Ich bin sehr dankbar, dass die Hosts weite Teile von Scholzs Rede im Original gespielt haben.
Geht es Euch auch so? Ich hatte aus der Berichterstattung von Süddeutscher und Öffentlich-rechtlichem Fernsehen nicht entnommen, dass er den Zustand Deutschlands so schonungslos offen beschrieben hat. Die haben eher auf den sog. „Deutschland-Pakt“ abgestellt und den dann auch ziemlich abgetan. Im Gesamtkontext war der aber dann doch bemerkenswert.
Zurecht weisen die Hosts daraufhin, dass bevor die Regierung versucht, eine Kooperation mit der Opposition im Bundesrat zu suchen, erst einmal für eine einheitliche Linie innerhalb der Regierungskoalition sorgen muss. Angesichts der unterschiedlichen politischen Grundüberzeugungen bin ich da skeptisch.
Dazu ein Gedanke / eine Frage an die Community: Es gibt in einigen Ländern Wahlgesetze, die der wahlgewinnende Partei überproportionale Bonussitze zubilligen, damit es stabile Regierungen gibt. Hätten wir so etwas, wären rot-grüne (oder schwarz-gelbe) Koalitionen wahrscheinlicher und wir hätten Regierungen, die eher an einem Strang ziehen.
Wie wäre so eine Verfassungsänderung unter politischer oder verfassungsrechtlicher Brille zu bewerten?
Ich würde mal sagen, hätten wir auch sowas, wären die ostdeutschen Bundesländer noch näher am Abgrund als ohnehin schon.
Wäre halt eine eklatante Verabschiedung vom Gleichheitsprinzip der Wahl, da eine Stimme für die „Gewinnerpartei“ (mit bloß relativer Mehrheit) deutlich mehr wert wäre als für alle anderen Parteien. Das würde hart zu Lasten der „kleineren“ Parteien gehen, denn die Aussicht auf den „Bonus“ bietet natürlich einigen Anreiz, sich mit seiner Stimme lieber im Rennen um die Pole-Position zu beteiligen, auch wenn keine der entsprechenden Parteien eigentlich die eigene erste Wahl wäre.
Ich weiß nicht, wie konkret das in den anderen Ländern ausgestaltet ist. Aber nehmen wir mal an, es ginge wirklich nur darauf, der stärksten Partei mehr Sitze zu geben, ohne dass die anderen Parteien weniger bekämen. Und nehmen wir mal an, dass sie aber nicht so viele Stimmen zusätzlich bekämen, dass sie allein regieren könnten?
Warum wären dann die ostdeutschen Länder „noch näher am Abgrund“?
Wo siehst Du den Anreiz, die stärkste Partei zu wählen? Meinst Du, die Leute wählen bevorzugt den vermeintlichen Sieger? Oder die Partei, deren Stimme „mehr wert“ ist?
Mir geht es darum, eine Parteienstruktur zu vermeiden, in der Parteien in einer Regierung zusammen arbeiten müssen, die von ihrer Grundüberzeugung her nicht zusammenarbeiten können.
Es ist mir unklar, was das bedeutet. Wenn die stärkste Partei mehr Sitze bekommt, bekommen die anderen automatisch relativ dazu weniger. Natürlich könnte man den Bundestag vergrößern, aber an den Machtverhältnissen ändert das nichts.
Das heißt, wenn die stärkste Partei 49% bekommt, gibt es keine zusätzlichen Sitze, sonst aber schon? Das erscheint mir sehr unintuitiv. Es könnte auch leicht dafür sorgen, dass wir in Situationen kommen, wo eine Partei mehr Sitze bekommt, wenn sie weniger Stimmen hat. So etwas hat das Bundeesverfassungsgericht in der Vergangenheit schon beanstandet.
Grundsätzlich glaube ich nicht, dass es verfassungsrechtlich unmöglich wäre, einen Stimmenbonus zu rechtfertigen. Die 5%-Hürde sorgt auch dafür, dass Stimmen effektiv „weniger wert“ sind, und ist trotzdem verfassungsgemäß.
Ob es politisch wünschenswert ist, daran habe ich meine Zweifel. In der aktuellen politischen Lage würde es klar die CDU bevorzugen, weil das linke Lager stärker aufgeteilt ist. Das würde auch heißen, dass SPD/Grüne einen Anreiz hätten, mit einer gemeinsamen Liste anzutreten, um den Mehrheitsbonus abzugreifen. In so einer Situation ist alles, was erreicht ist, dass man den Richtungsstreit in die Fraktion verlagert.