LdN395 Was wählen wenn die demokratischen Parteien versagen?

Um es nochmal deutlich zu sagen: es geht nicht um eine Täter-Opfer-Umkehr oder darum, das Wählen von Rechts- (oder links-) extremen Parteien zu entschuldigen.

Ich halte nur das Narrativ für wenig belastbar, das die AfD-Wähler unabhängig vom Alter morgens mit rechtsextremer Einstellung aufgewacht sind oder alle schon immer rechtsextrem waren, es jetzt aber erst öffentlich rauslassen.

Das entlässt nämlich die bislang verantwortliche Politik als auch uns als Gesellschaft aus der Verantwortung. Das wäre fatal, den ein „Weiter so“- bringt ja offenbar keine positive Wende.

Jede (Wahl-) Entscheidung hat ja Ursachen, wie rational diese letztlich auch sein mögen.
An den sollte man arbeiten, nicht indem mal die Symptome (AfD-Wähler) als unrettbar beiseite stellt. Das hält unsere Demokratie auf Dauer nicht aus, da wir damit die „Opferrolle“ weiter stärken.

Da müssen wir uns schon alle mit in die Verantwortung nehmen.

Just my 50ct

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Grade die jüngste Wahl in Brandenburg zeigt aber eines sehr deutlich: Nach praktisch allen Werten wird dort ziemlich ordentliche Politik gemacht. Das sehen - ausweislich der Beliebtheitswerte für Woidke - auch sehr viele Wählende aller Parteien so. Die 30%, die dann AfD wählen, sind entweder zu dumm, ihren eigenen Interessen entsprechend zu wählen, oder schlicht böswillige Staatsfeinde, die Staatsfeinde wählen wollen.

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So auf die Schnelle

https://www.polver.uni-konstanz.de/fachbereich/aktuelles/news/details/kilian-hampel-warum-deutsche-jugendliche-populisten-waehlen/

Die Daten zeigen zumindest, dass es Fremdenfeindlichkeit schon sehr lange in der Größenordnung gibt, wie sie jetzt zugunsten der rechtsextremen AfD mobilisiert werden kann.

Und zwar schon weitaus länger, als es die AfD überhaupt gibt.

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Das stimmt, man geht von 20-25% latentem Rechtextremismus in Deutschland aus.

Wenn wir natürlich sagen, das ist halt so, wie gehen wir damit um?

Das finde ich dann aber auch wichtig das so zu kommunizieren. Es macht ja einen großen Unterschied, ob etwas eine gefühlte Wahrheit bzw. eine Aufnahme in der Gesellschaft ist oder wirklich auf Fakten beruht. Die Story des „Zeigefingers“ bzw. des „Besserwissers“ wird von den politischen Gegnern ganz bewusst als Waffe eingesetzt, wie ich hier zeigte: Hass gegen die Grünen - #82 von thunfischtoast
Gleichzeitig wird von anderen dann ein Handeln nach „Gesundem Menschenverstand“ (z.B. Linnemann zur angedachten Reform des Bürgergelds) gefordert. Alles schöne Phrasen, die sich in der Realtität aber nicht an konkreten Handlungen festmachen lassen.

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So lange tolerieren, wie die sich demokratisch integrieren lassen und darauf achten, dass sowas keine politische Macht in die Finger bekommen. Deswegen gehört die AfD schon längst mindestens auf Landesebene verboten.

Wir können ein klares Angebot machen:

Wer dazugehören will, darf andere, die ebenfalls zu dieser Gesellschaft gehören wie Migranten und andere Minderheiten, nicht ausgrenzen.

Grenzen des Mindestanstands haben in Post-Nazi-Deutschland jahrzehntelang relativ gut funktioniert.

Das Tabu der Menschenfeindlichkeit, welches die AfD geschliffen hat, muss wiedererrichtet werden.

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Aus deiner Quelle:

Dabei zeigt die Studie, dass junge Menschen sich mit existentiellen Ängsten konfrontiert sehen: Altersarmut, Krieg, Klimakrise, Inflation und andere finanzielle Probleme. […]

Die Studie belegt auch, dass Jugendliche gehört werden wollen.

Die Studie belegt also keinen Zusammenhang zum AfD-Wählen.

Hampel interpretiert allerdings mutwillig:

In unsicheren Zeiten, wo der Streit unter den Regierungsparteien zum Dauerthema in den Nachrichten geworden ist, habe die AfD eine klare Linie angeboten.

Bemerkenswerterweise stellt er die politische Performance in den Vordergrund.

Hampel behauptet also noch nicht mal, dass die AfD wieder im Orkus verschwände, wenn doch nur alle o. g. vermeintlichen oder tatsächlichen Probleme gelöst wären.

