LDN353 Arbeitskräfte Mangel ein Mythos?

Möchte hier mal die Frage in den Raum stellen ob wir Arbeitskräftemangel haben. In einem anderen Podcast wird immer gesagt dass die Zahl der offenen Stellen keine Aussage hat. Geht auch darum warum stellen nicht besetzt sind.
Arbeitsagentur
1.7 Mio offene Stellen. 500k für ungelernte Arbeitskräfte.
Darauf 2.7 Mio Arbeitssuchende. Plus 900k Vermittlungshemmnissen. 700k unfreiwillig in Teilzeit. 2.8mio die Kinder und Angehörige kümmern. Dunkelziffer 1.8 Mio die unbekannt in Teilzeit sind.
Insgesamt sind es also mehr arbeitskräfte als offene Stellen.

Vlt könntet ihr dazu ja nochmal genauer recherchieren…es ist ggf auch ein Mythos, um mehr Konkurrenz am Arbeitsmarkt zu schaffen auf Arbeitgebersicht. Und wir sollten über die wahren gründe sprechen, damit man gezielter entgegenwirken kann.
Jung und Naiv Wirtschaftsbriefing 16.10.23 ab Minute 1:18:00

Kann dazu ggf einen Teilaspekt beitragen.
Ich arbeite in einer Bildungseinrichtung, wir schulen u. A. Zum Augenoptiker, zum Hörkustiker oder Podologen um und vermitteln danach möglichst auch in Arbeit. Bei diesen drei Berufen reine Selbstläufer. Die sind meist vor dem Abschluss schon mit einer Stellenzusage gesegnet. Trotzdem rufen regelmässig Arbeitgeber an, die verzweifelt suchen, recht hohe Einstiegsgehälter bieten und trotzdem leer ausgehen.
Bundesweite Arbeitslosenquote in allen drei Berufen sollte bei unter 1-2 % liegen.
Gründe?
Sag einem jungen Schulabgänger mal, er/sie soll was mit Füssen machen, an anderer Leute Ohren rumtasten oder Leuten Brillen anpassen. Die Kommentare reichen von „Ihhhh“ bis „uncool“.
Wo sollen dann da die Fachkräfte herkommen? Sind viele Umschüler über den zweiten Anlauf in mittleren Jahren

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Also ich denke mal ein Teil der Wahrheit ist, dass die offenen Stellen und die Arbeitslosen räumlich nicht zusammenpassen.

Wobei da teilweise auch unsinnige Vorstellungen der Arbeitgeberseite dabei sind.

Ich habe mich mal im Bereich Windkraft bewerben wollen.
Voraussetzung war 30km im Umkreis (wegen Bereitschaft).
Nachvollziehbar, nur ich hab zu dem Zeitpunkt außerhalb des Radius gewohnt. Ich hab dann angefragt ob ich mich trotzdem bewerben könne und erst umziehe wenn ich den Zuschlag habe: Antwor war glattweg nein.

Klar ist eine Weile her, aber wenn man sich so mit dem Thema beschäftigt, scheint es heute noch so zu sein.

Hinzu kommt, dass man als AG am liebsten gar nichts investieren will, ergo das alte Problem: keine Kinder, flexibel, nicht älter als 30, aber mindestens 30 Jahre Berufserfahrung mitbringen.

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Beispiel Gastronomie.

In Coronazeiten haben viele Restaurants ihre Mitarbeiten entlassen oder lange in Kurzarbeit geschickt. Da kommen viele ob der Unsicherheiten ins Grübeln und orientieren sich um.
Zudem ist die Bezahlung eher mau, dafür lange Arbeitszeiten, meist abends und am Wochenende, viel Springer und dazu oft knackiger Umgangston, körperlich nicht ohne.

Jetzt müssen viele Gastronomiebetriebe ihre Zeiten reduzieren oder Tage schließen, weil kein „Fachpersonal“ mehr da ist.
Auch eine Art von Fachkräftemangel, aber teils von den Arbeitgebern hausgemacht.
Und ganz ehrlich: Warum sollte grade heute jemand mit Begeisterung einen schlecht bezahlten, körperlich fordernden und unsicheren Job machen wollen?

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Mal ein Zitat aus einem Artikel der Westfalenpost von heute unter dem Titel „Südwestfalen Wirtschaft im Sinkflug“:

„Ein Drittel der befragten Unternehmen (1300) gab an, trotz Fachkräftemangel in den kommenden sechs Monaten mit weniger Personal auskommen zu wollen“.

Man muss offenbar auch diesen Aspekt berücksichtigen. Klingt nicht nach Krokodilstränen.

Das ist eine sehr verkürzte Sichtweise. Die Ursache sind nicht nur mangelnde regionale, sondern auch fachliche / interessensmäßige Überlappung von Arbeitsplatzangebot und Arbeitssuchende.

