LdN422 - Mehwertsteuersenkung Gastronomie

Liebes Lage Team,

ich folge eurem Podcast immer mit großen Interesse.
Ein kurzer Beitrag in eurer Folge aus der Kölner Flora hat mich aber doch erschüttert.
Im Kontext der Analyse der Sondierungsgespräche geht es auch um die Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie.
Eingeleitet wurde dieser Beitrag mit den Worten: „Da gibt es noch so ein paar weirde Sachen“ (min. 10:10). In dieser Folge wird auf eine, meiner Meinung nach, recht sarkastische Weise darüber gespottet, warum es die Mehrwertsteuersenkung von 19% auf 7% in die Sondierungsgespräche geschafft hat. Gastronomen mit Telefonzellenhändlern zu vergleichen finde ich schon äußerst fragwürdig, wenn man bedenkt, dass die Gastronomie einen nicht unwesentlichen Prozentteil des BIP ausmacht und das Gastgewerbe einer der größten Arbeitgeber in Deutschland ist.

Ich bin selbstständige Gastronomin in Köln und betreibe ein Café mit 16 Angestellten. Als Mitglied des Kölner Vereins IG Gastro stehe ich mit anderen GastronomInnen im engen Austausch. Unser größtes Problem ist nicht, wie von Ulf und und Philip zusammengefasst, dass wir keine Mitarbeiter finden. Das größte Problem vor dem wir stehen sind die hohen Kosten für Personal (ca.40% vom Umsatz), Wareneinsatz und Energiekosten und einer hohen MwSt. auf Speisen bei Verzehr vor Ort (ToGo Speisen auf Plastik-Geschirr 7 %-hier wäre ein Witz angebracht).
In den Sondierungsgesprächen ging es ja auch um die Mindestlohnerhöhung auf 15€. In diesem Kontext finde ich es nur richtig auch darüber zu reden wie man ArbeitgeberInnen entlasten kann.

Leider haben wir keine Lobby wie die Auto-Industrie und so ist die Analyse zu der Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie ein bisschen zu kurz ausgefallen. Schade!

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Man kann sicherlich darüber diskutieren, ob die Umsatzsteuer für die Gastronomie bei 19 oder 7% liegen sollte, gerade weil wir ja schon beide Steuersätze haben und es in der Tat Widersinnig erscheint, dass das umweltschädliche „ToGo“ steuerlich stärker begünstigt ist als das Essen-vor-Ort.

Mein größtes Problem mit der Forderung von Umsatzsteuersenkungen für Gastronomie und Gastgewerbe ist, dass es einen problematischen Verteilungseffekt hat. Von Armut betroffene konsumieren ohnehin fast nur „To Go“, also den Döner auf die Hand und ähnliche Schnelligkeiten. Essen im klassischen Restaurant ist etwas, das vor allem die Mittel- und Oberschicht tut, und die braucht wirklich nicht mit einer Senkung der Umsatzsteuer gefördert werden.

Hier muss man fragen: Würden diejenigen, die „richtige Restaurants“ besuchen, wirklich häufiger essen gehen, wenn das Essen 10% günstiger wäre? Ich habe da meine Zweifel… noch schlimmer finde ich diese Diskussion bei Hotelübernachtungen (wie damals durch die FDP umgesetzt), denn die werden wirklich nicht von Armutsbetroffenen, sondern nur von unterer Mittelschicht aufwärts genutzt.

Und hier muss ich sagen, dass es wirklich nicht die Aufgabe der Umsatzsteuer ist, Arbeitgeber zu entlasten, sondern allenfalls die Konsumenten. Und wie gesagt, bei Gastronomie und Hotelgewerbe werden tendenziell diejenigen entlastet, die keine Entlastung brauchen.

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Vielleicht für Mitlesende in diesem Kontext:

Umsatzsteuer ist ein durchlaufender Posten und hat keinen Einfluss auf die Kostensituation eines Unternehmers: Die vereinnahmte Umsatzsteuer muss der Unternehmer 1:1 abführen, darf aber die Umsatzsteuer auf die bezogenen Leistungen (Vorsteuer) davon abziehen. Der Unternehmer ist quasi der „Briefträger“ der die Differenz von vereinnahmter und gezahlter Umsatzsteuer ans Finanzamt trägt. Nur der Endverbraucher, der ja keine Vorsteuer abziehen und keine Umsatzsteuer vereinnahmt, zahlt die Umsatzsteuer, in diesem Fall Mehrwertsteuer genannt.

