LdN352: Landtagswahlen

Ich stimme nicht ganz mit der Bewertung der beiden Landtagswahlen in Bayern und Hessen in Folge 352 überein. Ich hatte den Eindruck, Ulf und Philip (und viele andere Journalisten) sehen im moderaten Kurs der CDU in Hessen eine Möglichkeit, die AfD kleinzuhalten. Aber war der Rechtsrutsch in Hessen nicht deutlich stärker als in Bayern, gerade wegen des moderaten Kurses der CDU?

Die Wählerwanderung in Hessen zeigt doch, dass die CDU v.a. der SPD, den Grünen und der FDP Stimmen abgenommen hat. Blickt man auf die Gewinne der rechten und konservativen Parteien (Union, Freie Wähler, AfD), haben die in Bayern weniger stark zugelegt (+8,4 Prozentpunkte - CSU, Freie Wähler, AfD) als in Hessen (+13,4).

Dabei kommt die AfD in Hessen auf 18,4% (+5,3% im Vergleich zu 2018), deutlich mehr als die AfD in Bayern mit 14,6% (+4.4%). Zwar machen in Bayern auch die Freien Wähler Gewinne, ich würde das aber eher als Umschichtung innerhalb des wertkonservativen Lagers einordnen und keine Abwanderung der Wähler in Richtung Demokratiefeindlichkeit.

Schaut man nur auf die „linken“ Parteien, haben Grüne, SPD und Linke in Hessen 12,9 Prozentpunkte verloren (viele Wähler sind Richtung CDU gewandert), in Bayern aber „nur“ um die 4,5 Prozentpunkte. In Zeiten vor der AfD hätte man da von einem Rechtsrutsch in Hessen gesprochen.

Aus meiner Sicht ist darum die moderate Strategie der CDU in Hessen darum ein schlechtes Beispiel dafür, wie die AfD kleingehalten werden kann. Sie ist aber ein gutes Beispiel dafür, wie die CDU Wähler aus dem Apel-Lager auf die konservative Seite ziehen kann - ich fände gut, wenn das auch noch einmal aufgegriffen werden könnte.

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Interessante Beobachtung. Julia Reuschenbach hat im Interview in der Folge ja auch nochmal ausgeführt, dass bei rechten Parolen im Zweifel das Original gewählt wird.

Was stimmt denn jetzt? :slight_smile:

Für die AFD in Bayern war die Flugblatt-Affäre ein echtes Dilemma. Mancher hat danach sein Kreuz bei den Freien Wählern gemacht. Die Freude war dann groß, dass „die linke Kampagne der SZ nach hinten losgegangen ist“.
Die Spitzenkandidatin wurde deshalb nicht müde, ihre potentiellen Wähler daran zu erinnern, dass, wer Aiwanger wählt, das System Söder wählt.
Aber ich stimme zu: ein Patentrezept gibt es nicht. Auch mäßigende Politik kann die Frustrierten dann erst recht zur AFD treiben.

Das passt nicht ganz zu den Zahlen der Wählerwanderung in Bayern, danach haben die Freien Wähler sogar mehr Stimmen an die AfD verloren (60,000) als von der AfD gewonnen (30,000). Ich glaube, die Flugblatt-Affäre hat da einiges überlagert bzw. aufgepustet, weil das Medienecho so groß war.

Ich denke, die Wahlentscheidung gegen die CSU und für die Freien Wähler wird eher von anderen Faktoren bestimmt (Politik für das Land vs. Politik für die Stadt, Nähe der Union zu den Grünen bzw. Umweltschutzthemen). Ich glaube (bzw. hoffe) nicht, dass die Freien Wähler dank der Flugblatt-Affäire so gut abgeschnitten haben. Wenn man sich das Wahlprogramm der Freien Wähler ansieht, dürften AfD-Wähler einige Probleme mit deren Positionen zum Thema Migration haben (Integration und Migration - FW Landtagsfraktion).

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Da muss man glaube ich ein Stück weit weiter ausholen:

Wir wissen aus der Forschung relativ gesichert, dass ein Rechtskurs oder eine programmatische Annäherung eigentlich fast immer das Original stärkt. Zuletzt hat das Debes noch einmal sehr schön mit direktem Bezug zur Union gezeigt: Schwächt eine programmatische Annäherung der Unionsparteien an die AfD den Wahlerfolg der Rechtspopulisten? Eher nicht. Ein Beitrag von Marc Debus: DVPW - Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Diese Erkenntnis gilt inzwischen als relativ gesichert. Hinzu kommt: Hessen und Bayern lassen sich nicht vergleichen bzw. wir müssen das ein bisschen Aufdröseln. Als abhängige Variable würde ich jetzt mal ‚Erfolg AfD‘ setzen. Als unabhängige Variablen (also Einflussfaktoren) zeichnen sich ab: 1.Wirtschaftliche Situation 2.) Migration 3.) Unzufriedenheit mit BReg.

