LdN320 Wahlrechtsreform / Wie demokratisch ist unser Wahlrecht?

Im EU-Parlament sind ausschließlich „Kleinstparteien“ vertreten (die CDU stellt dort als stärkstvertretene Partei 3,3% der Abgeordneten) und ich habe den Eindruck, dass dort viele dieser (Sub-)Prozent-Parteien ihre Interessen (bzw. die ihrer Wähler) in die Gesetzesentwürfe einbringen können.

Siehe auch:

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Ich frage mich schon die ganze zeit etwas viel Grundlegenderes: warum nicht einfach Direktmandate abschaffen? Ich persönlich empfinde dieses „the winner takes it all“ als das eigentlich undemokratische und es würde wahrscheinlich auch automatisch zu einer höheren Frauenquote führen wenn die Listen von oben weg nach der einen Wählerstimme in den Bundestag kommen würden. Was übersehe ich hier? Wofür gibt es überhaupt Direktmandate? Auch gerne mal Ulfs Meinung oder die von anderen Juristen inwiefern das problematisch wäre.

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Verfassungsrechtlich wäre das auf jeden Fall zulässig.

Es gibt einfach bei uns eine gewisse Verfassungstradition, dass wir nicht alleine auf die Listenaufstellung der Parteien vertrauen, sondern die Wählenden ein wenig personalisieren lassen wollen.

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https://www.mehr-demokratie.de/aktionen/rettet-unsere-stimmen

Hier übrigens von dem Verein gestartete Petition zur Ersatzstimme im Zuge der Abschaffung der Grundmandatsklausel.

Wählen heißt auch sich zu entscheiden. Entweder wähle ich dann die kleine Partei und riskiere, dass diese nicht in Parlament einzieht, oder ich entscheide mich dagegen. Meine Stimme ist dadurch nicht verloren und fällt auch nicht unter den Tisch, da ich sie abgegeben habe.

Von einer Ersatzstimme sähe ich absolut keinen Vorteil, die drei am Ende der Seite genannten Gründe sprechen mich nicht an.

Ob jemand dann statt der kleinen Partei lieber „strategisch“ wählt, ist es sein freier Wille und seine eigene Entscheidung. Da bringt eine Ersatzstimme auch nicht das suggerierter Mehr an Demokratie. Ich würde der Person eher zurufen, dass sie dann auch zu ihrer Entscheidung stehen soll.

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Die Grundsatzdiskussion wurde bereits hier geführt

Hallo,

Weil in der Diskussion, ok, vielleicht nicht hier im Forum, ja auch immer wieder die beiden Vorschläge kamen, dass man nur die Erststimme, bzw. zu 50% jeweils die Erst- und Zweitstimme heranziehen könnte, habe ich mir mal die kleine Mühe gemacht darzustellen, wie unser Bundestag jetzt mit diesen Vorschlägen aussehen würde.

Und surprise surprise, Union und SPD wären komplett bevorteilt.

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Zudem finde ich haben Ulf und Philip einen anderen Punkt, und zwar im Hinblick auf die Direktmandate außer Acht gelassen: Ich denke, dass diese Abgeordneten enorm wichtig für die Bürgernähe und die Demokratiezufriedenheit sind, weil so jeder Bürgerin eine direkte Ansprechperson hat, die die Probleme und Herausforderungen im Wahlkreis kennt. Gerade Menschen, die sich sehr mit ihrer Region identifizieren, werden sich so schlechter repräsentiert fühlen. Ich würde mich freuen, wenn dieser Punkt in der nächsten Folge nochmal aufgegriffen werden könnte.

Woher kommt bloß diese immer wieder auch hier im Forum geäußerte Ansicht, Einwohner eines Wahlkreises wären irgendeine homogene Gruppe, die sich durch eine einzige Person von einer einzigen Partei repräsentieren ließen? Das grenzt schon arg an monarchistische Vorstellungen.

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Also außerhalb der Wahlen sieht man diese Abgeordneten auch nur um sich beim Schützenfest um sich beim Grußwort zuprosten zu lassen. Außerdem fühle ich mich nicht von dem CDU Mann repräsentiert, den ich nicht gewählt habe und der grad mal 25% erreicht hat.

Ich halte diese Idee für völlig überschätzt.

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Genau das. Das einzige, wofür man Wahlkreisabgeordnete braucht, ist als lokalen Ansprechpartner für Korruptionsofferten, wenn man Masken- oder Autohersteller ist oder sowas.

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@otzenpunk Naja, es gewinnt nunmal derjenige, der die meisten Stimmen bekommt - damit repräsentiert er eben die - relativ - meisten Menschen dieses Wahlkreises. Dass derjenige nicht unbedingt (oder besser gesagt in den seltensten Fällen) >=50% bekommen hat finde ich da schon ein deutlich besseres Argument. Das könnte man aber durch eine Stichwahl ausmerzen.

Also @otzenpunk und @Tris das mit dem Schützenfest und Korruption finde ich nun etwas arg platt. Ein Listenkandidat kann ebenso korrupt sein. Und jemand, der dauerhaft der Wahlkreiskandidat seiner Partei sein möchte hat nun wirklich genug Anreiz sich bei möglichst vielen Wählenden beliebt zu machen. Da punktest du sicher besser mit der Einwerbung von Fördergeldern für die neue Stadthalle/Musikschule/whatever als mit einem Maskendeal. Und jeder Wahlkreis hat seine geografischen/sozialen/whatever Besonderheiten, auch dies wird durch die Direktmandate gut abgebildet.