Die Senkung der Umsatzsteuer für einen Unternehmer hat folgenden Effekt:

Entweder, der Unternehmer senkt seine Verkaufspreise entsprechend. Dann werden seine Waren günstiger und er bekommt - vielleicht - mehr Kunden. Damit werben die Gastronomy-Lobbyisten öffentlich und der Wähler freut sich drauf.

Oder, der Unternehmer senkt seinen Verkaufspreis nicht. Dann steigt sein Nettoverkaufspreis (Verkaufspreis vor Umsatzsteuer) und erhöht 1:1 seinen Gewinn. Das machen tatsächlich die Gastronomen (angesichts ihrer im Eingangspost beschriebenen Kostenentwicklung durchaus nachvollziehbar):

Während der Corona-Pandemie, als die Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie von 19 % auf 7 % gesenkt wurde, entschieden sich die meisten Gastronomen, ihre Preise nicht zu senken. Stattdessen behielten sie die bisherigen Verkaufspreise bei und profitierten von der erhöhten Nettomarge. Als die Umsatzsteuer wieder erhöht wurde, haben die meisten Gastronomen aber alle ihre Preise mit erhöht.

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Hier ein paar zahlen zu der Umsatzentwicklung im Gastgewerbe in NRW

Im Jahr 2021 erreichte der reale Umsatzindex des Gastgewerbes seinen Tiefpunkt (60,9). Nach der Lockerung der Covid-Beschränkungen erholte sich der Index in den folgenden Jahren (2022: 87,7; 2023: 88,0), erreichte jedoch nicht das Niveau von 2019. Im Jahr 2024 sank der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr erstmalig wieder (−1,9 Prozent).
(Quelle: Fünf Jahre Corona: Umsatz und Beschäftigung im Gastgewerbe | Landesbetrieb IT.NRW)

Hier muss ich ergänzen, dass „Gastgewerbe“ Hotellerie und Gastronomie zusammenfasst. Die selbe Erhebung des Landesbetrieb IT.NRW betont jedoch, dass sie die Hotellerie seit Covid besser erholt hat als die Gastronomie.

Und ja, Grund für die schlechte Umsatzentwicklung sind vor allem Rückläufige Gästezahlen seit den Preisanpassungen der gastronomischen Betriebe, nach der Mehrwertsteueranpassung von 19 auf 7 Prozent im letzten Jahr.

Und nun zu meiner persönlichen Perspektive aus meiner Gastro-Bubble heraus. Ich finde, dass deine folgende Einordnung zu pauschal ist

Von Armut betroffene konsumieren ohnehin fast nur „To Go“, also den Döner auf die Hand und ähnliche Schnelligkeiten. Essen im klassischen Restaurant ist etwas, das vor allem die Mittel- und Oberschicht tut, und die braucht wirklich nicht mit einer Senkung der Umsatzsteuer gefördert werden.

Meine Gäste, und die meiner Branchen-Kolleg*innen sind hauptsächlich studentisch. Viele davon, schaut man sich ihr Brutto-Einkommen an, von Armut betroffen. Hinzu kommen Freelancer, Renter*innen, alleinerziehende Mütter, Angestellte aus den umliegenden Geschäften und Büros und natürlich auch besser situierte Leute. Wenn ich mich in der kölner Gastrolandschaft umschaue, sehe ich Eiscafés, Kneipen, Bars, Imbisse, Restaurants und vieles mehr. Jedes Lokal mit einer anderen Zielgruppe. Ich sehe - neben neben den bekannten großen Ketten- viele Kleinstunternehmen.

Hier einfach mal ein paar Zahlen meines Unternehmens. mein Café ist gut besucht. Vor allem im Winter sind wir oft voll ausgelastet. Im Vergleich zum Jahr 2023 haben wir unserem Umsatz um 9% gesteigert. Grund hierfür ist neben anderer Maßnahmen eine Preisanpassung als Reaktion auf die Anpassung der MwSt., Unsere Betriebsausgaben sind um 12% gestiegen. Grund hierfür ist unteranderem die höhere Umsatzsteuer und der höhere Mindestlohn.

