Aktuell sind konstruktive Ansätze bzgl. Gesellschaft und Wirtschaft absolut notwendig. Durch Zufall bin ich in ein Interview mit Philosoph Hannes Kuch gestoßen.
Interessant wird es vor allem nach den ersten 10 Minuten.
Mit Spielexperimenten konnte man (wenig überraschend) zeigen, dass der institutionelle Kontext eine große Rolle spielt dafür, wir wir uns im System verhalten. Am Anfang ist das kooperative Potenzial bei allen Teilnehmern sehr groß. Wenn die Regeln aber so gestrickt sind, dass sie dieses Verhalten nicht unterstützen, ändert sich bei fast allen gemäß der Frage: “Was machen die anderen?” und während des Spiels geht die Kooperation dann völlig den Bach runter.
Gleichzeitig ist die Demokratie aber auf die Kooperationsbereitschaft der Bürger angewiesen.
Hannes Kuch beschreibt zwei Konzepte einer Lösung:
die Eigentumsdemokratie: Kommt einem hohen Grunderbe recht nah. Wird aber zurecht kritisiert, da die wirtschaftlichen Strukturen bleiben.
interessanter ist das Konzept des liberalen Sozialismus: Kern ist die Umstellung auf Genossenschaften, ausgestattet ebenfalls mit einer Art Grunderbe. Wirtschaftliche Dynamiken würden bleiben, aber das Genossenschaftssystem sorgt dafür, dass Kooperation im Vordergrund steht. Das Interessante ist, dass es sich nicht um ein Hirngespinst im Sinne von Sozialismus geht, das ganz neue Probleme hätte, sondern um eine realistische Utopie. Es gibt bereits jetzt zahlreiche Genossenschaften. In Spanien ist das siebtgrößte Unternehmen eine Genossenschaft. In England werden Unternehmen, die keinen Nachfolger finden, vermehrt in Genossenschaften überführt. (Ich gebe den Podcast wieder. Überprüft habe ich es nicht.) Das Buch von Hannes Kuch heißt: Wirtschaft, Demokratie und liberaler Sozialismus.
Dem Einwand, dass das doch ziemlich utopisch sei, konterte Herr Kuch mit dem Hinweis, dass Veränderung sich oft überraschend und extrem schnell vollzieht. Wenn sich ein Möglichkeitsfenster öffne, sollte man bereits über machbare Konzepte nachgedacht haben, die man probieren könnte.
Bei der Eigentumsdemokratie vielleicht so 100000 Euro, finanziert aus… ich glaube Erbschaftssteuer.
Beim liberalen Sozialismus wohl so ähnlich. Vielleicht nicht ganz so viel. Aber das weiß ich nicht (mehr). Das Buch habe ich (noch) nicht gelesen und gerad keine Zeit, den Podcast nochmal zu hören.
Ich finde das Genossenschaftsmodell auch sehr interessant. Insbesondere Grundbedürfnisse (Wohnen, Lebensmittel, essentielle Dienstleistungen, etc.) könnten so einerseits wirtschaftlich effizient, andererseits aber außerhalb der Logik der Profitmaximierung bereitgestellt werden.
Es gibt auch in vielen Bereichen schon Genossenschaften. Ich bin zum Beispiel sowohl Kunde als auch Mitglied bei der GLS-Bank und bei Greenpeace Energy. In den Sektoren Banking und Energie gibt es auch eine ganze Reihe anderer aktiver (und scheinbar erfolgreicher) Genossenschaften. Außerdem sind wir Mitglied in einer solidarischen Landwirtschaft die zwar als Verein organisiert ist, aber vom Grundsatz her ähnlich funktioniert.
Zumal es vielleicht im ersten Schritt reichen würde, wenn der Staat Genossenschaften durch eine gezielte Gestaltung von Steuern und Bürokratie einen Rechtsrahmen schaffen würde, der ihnen unter bestimmten Bedingungen Vorteile verschafft (etwa wenn sie sich im Bereich der angesprochenen grundlegenden Bedürfnisse engagieren). Mit gemeinnützigen Vereinen geschieht dies ja grundsätzlich auch.
