LdN346: Nützlichkeitsrhetorik in der Migrationsdebatte

Ich nehme die aktuelle Folge mal zum Anlass, um einen Kommentar zu machen, der mir schon länger unter den Nägeln brennt, wenn es darum geht, wie in der Lage über Migration diskutiert wird.

Der Vorschlag, den ihr macht ist effektiv dieser: Wir (oder: die Politik) sollte den Fokus darauf legen, dass wir Einwanderung brauchen anstatt in Abwehrhaltung zu verfallen. Denn die Abwehrhaltung nützt nur der AfD.

Ich glaube, hier liegt ein fundamentales Problem vor. Denn in meiner Wahrnehmung nützt dieses Argument ebenfalls der AfD. Es gibt das Framing: Wir erlauben Migration, weil wir sie brauchen. Damit ist aber implizit angelegt: Wenn wir keine Migration bräuchten, wäre es vollkommen in Ordnung, sich abzuschotten.

Das erlaubt migrationsfeindlichen Akteur:innen, sich auf die Frage zu versteifen, ob Mgration wirklich gebraucht wird. Da gibt es dann einige Argumentationsstränge, die verfolgt werden könnten: Die Kriminalität ist es nicht wert, die Ausländer:innen liegen nur in der sozialen Hängematte, wir müssen einfach mehr Deutsche produzieren etc. Die migfrationsfreundliche Seite gerät so schnell in die Defensive.

Es sorgt auch dafür, dass die positiven Effekte von Migration überbetont werden. Ich kann mich an mehrere Artikel aus dem Zeitraum um 2015 erinnern, wo der Tenor effektiv war: In zwei, drei Jahren sind diese Leute alle am Arbeiten und tragen zu unserem Wohlstand bei. Euer Gast in dieser Folge hat es demgegenüber jetzt als Erfolg verkauft, dass 50% der damals Angekommenen jetzt Erwerbsarbeit nachgehen. Das bleibt weit hinter den urspünglichen Versprechen zurück. Und dann ist es kein weiter Weg mehr zu „die da oben lügen uns an“.

Meiner Meinung nach müsste der Fokus stattdessen ein humanitärer sein: Wir haben die moralische Pflicht, diese Menschen, die vor Krieg, Verfolgung, Armut oder Klimawandel fliehen aufzunehmen. Dabei spielt keine Rolle, ob sie später ein „Nettogewinn“ sind. Das kostet uns wahrscheinlich etwas, aber Deutschland ist ein reiches Land und der Reichtum basiert auf der Ausbeutung der Länder, wo die Geflüchteten herkommen.

Dieses Framing macht klar: es gibt Kosten, und wir brauchen eine Unterhaltung über die Lastenverteilung. Dann könnte man auch schnell zu dem Punkt kommen, dass „starke Schultern“ auch mehr tragen sollen. Wenn die Aufnahme von Geflüchteten etwa durch eine Vermögensabgabe finanziert wäre, würde das auch der gesellschaftlichen Akzeptanz nützen, dann haben ärmere Menschen nicht das Gefühl, dass die Ankommenden ihnen zur Last fallen.

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3 Beiträge wurden in ein neues Thema verschoben: LdN346: Eine völlig andere Perspektive auf die Migrationsdebatte

Man muss zwischen Asyl und Armutsmigration unterscheiden. Ersteres ist Menschenrecht und solle absolut unangetastet bleiben. Letzteres unterliegt vollständig der politischen Willensbildung. Wenn die Mehrheit keine Armutsmigration wollte, dürfte man sich auch abschotten. Hier muss man deswegen in der Tat (sachlich) argumentieren und aufzeigen, wieso man auch für diese Form der Migration eintreten sollte.

2015 war vor Allem Asylmigration wegen dem Krieg. Deswegen standen damals zurecht humanistische Erwägungen im Vordergrund. Aktuell aber werden die meisten Asylanträge abgelehnt, da es sich um Armutsmigration handelt. Entsprechend ist die Diskussion heute eher sachlich und in Teilen utilitaristisch. Das ist kein Problem. Man muss Diskurs auch mal aushalten und sich den Rechten argumentativ stellen.