Menschen besuchen zwar noch immer mein Café. Es wird auch weiterhin getrunken, jedoch viel weniger Essen bestellt. Insofern würde ich auch von einer niedrigeren MwSt. profitieren, da meine Gäste wieder mehr Speisen konsumieren würden.

Ich bin auch keine Verfechterin der Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie. Viel mehr wünsche ich mir, das kleine Unternehmen mehr in den Blickpunkt der Politik geraten. Auch der Friseursalon, der Bioladen an der Ecke und viele viele mehr. Die Situation ist Existenzbedrohend. Es ist schade, dass viele sich nicht mit ihren Angestellten über die Mindestlohnerhöhungen freuen können.

Ich lebe in einer Einzimmerwohnung, mache die Einkäufe für meinen Betrieb mit meinem Seat Mii und kann mir im Jahr drei Wochen Betriebsfereien leisten. Zum Mittelstand zu gehören ist für mich ein weit entfernter Traum. Bei anderen Gastronom*innen aus meinem Bekanntenkreis beobachte ich dies auch.

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Das würde ich jetzt so nicht sagen. Wenn ich mir so die Familien ansehe, dann sind das schon viele die jeden Euro umdrehen müssen, aber bei der Wanderung dann doch mal in den Biergarten einkehren oder in das Wirtshaus im Dorf wo sie hinwandern. Vor Ort wird dann halt das günstigste bestellt und die Eltern teilen sich die Portion mit den Kindern oder essen selbst gar nichts, aber dass nur Mittel- und Oberschicht von einer Senkung der MwSt. profitieren würden halte ich dann doch für weit hergeholt.

Was sicher richtig ist, wäre, dass der Großteil der absolut eingesparten Kosten eher der Mittel- und Oberschicht zugute kommt. Denn diese dürften nicht nur häufiger Essen gehen, sondern vor allem auch teurer.

Hier muss man fairerweise aber auch dazusagen, dass in dieser Zeit auch Lohnkosten und Wareneinsatz sehr stark gestiegen sind.

Alles in allem sehe ich die Mwst-Senkung auch nicht als wirtschaftlich geboten an, würde sie aber durchaus als legitimen politischen Zweck ansehen. Gerade die Leute die wegen Abstiegsängsten und dem Gefühl niemand mache Politik für sie das Gefühl haben von der Politik nicht mehr gehört zu werden, bekommt hier ein deutliches Signal, dass man auch Dinge entscheidet die Hinz und Kunz zugute kommen.

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Aus der Wahrnehmung im Bekannten- und Arbeitskreis ist bei vielen einhellig die Meinung, dass es mittlerweile einen eklatanten Widerspruch zwischen aufgerufenem Preis und gebotener Ware gibt.
Da wird in der Metro das panierte und vorfrittierte TK-Schnitzel gekauft, die Sauce kommt aus dem 10kg Knorr/ Maggi/ Whatever Eimer, die Pommes sind ebenfalls TK Ware, der Beilagensalat ist geschnitten im Pack gekauft und daraus wird dann ein Jägerschnitzel für 23,90€, noch ein Wasser oder dazu für absurde 4,50€ und man bezahlt für ein Essen, dass zu 100% aus Convenience Produkten besteht knapp 30€ pro Nase.

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Das ist sicher nicht flächendeckend so. Man kann ja leicht feststellen, welches Restaurant so vorgeht und welches nicht; allein schon die Anzahl der Gerichte auf der Speisekarte ist ein ziemlich sicheres Indiz. Der Geschmack und Geruch von Speisen schließlich führt dazu, dass solche Lokale kein zweites Mal betreten werden müssen.

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An der Qualität zu sparen ist meiner Meinung nach auch nicht die Lösung. Ich würde aber vermuten, dass dies bei vielen Gastronomen der letzte Rettungsversuch vor der Schließung ist.

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Das deckt sich aber auch mit meiner Erfahrung im ländlichen Bereich und die Artikel bestätigt die Probleme durch den Personalmangel seit Corona, für den städtischen Bereich habe ich da weniger persönliche Erfahrung.