Ich bin seit Jahren im deutschen Mittelstand unterwegs, meist direkt mit dem Unternehmer. In 9 von 10 Fällen ist der Arbeitskräftemangel das kritischste strategische Hindernis für Wachstum. Die meisten Unternehmen müssen Aufträge ablehnen, weil sie sie schlicht nicht abarbeiten können.

Hieraus Mythos oder gar eine Verschwörung der Arbeitgeber zu machen, halte ich für ziemlich surreal.

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Dass Unternehmen anscheinend nicht genügend Leute finden weise ich nicht zurück. Mir geht es um die Gründe, die immer auf „zu wenig Leute“ abgekürzt werden, was anhand der Zahlen ja nicht stimmt. Wenn das regionale Gründe sind, ok.
Bei den 500k offenen Jobs ohne höhere Qualifikation kann ich es mir aber kaum vorstellen. Hier geht’s ja nicht um einzelne Fachkräfte die über Deutschland rar gesät sind.

Dass ein Arbeitnehmermarkt nicht im Interesse von Unternehmen ist, im Gegensatz zu einem Arbeitgebermarkt sollte allerdings nachvollziehbar sein und ist für mich keine Verschwörung.

Vlt ist die Diskussion auch sinnlos, weil in den nächsten Jahren sowieso mehr Leute in Rente gehen als Nachkommen nachkommen und die Zahlen sich dann sowieso verändern.

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Verschwörung nun nicht, nein. Aber In der Diskussion fehlt halt ein ganz entscheidendes Stück Wahrheit. Nämlich, dass die Unternehmen ja unilateral über die Bedingungen entscheiden, zu denen der Job besetzt werden kann, wann er erfüllt ist, und wann nicht. Und wenn diese Bedingungen dann (fiktives Beispiel) sind: zügig startklar, Einarbeitungszeit nicht zu lang, Vergütung schön niedrig, nur mit guten Deutschkenntnissen, nur mit sexy Anschreiben, usw… Dann ja, na klar, dann gibt es halt „zu wenig Leute“. Nach dem Bedarf der Unternehmen, die ihn selbst definieren können.
Das kann aber für sich keine Aussage darüber erlauben, ob es tatsächlich zu wenig arbeitswillige oder arbeitsfähige Menschen gibt. Nur, dass die Vorhandenen den Rentabilitätskriterien nicht genügen.

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Lässt sich so pauschal wohl so nicht halten.
Das gibt es sicherlich, das Firmen da zu hoch pokern. Es gibt aber tatsächlich Mangelberufe, die aus verschiedenen Gründen unattraktiv sind (Bezahlung, Arbeitszeiten, gesundheitliche Risiken), oder die unnötig schwer gemacht werden in der Ausbildung (z. B. Physiotherapie) mit fehlendem Ausbildungsgehalt oder so.
Denke das ist stark Berufsbild und Branchenabhängig

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Aktuelle Daten der BA NRW:

(für NRW)

Gemeldete Stellen (Bedarf) :
Höherqualifizierte: 20%
Fachkräfte: 58%
Helfertätigkeiten: 22%

Gemeldete Arbeitslose (Angebot):
Höherqualifizierte: 10%
Fachkräfte: 26%
Helfertätigkeiten: 56%

Dabei ist das Thema räumliche Passung noch nicht berücksichtigt.

Abgang Babyboomer (55-59) in den kommenden 5-10 Jahren rund 1.000.000

Zugang ausbildungsabsolventen (14-19) in den nächsten 5-10 Jahren rund 850.000

Bis 2035 etwa - 15% Fachkräfte
(ohne Migration)

  • 9 % bei Steigerung Erwerbsquote
    -6% bei erfolgreicher Migration

Zu den Arbeitslosen:

63% ohne Abschluss
42% Langzeitarbeitslose
16% Flüchtlinge inkl. Ukraine
17% Alleinerziehende

(Überschneidungen möglich)

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Absolut, ja. Die gibt es ganz bestimmt. Vielleicht ist das sogar in quasi allen Fällen so, das kann schon sein! Der Punkt den ich ja eigentlich machen wollte ist halt: man weiß es einfach nicht. Nur aus der Tatsache, dass Unternehmen jammern und Stellen unbesetzt bleiben, kann man es eben einfach nicht erschließen.

Was man beobachten kann, ist dass da offenbar das Angebot nicht zur Nachfrage passt. Und der Schluss der Politik daraus ist dann, dass der Pool an Leuten aus denen ausgewählt wird, einfach größer werden muss. An die andere Seite hingegen will man nicht dran.

In der Volkswirtschaftslehre gibt es nie „zu viel“ oder „zu wenig“ ohne mit der Zusatzinformation „zu dem Preis xy“.

Wenn ich Deine These richtig verstehe, gibt es bei den Bedingungen, die die Arbeitgeber „bestimmen“ zu wenig Arbeitnehmer, die solche Stellen annehmen möchten.

Das deckt sich nicht mit meinen - zugegebenermaßen anekdotischen - Einblicken in den deutschen Mittelstand (siehe oben).