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Ich sehe nicht so richtig, woher diese starke Unterscheidung kommt. Natürlich ist formaljuristisch auf der einen Seite ein Grundrecht und auf der anderen Seite nicht, aber wie ist das aus deiner Sicht begründet?

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Was meinst du mit „formaljuristisch“. Recht ist halt „in Form gegossene“ Politik. Die (rechtliche) Unterscheidung ist also eine politische Entscheidung. Falls dich das historisch interessiert, wie man dahingekommen ist, kannst du dir mal die Protokolle zur Genfer Konvention oder so durchlesen. Damals hat man schon sehr streng auf eine enge Definition geachtet, weil man eben kein Grundrecht auf Armutsmigration wollte. Viele Länder sehen noch nicht einmal ein Asylgrundrecht vor. Es scheint überall eigentlich Konsens, dass Migration Objekt der demokratischen Entscheidung ist. Wenn du also eine liberale Einwanderungspolitik willst, bleibt nichts anderes übrig als entsprechend zu wählen bzw. Andere von solch einer Wahlentscheidung zu überzeugen. Das geht am besten mit Dachargumenten.

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Ich würde mal unterstellen, dass die LdN Zuwanderung als Wirtschaftsfaktor diskutiert, weil die Hosts diesen Zusammenhang eben wichtig und interessant finden. Es geht ja nicht darum, einen Werbe-Podcast für Migration zu machen, und sich dann die überzeugendste Masche (ökonomisch, humanitär, multikulti, …) auszudenken. Abgesehen davon kamen (menschen-)rechtliche Gesichtspunkte ja auch ziemlich ausführlich vor. Und daran, was der AfD evtl. auch irgendwie nützen könnte, würde ich mich schon gar nicht orientieren, wenn es um reale Fakten und Zusammenhänge geht.

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Das ist nicht so. Die verfassungsrechtliche Definition des Asylgrundes steht nicht zur Disposition des einfachen Gesetzgebers. Zwar mittelbar schon über die sicheren Herkunftsländer, aber die kann man auch nicht willkürlich einstufen.

In der Tat liegt aber in der Definitionshoheit über den Begriff Asyl ein erhebliches Machtpotential der jeweiligen Gerichte bzw. Wissenschaft die sich damit auseinandersetzt.

Sehr treffend beobachtet. Die Nützlichkeit offenbart wunderbar, wessen geistes Kind laxere Zuwanderungs- und Aufenthaltsregeln sind. Deutschland hat mehr Bedarf nach Arbeitskräften, als die einheimische Bevölkerung nachproduziert, da muss man sich halt dem Fremden gegenüber öffnen, sagen die einen. Die anderen meinen es das Beste für Deutschland wäre, wenn man drauf verzichtet. Wer genau hinsieht erkennt dann auch, dass sich da zwei Nationalisten streiten.

nur…

Wenn das so ist wie du sagst -was ich erstmal nicht bestreiten will- wie kommst du dann darauf, dass sich das in einem humanitären Ansatz ummünzen lässt?

Die Ausgangsfrage habe ich darin gesehen, warum es überhaupt utilitaristische Argumente braucht, wenn man Migration doch ohnehin moralisch legitimieren kann.

Ich denke diese Frage kann man eben nur mit dem Verweis beantworten, dass es verschiedene Diskurse gibt, nämlich einmal einmal über Zuwanderung insgesamt und dann über die Migration ohne Asylgründe im engen rechtlichen Sinne. Die Asyldefinition unterscheidet sich im Übrigen in den unterschiedlichen Rechtsquellen (GK, EMRK, GrCH, GG), fordert aber stets eine Verfolgung. Schlechte Lebensumstände allein reichen nicht auch. Die Unterscheidung von Wirtschafts- und echten Geflüchteten ist kein rechtes Narrativ, sondern rechtlicher Konsens, wobei natürlich im Einzelnen unterschiedliche Ansichten vorliegen. Die wirtschaftliche Lage im Herkunftsland kann in DE z.b. immerhin die Abschiebung verhindern.

