LdN324 Vergleichbarkeit China/Taiwan

Im Podcast wurde im Kontext von Chinas Einstellung gegenüber der Verschiebung von Grenzen mit Waffengewalt von der eigenen offenen Rechnung Chinas mit Taiwan gesprochen. Hierzu nur der kurze Kommentar, dass es sich beim Konflikt zwischen China/Taiwan aus Sicht der meisten* Beteiligten nicht um einen Grenzkonflikt handelt, da beide Seiten Taiwan prinzipiell als eine chinesische Provinz betrachten. Insofern kann China sich durchaus gegen die Verschiebung von Grenzen mit Waffengewalt aussprechen und gleichzeitig die „abtrünnige Provinz“ Taiwan militärisch erobern.

*Es gibt zunehmend populäre Strömungen auf Taiwan, die sich für eine nationale Unabhängigkeit Taiwans aussprechen, indem man sich eben als „nicht mehr chinesisch“ umdefiniert. Diesen Weg möchte man offiziell jedoch nicht einschlagen, da ein militärischer Konflikt wohl unausweichlich wäre. Er findet auch keine Unterstützung von Seiten der USA oder anderer Verbündeter.

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Ich finde grundsätzlich sollten Menschen in jeder Region frei entscheiden können wer sie regiert, natürlich auch Taiwan. Würde sich zum Beispiel in Bayern ein grosser Anteil (zb 2/3) der Menschen dafür aussprechen dass Bayern ein eigenes Land werden möchte, sollte man das mMn. akzeptieren. Natürlich steckt da am Ende der Teufel in den Details, aber grundsätzlich sollte keine Region gezwungen werden eine Regierung zu akzeptieren die sie nicht haben möchte.

Wo zieht man dann die Grenze? Wenn ein Dorf voller Reichsbürger beschließt, ihr eigenes Ding zu machen, akzeptieren wir das auch? Wenn meine Freundin und ich entscheiden, dass unsere Wohnung nicht mehr Teil Deutschlands sein soll?

Warum ist es nur relevant, ob die Bayern sich dafür aussprechen, warum darf ich als Nichtbayer nicht darüber abstimmen, die Entscheidung betrifft schließlich das Bundesgebiet als Ganzes und nicht nur Bayern?

Taiwan sollte man in meinen Augen nicht in den Kontext von Sezessionsbestrebungen rücken. Die VR und die Republik China sind seit über 70 Jahren de facto getrennte Staaten mit disjunkten Staatsstrukturen. Das ist doch auch völkerrechtlich ein Einzelfall, den man als solchen bewerten muss.

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Das Problem damit ist, dass sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass Sezessionsbestrebungen vor allem in den „Reichen“ Teilen eines Landes starken Zulauf erhalten, z.B. Katalonien in Spanien oder Kalifornien in den USA. Auch die Briten haben die EU ja vor allem verlassen, weil sie davon ausgingen, alleine stärker zu sein, während Ungarn von sich aus nie den Austritt erwägen würde, weil es wirtschaftlich extrem unklug wäre…

Es sind immer die reichen Landesteile, die überhaupt die wirtschaftliche Möglichkeit haben, sich unabhängig zu machen - arme, abhängige Landesteile können das offensichtlich nicht. Das Resultat ist: Lässt man Sezessionen zu, wird es zu extremen sozialen Verwerfungen führen, weil die zurückbleibenden ärmeren Landesteile dann den Nachteil haben.

Ein weiterer Punkt, der gegen Sezessionsbewegungen spricht, ist die Tatsache, dass Kriege seit der zweiten Hälfte des 20sten Jahrhunderts immer stärker über Propaganda getrieben werden. Wäre es salonfähig, dass ein Landesteil sich mit der Zwei-Drittel-Mehrheit der Einwohner unabhängig erklären könnte, würde das massive Anreize setzen, auf diese Weise indirekt zu expandieren. Daher: Über Propaganda wird - in Civilization-Terms - der „kulturelle Sieg“ mit dem Ziel einer Unabhängigkeit des an das eigene Staatsgebiet grenzenden Teiles des Nachbarlands forciert. Und ist dieser Landesteil erst unabhängig, folgt wenige Jahre später der Anschluss an das eigene Territorium.

Daher herrscht in der internationalen Gemeinschaft einhellig die Meinung, dass Sezessionsbewegungen nicht zulässig sein sollten, denn wenn man diese Büchse der Pandora erst mal öffnet, könnten die Konsequenzen ganz schnell ziemlich übel werden. Unabhängigkeiten werden daher nur bei zwingenden Gründen (vor allem genozidale Absichten, zumindest aber signifikanten strukturellen Benachteiligungen gegenüber einzelnen Landesteilen) als zulässig betrachtet.

Fälle, in denen ich Unabhängigkeitsbewegungen daher anerkennen würde, wären tatsächlich Dinge wie die Uiguren-Gebiete in China (scheitert natürlich an der tatsächlichen Machbarkeit), ein Grenzfall waren lange auch die kurdischen Gebiete in der Türkei (da z.B. die kurdische Sprache, kurdische Kleidung und kurdische Medien lange Zeit verboten waren, was schon eine ziemlich deutliche Unterdrückung war… siehe diesen Artikel der FAZ).

Bezogen auf Taiwan kann man klar argumentieren, dass eine Unabhängigkeit auch hier zulässig ist, da China sämtliche taiwanesische Kultur, die sich die letzten 70 Jahre gebildet hat, auslöschen wollen würde, vor allem alles, was westlich geprägt ist (was ziemlich viel ist…), es wäre auch mit massiver Unterdrückung all jener zu rechnen, die sich der chinesischen Doktrin widersetzen. Taiwan wäre daher ein Fall, in dem eine Unabhängigkeitsbewegung durchaus völkerrechtlich legitimierbar wäre, aber das scheitert ähnlich wie bei den Uiguren schlicht daran, dass weder Taiwan, noch der Rest der Welt, China derart in die Eier treten will, weil die Konsequenzen für alle Beteiligten bitter wären.

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Ich weiß nicht mehr, wo ich das aufgeschnappt habe, ob es MP Freddy Lim oder ein anderer Taiwanese war. In über 40 Jahren Militärdiktatur hat sich die Republik China auf Taiwan nicht gerade beliebt gemacht: „Zuerst müssen wir uns von der Republik China unabhängig machen. Um das Verhältnis zur Volksrepublik können wir uns danach kümmern.“ Bei der Diskussion um ein unabhängiges Taiwan würde ich Erörterungen über die Republik/Volksrepublik China vermeiden, und mich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker konzentrieren - und die Frage, warum das Staatsvolk Taiwans vom Staatsvolk Chinas zu unterscheiden ist. Da spielen dann auch die 50 Jahre japanischer Kolonialherrschaft mit rein.