LdN349 - Bildung, hier fehlt was

(1/2) Liebes Team der Lage der Nation und ganz besonders liebe Maren Fußwinkel,

herzlichen Dank, dass ihr euch dem Thema Bildung gewidmet habt. Euren Ausführungen zur Schule und dem besonderen Entwicklungsdruck der Grundschule schließe ich mich fast komplett an (Manager*innen als Schulleitungen würde ich jetzt zumindest nochmal zu bedenken geben ;)).
Mir hat, wie sehr sehr sehr sehr oft im öffentlichen Diskurs, der Bereich der frühkindlichen Bildung in euren Ausführungen gefehlt. Das ist deshalb ungünstig, weil tatsächlich in Bezug auf die Auswirkungen der Herkunft auf Bildungserfolg und damit auch unmittelbar auf euer/ das OECD Thema, berufliche Bildung, die Zeit vor der Grundschule, entscheidend ist. Ich habe dazu mal eine Email verfasst, die ich hier im folgenden anhänge:

2014 habe ich an der Hochschule in Düsseldorf, damals noch Fachhochschule Düsseldorf, angefangen Pädagogik der Kindheit und Familienbildung zu studieren.

Zu der Zeit war das Thema Fachkräftemangel in der KiTa bereits präsent. Auch Unzufriedenheiten im Sektor gab es, die sich 2015 in massiven KiTastreiks, wenn ich mich recht entsinne tatsächlich in Form mindestens eines mehrwöchigen Streiks, geäußert haben (NRW).

Ich mache mir jetzt also seit knapp zehn Jahren Gedanken über den Bereich KiTa und hier sind ein paar Gedanken, die ich seitdem auf verschiedenen Wegen (durchaus auch im Austausch) generiert habe:

2019 habe ich das Studium beendet und bin nicht in die KiTa gegangen. Einer von mehreren Gründen dafür (oder eben dagegen) war, dass, obwohl ich originär für die KiTa ausgebildet bin, es keinen Bereich gibt, in dem ich auf Grundlage meines Abschlusses angestellt wäre und weniger verdienen würde.

Für mich stellt sich an dieser Stelle schon lange die Frage, warum es überhaupt zwei parallele Ausbildungen (Erzieherin & Kindheitspädagogin/Sozialarbeiterin/-pädagogin) gibt, bzw. warum sich zwei Ausbildungen des gleichen Berufsfeldes erhalten haben, die auf der Ebene des deutschen Qualitätsrahmens dem gleichen Level (Level 6) entsprechen. Trotz des selben Levels und dem gleichen Arbeitsfeld unterscheidet sich die Vergütung in NRW dann aber um mindestens 3 Stufen (TvöD SuE S8a Erzieherin, SuE S11 Kindheitspädagogin).Die schlussendliche Bezahlung nach S8 oder S11 ist gar nicht so gewaltig unterschiedlich, sodass eine Anhebung auf S11 für das Image günstig und für den Haushalt ungünstig, aber im Verhältnis ggf. gar nicht so extrem wäre. Hier zitiere ich zur DQR/TVöD Thematik meine frühere Chefin: „Der DQR ist dem TvöD doch egal.“ Ist vermutlich was dran und war für mich ausschlaggebend nochmal weiter zu überlegen.

(2/2)
In meinen Recherchen bin ich immer wieder darauf gestoßen, dass die Einführung der Studiengänge Kindheitspädagogik keine politische Agenda war, sondern hochschulseitig (allen voran von der Alice Solomon Hochschule in Berlin) angestoßen wurde. Für mich erklärt das ganz gut die aktuelle Parallelsituation.

Während meines Studiums war ich überzeugt davon, dass die parallelen Qualifizierungen zur Erzieherin und zur Kindheitspädagogin und die parallele Arbeit der Absolvent*innen berechtigt, ja sogar günstig, ist, sich gegenseitig befruchtet und die Wahl einfach nach Vorliebe (mehr Praxis/mehr Forschung) getroffen werden kann.

Warum halte ich vor dem Hintergrund der o.g. Aspekte eine grundsätzliche Akademisierung des KiTa-Bereichs mittlerweile trotzdem für notwendig?

  1. und wichtigster Punkt: Die Arbeit der Erzieherin (als überwiegende pädagogische Hauptfachkraft in der KiTa aktuell) ist, wenn wir über Chancen- und Bildungsgerechtigkeit sprechen, der wichtigste Job, den wir in Deutschland haben. Vor zwei Jahren gab es zum Thema mal einen großartigen Artikel in der ZEIT (ZEIT ONLINE | Lesen Sie zeit.de mit Werbung oder im PUR-Abo. Sie haben die Wahl.), der auf der soziologische Untersuchung des Nationalen Bildungspanels durch Jan Skopek basiert (Skopek, J. & Passaretta, G. (2020): Sociaoeconomic Inequality in Children’s Achievement from Infancy to Adolescemce: The Case of Germany, in Social Forces, 2021, Volume 100, Issue 1, S. 86-112). Ein prägnantes Zitat aus der ZEIT: „Der Heimvorteil eines Kindes aus einer privilegierten Familie schlägt also am stärksten in den ersten sechs Jahren vor der Schule zu Buche. ‚Wer etwas gegen die Bildungsungleichheit unternehmen will, muss in dieser Zeit tätig werden‘, sagt Skopek. Danach, so lautet die ernüchternde Botschaft, ist die Messe weitgehend gelesen.“