In der Lage wurde mEn primär über Zuwanderung unabhängig vom Asylrecht diskutiert und diese unterliegt eben einem Sachdiskurs. Es gibt keine eindeutige moralische Obligation einer jGesellschaft, grundsätzlich jede Zuwanderung zu dulden. Vielmehr darf man darüber diskutieren und dann auch utilitaristische Argumente anführen. Migration ist also nicht einfach gut, sondern sie ist gut weil sie uns nützt (kulturellel, wirtschaftlich, usw.).

Insofern finde ich es gut, dass die Lage auch entsprechend diskutiert und versucht für Migration zu werben ohne davon auszugehen, dass Migration schon für sich spricht und keiner positiven Argumente mehr bedarf. Da muss man den Podcast dann …auch mal loben.

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Zu Zeiten der Genfer Konvention hat man halt auch schon darauf geachtet, dass die Grenzen zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten hübsch bestehen bleiben.

Da fallen uns sämtliche Versäumnisse der letzten Dekaden vor die Füße:
Außer Artikel 6 GG gab es keine individuelle Möglichkeit, in Deutschland ein besseres Leben zu suchen, obwohl schon in den späten 50er Jahren Arbeitskräfte angeworben wurden. Allerdings eben nur von oben auf Anforderung durch die Arbeitgeber - und das bevor man sich ernsthaft mit den Hinterlassenschaften nicht nur des Fremdenhasses im Dritten Reich auseinandergesetzt hatte.
Die "Gast"arbeiter (Lafontaine-Sprech: Fremdarbeiter) sollten nach 5 Jahren wieder heimgehen und durch neue ausgetauscht werden. So hat Deutschland nicht nur nicht gelernt, was Integration und gesellschaftliche Öffnung überhaupt heißt, sondern hat auch gelernt, dass technische Innovation durch Import von Arbeitskräften teilweise ersetzt werden kann. Es wurde von Globalisierung geschwärmt, aber eine mentale Öffnung vermieden wenn nicht gar verhindert. Dann holten die "Gast"arbeiter ihre Familien nach. Die Kinder kamen in sog. Ausländerklassen, wo sie zwar deutsch lernen sollten, ansonsten guckte aber auch keiner so genau nach. Manche meiner Arbeitskollegen konnten kaum einen ganzen deutschen Satz sprechen. Und für Schichtarbeiter gab es auch keine angepassten Kurse.
Vor lauter Lebenslügen hat man auch nicht darauf geachtet, wie die Leute lebten. Zuerst war das ja auch nicht so schlimm, die Italiener waren im ersten Schub waren ja immerhin Christen und in der EWG, Griechen auch. Aber dann kamen die Türken Ich kann mich noch erinnern, wie die Menschen sich fröhlich an die Freiheiten im neuen Land gewöhnten, Frauen zogen erleichtert das Kopftuch aus. Dann merkten sie die Ablehnung und mit jeder nachwachsenden Generation gibt es mehr Menschen, die sich auf so was wie die eigene Kultur zurückziehen. Geht ja auch gut: die verwarzesten Wohnhäuser fanden noch Mieter, die woanders keine anständigen Wohnungen bekamen. Und die Menschen, die dort lebten, wussten auch genau, dass dies am falschen Namen lag.
Nach dem Fall der Mauer wurde die Integration der Ostdeutschen ebenfalls versäumt (und der unseren - ist ja keine Einbahnstraße), das Potential der wirtschaftlichen Verbindung in den osten verschenkt und die vorhandenen Wohnung verkauft, abgerissen und vernachlässigt. Sozialbauwohnungen gehen schleichend aus der Sozialbindung, neue werden keine gebaut, und die für ein funktionierendes gesellschaftliches Leben notwendigen Strukturen wie Kindergärten, Schulen, genügend Wohnungen etc. werden zum Luxus. Ich selbst kenne München seit meiner Geburt nur mit Wohnungsnot für die unteren Klassen.
Die Verkürzung auf die Nützlichkeit hetzt diese unteren Klassen gegeneinander. So ist das Dilemma nicht aufzulösen. Es ist einfach lebensentscheidend für alle, den Menschen im globalen Süden nicht mehr oder wenigstens weniger zu schaden. Und endlich ein einfaches Zuwanderungsgesetz zu verabschieden. Oder wollen wir die armen Menschen an den außengrenzen erschießen!?!

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