Die Tendenz ist schon da, das Gastronomen wenn die Situation schwierig ist, zu Convenience greifen.
Sie sind planbarer, vermutlich kostengünstiger und es werden weniger Fachkräfte gebraucht, sie zuzubereiten.
Es ist aber wie du schon schreibst, der wohl letzte Rettungsanker für Gastrobetriebe, die schon in Schieflage sind.
Ich sehe das schon auch wie @pbf85, dass es sich zu einer Zweiklassengesellschaft entwickelt.
Wir gehen auch nur noch Essen mit Freunden, des gemeinsamen Erlebnis wegen und das kommt so oft(selten) vor, dass es für uns schlussendlich keine Rolle spielen würde, wie hoch der MwSt-Satz ist.
Wir würden aber keine Betrieb nochmal besuchen, nur weil er günstiger (durch eine MwSt-Reduzierung) ist aber die Qualität bei den Speisen, dem Service etc nicht passt.
Wir haben hier mittlerweile einige Restaurants, da ist man als Paar mit Vor- oder Nachspeise und zwei Softdrinks ohne Probleme 100€ los, ohne das es sich hier um gehoben Gastronomie handelt.

In meiner persönlichen Wahrnehmung hat ein Großteil der mir bekannten Gastrobetriebe, in den letzten 3 Jahren einen Preisanstieg hingelegt, der nur noch in wenigen Fällen mit dem was man als Gast geboten bekommt zu rechtfertigen ist.
Da geht man als Gast halt nicht mehr hin, völlig unabhängig vom MwSt-Satz.

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Erst mal vielen Dank für deine Beiträge und deine Perspektive aus der Praxis.
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich beim Lesen am Anfang dachte „Ja, klar, Cafébesitzer, jammert über die hohen Kosten und findet die USt-Senkung super.“ Aber irgendwann hab ich dann auch gemerkt, dass dein Beitrag sehr viel differenzierter ist und insbesondere dieser Absatz hat mich sehr nachdenklich gemacht:

Ich denke auch nicht, dass nur (relativ) reiche Menschen Restaurants besuchen oder dass das ein Luxis ist bzw. sein sollte. Und wie du richtig schreibst, geht es ja bei Weitem nicht nur um die Gastronomie. Die immensen Preissteigerungen der letzten Jahre, die ja nicht „weg“ sind, nur weil die Preise nicht mehr so stark steigen, machen Menschen - und auch Unternehmern - halt unterschiedlich stark zu schaffen. Das mag woanders, etwa in den USA, noch viel schlimmer sein, aber man kriegt doch überall mit, dass es nicht wenige Menschen sind, die sehr viel mehr darauf achten müssen, wofür sie ihr Geld ausgeben - auch in der Mittelschicht. Von dem was ich mitkriege, sind es in verschiedenen Branchen eher kleinere, unabhängige Läden, die auf gute Qualität (fair, bio) für einen kleinen Kundenkreis setzen, die gerade verstärkt pleite gehen. Die Großen und die Ketten bleiben, aber für alle gilt: Die Leute trinken halt ein Bier statt drei oder gehen alle zwei Wochen essen, statt zwei Mal die Woche. Das lässt sich natürlich allein über Steuergeschenke nicht ändern - erst recht nicht, wenn sie so selektiv sind wie im Sondierungspapier von Union und SPD. Aber es ist ein Problem, das dringend adressiert gehört. Und das passiert aus meiner Sicht nicht systematisch genug. Das kann zumindest dazu beitragen, dass Menschen sich nicht gesehen fühlen und weiter das Vertrauen in etablierte politische Kräfte verlieren. In einer solchen Situation dann noch ohne breite gesellschaftliche Debatte anzukündigen, dass alleine für Militär und Verteidigung der Geldhahn „unlimited“ aufgedreht wird, dürfte dem nicht gerade entgegenwirken - egal für wie notwendig man das auch inhaltlich finden mag.
Ich hab jetzt auch keinen Plan in der Tasche, aber wenn die beiden größten demokratischen Parteien es nicht wenigstens schaffen, glaubwürdig zu vermitteln, dass sie dieses Problem auf dem Schirm haben, ahne ich ehrlich gesagt nichts Gutes.

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Es kommt hier natürlich auch auf die individuelle Perspektive an. Ich z.B. koche gern und mit der Zeit auch immer besser und bin daher nicht wirklich bereit für eine Qualität die ich zuhause besser hinbekomme pro Portion 20 € zu zahlen, wenn ich daheim mit 30 Minuten Arbeit für die Hälfte an Warenwert die ganze Familie satt machen kann.