Arbeitgeber sind im übrigen nicht frei, Arbeitnehmer beliebige Konditionen zu bieten. Sie stehen, z.T. international im Wettbewerb, d.h. können ihre Verkaufspreise nicht frei setzen oder Kostensteigerungen an ihre Kunden weitergeben.

Dann muss der Unternehmer wohl weniger Profit einfahren. Oder den laden dicht machen, dann gibt es auch sofort neue Fachkräfte auf dem Markt.

Ach … da gilt dann der freie Markt etc nicht? :innocent:

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Ein Thema ist auch die aktuelle Transformation der Unternehmen in klimapolitischer Hinsicht, das Thema Automatisierung, aber auch der Demographische Wandel.

Ein Aspekt von Seiten des IAB:

Aufgrund der obigen Entwicklungen kommt es zu Arbeitnehmerrückgängen im verarbeitenden Gewerbe (Transormation/Automatisierung), der Arbeitnehmerüberlassung (Fachkräftemangel), dem Baugewerbe (Demographie), im Gesundheitsbereich (Demographie) und der IT (Fachkräftemangel).

Fazit: Steigender Bedarf an Fachkräften aufgrund der obigen Prozesse…

Das ist eine eher schablonenhafte Vorstellung davon, wie Wirtschaft funktioniert. Konsequent zu Ende gedacht, würde das bedeuten: All die Unternehmer, die über den Mangel an Arbeitskräften klagen, sind eigentlich nicht mehr wettbewerbsfähig und sollten ihr Unternehmen besser schließen.

An dem Punkt bin ich dann aus diesem Teil der Diskussion raus …

Das wäre sicher auch nicht zielführend, wenn wir dann Zukunftsbranchen nicht besetzen können, weil die Leute dafür hier teurer sind als anderswo.
Aber nicht alle Berufe stehen gleich stark in internationaler Konkurrenz, wie z.B. Paketzusteller, Pflege, Kita etc.

Im Grunde wäre eine Analyse je Branche sinnvoll, aus der der Arbeitnehmerbedarf und die größten Hemmnisse hervorgehen, um hier zielgerichtet Maßnahmen ergreifen zu können und aus staatlicher Sicht Unternehmen besser zu unterstützen und noch nicht genutztes Arbeitnehmerpotential zu erschließen. Sei es mehr Werbung für Migration bestimmter Berufe, mehr Invest in Bildung, mehr Kita-Plätze, mehr Umschulungsangebote, höherer Mindestlohn etc.

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Wenn man das System dem Kapitalismus unterordnet, dann ist das so, ja. Immerhin haben wir in Deutschland die soziale Marktwirtschaft, die die schlimmsten Verfehlungen des Kapitalismus abfedern soll. Deswegen hast Du natürlich Recht, dass das nicht sinnvoll ist.

Allerdings kann auch nicht immer der Arbeitnehmer für die Fehlkalkulationen der Unternehmen herhalten. Man hat schlicht selbst nicht genug dafür getan, dass man gut ausgebildete Personen bekommt. Dass weniger junge Manschen nachkommen werden, besonders in den nächsten 10 Jahren, ist keine Neuigkeit.

Da hast Du meine uneingeschränkte Zustimmung. Was sind das für „Unternehmer“ die bei fehlendem Personal nach dem Staat rufen (dem sie ansonsten meist eher misstrauen).

Das Thema an sich ist super komplex, man kann hier nicht einfach die freien Stellen und die Arbeitslosen gegenrechnen und sagen, dass es keine Lücke gibt.

Es gibt die angesprochenen regionalen „Mismatches“ bei Stellen und Arbeitslosen. Es gibt aber noch diverse andere Mismatches (wen es interessiert: https://www.cedefop.europa.eu/files/9023_en.pdf), z.B. horizontaler Mismatch (Arbeitskraft ist auf Papier ein Lehrer, hat aber nie in dem Beruf gearbeitet und kann deshalb von einer Schule nicht eingestellt werden), vertikaler Mismatch (Bewerber sind zu gut oder zu gering qualifiziert für die Stelle), oder Arbeitskräfte, deren Fähigkeiten nicht mehr nachgefragt werden (z.B. ein Fotograf, der nur analog fotografieren kann). Das bilden die Statistiken leider nicht ab.

Außerdem ist es ja nicht so, dass Unternehmen jede Stelle mit einem Arbeitslosen besetzen - wechselt Fachkraft A von Unternehmen 1 zu Unternehmen 2, ist die Fachkräftelücke noch genauso groß. Aber die Arbeitsbedingungen der freien Stellen sind eben auch wichtig, nicht jeder möchte am Schreibtisch, in der Fabrik oder in der Gastronomie arbeiten, selbst wenn das Gehalt stimmen sollte.

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Der AG hat immer noch die Möglichkeit selber auszubilden, muss man nur planen. Wer früh richtig plant, muß nachher nicht „schreien“.