Das ist die Minderheit und das ist dir sicher bekannt. Noch wichtiger, man muss dann auch unterscheiden, ob sie im Osten oder Süden Zyperns ankommen. Der Osten ist wesentlich näher, aber türkisch und damit nicht EU. Hast du vielleicht Zahlen wieviele Syrer direkt ins europäische Zypern übersetzen?
Komische Einschätzung. Mir ist die Karte durchaus bekannt. Wie kommst du darauf?
Ich bin ebenfalls der Meinung, dass der vom Vereinigten Königreich geplante Deal mit Ruanda rassistisch-populistisch motiviert ist und darüber hinaus auch wahrscheinlich nicht den gewünschten Effekt haben wird. Dass GB dafür ggf sogar aus dem Europarat bzw der europäischen Menschenrechtskonvention austreten will, um nicht vor dem EGMR verantwortlich zu sein, sagt eigentlich schon alles.
Grundsätzlich glaube ich aber leider, dass die aktuelle Strategie in der Asylpolitik faktisch aufgrund der Macht von Konservativen und Rechten - sowohl in GB als auch in EU und Deutschland - leider gescheitert ist.
Das sollte einen natürlich absolut nicht daran hindern weiter für Menschenrechte und gegen das Sterben auf dem Mittelmert einzustehen!
Ich glaube aber gleichzeitig auch, dass man was alternative Strategien wie zB Kontingente angeht, nicht sofort in eine reflexhafte Abwehrreaktion übergehen sollte:
Edit: Das soll jetzt keine Verteidigung von Koopman und seinen Positionen sein (und schon gar nicht eine des weit verbreiteten Rassismus gegenüber Migranten und Geflüchteten). Ich sehe nur momentan nicht, wie das Sterben auf dem Mittelmeer realistisch verhindert und politisch gegen die konservativ bis rechte Mehrheit in Politik und Bevölkerung gelöst werden soll. Koopmans Ansätze wären in dem Sinne zumindest besser als die Abschottungsfantasien von Sunak & Co. Aber ich lasse mich da auch gerne eines besseren belehren.
Das sehe ich genauso. Ladet doch Ruud Koopmans mal in die Lage ein, um das Thema zu diskutieren. Ich halte seine Sicht der Dinge für sehr treffend. In seiner Einschätzung spielt übrigens auch ein kontrolliertes Aufnehmen von Flüchtlingskontingenten eine wichtige Rolle. Es geht also nicht darum, sich komplett abzuschotten, sondern die Schlepper trocken zu legen und das Sterben in den Meeren zu beenden. Auf der anderen Seite einem Teil derer zu helfen, die dringend Hilfe brauchen und gleichzeitig das Arbeitskräfteproblem in Europa zu lindern.
Da es ja einen Flüchtlingsdeal mit der Türkei gibt, sollte es keine Syrer geben, die mehr nach Deutschland fliehen. Wie sind da die Zahlen? Oder haben die Pull-Effekte gar nicht gewirkt?
Noch ein kleines Gedankenexperiment an alle die die Existenz von Pull-Faktoren leugnen:
Wie würde es sich auf die Flüchtlingszahlen auswirken, wenn wir morgen anfangen würden, alle die möchten per Flugzeug aus einem Krisengebiet zu evakuieren und in Deutschland Schutz zu bieten?
Ein Push-Faktor wäre das sicher nicht, und wenn es keine Pull Effekte gibt, hätte das Angebot keine Auswirkungen auf die Fluchtzahlen.
Die Diskussion geht nicht darum, ob es das Konzept Pull-Faktoren gibt oder ob man sie irgendwie erzeugen kann, sondern ob sie für das aktuelle Migrationsgeschehen maßgeblich sind und ob politische Maßnahmen Einfluss darauf haben.
Das Gedankenexperiment passt also nicht so recht zum Thema.
Gut geeignet für Pull-Faktoren wäre dein Experiment zudem nur, wenn es keine Krise gäbe. Sonst bleiben ja die Push-Faktoren bestehen. Schick das Flugzeug nach Frankreich und schau, wie viele kommen. Das wären dann reine Pull-Faktoren.
Ich sage doch, dass es Effekte gibt, die Flüchtlinge veranlassen nach Deutschland zu kommen, nämlich beispielsweise die bessere Versorgung.
Da der EU Türkei Deal seit 2020 tot ist, müssen sie auch keine Sorge mehr vor einer Abschiebung in die Türkei haben?
Im Artikel der BPB steht auch ausführlich drin, dass der Deal zu einer Reduktion der Flüchtlingszahlen auf dem Seeweg geführt hat.
Kamen 2015 rund 857.000 Schutzsuche über die Ägäis nach Griechenland, sank die Zahl 2016 auf knapp 173.500 und lag 2017 bei weniger als 30.000. 2021 erfasste das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) etwas mehr als 4.000 Ankünfte über den Seeweg.
