LdN387 - Hinweis Begriff "Biodeutsch"

Kann ich hier im Ort nachvollziehen, die Viertel in denen dem Gerücht nach (und in denen es Supermärkte mit vielen russischen Spezialitäten gibt) viele „Volksdeutsche“ aus der ehemaligen UdSSR wohnen, wählen tendenziell vermehrt rechte bis rechtsextreme Parteien.

gab dazu mal einen Spiegel-Artikel, „Ist biodeutsch nur ein anderes Wort für Arier?“.
https://www.spiegel.de/panorama/biodeutsch-wer-benutzt-den-begriff-und-was-bedeutet-er-a-00000000-0003-0001-0000-000001410970
Kleiner Spoiler: „Schon in „Herman the German“ steckte mehr russischer Hirte und anatolischer Bauer als arischer Herrenmensch.“
Alles gesagt, oder?

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Wenn man es ähnlich wie bei „biologisches Geschlecht“ deutet, stimmt das. Da validiert man mit der Benutzung einige unerwünschte Prämissen. Man kann das Präfix Bio allerdings auch wie das Bio Label bei Lebensmitteln deuten. Und die Frage ist ja: wie vorbelastet ist es im Diskurs.

Ich finde der Artikel macht wunderbar klar, wie widersprüchlich und letztlich willkürlich das Attribut „Migrationshintergrund“ ist und wie willkürlich damit auch der letztlich in Abgrenzung dazu verwendete Begriff „biodeutsch“ ist.
Dass die Vorstellung einer „rein deutschen“ Abstammung nichts als pure Fiktion oder ein Mythos sein kann, sollte eigentlich jedem Menschen mit rudimentären Kenntnissen in Geschichte und Geografie sofort einleuchten.

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Ich denke über sowas müssen wir zumindest hier im Forum auch nicht streiten.

Ich fasse den Begriff „Biodeutsch“ z.B. so auf, dass es um die Leute geht die keine Migrationsgeschichte seit Gründung von BRD und DDR hat. Also die Leute die auch nicht unter die Opfer von Fremdenfeindlichkeit, Alltagsrassismus etc. fallen. Für mich ist der Begriff keine Wertung sondern drückt aus, dass es sich um Menschen handelt die durchaus als privilegiert in diversen Aspekten gelten können.
Es geht also nicht darum den Koslowski aus dem Ruhrgebiet oder wen auch immer nochmal gesondert zu klassifizieren, weil der 18xx noch Polnisch war.

Ich selbst sehe mich auch als Teil dieser privilegierten Bevölkerung. Meine Großeltern haben zwar als Sudetendeutsche einen Fluchthintergrund und weil sie teils aus Familien stammten die gemischt tschechisch deutsch und österreichisch waren gibt es auch entfernte Verwandtschaft dort und mein Nachname ist tschechisch, aber ich musste bis auf Fragen zum Namen und ob ich denn schon immer deutsch bin keinerlei Nachteile erfahren, anders als türkische Bekannte.

Den Begriff Biodeutsch zu nutzen um sich über andere zu stellen oder gar von Remigration zu erzählen lehne ich natürlich strikt ab.

Wenn es aber z.B. darum geht, dass unzureichende Leistungen in den Vergleichstests an Schulen nicht wie oft dargestellt ein Problem von Schülern ist, deren Eltern nicht deutsch aufgewachsen sind sondern auch unter „Biodeutschen“ mehr und mehr Defizite zu sehen sind, dann ist mit diesem Begriff schon klar was gemeint ist auch ohne dass man sich im Detail darüber einig ist was denn eigentlich Biodeutsch ist.

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Das ist ja die ironische Note am Begriff „biodeutsch“, die ich auch mag. Aber auch hier gibt es m. E. eine unproblematischere Alternative, nämlich „Alman“. Bezieht sich (so wie ich den Begriff kenne) nicht nur auf ein ökologiebewusstes Milieu, sondern auch auf vermeintlich „typisch deutsche“ Eigenschaften wie Pünktlichkeit etc. Der Begriff zielt also insgesamt eher auf Verhaltensweisen als auf Abstammung ab, was ihn für mich sympathisch macht. Auch Leute ohne deutschen Pass müssen sich mitunter anhören „Ey, sei mal nicht so ein Alman!“

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Genau.

Ich finde das schlicht inkonsequent. Im linken Spektrum möchte man ja Abstand von jedeweder Merkmalsbekundung nehmen, mit denen sich Menschen zu Gruppen zusammenfassen lassen. Diesen Standard doch dann bitte auch für „Biodeutsche“ ansetzen. Auf die Frage „Ja aber wie umschreibt man es dann?“ möchte ich entgegnen: gar nicht.

