LdN421 Mehrheitsfindung am neuen Bundestag vorbei?

Lieber Ulf, lieber Philip,

unabhängig davon, ob die konkreten Vorschläge zur Reform der Schuldenbremse und den Sondervermögen von der Union und der SPD sinnvoll sind oder nicht, möchte ich darauf hinweisen, dass es aus meiner Sicht problematisch ist, diese Themen „noch schnell“ im alten Bundestag abzuarbeiten, nur weil die neuen Mehrheitsverhältnisse ungünstiger sind.

Der zeitlich Aspekt auf Grund der Vorfälle im weißen Haus erscheint mir wichtig und ich möchte ihn nicht ignorieren. Trotzdem fühlt es sich für mich so an, als würde Merz den „Wählerwillen“ ignorieren, denn der würde ihn zwingen, sich mit der Linken auseinander zu setzen und mit ihnen einen Kompromiss zu finden. Es fühlt sich nicht richtig an.

Es entsteht mit dem Mänover über den alten Bundestag das Gefühl, man übergeht den Wähler. Ist das nicht ggf. Wasser auf die Mühlen der Extremen? Hätte man das nicht als erstes auf die Tagesordnung im neuen Bundestag setzen können? Wie seht ihr das?

Liebe Grüße
Thomas

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Hierzu vgl.

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Die Gesetze sind extra so gestrickt, dass der Bundestag immer handlungsfähig bleibt, d.h. die Entscheidung mit den alten Mehrheiten müsste juristisch möglich sein.

Fragwürdig oder angreifbar könnte es vielleicht sein, wenn für den einzelnen MdB nicht genug Zeit bleibt, die Gesetzesvorlage zu durchdringen, so wie Herr Heilmann damals erfolgreich bei der GEG-Änderung erfolgreich beanstandet hat.
Wäre aber hier wohl möglich, entsprechende Zeiten einzuhalten, vgl. Podcast Machtwechsel (gegen Ende).

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Und es ist auch keine Premiere. Ende der 90er Jahre beim Einsatz im Kosovo hat es das auch schon einmal gegeben.

nicht unbedingt man hätte auch jetzt im alten Bundestag mit den linken sprechen können, um sich diese legitimation zu holen. Dass den konservativen der demokratische Prozess eh egal ist merkt man halt auch daran, wie man über die Grünen vom Leder lässt, obwohl man deren stimmen braucht oder wie lange Merz Wahlplattform überlebt hat. Nicht mal ganz zwei Woche.

Man sollte hier auch im Blick behalten, dass Sondervermögen als politische Routine ein grundsätzliches Problem aus staatstheoretischer Sicht ist. Regieren im angeblich dauerhaften Ausnahmezustand ist nicht der Sinn des Handlungspielraums in der Verfassung.

Verwundert sollte man allerdings nicht sein, konservative haben eine sehr instrumentelle Beziehung zu demokratischen Prozessen.

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Das sieht das Grundgesetz sogar explizit so vor. Wurde eigentlich auch alles schon in dem oben verlinkten Thread diskutiert.

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Ich finde diese Art Abstimmung durch die Hintertür auch extrem undemokratisch. Die Lage in der Ukraine ist seit Jahren schlecht, Deutschland weiß seit Jahren wie es um die Bundeswehr und Bündnisfähigkeit steht und es war auch absehbar, dass Trump noch mal ins Weiße Haus einziehen könnte.

Mehr als dieser Versuch mit alten Mehrheitsverhältnissen unter Umgehung der Linken und der AfD zu arbeiten finde ich aber dieses generelle „Vor der Wahl so, nach der Wahl so, und morgen vielleicht ganz anders“ absolut daneben. Die Unionsparteien haben jetzt drei Jahre selbst kleinste Beträge verweigert - unter grandioser Mithilfe der FDP - und dadurch fehlte Geld für Deutschlandticket, Geld für die Kindergrundsicherung und eben auch für die Ukraine. Das waren drei Jahre Zirkus aus purem Politkalkül.
Auch jetzt noch Sondervermögen ohne das Hauptthema der aktuellen und kommenden Generationen, nämlich Klimaschutz, aufzulegen und nur die Bundeswehr von der Schuldenbremse auszunehmen ist einfach ein Schlag ins Gesicht aller Menschen unter 60. Gerade Klimaschutzmaßnahmen, ob das in den Kommunen, Ländern oder im Bund ist, müssten fast generell von Verschuldungsbremsen ausgenommen sein.
Ich hoffe, dass die Grünen sich diesen Kuhhandel teuer bezahlen lassen (etwa in Form von "Investitionen nur in Bildung und klimafreundliche Infrastruktur) und Merz und Söder sehr viele Kompromisse eingehen müssen.