(3/4 (wurden doch mehr))

  1. Es wird viel über das Image des KiTa-Sektors diskutiert. Eine gute (!) Kampagne ist sicherlich nie verkehrt. Die Akademisierung könnte aber ein dauerhafterer und stabilerer Weg sein. Diesen Weg haben letztlich auch andere Sektoren, wie Pflege und Hebammenwissenschaften eingeschlagen. Durch eine Akademisierung der frühkindlichen Bildung könnten wir eine Imageverbesserung herbeiführen
  2. Stringenz. In zweierlei Hinsicht:
  3. Anpassung an das europäische Ausland, in dem, bis auf ganz wenige Ausnahmen, die frühkindliche Bildung akademisch ist.
  4. Innerhalb der Landschaft der Bildungsinstitutionen. Wenn wir sagen, dass KiTas die erste Stufe der institutionalisierten Bildung sind, erscheint mir eine gleichwertige Ausbildung für alle im institutionellen Bildungsverlauf Tätigen (Haupttätigen) folgerichtig. So wie auch die Qualifizierung der Lehrkräfte im Grundschulbereich von den PHs an die Hochschulen gewandert ist, erscheint mir eine mindestens hochschulische Ausbildung folgerichtig (es könnten auch alle Lehrerinnen/Hochschullehrerinnen und Kindheitspädagog*innen an Fachschulen ausgebildet wären, das wäre auch stringent).
  5. Professionalisierung: Auch wenn wir sagen, dass wir die duale Ausbildung, als deutsches Qualitätsmerkmal und auch unabhängig davon, stärken wollen, gilt weiterhin (systemisch, natürlich nicht im Einzelfall): Je höher die Ausbildung, desto mehr Forschung, je mehr Forschung, desto stärker die Professionalisierung. Hierzu noch ein recht einprägsames Zitat von Diana Franke-Meyer (Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Elementarpädagogik an der EvH RWLund Erzieherin): „Man kann also sagen, dass sowohl der Status der frühpädagogischen Institutionen als auch der Status der frühpädagogischen Fachkräfte in Deutschland eine Aufwertung erfahren sollten, wenn man davon ausgeht, dass die Phase der frühen Kindheit eine entscheidende Lebensphase für die weitere Entwicklung ist. Bisher jedoch werden die Kindertageseinrichtungen als sozialpädagogische Fördereinrichtungen verstanden, deren ordnungspolitische Zuordnung als elementarpädagogische Bildungseinrichtungen im Bildungssystem nicht angestrebt wird. Die Konsequenz daraus ist, dass die Verberuflichung des erzieherischen Personals für die Kindertages-einrichtungen [sic!] bis heute nicht über einen semi-professionellen Status hinausgekommen ist.“ (2022, Zugänge zur Geschichte der Pädagogik der frühen Kindheit. Eine Einführung. S. 143).
  6. Die parallele Qualifizierung von Erzieherinnen und Kindheitspädagoginnen behindert den Eintritt in den bzw. den Erhalt letzterer im KiTabereich, weil dieser keine entsprechende Vergütung/Anerkennung mit sich bringt.

(4/4)

  1. Nachwuchsfrage: Die Anzahl der Schulabgängerinnen mit Abitur ist gestiegen. Viele Abiturientinnen möchten studieren. Hier würde eine Ausweitung der Studienkapazitäten als Entsprechung zur gestiegenen Zahl der Abiturientinnen konsequent erscheinen. Ich habe mal bei einer ehemaligen Professorin „meiner“ Hochschule nachgefragt (unverbindlich und ohne Gewähr), wie die Anmeldezahlen im Vergleich zur Kapazität aktuell aussehen. Sie sagte, dass auf 90 Plätze etwa 300 Bewerbungen kommen. Der NC war laut HP für das letzte Wintersemester bei 2,5 (nach Losverfahren). Demgegenüber steht in der Stadt, in der ich wohne (Aachen) eine Erzieherinnenklasse wegen zu weniger Anmeldungen vor dem Aus.
    Was mir zum Schluss noch ganz wichtig ist, um dem Vorwurf direkt vorzubeugen: Die Akademisierung ist aus meiner Sicht in keinster Weise eine inhaltliche Kritik an der Ausbildung zur Erzieherin. Mir ist bewusst, dass das eine anspruchsvolle Ausbildung ist. Für mich wäre die Akademisierung des Hauptpersonals in KiTas (bei Erhalt der Kinderpfleger*innenausbildung) ein Weg für die Erzieherinnen und zu mehr Anerkennung dieses Berufsfeldes.

Ich fänd es super, wenn ihr euch der Thematik der frühkindlichen Bildung im Rahmen eurer Bildungsrecherchen oder als Nachtrag zur Sendung 349 annehmen würdet und danke euch für eure tolle Arbeit.

