LdN325 "LehrerInnenmangel" - Überblick zur aktuellen Situation

Liebes Lage-Team,
vielen Dank, dass Ihr das Thema mit den Lehrkräften aufgreift. Es ist so, wie ihr sagt: Die reine Quantität der Lehrkräfte bzw. Stellen und damit die langfristige Personalpolitik der Verantwortlichen ist nur die halbe Wahrheit. Es ist auch ein Versagen auf systemischer Ebene, was ich im Folgenden anhand ausgewählter Aspekte zeigen möchte.

Arbeitszeiten
Ein großer Punkt ist die systemische Gestaltung der Arbeitszeit von Lehrkräften. Der Großteil der Lehrkräfte wählt den Beruf aus ideellen Gründen, z. B., um Kinder zu fördern und bei ihrer Entwicklung unterstützen zu können (Rostock Studie). Tatsächlich ist es aber so, dass seit den 90ern nicht nur die Pflichtstunden kontinuierlich gestiegen sind und derzeit bei 25,5 in NRW an weiterführenden Schulen liegen, sondern auch die Vielfalt der Aufgaben in erheblichem Maße zugenommen hat. Eine Arbeitszeitstudie der Georg-August-Universität Göttingen kommt zu einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 46,38 Stunden. (Lehrerarbeitszeit und
Arbeitszeitstudie Göttingen)
Hier hätten EntscheiderInnen die Verantwortung, auf empirische Daten zu hören und die Belastung nicht ad nauseam zu erhöhen und die Menschen dahinter so zu behandeln, als ob es Maschinen wären, die man immer noch eine Stufe höher drehen könnte.
Die Rostock-Studie (s.o.) kam zu dem Ergebnis, dass 80% der Lehrkräfte regelmäßig am Wochenende arbeiten. Auch Ferienzeiten (die Sommerferien ausgenommen) sind aus meiner Erfahrung meist zu 30-50% Arbeitszeit für Korrekturen, Planungen und Selbstorganisation – weil im öffentlichen Image ja meist über die großzügigen Urlaubszeiten von Lehrkräften geredet wird, die faktisch keine sind.
Es gibt genügend Studien dazu, dass Lehrkräfte vermehrt zu Depression und Erschöpfung neigen (ca. 25% weisen Symptome von Burnout auf: Corona-Krise: Jede vierte Lehrkraft Burnout-gefährdet | DAK-Gesundheit) und viele trotz enormen finanziellen Einbußen (teils 50%) einen vorzeitigen Renteneintritt wählen. (siehe Rostockstudie oben) Die Pension bietet also nur Sicherheit, wenn man sie auch erreicht. Aber nur ein Viertel schafft es bis zur Rente laut der Erhebung von Steffi Kreuzfeld (ebd.). Dass viele diesen finanziellen Anker trotz 50% Einbuße in vielen Bundesländern kurz vor dem Renteneintritt aufgeben, spricht für mich Bände und leitet zum nächsten Punkt über, denn 80% sagen, sie gehen wegen den hohen Arbeitsanforderungen. NRW erhebt bewusst keine Zahlen über Kündigungen von Lehrkräften; sie werden als Einzelfälle klassifiziert, damit man weggesehen kann (Recherche von SWR2 Wissen).

Veränderungen der Arbeitsumwelt
Schüler-Lehrkraft-Schlüssel: Es ist dramatisch, dass man neben der Praktizierung der Inklusion nun auch fast nur noch überfüllte Klassen und Kurse mit ~30 Lernenden hat. In 45 Minuten kann man dementsprechend kaum eine Minute mit jedem Schüler verbringen, wobei die individuelle Zuwendung einer der wichtigsten Prädiktoren für Lernerfolg ist.
Attraktivität und Innovationen: Lehrkräfte profitieren im Allgemeinen nicht von positiven Veränderungen. Anstatt bspw. von neuen Regelungen zu Home-Office-Zeiten profitieren zu können, erfahren Lehrkräfte eher mangelnde Wertschätzung, indem sie in maroden Gebäuden mit veralteter oder nicht vorhandener Ausstattung arbeiten, Team-Meetings und Konferenzen nicht von zu Hause aus abhalten dürfen und ihren Arbeitsort nicht im Ansatz frei wählen dürfen, weil der Wechsel des Arbeitsortes träge und fast unmöglich ist. Versetzungsanträge – so ihnen denn zugestimmt wird – benötigen Jahre und sind meist ein Glücksspiel. Das ist kein attraktives, zeitgemäßes Berufsbild.
Dazu kommt, dass Lehrkräfte die meisten Arbeitsmittel (Drucker, IT, Papier, Ordner, Hefter, Stifte, Bücher usw.) selbst bezahlen und lediglich steuerlich geltend machen können, weil es keine ausreichenden Mittel in der Schule gibt. Ich kenne Schulen, wo Lehrkräfte fragen müssen, wenn sie Farbkopien haben wollen.

Was wünschen sich Lehrkräfte?
Laut der Rostock-Studie wünschen sich Lehrkräfte:
• kleinere Klassen
• weniger Zusatzaufgaben (weniger Administration)
• mehr Zeit für Beziehungsarbeit mit den SchülerInnen
Summa summarum möchten Lehrkräfte im Prinzip also einfach nur in die Lage versetzt werden, einen guten Job an der Bildung der SchülerInnen machen zu können.

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