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Für das Sondervermögen wird eine 2/3 Mehrheit benötigt. Für die Änderung der Schuldenbremse ebenfalls. Von daher ist es doch nicht weniger legitimiert ein Sondervermögen aufzulegen, als die Schuldenbremse zu ändern oder gar abzuschaffen.

In einem Interview mit einem Verfassungsrechtler heute brachte dieser noch den Punkt, das es sich ja um eine vorzeitig aufgelöste Regierung/Bundestag handelt.
Das könnten Gerichte ggf. Anders interpretieren.

Die Frage ist doch, wie ich bereits in einem anderen Thread gefragt habe:

Wieso ist es überhaupt notwendig das noch im alten Bundestag zu beschließen? Die 500 Milliarden für Investitionen in die Infrastruktur sind mit der Linken machbar. Liegt es nicht eher daran dass sich die Union ziert mit der Linken abzustimmen?

Ich denke, das ist des Pudels Kern. Merz wird es wahrscheinlich auch egal sein, von wem er die Stimmen bekommt (wie schon gezeigt), sein Problem werden die Kompromisse sein, die er dafür eingehen muss. Und dafür muss er mit einer von zwei Parteien zusammenarbeiten, für die es in der CDU einen Unvereinbarkeitsbeschluss gibt.
Das ist ein Dilemma.

Würde ich gerne lesen oder hören, wenn du eine Quelle hast. Spontan leuchtet mir das nicht ein, weil bei einer Neuwahl ja trotzdem das Kontinuitätsprinzip gilt, also der alte Bundestag beschlussfähig sein soll, bis der neue zusammentritt. Das einzige was sich ändert, sind die verkürzten Fristen vor der Wahl, aber zum Prozedere nach der Wahl bei einer vorgezogenen Neuwahl sagt das Grundgesetz m. E. nichts.

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Natürlich benötigt die umgehung der Schuldenbremse, die selbe Mehrheit, wie die Änderung der Schuldenbremse selbst.

Der Punkt ist aber, dass das Prinzip der Haushaltseinheit gilt. Dass es legale ausnahmen in Verfassungsordnungen gibt ist normal. Diese Ausnahmen schaffen handlungspielraum, sind allerdings nicht dazu gedacht zur Regel zu werden, weil diese sonst die Verfassungsordnung unterhöhlen. Ausnahmen bekommen ihre legitimitation eben dadurch, dass diese gerechtigfertigt werden durch einen Ausnahmezustand. Dieser Ausnahmezustand steht per definition außerhalb oder in einem Graubereich der Verfassungsordnung und erzeugt daher inhärent eine Spannung im Verfassungsgefüge. Der witz der Sondervermögen im GG ist gerade die Umgehung des Notstandparagraphen der Schuldenbremse indem man diese Vermögen einfach direkt in die Verfassung schreibt.

Zu mal die Unterhöhlung der Schuldenbremse zur Aufrechterhaltung der Schuldenbremse, ziemlich deutlich aufzeigt was hier das grundsätzliche Problem ist: Die Reformunfähigkeit des deutschen Gesetzgebers. Wenn das so weiter geht wird das nicht die letzte Sonderregelung gewesen sein.

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Muss ich schaue ob ich das finde

Klar die Union hat ja noch diesen tollen „Unvereinbarkeitsbeschluss“, der auch bezüglich der Linken gilt.
Wobei ich auf das Blatt Papier in der aktuellen Lage (und bei sagen wir mal Merz neu gewonnener „Flexibilität“) auch nicht viel geben würde.