Entschuldigung, mir ist das Ziel noch nicht so klar. Was soll durch was ersetzt werden?
Sollen Unternehmen durch Genossenschaften ersetzt werden?
Oder soll die Demokratie, das Parlament oder was auch immer durch eine Genossenschaft ersetzt werden?
Zum Kontext und für ein paar weitere Quellen: Hannes stellt hier zwei Vorschläge von John Rawls vor, die der das erste Mal 1999 in Justice as Fairness vorgeschlagen hat. Rawls selbst spricht sich nicht klar für oder gegen einen der beiden Vorschläge aus. Zu beiden gibt es einen großen Berg an philosophischer/politiktheoretischer Literatur. Ein ähnlicher Vorschlag, auch sehr gut lesbar, ist der von Tom Malleson: After Occupy: Economic Democracy for the 21st Century.
Tom Malleson leitet auch das Real Utopias Project, das Arbeiten zu genau solchen Vorschlägen entwickeln will: https://www.realutopiasproject.com/
Das Genossenschaftsthema hat auch breite Aufmerksamkeit in der Literatur erfahren. Die spanische Genossenschaft heißt Mondragon und wie gut oder schlecht das Genossenschaftskonzept da funktioniert, ist weiterhin Gegenstand der Debatte. Es ist beispielsweise zweifelhaft, inwiefern die Mitarbeitenden bei Mondragon das Unternehmen tatsächlich als Demokratie erleben. Zusätzlich gibt es bei Mondragon selbst ein Zweiklassensystem mit Mitarbeitenden mit Stimmrecht auf der einen und ohne Stimmrecht auf der anderen Seite. Außerdem hält Mondragon inzwischen auch Anteile an Unternehmen in Südamerika, die überhaupt nicht demokratisch organisiert sind.
Wir haben in Deutschland auch sehr mächtige Genossenschaften, REWE und Edeka sind beispielsweise Genossenschaften, der Spiegel ist zum Teil eine Genossenschaft. Sie sind ja nicht verboten, man kann sich so organisieren.
Ich halte es für ein Fehler, wenn man daraus ein Gesellschaftsmodel schneiden will, dagegen spricht die Phänomene der Gremienlähmung und Verantwortungsdiffusion. Und ich empfehle das Buch Logik des Misslingens, der vor Problemen warnt. Rechtlich spricht auch das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Eigentum dagegen.
Vielleicht sollte man ein Perspektivwechsel. Theoretisch kann man Schweden mit ihrer sozialen Absicherung als eine Art Sozialismus ansehen. Milliardenvermögen stehen dem ja nicht so im Wege.
Ja, ich habe was gegen Ohne-Ideologien, das betrifft ohne-Demokratie-Ideologie von den Rechten, wie auch Ohne-Marktwirtschaft-Ideologie. . .
Wie soll der Übergang dorthin erfolgen? Ersatzlose Enteignung aller Besitzenden und Aufteilung unter den Angestellten? Wer darf wo mit welchem Anteil Genosse werden?
Ersatzlos Enteignung ist etwas vollständig anderes als eine Enteignung gegen Entschädigung. Es gibt in Deutschland keine Enteignung ohne angemessene Entschädigung. Dein Kommentar stimmt in sich, hat aber nichts mit dem Thema zu tun.
Auch das setzt du einfach voraus. Was spricht dagegen, wie z.B. in der Landwirtschaft üblich, eine lebenslange Rente zu zahlen, dafür, dass der Chef sich zurückzieht.
außerdem hieß es ja auch
Es ist zum Beispiel schön, dass es mittlerweile einen Rechtsrahmen für private Baugenossenschaften gibt, unschön aber, dass die Hürden, sofern man nicht sehr (sehr sehr) viel Geld zur Verfügung hat und nicht auf Kredite angewiesen ist, sehr hoch sind.
Es ist nach GG nur gegen Entschädigung erlaubt. Nachzulesen in Art 14.
Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
Jede Enteignung braucht eine angemessene Entschädigung. Das ist kein derailen, sondern rechtlicher Rahmen.