Ich würde zustimmen, dass diese Definition meistens zutreffend ist, aber das Problem ist eben, dass sie m. E. eine Exaktheit suggeriert, die der Begriff einfach nicht hat, wie schon dein Verweis auf die sich als „Deutsche“ verstehenden sogenannten Spätaussiedler zeigt.
Und die Festlegung auf 1949 in Kombination mit der Abhängigkeit vom Merkmal „Migrationshintergrund“ zeigt m. E. die Willkür dieser Abgrenzung. Dann ist also eine ethnisch deutsche Person, die erst 1950 aus Polen oder Rumänien in die BRD kam, nicht „biodeutsch“, der inzwischen eingebürgerte ukrainische Zwangsarbeiter, der 1945 in Deutschland blieb, aber keinen deutschen Elternteil hat, schon.

Das finde ich sogar noch unschärfer: Was heißt „nicht deutsch aufgewachsen“? Dass zu Hause kein Deutsch gesprochen wurde?

Nochmal: ich will hier keine Haarspalterei betreiben, und für den Alltagssprachgebrauch ist es vermutlich meist nicht relevant, aber sobald es etwa um schulische, statistische etc. Kontexte geht, ist der Begriff m. E. zu ungenau. Hinzu kommt noch die geschilderte Problematik der Vereinnahmbarkeit durch rassistische Diskurse.

Das funktioniert aber nur solange, wie der Begriff eher mit negativen oder neurotischen Eigenschaften konnotiert oder verstanden wird. Wenn der Begriff in Zukunft vermehrt anstelle von „Biodeutsch“ verwendet wird, wird er mit absoluter Sicherheit die gleiche Bedeutungsänderung erfahren. Der Ursprung aus dem türkischen tut der Sache dann auch keinen Abbruch mehr - der Begriff Arier statt bekanntlich auch aus dem indoiranischen also mittelasiatischen Raum.

Die Diskriminierung - wenn man so will - beginnt bereits vor der Wortschöpfung mit der Intention eine Gruppe an Menschen nach phänotypischen Merkmalen von einer anderen Gruppe in der Gesellschaft zu unterscheiden.

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Hier würde ich differenzieren. Die Verwendung dieser Begriffe kann aus zweierlei Motiven erfolgen.

  1. Diskriminieren
  2. Diskriminierung benennen
    Die Begriffe, die in von Diskriminierung betroffenen Gruppen geprägt wurden, gehören ja eher in die zweite Kategorie. Es erscheint mir wenig zielführend die Benennung real existierender Diskriminierung zu erschweren.

Aber wenn man den Fokus explizit von einem rassistischen Konstrukt auf ein rassismuskritisches Konstrukt verschieben möchte, müsste man wohl von migrantifizierten und nicht-migrantifizierten Personen sprechen.
Auf etwas reduzierter Abstraktionsebene erscheint mir auch Weiße Deutsche geeignet.

In diesem Zusammenhang vielleicht eine interessante Anlaufstelle:

https://glossar.neuemedienmacher.de/glossar/biodeutsche/

Natürlich ist es schwierig. Scharfe Abgrenzungen sind in diesem Bereich ohnehin ein Problem, weil es ja immer auf den Kontext ankommt. Bei mir in einer ländlichen Kleinstadt mit wenig Leuten aus dem Ausland, davon der Großteil Spätaussiedler war es z.B. so, dass der Türke erheblich mehr negative Erfahrungen im Alltag machen musste als der Pole, obwohl er akzentfrei Deutsch sprach, der Pole dagegen einen spürbaren Akzent hatte. Die Spätaussiedler mit denen ich zu tun hatte wurden stark danach beurteilt wie gut sie Deutsch sprachen. Bei zwei Cousins wurde der, der schon länger da war und akzentfrei deutsch Sprach quasi überall als Deutscher gesehen, der der erst kurz vor der Einschulung kam als Russe.

Ich möchte deshalb gar keine scharfe Abgrenzung, da wir dann vermutlich 1000 Bezeichnungen für jede erdenkliche Untergruppe brauchen. Meine Abgrenzung wäre daher vorwiegend die, ob man im Alltag irgendeiner Form von Ausgrenzung ausgesetzt war oder nicht. Ob man in der mittlerweile dritten oder noch späteren Generation Deutsch spricht oder nicht. Und wenn der Biodeutsche dann eigentlich einen österreichischen Pass hat (ein Freund von mir hat den, weil der Vater einst beruflich nach Deutschland kam) ist das auch egal.