Also mal schnell am Abend zum Italiener der einfache Nudelgerichte in Standardqualität anbietet um sich das Kochen zu sparen käme für mich nicht in Frage.

Wenn ich essen gehe, dann muss dort einerseits die Qualität stimmen und andererseits auch Preis/Leistung. Ich kann ja sowohl Wareneinsatz als auch Arbeitsaufwand einschätzen. Natürlich kostet auch ein Gericht mit wenig Wareneinsatz aber viel Arbeitsaufwand seinen berechtigten Preis. Essen gehen heißt bei uns aber abseits von Geschäftsreisen meist Ausflug mit Essengehen.

Ich glaube, dass die Gastronomie hier auch mit einem Wandel der Gesellschaft umgehen muss. Während viele Leute gerne viel Geld für Reisen ausgeben sitzt das Geld für lokale Gastronomie nicht mehr so locker wie früher. Man muss also immer auch etwas bieten, von alleine kommen die Gäste nicht mehr, nur weil das Lokal um die Ecke ist. Und viele gut gehende Gaststätten zeigen ja, dass es wohl schon für viele noch immer funktioniert.

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Ich füge dem mal die Perspektive der Steuerberatung hinzu, in der ich länger gearbeitet habe. Hier hatte ich mit vielen der von dir genannten Betriebe zu tun. Das Problem ist hier meines Erachtens, dass es, wie überall im Unternehmertum, extreme Unterschiede gibt. Der eine Laden läuft super und der Geschäftsführer verdient mächtig daran, die nächste kämpft mit dem Überleben. Was davon zutrifft hängt von vielen Faktoren ab (Qualität der angebotenen Dienstleistungen ist zentral, aber auch die Frage, ob die Preise richtig kalkuliert werden und die Zielgruppen richtig angesprochen werden…).

Das Problem, gerade in der Gastronomie, ist zudem die Steuerhinterziehung, die allgegenwärtig ist und meines Erachtens vom Staat fast eingepreist wird, weil man weiß, dass man sie nicht verhindern kann. Da wird dann gerne mal etwas an der Kasse vorbei verkauft (was bei der Betriebsprüfung anhand statistischer Methoden durchaus auffällt!), vor allem aber werden die Löhne an die Mitarbeiter in der Regel bar ausgezahlt. Das führt dann zu absurden Situationen, in denen man in der Steuerberatung dem Inhaber der Döner-Bude erklären muss, dass kein Finanzamt ihm glauben wird, dass er bei 14 Öffnungsstunden am Tag nur etwa 6 Stunden Lohn zahlt (natürlich alles auf Minijob-Basis), obwohl man weiß, dass dort von 12-22 Uhr zwei Personen hinter der Theke stehen… die muss man regelmäßig darauf hinweisen, dass kein Finanzamt ihm glauben wird, dass er 14 Stunden am Tag arbeitet (und dann auch noch die Einkäufe während der Öffnungszeit erledigt).

So lange in der Gastronomie alles im „Halbdunkel“ stattfindet ist es sehr schwierig für den Staat, einen realen Überblick zu bekommen, wie gut oder schlecht es den Gastronomen wirklich geht. Auch der Vergleichsmaßstab zu Arbeitnehmern ist natürlich wichtig: In den Problembereichen ist eine Betriebseröffnung ohne jede Qualifikation möglich, um eine Dönerbude oder einen Kiosk zu eröffnen braucht man wortwörtlich nicht mal einen Hauptschulabschluss. Vor diesem Hintergrund kann man da auch als Unternehmer nicht erwarten, wirklich viel zu verdienen. Klar, man investiert ein wenig Geld, aber die Alternative zum Dönerbuden-Betrieb ist für die meisten ein Job zum Mindestlohn. Hier sind dann die Erwartungen, die ich in der Steuerberatung so mitbekommen habe, wenn die Leute geklagt haben, wie schlecht der Laden läuft und wie hoch die Steuern seien, dann doch oft einfach zu hoch. Mit einer Dönerbude oder einem Kiosk wird man eben definitiv nicht zum Gutverdiener, es sei denn, man macht ein Franchise draus. Das ist aber ein Kapitalismus-Problem („Niemand ist jemals aus eigener Hände Arbeit Reich geworden…“), dick verdienen tun halt nur diejenigen, die von der gekauften Arbeitszeit anderer profitieren.

