LdN336: Whistleblower -Falsches Beispiel

Edward Snowden als den Whistleblower hinzustellen, der auf Grund seiner Veröffentlichungen nun unter den persönlich größten Einschränkung leidet, hält einer genauen Betrachtung nicht stand. Herr Snowden lebt freiwillig in Russland und bestimmt nicht schlecht. Im Unterschied dazu haben Frau Chelsea Manning und Herr Julian Assange ganz andere persönliche Erfahrungen gemacht. Wie eine groß angelegte Verleumdungskampagne durch staatliche Stellen verschiedener Länder, die sich bei der Verbreitung auf die Medien verlassen konnten. Dieser Vorgang betraf hauptsächlich Julian Assange, der nur auf Grund eines mehrmals eröffneten Ermittlungsverfahrens in Schweden wegen vermuteter Vergewaltigung, welches zu keiner Anklage führte, als Vergewaltiger in einem Großteil der Medien bezeichnet wurde. Desweiteren kamen für beide Betroffenen Gefängnisauffenthalte in Einzelhaft dazu. Frau Manning wurde von einem US-Militärgericht zu 35 Jahren Haft verurteilt und konnte nur auf Grund einer Begnadigung durch Präsident Obama das Gefängnis vorzeitig verlassen. Julian Assange sitzt dagegen in UK noch immer in Ausleferungshaft auf Antrag der USA und dieses unter menschenunwürdigen Bedingungen. Nils Melzer der unabhängige Berichterstatter für Folter der Vereinten Nationen bezeichnet die Haftbedingungen als Folter. Im Vergleich dazu hat Herr Snowden ein sicheres Leben. Für sich alleine betrachtet ist seine Situation aber auch nicht kleinzureden.

Es stimmt schon, dass es schwerwiegendere Beispiele gibt.

Aber als „freiwillig“ würde ich Snowdens Exil in Russland auch nicht bezeichnen. Es ist ja nicht so, dass Snowden Russland aus einer Vielzahl von Optionen gewählt hätte, sondern eher so, dass Russland von den wenigen Ländern, bei denen klar ist, dass sie keine Auslieferung an die USA machen werden, dasjenige ist, das noch am ehesten lebenswert ist (also Nordkorea, Syrien und co. sind wohl in jeder Beziehung schlechtere Optionen).

Gerade weil Snowden sich selbst ja durchaus auch als Patriot bezeichnet und als Whistleblower auf massive Missstände aufmerksam machen wollte - also seinem Land dienen wollte - ist es für ihn vermutlich schon sehr bitter, nun unerkannt und in ständiger Angst vor’m CIA ausgerechnet in Russland leben zu müssen.

Ich würde zwar zustimmen, dass dieses Schicksal weniger hart ist als eine folterähnliche Haftstrafe wie im Fall Assange oder eine absurd lange Haftstrafe wie im Fall Manning, aber es ist dennoch eine ziemlich üble Situation.

Generell macht es wahrscheinlich wenig Sinn, hier Leid gegeneinander aufzuwiegen. Alle diese Fälle - Snowden, Assange, Manning - sind auf ihre eigene Art tragisch und das Verhalten der beteiligten Staaten muss in allen diesen Fällen deutlich kritisiert werden. Übrigens auch das Verhalten Deutschlands, das nicht die Eier hatte, Snowden Asyl zu gewähren, was ich persönlich sehr schade finde (wenngleich ich Snowden dennoch zu Russland geraten hätte, weil ich nicht glaube, dass man in Deutschland sicher im Asyl vor den USA leben kann…).

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Nichtmal das. So wie ich das in Erinnerung habe, war Moskau von ihm eigentlich nur als Transitstation geplant auf dem Weg irgendwoanders hin, aber dann haben die USA seinen Pass gecancelt und er konnte den Anschlussflug nicht mehr boarden. Seitdem sitzt er halt da fest und hat sich dann irgendwann arrangiert. (Und könnte natürlich theoretisch über Land nach Nordkorea o.ä. weiterreisen, aber in weite Teile der Welt wie Lateinamerika eben nicht mehr.)

Meinem Eindruck nach wurde in den Podcasts zu wenig über die Hintergründe des Falles Julian Assange berichtet. Gerade das Buch von Nils Melzer, der als Sonderberichterstatter für Folter bei den Vereinten Nationen gearbeitet hat, bringt so vieles an neuen Informationen zu Tage die aufzeigen mit welcher kriminellen Energie staatliche Institutionen Julian Assange zu einem Sündenbock aufbauten. Da wäre es doch interessant, wenn man sich Nils Melzer als Interviewpartner einlädt und über die Entstehungsgeschichte seines Buches „ Der Fall Julian Assange“ spricht.

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Das liest sich in der Wikipedia teilweise anders.

Snowden ist bewusst von Hongkong nach Moskau gereist, um von dort Asyl in weiteren Staaten zu beantragen. Leider haben ihm viele Staaten unter Druck der USA dieses verwehrt. Der Druck der USA reichte sogar so weit, dass Flugzeuge, in denen Snowden vermutet wurde, von verbündeten Staaten zur Landung gezwungen wurde, um sie zu kontrollieren. So wurde zum Beispiel die Präsidentenmaschine Boliviens von Italien, Frankreich, Spanien und Portugal durch Entzug von Überflugrechten zur Landung in Wien gezwungen.

