Zahl (40% Long-Covid) gestürzt wurde - ohne die gesamte Präsentation zu verstehen. Sicherlich ist es so, dass nach aktueller Definition von Long-Covid 40% der Infizierten daran leiden (das ergibt sich ja rein deskriptiv aus der ersten Studie), die Frage ist aber eben, wie trennscharf die aktuelle Definition ist. So verstehe ich auch die Einleitung zur zweiten Studie.

Das ist schon irgendwo richtig - allerdings ist das nicht den Forschenden anzukreiden, die aufgrund der aktuellen (möglicherweise nicht trennscharfen) Definition von Long-Covid deskriptiv zu dieser Aussage kommen, sondern eher denen, die das unreflektiert verbreiten.

Bei der Uni Mainz - ob die die Daten vor Veröffentlichung in einem Journal „rausrücken“ wage ich allerdings zu bezweifeln.

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Danke zunächst einmal für deine Einschätzung.

Mathematisch-statistisch dürfen Effekte, die nichtsignifikant sind, überhaupt gar nicht „gewertet“ oder interpretiert werden, denn sie sind nunmal nachgewiesen nicht vorhanden. Genau das hätte auch das wesentliche Ergebnis der Studie sein müssen.

Jetzt wirds gruselig: Sowohl FAZ, ZON, etc. und sogar die Tagesschau 20 Uhr Sendung haben diese 40% völlig unreflektiert übernommen. Die Tagesschau hat zu der Meldung sogar noch eine Trauergeschichte von einem Long-Covid Patienten gebracht. Ich bin wirklich verwundert, wie man so leichtfertig mit diesen Zahlen um sich werfen kann.

@philipbanse Hier würde mich deine Einschätzung aus journalistischer Sicht interessieren

Das stimmt so nicht ganz. Die Studie nutzt ja zum aktuellen Zeitpunkt gar keine statistischen Tests, sondern lediglich deskriptive Statistik. Es wird also erst einmal nur beschrieben, was in der Studienkohorte aufgefallen ist. Das ist durchaus zulässig, weil es ja zunächst nur eine Beschreibung der Daten ist, und eine Beschreibung ist keine Interpretation. Bei der aktuellen Definition von Long-Covid ist es eben so, dass 40% der Infizierten in der Studie Long-Covid-Symptome zeigten, und dann darf man das auch so darstellen. Problematisch dabei ist die Definition von Long-Covid, klar. Das wird ja aber auch so dargestellt, genau deswegen wurde ja die zweite Studie initiiert.

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Die Süddeutsche hat nämlich sehr reflektiert darüber berichtet.