Wie kann man diesen Betrieben also helfen? Ehrlich gesagt nicht wirklich. Gute Dönerbuden und Caffees bleiben über Jahrzehnte bestehen (selbst in Problemvierteln!), in meinem unmittelbaren Wohnumfeld (sehr migrantisch geprägt) haben wir einige Dönerbuden, Cafees, Friseure und Kioske, die seit Jahrzehnten bestehen. Schlechte hingegen kommen und gehen. Ich sehe nicht, wie man das verhindern könnte - oder warum man es überhaupt sollte. Einerseits wird das Unternehmertum beschworen, dann aber doch wieder nach staatlicher Unterstützung gerufen.

Wie gesagt, aus der Steuerberatung kann ich nur sagen, dass ich beide Fälle zur Genüge gesehen habe: Caffees bei denen jeder Arbeitnehmer neidisch auf die Einkünfte des Geschäftsführers ist und Caffees, die täglich um’s Überleben kämpfen. Oft mit weniger als 200 Meter Luftlinie dazwischen…

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Das ist auch bei uns und in unseren Bekanntenkreis ein Punkt, der durch Corona verstärkt wurde.
Ob das allerdings ein Phänomen ist, das sich relevant im Gesamten auf die Gastronomie auswirkt, kann ich nicht beurteilen.
Ich könnte mir vorstellen, dass vor allem im urbanen Raum, durch die steigende Zahl von Singelhaushalten, tendenziell sogar immer weniger Menschen selber richtig kochen?

Meine Vermutung ist, auch wenn die betreffenden Gastronomen das wohl nie zugeben würden, viele Jahre lang beruhte ihr Geschäftskonzept darauf, durch günstige Arbeitskräfte finanziell tragbar zu sein.
Ob das der schlechte Stundensatz vor der Einführung des Mindestlohns 2015 war, der durch Trinkgeld und „bar auf die Hand“ ausgeglichen werden konnte etc. pp.
Durch Corona haben viele Beschäftige eben festgestellt, Mindestlohn ist für die harte lange Arbeit eher nicht die beste Wahl und kamen nie wieder in die Branche zurück, wie der oben von mir verlinkte Artikel ja darlegt.

Ich sehe das schon, das der gesamte Gastrobereich vor großen Herausforderungen steht und auch das der Part der Personalkosten für kleine Betriebe ein gewichtiger Punkt ist.
Auf der anderen Seite gibt es doch viele positive Beispiel, die mit neuen Ideen und Konzepten erfolgreich sind.
Hier gilt, wer mit den Ideen von gestern die Zukunft gestalten möchte, wird wohl eher scheitern.

Und wiegt die soziale Relevanz so stark, dass es wichtig wäre, Gasstätten als Begegnungstätte zu subventionieren, dass sie erhalten bleiben können obwohl das wirtschliche Konzept nicht mehr aufgeht?
Wir haben z.B. im Hauptort unsere Gemeinde keine einzige Gaststätte mehr, nur noch Dönerbuden, weil es sich wohl nicht trägt.

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Auch der Faktor Zufall spielt eine nicht unwichtige Rolle. In meinem Bekanntenkreis war jemand in den letzten 10 Jahren an vielen Eröffnungen beteiligt, davon 6 größere Eröffnungen die ich verfolgt habe, alle ziemlich mit dem gleichen Team an Leuten was die Organisation angeht. 2 von den 6 laufen seit Jahren super, eins wohl ganz gut, wobei hier wohl der Betrieb teils unterverpachtet wurde und 3 sind nach wenigen Jahren mangels nachhaltigem Plus wieder geschlossen worden, obwohl ich selbst sagen kann, dass das Konzept schlüssig, die Preise normal und die Qualität gut war.

Er sagte selbst, dass oftmals Kleinigkeiten entscheiden. Das kann eine einfache Gruppendynamik sein. Schlechtes Wetter in den Anfangsmonaten trübt die ersten Eindrücke, während gutes Wetter diese verstärkt. Was öffnet oder schließt in der Umgebung. Wie entwickeln sich Foodtrends, etc.

