LdN430 Machtzentrum Klingbeil

Lieber Ulf, lieber Philip,

ich bin von eurer Analyse in Bezug auf Lars Klingbeil ein bisschen enttäuscht. Meiner Meinung nach geht ihr sehr gnädig mit ihm um und stellt sehr positiv dar, wie er dieses Machtzentrum um sich gebaut hat. Ich finde sein Vorgehen zutiefst problematisch und das nicht nur, aber auch aus einer feministischen Perspektive. Der Umgang mit Saskia Esken in den letzten Wochen war einfach unmöglich und Lars Klingbeil hat seinen Anteil daran. Erst am Tag vor der Bekanntgabe der Minister:innen hat er sich dahingehend geäußert, wie schlimm er den Umgang mit ihr findet. Da wusste er wahrscheinlich schon, dass sie nicht Ministerin werden wird. Die Debatte über Saskia Esken, sowohl öffentlich als auch in der eigenen Partei, läuft aber schon eine ganze Weile. Und damit sage ich nicht, dass Saskia Esken nicht selbst in der Lage ist, sich zu äußern. Ich hätte dennoch mehr Solidarität erwartet.
Mir fehlt ein wenig die Empörung darüber, dass er seine eigene Co-Vorsitzende, die den gleichen Anteil an der Wahlniederlage hat wie er (sowie Scholz und Miersch) so kalt stellt. So entsteht der Eindruck, nur Saskia Esken müsste die Konsequenzen tragen, denn Klingbeil und Miersch haben bisher nur profitiert und zum jetzigen Zeitpunkt muss man davon ausgehen, dass Esken auch nicht Parteivorsitzende bleibt. Auch das sehr weiblich besetzte Kabinett sollte meiner Meinung nach nicht über den schäbigen Umgang mit der eigenen Vorsitzenden hinwegtäuschen.
Zudem finde ich es problematisch, wie sehr sich jetzt an der Spitze der SPD alles auf die Person Klingbeil fokussiert. Das mag auch mit früheren Vorsitzenden so gewesen sein, weniger fragwürdig ist es dadurch nicht. Lars Klingbeil ist nach außen jetzt derjenige, der jetzt das Sagen hat, der entscheidet, wer Posten bekommt und wer nicht. Ihr habt das als etwas positives verkauft, ich zitiere „Er kann halt Macht“. So, wie Lars Klingbeil diese Macht momentan ausübt, muss jeder und jede, die sich gegenüber ihm oder seinen Positionen kritisch äußert, Sorge haben, ähnlich zu enden wie Saskia Esken. Das macht es schwer, an einen offenen Umgang in Fraktion und Parteispitze zu glauben.
Ich hätte mir dazu eine kritischere Analyse gewünscht und würde mich freuen, wenn ihr das noch einmal aufgreift, vielleicht auch zu einem späteren Zeitpunkt, wenn es um den neuen Parteivorstand der SPD geht.

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Genau das haben wir doch auch kritisiert?

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Ich bin etwas verwundert darüber, dass Lars Klingbeil sehr viel mehr Macht hat / haben soll als Saskia Esken. Sie sind doch beide gleichberechtigte Vorsitzende der SPD. Warum konnte sie für sich nichts raushandeln, wenn sie wollte?

Weil sie eine Frau ist und er nach der Niederlage antrittsschneller am Mikrofon war :wink:

Ich denke, es ist fair, der Regierung als Journalist erstmal etwas positiver zu begegnen. Umso mehr, als wir mutmaßlich noch sehr, sehr reichlich Anlass zu massiver Kritik haben werden. Aus feministischer Perspektive ist Esken allein nicht der Skandal, sondern die Personalie fügt sich hervorragend in das Gesamtbild der Regierung Merz. Eine Trümmer-Männer-Truppe, die die Ruinen der politischen Kultur wieder aufbauen müssten, die insbesondere Merz mit seinem Wahlkampf hinterlassen hat. Sowohl Merz als auch Klingbeil ohne Regierungserfahrung und mit mindestens fraglicher persönlicher Eignung, aber männlich und weiß. Da wird es noch viel Material für fundamentale Kritik kommen.

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Spannend, wie unterschiedlich derselbe Podcast wahrgenommen werden kann.
Nach meiner Wahrnehmung waren Ulf und Philip in erster Linie verwundert, wie schnell und nachhaltig Klingbeil seine Machtposition gesichert und ausgebaut hat, obwohl er doch mindestens gleichberechtigt das Versagen der SPD inklusive Scholz zu verantworten hat.
Der positive Spin war dann, dass ein derartiges Machtgespür auch hilfreich sein kann und unter Umständen dem Land nützt.

Hier allerdings ein Problem aus feministischer Sicht zu unterstellen, halte ich nach nach aktuellem Kenntnisstand für höchst fragwürdig und problematisch. Esken wurde nicht kaltgestellt, WEIL sie eine Frau ist, zumindest sind mir keine derartigen Berichte bekannt.
Wir tun uns und der dringenden Feminismus-Debatte in Deutschland keinen Gefallen, wenn wir jedes Mal in dieser Richtung argumentieren, sobald eine Frau einen Posten verliert oder nicht berücksichtigt wird.
Und nach aktueller Lage ist dieser Vorwurf bei jemandem, der über die Hälfte seines Kabinetts mit Frauen besetzt, doch ziemlich haltlos.

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Das ist professionelle Politik, es geht um Ergebnisse und die hängen nunmal an der Beliebtheit der Personen. Aber in dieser Kategorie landet Saskia Esken für gewöhnlich auf dem letzten Platz im Vergleich mit allen anderen.

Beispiel:

Saskia Esken ist einfach für ganz viele Menschen, die auch SPD wählen könnten, ein rotes Tuch. Dazu kommt, dass sie innerparteilich kein Netzwerk hat. Gerade Politiker im Osten (wie Manuela Schwesig) scheinen sich enorm stark dafür gemacht zu haben, dass sie keine Rolle mehr bekommt. In ihrem eigenen Wahlkreis hat sie 13% bekommen (4% weniger als 2021) und Spitzen aus ihrem eigenen Landesverband haben sie wiederholt zum Rücktritt aufgefordert:

Es wäre langsam auch aus Eigenschutz besser, wenn sie einfach zurückträte. Das Kapitel als Vorsitzende nimmt kein glückliches Ende mehr, befürchte ich.

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