In Hessen standen 3 Ampelparteien, die CDU (die aber mit einer Ampelpartei koaliert) und die AfD zur Wahl. Es war für die AfD hier relativ leicht, sich als einzig echte Alternative zu positionierten. Eine Betrachtung der Netto-Wählerwanderung stützt diese Beobachtung. Die AfD gewinnt hauptsächlich Wähler von den Ampel Parteien, vergleichsweise wenig von der CDU.

In Bayern hingegen haben wir die Besonderheit, dass der Kuchen seit Jahr und Tag verteilt ist. Ca 70 % wählen strukturell konservativ bis ganz rechts. Zusätzlich hat Markus Söder von Anfang an auf eine Kulturkampf-Rhetorik gesetzt und seine „bürgerlich-konservative“ Landesregierung als Gegenmodell zur Ampel in den Schaukasten gestellt. Demokratisch gesinnte Ex Ampel Wähler haben das goutiert, gleichzeitig hat der „Dann wählen wir das Original“ Effekt eingesetzt und er hat nach rechts verloren. Was wir in Bayern gesehen haben, war also eher eine Umverteilung innerhalb eines Lagers, in dem sich ja auch noch die FW tummeln, was die vergleichsweise geringeren Zugewinne der AfD erklärt. Das hat aber primär erstmal weniger mit Söders Strategie zu tun.

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Ich stimme aus einem ganz anderen Grund der Perspektive von Ulf und Philip in Bezug auf Hessen nicht zu.
Vorab darf ich mich outen als diesjährige SPD Kandierende für den Hessischen Landtag. Ich habe ein besseres Erststimmenergebnis geholt als Landesstimmen, gereicht hat es trotzdem nicht.

Ulf und Philip waren im Podcast der Meinung, dass Boris Rhein einen entspannten Wahlkampf ohne das Thema Migration gefahren hätte. Dem widerspreche ich deutlich. Vielleicht ist er im Gegensatz zu Söder und Aiwanger in Bayern nicht mit persönlichen Aussagen auffällig geworden. Aber wenn die Hessische CDU flächendeckend plakatiert mit Aussagen wie „Innere Sicherheit, äußere Gelassenheit“ und „Ampelregierung verhindern“, dann kann man das in Hessen durchaus auch als Hinweis gegen die Migrationspolitik der Bundesregierung verstehen. Von den Kampagnen in einschlägigen Springer-Medien gegen die Innenministerin und das Thema Migration mal ganz abgesehen.

Und klar, auf Seiten meiner Partei gab es zig handwerkliche Fehler, die den Kurs nicht verbessert haben. Meine ganz persönliche Erfahrung in all dem: Irre, wie wenig Einfluss man als einzelne Person bei einer Landtagswahl hat, wenn Bundesthemen eine Wahl bestimmen. Vor allem, weil diese Bundesthemen ja gar nicht auf Landesebene gelöst werden können.

Und als kleinen Exkurs: In meiner Heimatstadt (etwa 27.500 Einwohner) hing nicht ein einziges AfD Wahlplakat und kein einziger Infostand fand statt. In einzelnen Wahlbezirken holte die AfD hier trotzdem satte 35%. Abgesehen davon, dass das beweist, dass Wahlplakate und Infostände keine der zentralen Wahlkampfinstrumente darstellen, müssen sich hier einfach ALLE demokratischen Parteien fragen, warum eine vom Verfassungsschutz beobachtete Partei so viel Zulauf erhält.

Als aktives SPD Mitglied begleitet man auch ohne eigene Kandidatur viele viele Wahlkämpfe. Was in diesem Jahr anders war als bei anderen Wahlkämpfen: Der Ton an den Infoständen war rauer, teilweise unter der Gürtellinie und aggressiv. Dasselbe spiegelte sich im Online-Wahlkampf wider. Ich habe noch nie so viele Hasskommentare bzw. niveaulose Reaktionen auf Postings und Videos erhalten. Ob das alles echte Menschen waren, sei dahingestellt. Fakt ist: keine der demokratischen Parteien hat eine Antwort auf diesen Online-Wahnsinn. Wir hängen alle dieser Entwicklung hinterher.
Summa Sumarum glaube ich nicht, dass es die EINE Antwort gibt, warum die Wahlergebnisse in Hessen so ausgefallen sind. Ich empfinde es als äußerst komplexe Angelegenheit und wir als SPD haben einige Aufarbeitungsaufgaben vor uns.

trotzdem noch ein Hinweis in eigener Sache: Unsere Demokratie basiert auf unserem Parteiensystem. Wir leben von unseren Mitgliedern. Man verzeihe mir also diesen kleinen Werbeblock: wer sich vorstellen könnte, Mitglied einer demokratischen Partei zu werden und es noch nicht ist: Bitte treten Sie ein und arbeiten Sie an der Wehrhaftigkeit unserer Demokratie mit. :slightly_smiling_face:

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