Bei uns auf den Dörfern haben manche einen Stamm an Bedienungen die teils seit Jahren dort arbeiten. Die haben als Student*innen angefangen und manche helfen da nochmal bei Festen oder Not am Mann aus obwohl sie längst mit Abschluss fest in einem Beruf arbeiten. Die wurden aber auch alle fair behandelt und auch bezahlt wenn der Laden mal leer blieb. Dazu gab es was zu essen und Getränke frei und hier und da auch mal einen Betriebsausflug auf Kosten des Hauses.

Andere haben ihre Bedienungen dagegen wenn der Laden leer war wieder heimgeschickt, auch wenn deren Tag dann schon verplant war. Lukrative Veranstaltungen hinsichtlich Trinkgeld haben die Leute aus der Familie gemacht und zum Teil Kassiert wegen des Trinkgelds ausschließlich Chef oder Chefin selbst. Da waren die Leute natürlich schnell weg oder sie finden heute einfach niemanden mehr. Sowas spricht sich ja auch rum. Früher gab es halt noch viele Frauen die froh drum waren ein bisschen was dazuzuverdienen, die sind heute halt zu weiten Teilen auch in einer guten Stelle mit der die Gastro konkurrieren muss.

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Heute früh bei Mastodon gesehen zu dem Thema:

und dazu:

Das Merz auch kleinen Gaststätten mit der MwSt-Senkung hilft, ist vielleicht nur ein Nebeneffekt.

Der Artikel ist von 2020, tendenziell scheint es besser zu werden. Seit Ende der Pandemie ist die Anzahl der Minijobs in der Gastronomie rückläufig.
Das repariert aber nicht den Schaden der letzten Jahrzehnte, die leider überwiegend Frauen mit Altersarmut ausbaden müssen, weil sie in der Gastro prekär beschäftigt waren, und das auch noch Teil des Geschäftsmodell war.
Wäre mehr Personal schon viel früher ordentlich angestellt und bezahlt worden, hätten sich wohl mehr Betriebe als wirtschaftlich nicht tragfähig erwiesen.

Obwohl man natürlich für jede Einzelmaßnahme Argumente finden kann, glaube ich schon, dass die neue Koalition in spe mit ihrer spendablen Finanzpolitik Klientelpolitik betreibt. Sei es die MWSt.-Senkung für Gastronomen, die Erweiterung der Mütterrente, die Rückkehr zur Agrardieselsubventionierung - immer profitiert nur eine kleine Gruppe.
Dabei gäbe es wesentlich effektivere und auch wichtigere Möglichkeiten, Menschen zu entlasten.
Ich greife (wieder mal) das Thema GKV auf, weil ich mich da gut auskenne. Zu den Kosten: MWSt.-Senkung Gastronomie 4,3 Mrd., Mütterrente 2,9 Mrd., Agrardieselsubvention 0,5 Mrd, Erhöhung der Pendlerpauschale 2,3 Mrd. zusammen 10 Mrd. Euro.
Damit könnte der Bund, wie schon lange gefordert die Kosten für Bürgergeldempfänger bei der GKV vollständig ausgleichen (was eigentlich sowieso seine Pflicht wäre) und der Zusatzbeitrag könnte um 0,5 Beitragspunkte sinken.

Zahlen die Bundesländer die Kosten für die notwendigen Investitionen in Kliniken mit dem wahrscheinlich jetzt zur Verfügung stehenden Geld des Infrastuktur-Sondervermögens vollständig (ist erstens sowieso Aufgabe der Länder und zweitens eindeutig Infrastuktur), könnte man den umstrittenen Beitrag der GKV von 25Mrd. ebenfalls in Beitragssatzsenkungen stecken.

25 Mrd. sind mehr als 1% Beitragsatz!

Mit solchem Einsatz von Finanzmitteln würden alle gesetzlich Versicherten profitieren (88% der Erwerbstätigen in Deutschland). Der durchschnittliche Zusatzbeitrag könnte von 2,5% auf unter 1% sinken! Zusätzlich würden deren Arbeitgeber durch geringere Lohnnebenkosten (die dann endlich wieder bei ca.40% wären) profitieren und damit Arbeitsplätze in Deutschland konkurrenzfähiger.
Das wäre für mich ein Beispiel von gesamtgesellschaftlichem Nutzen vs. Klientelpolitik.

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Ich würde gerne wissen, was Deiner Meinung nach passieren muss?

Deine Problembeschreibung ist sicher richtig.