Natirlich gab es Ausweichrouten, aber dort passieren Syrer noch mehr sichere Herkunftsländer. Das belegt doch, dass es keineswegs bei der Flucht nur um „Leben oder Tod“ geht.
Aus meiner Sicht sind die „Pullfaktoren“ heute das, was „Das Boot ist voll“ in den 1990er Jahren war. Ein Versuch, die Abwehr von Flüchtlingen - die man aus was für Gründen ohnehin will - politisch und moralisch zu rechtfertigen. Dieses politische Ziel der Abwehr hat halt das Problem, dass es internationale (und im Falle Deutschlands auch nationale) Regelungen gibt, die dem entgegen stehen, da sie tatsächlich einen Rechtsanspruch für Geflüchtete begründen, auf den diese sich berufen können. Die meisten Parteien, die mehr & bessere Flüchtlingsabwehr fordern, eiern um diesen Punkt herum. Nicht mal die AfD fordert meines Wissens offen, dass Deutschland beispielsweise aus der UN-Flüchtlingskonvention austreten soll - die Tories sind da schon einen Schritt „weiter“ und diskutieren das gerade, weil sie vermutlich ahnen, dass ihr tolles Ruanda-Projekt sonst auch daran scheitern könnte. Stattdessen will man sich die Flüchtlingen buchstäblich vom Leib halten (also am besten außerhalb Europas aufhalten), damit gar nicht erst eine Situation entsteht, wo man sich mit ihren Rechten auseinandersetzen muss. Stattdessen nach eigenem Gutdünken doch noch eine Handvoll Menschen aufzunehmen, und das dann noch als großen Akt der Humanität zu verkaufen, finde ich besonders perfide.
Während „Das Boot ist voll“ eine ziemlich absolute Aussage ist, die darauf abzielt, dass es keine weitere Kapazität geben würde noch weitere Menschen aufzunehmen ist es aber bei Pullfaktoren so, dass man sehr wohl an der Meinung sein kann, dass Pullfaktoren eine relevante Rolle (nicht die einzige relevante Rolle) bei der Wahl des Ziels spielen können und dennoch offen für die Aufnahme von Geflüchteten sein kann.
Ich habe ja nicht behauptet, dass die beiden Narrative identisch sind, sondern dass sie denselben Zweck haben. Das Narrativ bei den Pullfaktoren ist doch „wir sind zu attraktiv, deshalb kommen so viele, also müssen wir für die unattraktiver werden“. Ich rede jetzt bewusst vom politischen Diskurs, nicht von einer durchaus sinnvollen wissenschaftlichen Debatte darüber, wo es Pullfaktoren gibt und welchen Effekt sie vielleicht haben.
Das ist mir zu polemisch formuliert. Ich z.B. sehe sehr wohl Pullfaktoren als relevant an, fordere aber nicht, immer unattraktiver zu werden um Flüchtlinge fernzuhalten, sondern bin durchaus für einen menschenwürdigen Umgang. Und so schreiben hier ja auch andere durchaus differenzierter. Daraus jetzt ein Narrativ zu machen und somit zu unterstellen wer Pullfaktoren als gegebenen Faktor ansieht möchte Geflüchtete schlecht behandeln finde ich eher schlechten Stil.
Was natürlich nicht heißt, dass es nicht auch viele Gibt, die bezugnehmend auf Pullfaktoren genau das aussagen wollen was du hier ansprichst. Ich halte nur die generelle Verknüpfung für falsch.
Nur zur Klarstellung: Ich habe damit nicht unterstellt, dass alle, die hier im Thread für die Bedeutung von Pullfaktoren argumentieren, diese Haltung vertreten. Mit „politischer Diskurs“ meinte ich Aussagen von Politiker, politische Forderungen von Parteien etc. Und beispielsweise die Einführung der Bezahlkarte wurde ja explizit damit begründet, dass sie bestimmte Dinge für Geflüchtete in Deutschland schwerer bzw. unattraktiver machen soll.
Und ich würde auch soweit gehen zu sagen, dass Leute wie Koopmanns und Knaus - ob sie es nun wollen oder nicht - an der Legitimation einer solchen Haltung mitarbeiten.
Nur sehe ich es eben so, dass wir, wenn wir bestimmte Begriffe mit einer daraus abgeleiteten Aussage verknüpfen, natürlich auch dafür sorgen, dass sich viele, die diese Verknüpfung ablehnen sich gar nicht mehr in diesem Kontext äußern wollen, da das Risiko steigt missverstanden zu werden.
Deshalb bin ich grundsätzlich, und damit meine ich nicht nur dieses Thema und diesen Begriff, kein Freund davon Aussagen in einer Debatte fest miteinander zu verknüpfen. Das schadet nur einer differenzierten Debatte.