Für weitere Recherchen oder Zuarbeit zu diesem Thema stehe ich sehr gerne zur Verfügung!

Ganz viele Grüße,

Lucy

Nein, auch die Kitas wurden deutlich in ihrer Wichtigkeit hervorgehoben.

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Bildung/Erziehung ist eine Aufgabenteil zwischen Schule und Familien. Es hilft m.M.n. also nicht nur eine Seite zu fördern (hier Schulen/KiTas), sondern auch die Familien müssen wieder stärker in Verantwortung genommen werden.

Empirische Evidenz:
Meine Frau ist Grundschullehrerin und sie beklagt, dass Eltern oft kein Interesse am Lernfortschritte ihrer Kinder haben und gar nicht die Voraussetzungen schaffen, damit die Kinder gescheit lernen können.

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Empirische Evidenz mit einem Augenzwinkern? :wink:

Ich stelle mal als Theorie auf, dass das ein relativ „deutsche“ Sichtweite ist das überhaupt so zu differenzieren.
Im europäischen Ausland ist der institutionelle Ganztag zum Teil schon seit dem 19. Jahrhundert Gang und Gäbe und die Sichtweise, dass gutes Aufwachsen für Kinder ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag ist, verbreitet. Gerade die Kinder, die zuhause wenig Interesse bekommen, sollten in KiTa und Schule gut aufgefangen werden.
Hier die Systeme kiTa/Schule und Familie gegeneinander zu stellen, halte ich für wenig zielführend, wenn das Ziel Bildungsgerechtigkeit ist.

Wie ist es gemeint, Familien mehr in die Verantwortung zu nehmen?

LG, Lucy

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Hallo Margarete,

ich habe nochmal nachgehört.
Es stimmt, die KiTa ist nicht gänzlich unerwähnt.
Eine Minute wird ihr, von insgesamt 15 Minuten, gewidmet.
Aus meiner Sicht bestätigt das meinen Ansatz von oben: obwohl hier, gemessen am möglichen Einfluss auf Bildungsgerechtigkeit, am meisten bewegt werden könnte und müsste und deshalb am ehesten und meisten investiert werden müsste, werden im Resümee (etwa ab Minute 59 bis 1:03:00) ausschließlich Maßnahmen für Schulen, und dann auch noch Sekundarstufe I und II, benannt, die, wie ja in der Folge auch benannt sind, im OECD Vergleich sogar höhere Gehälter verzeichnen, während die im Elementar- und Primarbereich, deutlich unter dem OECD-Schnitt liegen.
Das Investment müsste also umgekehrt erfolgen: zunächst die (auch monetäre) Aufwertung von KiTas und danach, oder prallen, die Schulen.

Den Bildungsgipfel geh ich dafür wieder komplett mit :slight_smile:

Viele Grüße,
Lucy

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Es gibt beim „In Verantwortung nehmen“ der Familien nur ein großes Problem… Nämlich was, wenn die Familien dieser Verantwortung nicht nachkommen? Dann haben die Kinder eben Pech gehabt? Dieses „Die sind selbst für ihre Kinder verantwortlich“ folgt zwar der üblichen Neoliberalen Logik der allumfassenden Selbstverantwortung, wird aber den Kindern nicht gerecht. Wir als Gesellschaft und Staat haben eben kaum Möglichkeiten, auf diesen Teil der Gleichung einzuwirken. Wir können (und müssen meiner Meinung nach auch!) nur versuchen auf der anderen Seite der Gleichung (KiTa, Schule) auszugleichen.

Ja, Erziehung und Bildung ist auch Aufgabe der Familie. Sollen wir aber alle Kinder, bei denen dieser Aufgabe aus mannigfaltigen Gründen („Keine Lust“ wird es eher selten sein) nicht nachgekommen wird, einfach als Bildungsverlierer abschreiben? Finde ich nicht fair den Kindern gegenüber, die sich ihre Eltern und ihre Familie ja nicht aussuchen - und können wir uns gesamtgesellschaftlich in Zeiten gravierenden Fachrkäftemangels eigentlich auch absolut nicht erlauben.

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Ich glaube, dass ich da falsch verstanden worden bin. Mir geht es darum auf eine Zusammenarbeit von Schule/Familien hinzuwirken. Deswegen finde ich die Ansätze, die besprochen worden sind goldrichtig; nämlich Lehrkräfte entlasten und Fokussierung auf den Unterricht ermöglichen.

Diese professionelle Schulleitung und die Sozialarbeiter müssen dann aber auf die Familien einwirken, dass dort auch ein Bewusstsein für Handlungsbedarf einkehrt und dieser auch angegangen wird (fängt an bei die Federmappe zu kontrollieren, bis hin zu Besprechung der Hausaufgaben).

Das kann nicht alles Aufgabe von Schule/KiTa/Hort sein.

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Einerseits erwarte auch ich als Lehrerin Mitarbeit seitens der Eltern. Ich kann den Einwand also nachvollziehen. Gleichzeitig gibt es aber viele Elternhäuser, die diese Art der Mitarbeit nicht gewährleisten können. Für diese ist es wichtig, dass die Kinder entsprechend durch die Schule gefördert werden.

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