Wer aber verspricht, dass er etwas gegen die steigenden Preise tut, muss auch erklären, wie er das tun will.

Denn die allgemeine Preissteigerung bekommt die Politik nicht einfach zurückgedreht.

Es sei denn, man provoziert „mit der Kettensäge“ eine Deflation - was eine volkswirtschaftliche Katastrophe würde (niemand kauf etwas, wenn er erwartet, dass es morgen günstiger wird).

Der m.W. einzige Weg, etwas gegen gestiegene Preise zu tun, ist es, Real-Lohn- und Gehaltssteigerungen zu erreichen.

Entweder durch massive Senkung der persönlichen Steuern oder Abgaben (GKV-Beiträge, wie oben erwähnt) - v.a. bei den niedrigeren Einkommen - oder der Umsatzsteuer. Dafür ist kein Geld da, wenn man gleichzeitig die Mütterrente, die Umsatzsteuerreduzuierung für Gastronomie und die Steuersenkung für Reiche finanzieren möchte …

Oder durch eine florierende Wirtschaft, in der die Arbeitnehmer dann leichter Lohn- und Gehaltssteigerungen durchsetzen können (allerdings nicht so florierend, dass die Preise wieder anzusteigen beginnen)…

So schwierig die Situation für @VPeters ist, ich weiß nicht, ob eine MWSt-Senkung hier das richtige Werkzeug ist.

  1. Es versteht eh kein Mensch mehr, warum wo welcher reduzierte Satz gilt.
  2. Eine Senkung wäre ein einmaliger, nicht zielgerichteter Effekt (Wie wird verhindert, dass Lieferanten etwas davon mitnehmen?)

Die Beschreibung von @VPeters deckt sich mit meiner persönlichen Wahrnehmung: man geht seltener Essen. Die Preise tun einfach richtig weh.

Geld ist genug da in Deutschland.
Es ist offensichtlich nicht mehr in den Taschen vieler Café- und Restaurantbetreiber.
Es ist offensichtlich nicht mehr in den Taschen vieler ehemaliger Café- und Restaurantbesucher:innen.

Wir müssen über Umverteilung reden und uns nicht von Migrationsdebatten ablenken lassen.

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Liebes Lage-Team,

ich höre euren Podcast regelmäßig und schätze eure fundierten Analysen sehr. In der letzten Folge wurde erwähnt, dass Gastronomen die Erleichterung der Mehrwertsteuer nicht brauchen würden. Als selbstständiger Gastronom, der seit zwei Jahren sein eigenes Restaurant führt und aktiv in der Branche arbeitet, möchte ich euch dazu eine Rückmeldung geben.

Natürlich gibt es in der Gastronomie auch gut laufende Betriebe, aber die Realität ist oft eine andere: Wir kämpfen nicht nur mit steigenden Kosten für Lebensmittel, Energie und Miete, sondern auch mit einer enormen Bürokratie. Hier einige Beispiele:
• Dokumentationspflichten: Die Arbeitszeiten müssen minutiös erfasst werden, was mit der täglichen Realität im Schichtbetrieb schwer vereinbar ist.
• Mindestlohn & Lohnabrechnungen: Seit Januar zahlen wir bereits 15 € pro Stunde, was absolut fair ist. Doch die Lohnnebenkosten und der Verwaltungsaufwand für kleine Betriebe sind enorm.
• Kassenführung & Fiskalisierung: Strenge Vorschriften zur Kassenführung erfordern teure Systeme und regelmäßige Prüfungen, die für kleine Restaurants schwer zu stemmen sind.
• Lebensmittelkontrollen & Hygieneverordnungen: Natürlich sind diese wichtig, aber die Umsetzung ist mit viel Papierkram und oft widersprüchlichen Vorgaben verbunden.

Ein Punkt, der mir besonders wichtig ist: Es kann nicht sein, dass Arbeitnehmer in unserer Branche weiterhin auf Trinkgeld angewiesen sind. Wir Arbeitgeber zahlen faire Löhne, aber das System ist so aufgebaut, dass Trinkgeld eine essenzielle Einkommensquelle bleibt – was nicht gerecht ist.

Ich würde mir wünschen, dass solche Aspekte in der Debatte stärker berücksichtigt werden. Vielleicht könnt ihr das Thema ja in einer der nächsten Folgen noch einmal aufgreifen.

Viele Grüße

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