Ich denke der entscheidende Punkt ist:
So kriegt die CDU das ganze Thema noch ohne komplette Abschaffung der Schuldenbremse über die Bühne (Sonderausgaben nach aktuellem Vorschlag ja zweckgebunden). Im neuen Parlament wäre vermutlich eine 2/3-Mehrheit mit der Union für die Abschaffung der Schuldenbremse da, aber das wäre natürlich ein weiterer Wortbruch.

Und auch wenn ich von Thorsten Frei politisch nicht viel halte: Lasst den armen Mann nicht auch noch in jeder Sendung erklären, warum die Schuldenbremse jetzt ganz abgeschafft werden muss. Der sieht aktuell schon bisschen fertig aus vom ganzen Zurückrudern :sweat_smile:

Hallo zusammen,
Ich verstehe ja dass man sagt man kann Verteidigung nicht von der Schuldenbremse abhängig machen…
Aber schon ab 1% BIP ?
Das ermöglicht schon 40MRD mehr Schuleen.
Dann noch 50 MRD/Jahr für Infra-Sondervermögen, ausserdem ca 3 % für Verteidigung (1% mehr als jetzt), 40 Mrd mehr, das wären dann 130 Mrd mehr !! Neuverschuldung, zu den ohnehin 30 Mrd.
Also va 160 MRD / Jahr !
Die Anleiherenditen Deutschlands sind heute um 0,4% auf 2,9%.
Ich meine, Schuldenbremse lockern ok, aber hier sollen scheinbar „Blanko-Schecks“ ausgestellt werden, mit ernormer Tragweite!
Dies noch schnell im alten Bundestag beschließen zu wollen, sehe ich kritisch.
Das alles nur weil der Merz die Ampel mit allen Mitteln zum Fall bringen wollte und ihr - trotz wirtschaftlicher und geopolitischer Notwendigkeit, nichts „gegönnt“ hat.
Ich wünsche dass die Grünen den Merz dafür schön „grillen“… hat er sich redlich verdient IMHO.

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Echt super, dass so viele von euch das auch kritisch sehen. Durch die ganzen Beiträge konnte ich meinem unguten Gefühl ein bisschen mehr Klarheit verschaffen. In der Lage wurde ja bereits gesagt, dass es vermutlich legal sei. Dennoch bleibt ein unguter Beigeschmack, der sich bei mir durch die folgenden Punkte kristallisiert hat:

  1. Das Übergehen der Linken im neuen und alten Bundestag.

Danke für den Hinweis oder die Erweiterung des Denkansatzes.

  1. Die Kehrtwende innerhalb kürzester Zeit nach der Wahl, trotz vorheriger vehementer Ablehnung, und der dadurch entstandene Schaden an der politischen Glaubwürdigkeit aller PolitikerInnen.

Dazu habe ich noch ein sehr treffendes Zitat von Ricarda Lang auf X gefunden, ich hoffe, die Einbindung klappt: https://x.com/Ricarda_Lang/status/1897277649271316680?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1897277649271316680%7Ctwgr%5E2b26e05d734ff5e7b34a1fd0a613d04963ebc15a%7Ctwcon%5Es1_c10&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.merkur.de%2Fpolitik%2Fwochen-ricarda-lang-befuerchtet-kiffenden-markus-soeder-gebt-den-sondierungen-noch-zwei-93609227.html

  1. Zuletzt kommt noch hinzu, dass die Reform der Schuldenbremse ohne Beachtung der Klimaschutzmaßnahmen aus meiner Sicht unvollständig ist, da auch hier enorme Kosten für die kommende Generation entstehen, die nicht berücksichtigt werden.

Vielen Dank für die Hilfe beim Verstehen des Gefühls und liebe Grüße
Thomas

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Grad ein Interview gelesen in unserer Tageszeitung von Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

Er sieht eine Grundgesetzänderung mit dem alten Bundestag nach Artikel 39 des Grundgesetzes als völlig rechtmäßig an.
Er bemerkt allerdings auch, ob das politisch vertretbar sei und wie das beim Wahlvolk ankomme, stünde auf einem anderen Blatt.

Ich denke, es werden von anderen Parteien Klagen kommen, warten wir ab.

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Das klingt für mich sehr unwahrscheinlich. Eine Regelung, die die Handlungsfähigkeit des Parlaments sicherstellen soll, soll gerade in Krisen nicht gelten?

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Siehe meinen Post darüber. Klingt für mich seriöser

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