Von mir aus müssen wir uns dann gar nicht im Detail über eine scharfe Abgrenzung unterhalten, weil in den Kontexten in denen ich die Bezeichnung hilfreich finde diese detaillierte Abgrenzung meist gar nicht nötig ist. Um was es inhaltlich geht wird dann auch so klar.

Mir geht es nicht um eine Abgrenzung in irgendeiner Form die den Wert eines Menschen definiert, sondern tatsächlich in erster Linie um Themen bei denen es für den Alltag einen Unterschied macht ob „Biodeutsch“ oder nicht und genau in diesem Kontext wurde der Begriff ja einst geschaffen und auch von Özdemir weiter verwendet.

Ich sehe gerade beim lesen des Spiegel-Artikels, dass das Label „Migrationshintergrund“ ein Zuzug nach 49 bedeutet. Scheinbar habe ich da bei meiner Definition also durchaus das Aufgegriffen, was andere auch schon definiert haben.

Ich finde den Begriff auch nicht gut, aus bereits angesprochenen Gründen. Für mich wiederholt er einfach Stereotypen, als ob es eine Art biologisch begründetes Deutschsein gibt. Er ist damit logisches Gegenstück zum AfD-Begriff der „Passdeutschen“.

Damit liefert der Begriff keinerlei analytischen Mehrwert. Ich bin immer dafür, die Dinge beim Namen zu nennen. Wer ist mit „biodeutsch“ gemeint? Es geht in der Regel um weiße Menschen mit deutschsprachigen Namen. Dann würde ich das auch so benennen. Finde ich auch nicht zu lang oder zu komplex, als dass man es nicht immer so sagen könnte.

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Beim Namen würde ich dir schon nicht mehr recht geben. Es gibt ja viele Leute, die haben Nachnamen die nicht Deutsch sind und dennoch in diese Kategorie gezählt werden müssten.

Weiß und seit mehreren Generationen deutschsprachig fände ich da treffender.

Je länger hier über den Begriff diskutiert wird, desto mehr unterschiedliche und sich zum Teil widersprechende Kriterien werden für ihn angeführt. Das zeigt, dass es keine allgemeingültige Definition des Begriffs gibt. Das steht allerdings etwas im Widerspruch zu meinem Eindruck, dass die meisten Menschen, die für den Begriff plädieren, davon ausgehen, dass allgemein klar sei, wen er bezeichne.
Aus dieser vermeintlichen, aber eben nicht gegebenen Klarheit folgt m. E. zweierlei: Erstens, dass der begriff häufiger verwendet wird, als eigentlich nötig oder angebracht (so wie in dem Beispiel von @Hiboux) und zweitens dass Menschen ihn für sich in einem Sinne definieren, den die Mehrheit der Leute hier im Forum vermutlich nicht teilt - nämlich in einem völkischen Sinne als Abgrenzung zu „Passdeutschen“ etc.

Ich lese ihn tatsächlich viel häufiger im eher gegenteiligen Kontext (also z.B. wenn es darum geht wer beim Thema Diskriminierungserfahrung nicht mitreden sollte), auch auf Twitter wo mir mittlerweile sehr viel rechter content angezeigt wird.

Vielleicht ist das auch der Grund warum ich den Begriff anders sehe als andere hier.

Mich hat die Diskussion auch eher zur Ablehnung bewogen. Gerade für Leute, die sich die Bedeutung aus den Wortbestandteilen ableiten hat er doch viele in diesem Kontext ungünstige Bedeutungsebenen, sei es genetik oder so eine Art Gütesiegel á la „mehr wert und enthält weniger Schadstoffe“

Ich würde daher tatsächlich eher zu weißdeutschen tendieren. Das macht klar, dass es eine politische Kategorie ist, deren Zuschreibung wechselhaft sein kann.
So ist das halt im Faschismus. Auf welcher Seite der Diskriminierungshirarchie man landet stellt sich teilweise mit großer Überraschung erst später heraus.

Benutzt von nicht weißen Personen können die oben genannten Bedeutungsebenen natürlich auch beabsichtigt sein, weil sie (mit Augenzwinkern?) auch auf die Rassenideologie der Deutschen anspielen. Aber als Selbstbezeichnung habe ich da ein Störgefühl.

Im Kontext fand ich den Begriff passend, denn, wenn man ihn mit rechter Ideologie in Verbindung bringt, wurde klar, was mit dem Begriff „nicht als Biodeutsche gelesene Frau“ gemeint ist und vor allem, wer diese Beurteilung vornimmt.

Ich bin mir sicher, dass auch Petr Bystroń sich als Biodeutschen sieht.

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