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Die nationalen Parteien schliessen sich zu „Parteifamilien“ zusammen. So viele gut unterscheidbare politische Richtungen gibt es ja auch nicht. Das EU-Parlament ist weltweit ein Sonderfall, mit nationalen Parlamenten schwer vergleichbar.

Das Direktmandat ist halt im Endeffekt so unwichtig, dass zu der Stichwahl niemand mehr hingehen würde. Insbesondere wenn sowieso klar ist, dass der eigene Kandidat bereits über die Liste in den Bundestag kommt.

Sorry, aber was hat das mit der Realität zu tun? Auch die Wahlkreisabgeordneten stimmen doch zu 99% mit ihrer Fraktion ab. Die CDU-Abgeordneten aus Schleswig-Holstein haben seinerzeit genauso den Windkraftausbau in Deutschland ausgebremst wie ihre CSU-Kollegen aus Bayern. Da klafft einfach eine eklatante Lücke zwischen der naiven Darstellung, wie einem die Direktmandate im Politikunterricht in der Schule erklärt werden und der Wirklichkeit.

Die Anzahl der Leute, die überhaupt den Namen ihres Wahlkreisabgeordneten unfallfrei nennen können, ist doch schon arg begrenzt, und die Zahl derjenigen, die tatsächlich mit der Erststimme nicht ihre bevorzugte Partei wählen, weil der Konkurrenzkandidat überzeugender ist, dürfte nochmal deutlich geringer sein. Und auf die Mehrheitsverhältnisse wirkt sich das sowieso nicht aus. Ein Direktkandidat tritt daher eigentlich gar nicht gegen seine Konkurrenten von den anderen Parteien an, sondern gegen die eigenen Parteikollegen von der Liste, was den allermeisten Wählern aber so gar nicht klar ist und auch demokratisch irgendwie gar keinen Sinn ergibt.

Und ein Großteil der Wahlkreise, insbesondere auf dem Land, ist auch gar nicht umkämpft, sondern gilt als „sicher“ für eine Partei. Da kann die Partei (meist CDU oder CSU) sprichwörtlich einen Besenstiel aufstellen, und der wird trotzdem gewählt. Die eigentliche Wahl des Kandidaten, der dann angeblich 300.000 Leute repräsentiert, passiert also auf einer Delegiertenversammlung mit vielleicht 100 Teilnehmern, oft ohne (zumindest chancenreiche) Gegenkandidaten, und die Wähler stimmen dann am Wahltag praktisch nur noch per Akklamation zu. Das hat mit Demokratie eigentlich nicht mehr viel zu tun, und die „Einwerbung von Fördergeldern für die Stadthalle“ hat auch garantiert weniger Einfluss als die Einwerbung von Parteispenden.

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Das ändert nichts an meinem Eindruck, dass es trotz der vielen Subprozentparteien funktionsfähig ist. Es ist eben ein Beispiel dafür, dass ein Parlament ohne eine %-Hürde funktionieren kann.

Ein mit 22% im Wahlkreis gewählter Abgeordneter ist nicht unbedingt ein bevorzugter Ansprechpartner für die 78%, die ihn nicht gewählt haben. Zu Zeiten als SPD und Union fast Kopf an Kopf waren, hatte das noch eher eins Plausibilität. Ausserdem dürfte ein Problem vor Ort in den wenigsten Fällen von bundespolitischem Interesse sein. Das sind Themen für Bürgermeister und Landräte.

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Wie gesagt, das EU-Parlament ist von wenigen Parteifamilien dominiert, also durchaus übersichtlich.

Korrekt. Das Gleiche würde oder könnte auch in einem Bundestag passieren, in dem 20 Parteien vertreten sind. Denn wie Sie ja selbst schreiben: „So viele gut unterscheidbare politische Richtungen gibt es ja auch nicht“.
Eine Streichung der 5%-Hürde würde ich mit einer Revision der Geschäftsordnung des Bundestages flankieren, die starke Anreize setzt, sich in Fraktionen (oder „Parteifamilien“) zusammen zu schließen (und dies auch ausdrücklich für Parteien erlaubt, die nicht räumlich getrennt angetreten sind).

Nichtsdestotrotz würde ich erwarten, dass sich auch ohne 5%-Hürde mehrere Parteien jenseits der 10% oder 20% erhalten würden (was im EU-Parlament nicht möglich ist).

Die Vielzahl de Parteien im EU-Parlament ergibt sich durch Entsendung aus den nationalen Parteispektren, nicht aus der Abgrenzung gegen national konkurrierende Parteien (z.B. SPD vs. Linke). Ganz selbstverständlich schliessen sich Konservative, Sozialdemokraten, Grüne, Liberale zusammen, weil sie jeweils fast identische Linien vertreten.

Innerhalb von DE setzt sich jede Partei gegen jede andere ab, sonst bräuchte sie ja keine eigene Parteigründung. In diesem Fall müssten die halbwegs ähnlichen Parteien (Linke und SPD z.B.) durch die Geschäftordnung „zusammengezwungen“ werden, was ich für sehr schwierig halte.

Wenn die Linke alleine oder gemeinsam mit einigen (Sub-/Ein-)Prozentparteien eine Fraktionsstärke erreicht, dann würden sich vermutlich zwei eigenständige Fraktionen bilden (wie im EU-Parlament ja auch). Die Schwelle für eine Fraktionsstärke würde ich bei 5% der Bundestagsmandate belassen.