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Leider muss ich sagen, dass die Politik aus mehr besteht als aus Klimaschutz. …

Anders gesagt: Klimaschutz gehört eingebettet in eine Sozialpolitik, wohlstandserhaltende Wirtschaftspolitik und eine organische Gesellschaftspolitik. Hier muss es eine Balance geben, sonst werden keine Projekte akzeptiert, die offensichtlich auf eine Klientel einzahlt:

Zitat:
„Infolge des Generationeneffekts haben sich die Wähler der Grünen in ihrer sozialen Zusammensetzung stark verändert (Klein 2022). Die Jungwähler aus den 1980er-Jahren sind heute beruflich, familiär und gesellschaftlich arriviert. Die „Verbürgerlichung“ der Grünen ist daran ablesbar, dass ihre Wähler nicht nur über die höchsten Bildungsabschlüsse verfügen, sondern auch überdurchschnittlich verdienen. Viele von ihnen stehen deshalb nur noch in gesellschaftspolitischen Fragen klar links, nicht mehr dagegen in der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Die im Wahlprogramm 2013 geforderten Steuererhöhungen lehnten sie mehrheitlich ab. Ein überraschend hoher Anteil der Wähler versteht sich sogar als unpolitisch und präferiert die Partei vor allem aus Lifestyle-Gründen - etwa beim Kauf von Bio-Lebensmitteln (Walter 2010: 80 ff.). Vornehmlich im Dienstleistungs- und Bildungsbereich beschäftigt, lässt sich die Grünen-Wählerschaft sozialstrukturell überwiegend den neuen Mittelschichten zuordnen. Unter Arbeitern und gering Qualifizierten konnte die Partei bisher nur wenig Unterstützung verbuchen.“
Das hat sich seit 2021 durch eine leicht linkere Gesellschaftspolitik im Programm geändert.

Also bedienen die Grünen natürlich ebenso organisch ihre Kernwählerschaft, die mit höheren Energiepreisen, höheren Nahrungsmittelpreisen und allgemeinen Lebenshaltungskosten wie Wohnung weniger Probleme haben.

Wie du ja geschrieben hast, ist es OK für dich, wenn die Grünen bei Scholz’ Gedächtnislücken zugunsten Großbanken wohlwollend ignorieren und damit klare Präferenzen ausdrücken.

Vor diesem Hintergrund zitiere ich einmal @Tris:

Vielleicht ist es ja so, dass breite Bevölkerungsanteile verstanden haben, dass sie von den Grünen eben nicht vertreten werden?

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Nein, das tut sie nicht.

Sie liefert meiner Meinung nach zumindest mögliche Erklärungsansätze.

Fakt ist ja offenbar, das ein signifikanter Prozentsatz junger Wähler die AfD gewählt hat. Nicht die Grünen wie vor 3-4 Jahren.

Ich vermute zumindest das es dafür Gründe gibt. Die genannte Studie kann ggf Ansätze liefern, warum ein Teil der Jugendlichen zu ihren Entscheidungen kommt.

Das wir das gesellschaftlich so nicht wollen und nicht einfach so hinnehmen sollten, ist offenbar Konsens hier.

Mir geht es also darum, wie bekommt man die Jugendlichen wieder dazu, demokratisch-freiheitliche Werte, ein Miteinander mit Akzeptanz, Respekt und Mitmenschlichkeit als wertvoller anzuerkennen?

Eben. Im Übrigen muss die Brandmauer lückenlos stehen. Es gibt kein Recht auf Demokratiefeindlichkeit.

Ein Goebbels-Zitat als Mahnung:

Das wird immer einer der besten Witze der Demokratie bleiben, dass sie ihren Todfeinden die Mittel selber stellte, durch die sie vernichtet wurde. Die verfolgten Führer der NSDAP traten als Abgeordnete in den Genuss der Immunität, der Diäten und der Freifahrkarte. Dadurch waren sie vor dem polizeilichen Zugriff gesichert, durften sich mehr zu sagen erlauben als gewöhnliche Staatsbürger und ließen sich außerdem die Kosten ihrer Tätigkeit vom Feinde bezahlen. Aus der demokratischen Dummheit ließ sich vortrefflich Kapital schlagen.

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Ja und ich fühle mich in meinem Anliegen die 5% Hürde zu Kippen immer mehr bestätigt. Im Prinzip wurden weit über 10% der Wählerstimmen durch diese Hürde vernichtet.

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Ich stimme dir voll und ganz zu. Ich würde noch einen Aspekt ergänzen.
Es wird immer so getan als ob Junge Menschen so völlig frei von Social Media und Parteien beeinflusbar wären. Niemand spricht das Elternhaus und dem sozialen Umgang im realen Leben an. Es wird am Ende eine Kombination aus vielen Punkten sein und jeder ist unterschiedlich geprägt was seine Meinungsbildung betrifft, aber was Eltern vorleben und von sich geben prägt auch Kinder über 18 noch!