Letztlich boten nur Venezuela, Russland und Bolivien Asyl an. Russland davon aber nur unter Auflagen (keine weiteren Veröffentlichungen) und temporär. 2022 wurde er dann eingebürgert.

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Nils Melzer war tatsächlich genau zu diesem Thema bereits Interviewpartner in der LdN 176

In Venezuela wäre er kaum sicher (zu nah an den USA, zu instabiles System usw.) und der Sturz der Regierung Boliviens 2019 zeigt wohl auch, dass das auch keine gute Wahl gewesen wäre ^^

Russland war - so doof das klingen mag - damals die einzige realistische Option auf relativ langfristigen Schutz.

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Ums auch nochmal zu betonen: Snowden ist NICHT freiwillig in Russland. Dass Deutschland ihm kein Asyl gewährt, ist schlimm.

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Ich verstehe den Antrieb nicht ganz Snowden für Assange unter den Bus zu werfen.

Aber es wäre mir neu das Assange als Whistleblower gilt. Meistens wird er doch eher als Journalist beschrieben bzw. wird ihm gerade auch bei deutschen medien und podcasts gerne die solidarität entzogen weil er nicht den standards deutscher journalisten entsprechen würde. Was auch immer die sein sollen ^^

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Das ist korrekt, Assange ist tatsächlich kein gutes Beispiel für Whistleblower, weil er per Definition kein Whistleblower ist - einfach, weil er nicht von „Innen“ heraus einen Umstand bei seinem Arbeitgeber (z.B. dem Staat) publik gemacht hat, sondern eine Plattform betrieben hat, die Whistleblowern die Verbreitung ihrer Informationen ermöglichen sollte. Daher korrekt, das bessere Beispiel wäre Chelsea Manning gewesen.

Naja, das hatten wir ja schon in anderen Thread diskutiert. Ich denke, dass es viele Gründe gibt, warum Assange nicht so viel Solidarität zukommt wie anderen. Die Vergewaltigungsvorwürfe, seine zumindest indirekte Unterstützung Trumps im Wahlkampf 2016, seine Konflikte u.a. mit Domscheit-Berg und andere Dinge, die Assange sozial zumindest problematisch wirken lassen usw.

Das alles ist natürlich kein Grund, sich nicht für seine Freiheit einzusetzen - niemand verdient diese Folter, der er aktuell ausgesetzt ist. Aber es erklärt, warum er eben kein „Poster Boy“ der Medien ist, sondern eher ein „Bad Boy“, den viele öffentlich nur ungern unterstützen wollen.

Sorry, hatte dieses Interview nicht mehr in meinem Gehirn gespeichert, obwohl ich den Podcast gehört habe. Lag wohl daran, dass ich vor kurzem erst das sehr lange Interview mit Nils Melzer auf Jung & Naiv für mich entdeckte. Worauf ich mir dann das Buch von Nils Melzer besorgte.

Zustimmung, allerdings ging es mir weniger um die einschätzung der person als vielmehr wie rundheraus ihm der journalistenstatus abgesprochen wurde. Ich verstehe schon die Frage des journalistischen ethos aber ich finde es immer gruselig wie schnell zentristen dabei sind die solidarität zu entziehen weil man wie mir scheint die ambuigität nicht zulassen kann. Bei LG sieht man dass auch denn während in der Lage die juristische einordnung ziemlich detailiert war ist die politische einordnung sehr schwach ausgefallen.

Die Vergewaltigungsvorwürfe sind in weiten Teilen konstruiert, einen Präsidentschaftskandidaten, der ihn nicht tot sehen möchte, würde ich ebenso unterstützen. Vom Domscheid-Berg-Dissenz habe ich nie gehört. Assange-Diskreditiationskampange: funktioniert.

Auch wenn Assange vielen nicht sympatisch ist: seine Errungenschaft steht in keinem Verhältnis zu den Anschuldigungen

Du machst es dir hier viel zu einfach, wenn du jede Kritik an Assange als Diskreditierungskampagne bezeichnest.

Beispielsweise die Clinton-Hacks: Es ist für eine Demokratie ein massives Problem, wenn kurz vor einer Wahl durch einen Hacking-Angriff erbeutete Daten von einer Partei (hier: den Demokraten) veröffentlicht werden. Das ist schon ein immenser Eingriff in die Wahl, vor allem, wenn nur die Leichen einer Partei aus dem Keller geholt werden. Sowas geht einfach absolut gar nicht und mit solchen Aktionen macht Assange es sich sehr schwierig, irgendwelche Sympathien zu finden.

Nicht alles ist eine Diskreditierungskampagne - Assange ist meiner Einschätzung nach eine durchaus „schwierige Person“.

Da stimmen wir völlig überein. Ich bin auch dafür, dass er sofort freigelassen werden sollte und dass die USA aufhören sollten, zu versuchen, ihn strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Das ändert nichts daran, dass ich Assange für einen problematischen Zeitgenossen halte.

Es ist in diesem Thema wie in so vielen anderen auch: Es gibt mehr als Schwarz und Weiß, es gibt nicht nur „Assange ist ein Engel und muss in die Freiheit entlassen werden“ und „Assange ist der Teufel und gehört für immer in den Knast“, sondern auch viele Abstufungen dazwischen, wie z.B. „Assange hat sicherlich auch einige Fehler gemacht und ist möglicherweise ein unangenehmer Zeitgenosse, aber nichts davon rechtfertigt auch nur im Ansatz die Art, wie er die letzten 13 Jahre behandelt wurde“.

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