Ich verstehe den Impuls. Aber die Verknüpfung entsteht ja durch den genannten politischen Diskurs, der diesen Begriff - wenn Du so willst - instrumentalisiert und politisiert. Sie entsteht nicht erst dadurch, dass ich auf diese Politisierung hinweise oder sie beschreibe.
Ganz allgemein gesprochen - also auch jenseits dieses Beispiels - ist es aus meiner Sicht keine kategoriale Frage, sondern immer eine Abwägung im Einzelfall, wann es sich „lohnt“, um einen Begriff zu kämpfen und dessen einseitiger Politisierung entgegenzuwirken und wann man ihn als „verloren“ ansieht.
Gibt es eignetlich schon Projekte/Pläne/Ideen um die Pushfaktoren abzumildern ? Z.b. Im Sudan die huanitäre Krisewird wahrscheinlich große Fluchtbewegungne nach sich ziehen, aber was sollte Europa jetzt dagegen tuen ? Boots on the ground? Mehr Hilfsgüter (ziemlich schwierig in einem Kriegsgebiet) ? Internationaler politscher Druck (aber mit welchen Druck mitteln) ?
Ideen dazu gibt es genug, am prominentesten dürften die Nachhaltigkeitsziele der UN sein. Auf der konkreten Ebene gibt es auch zahllose Ideen, etwa von NGOs, die dazu arbeiten. Allerdings scheint es wohl deutlich an politischem Willen zu mangeln, diese Ziele auch umzusetzen. Ein Indikator dafür ist vielleicht, dass bei der Entwicklungszusammenarbeit noch immer ein Ziel von 0,7 % des jährlichen Bruttonationaleinkommens (BNE) diiskutiert wird, während es bei Militärausgaben 2 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sind.
Aber eben nicht nur von rechter Seite aus. So habe ich zu dem Thema schon Tweets gelesen, die durchaus differenziert haben, dann aber alleine für das Ansprechen von Pullfaktoren schon heftig angegangen wurden.
Und somit bleiben in der Öffentlichkeit vorwiegend die übrig, die diesen Begriff ohne Scheu nutzen, weil ohnehin klar ist aus welcher Richtung Gegenwind und aus welcher Applaus kommt.
Das Wissen um Push- und Pullfaktoren würde ich vielmehr anderweitig nutzten. Wenn wir also z.B. durch entsprechende Födergelder ein sicheres Auskommen in der Heimatregion unterstützen, optimalerweise natürlich direkt den Fluchtgrund eliminieren, dann können wir wohl weit mehr erreichen als in einem Wettbewerb des Abbaus von vermeintlichen Pullfaktoren. Denn einer der größten Pullfaktoren dürfte ohnehin sein, wo sich bereits Freunde und Verwandte befinden und das können wir kaum beeinflussen wenn wir nicht den Status derer die bereits hier sind in Frage stellen.
Das was du beschreibst sind aus meiner Sicht Effekte solch einer Politisierung eines Begriffs. Deshalb schrieb ich ja, dass ich es manchmal sinnvoll finde, Begriffe „aufzugeben“. Für das was in einem engeren wissenschaftlichen Sinne als Pullfaktoren bezeichnet wird, ließe sich sicherlich auch eine andere Bezeichnung finden. Statt von Pushfaktoren kann man ja auch z. B. einfach von der Bekämpfung von Fluchtursachen reden.
Es kann doch aber nicht die Lösung sein zutreffende Begrifflichkeiten aufzugeben, nur weil Rechte diese auch nutzen.
Auf mich wirkt es manchmal wie orwellsche Sprachpolizei wenn Wörter oder Tatsachen nur deswegen nicht oder nur modifiziert benannt werden sollen weil sie Rechten helfen könnten.
Und ich glaube so geht es auch den meisten Menschen allgemein. Es ist doch keinem begreiflich warum Dinge, die die Realität beschreiben, nicht formuliert werden dürfen ohne dass man Gefahr läuft, dass eine Aussage in die rechte Ecke gestellt wird.
Es hat auch niemand davon geredet, Begriffe aufzugeben „nur weil Rechte sie benutzen“. Es stimmt aus meiner Sicht halt einfach nicht, dass der Begriff „Pullfaktoren“ einfach nur beschreibend, also deskriptiv ist. Aus den von mir genannten Gründen hat er eben auch normative Aspekte, die ich als Politisierung beschrieben habe. Jeder Mensch kann selbstverständlich für sich entscheiden, ob er diesen Begriff verwendet - nur sollte er sich dabei meiner Meinung nach dieser politischen Bedeutung bewusst sein. Insofern geht die Rede von einer angeblichen „Sprachpolizei“ und einem „in die rechte Ecke stellen“ völlig an der Sache vorbei und kommt mir daher etwas refelxhaft vor.