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Ich kann diesen Punkt auch nicht wirklich nachvollziehen. Nehmen wir das emotionale Thema Fleisch. Wenn ein Grüner sagt: „Fleischkonsum belastet die Umwelt.“ hören die Leute „der will uns das verbieten“ und „der hält uns für gemein, weil wir Fleisch essen.“ Genau das habe ich aber noch nie einen Grünen sagen hören. Natürlich das politische Ziel den Fleischkonsum zu reduzieren, aber nie als Vorwurf.
Es ist erstmal nur eine Aussage. Die Beschäftigung mit der Aussage und der Erkenntnis, dass man selber gerne Fleisch konsumiert, führt dann zu einer Abwehrreaktion.
Aber wie zum Henker soll man das denn dann noch kommunizieren? Kann man dem Wähler denn überhaupt nichts zumuten?

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Politik ist sicher nicht nur Klimaschutz. Wer sich aber mal mit den Szenarien beschäftigt, die uns erwarten, wenn wir in Richtung drei Grad Erwärmung oder mehr gehen, der muss schon sehr gut begründen, warum Klimaschutz nicht bei jeder einzelnen Entscheidung eine Rolle spielen sollte.
Ich glaube nicht, dass irgendein Grünen-Politiker Dir an dieser Stelle widersprechen würde:

„Anders gesagt: Klimaschutz gehört eingebettet in eine Sozialpolitik, wohlstandserhaltende Wirtschaftspolitik und eine organische Gesellschaftspolitik. Hier muss es eine Balance geben, sonst werden keine Projekte akzeptiert, die offensichtlich auf eine Klientel einzahlt:“

Das ist aber alles nicht ohne die Frage was „wohlstandserhaltende Wirtschaftspolitik“ ist, sinnvoll zu erörtern. Und das wiederum ist nicht ohne die Frage zu beantworten, was „Wohlstand“ denn ist zu beantworten. Für die meisten ist Wohlstand gleichzusetzen mit Konsummöglichkeiten. Und genau das wird eben nicht funktionieren. Jedenfalls konnte mir noch niemand glaubhaft vorrechnen, dass das funktioniert. Ganz im Gegenteil, finde ich Berechnungen, die zu dem gegenteiligen Ergebnis kommen, deutlich überzeugender.

Und das ist, meiner Meinung nach das, woran nicht nur die Grünen scheitern. Nur eine Minderheit der Wähler dürfte sich ernsthaft mit den Vorschlägen, wie eine klimaneutrale Zukunft aussehen könnte beschäftigt haben, die über E-Autos und Windräder hinausgehen. Von dieser Minderheit haben noch weniger Bock darauf, weil s. oben die Konsummöglichkeiten sich deutlich verändern würden.

Man liest immer wieder, man müsse dem Zielbild der AfD eine positive Vision entgegensetzen. Danach müsste man die Wähler davon überzeugen, dass

  1. diese Vision viel lebenswerter ist als das, was eine CDU, AfD, FDP, BSW versprechen.
  2. der Klimawandel den Visionen von den genannte eh in die Quere kommen wird.
  3. diese Vision umsetzbar ist.
  4. der Weg dahin lang und steinig, aber wichtig ist.

Meine Prognose: Dieser Versuch scheitert an Punkt 1.

In der Tat, ich stimme dir zu - und ich sage dir sogar voraus, dass den Grünen aus ihrer Kernwählerschaft von 10% die Mehrheit verloren geht, wenn sie mit Steuererhöhungen anfangen oder dieser gutbürgerlichen Wählerschaft der Wohlstand wegbricht.

Übrigens sind ja nicht nur die Grünen, sondern auch andere Parteien dabei, eine ökologische Transformation zu planen. Vielleicht nicht so offen und schnell. Andererseits müssen sie die Stabilität des Staatswesens und ihrer eigenen nicht so gut situierten Wählerschaft im Blick haben. Insofern sehe ich das Ganze nicht so schwarz-weiß.

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Ich würde diesen sehr langen Thread an dieser Stelle gerne schließen, da er für die meisten Forumsnutzer:innen unlesbar wird.
Das Thema scheint mir auch ziemlich durchdiskutiert.
Mir persönlich behagt auch die Überschrift nicht, da sie das Narrativ, dass „demokratische Parteien versagen“ bedient. Versagen ist ein wirklich großes Wort und bedeutet für jeden etwas anders.

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Tja und das bieten andere Parteien und scheitern damit am Widerstand der Grünen? Nein. Ich hätte gerne, dass alle Parteien klimaschutz in unterschiedlicher Gestaltung anbőten, aber das ist nicht der Fall. Wenn man auf Klimaschutz nicht weitgehend verzichten will, kann man nur sie Grünen wählen und zwar, weil die Mehrheit klimaschutz höchstens zum Nulltarif akzeptieren will, wenn überhaupt. Dass sie das bewirtschaften mache ich nicht den anderen Parteien zu Vorwurf, sondern deren Wählerschaft.