Ich gebe Dir hier insofern Recht, dass die Formulierung, die Verzögerung habe „tausende“ ukrainische Soldaten das Leben gekostet zumindest so nicht erwiesen ist. Wenn man sich allerdings den Kriegsverlauf ab etwa Sommer 2022 ansieht und sich dann die Waffenlieferungen dazu ansieht, dann kann man schon zu dem Schluss gelangen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Ausbleiben weiterer ukrainischer Fortschritte und dem Ausbleiben von Waffensystemen, die einen Bewegungskrieg ermöglichen (z.B. vor allem Kampfpanzer) - gegen einen Gegner, der die Fähigkeit zum Bewegungskrieg nach dem Kampf um Kiew weitgehend verloren hat und jetzt die letzte militärische Stärke ausspielt, die er noch hat: Menschen massenhaft verheizen. Nach den ukrainischen Offensiven im Sommer/Herbst war die russische Armee an einem Tiefpunkt angelangt. Dass die Ukraine diese Schwäche nicht weiter ausnutzen konnte, hat u.a. auch mit dem Fehlen von Kampfpanzern zu tun. Folge: der Krieg geht nun weiter als verbissener Positionskrieg, der keine Entscheidung bringt anstatt eines Bewegungskrieges, der -möglicherweise- eine Entscheidung zu Gunsten der Ukraine hätte herbeiführen können. Beim Bewegungskrieg werden zwar auch Menschen getötet. Die Hoffnung ist aber, dass durch den speziellen Charakter des Bewegungskrieges in der Summe weniger Menschen getötet werden, weil sich der Gegner entweder zurückziehen muss, um einer Einschließung zu entgehen oder eingeschlossen wird und sich mangels Nachschub ergeben muss. Der Westen (inkl. Deutschland/Scholz) wird sich den Schuh wohl anziehen müssen, dass er mit seinen Verzögerungen bei den Waffenlieferungen weitere ukrainische Erfolge (wahrscheinlich) verhindert hat und den Krieg somit (wahrscheinlich) verlängert hat.
Ich denke, in diese Richtung gehen die Aussagen in LdN320. Das sind natürlich alles Annahmen, auf die viele, viele Faktoren einwirken. Und die russische Armee wird natürlich etwas gegen einen erfolgreichen Bewegungskrieg der Ukrainer zu unternehmen versuchen - das ist auch klar. Von daher: Ja, garantiert ist ein Erfolg nicht. Aber es ist immerhin eine begründete Hoffnung.
Ich möchte hier gerne mal eine offene Frage in die Runde werfen, die sich vor allem an diejenigen unter euch richtet, die die Zurückhaltung von Scholz speziell in der Panzerfrage und der Waffenfrage allgemein als eher positiv bewerten:
Was würdet Ihr aus eurer Perspektive als echten, messbaren Erfolg dieser Haltung von Scholz ansehen? Vielleicht genauer: Welche positiven Auswirkungen hatte das Ausbleiben bzw. die Verzögerung bestimmter Waffensysteme auf den Krieg, für die Ukraine, für die Sicherheit Deutschlands? Zum Verständnis: Aus meiner Sicht bewegen sich die Erfolge dieser Haltung auf einem weitgehend hypothetischen / abstrakten Level. Man könnte bspw. behaupten, dass sich durch diese Haltung Deutschland nicht in den Krieg ziehen ließ. Aber gab es dieses Szenario tatsächlich jemals? Wurde durch eine Verzögerung oder Einschränkung der Waffenlieferungen bspw. ein Angriff Russlands auf Deutschland / die NATO verhindert? Vielleicht ist die Antwort „Ja“ - aber im Grunde wissen wir das nicht. Ich persönlich würde sagen, dass es wahrscheinlich für eine Zeit lang diplomatisch klug war, nicht gleich mit allen Waffensystemen auf einmal zu kommen, um sozusagen ein wenig Druck aus dem Kessel zu nehmen. Aber im Grunde genommen wissen wir doch nicht, dass die Verzögerung bei den Waffen quasi den dritten Weltkrieg verhindert hat.
Umgekehrt können doch diejenigen, die umfassende Waffenlieferungen befürworten doch auf sehr konkrete Auswirkungen verweisen: Die Panzerabwehrwaffen haben die russischen Panzerkolonnen am Anfang des Krieges aufgehalten, HIMARS und Artillerie haben bspw. eine große, wenn nicht sogar entscheidende Rolle beim Aufhalten der russischen Frühlingsoffensive und der Rückeroberung von Kherson/Kharkiv gespielt, die aus dem Westen gelieferte Flugabwehr der Ukraine hat eine große Erfolgsquote und verhindert noch größere Schäden, usw.
Daher nochmal meine Frage: Was hat die Zurückhaltung bei den Waffenlieferungen an tatsächlich erkennbaren Erfolgen gebracht?
Bitte nicht als rhetorische Frage oder Fangfrage oder Verhöhnung eurer Position auffassen. Und ich will damit auch auf keinen Fall ausschließen, dass es die Erfolge, die ich nicht erkennen kann, vielleicht doch gibt bzw. gegeben hat. Man kann halt nur Vermutungen anstellen. Und Scholz selbst ist ja notorisch Wort- und Aussagenkarg. Und dann bleibt ja nur noch, relativ blind dem Kanzler zu vertrauen, dass er ausgewogene, an der Sache orientierte Entscheidungen trifft.
Es geht mir - wie gesagt - nur darum, eure Unterstützung der Haltung von Scholz zu verstehen.
Exakt. Die Russen wissen natürlich, dass sie hier nicht die gleiche Propagandanummer abziehen können wie in Russland.
Statt die Geschichte mit den ukranischen Nazis zu verkaufen, versucht man hier politischen Dissenz zu schaffen, um die Stimmung gegen die Waffenlieferungen zu bringen. Dass die Russen nie an Verhandlungen interessiert waren und uns vor exakt einem Jahr nach Strich und Faden belogen haben, scheinen die rechten und linken Ränder vergessen zu haben.
Wenn man sich ansieht, wie die Bevölkerung im Westen 2022 kurze Zeit zu einer no-fly zone dachte (Mehrheit war dafür), sollte man sich eher fragen, wieso ein großer Teil der Bevölkerung so ungebildet ist in Sachen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Wurde hier eigentlich besprochen, dass die USA ihre Abrams frühestens Ende 2023 in die Ukraine schicken? Die Challenger der Briten sollen im Mai oder Sommer vor Ort sein.
Für mich liest sich das als hätten man Scholz öffentlich eine goldene Panzerbrücke gebaut, um anschließend im Kleingedruckten den Rückzieher zu machen.
Für diese USA sollte es doch kein Problem sein 50 Abrams innerhalb weniger Wochen zu liefern.
ja das wurde schon diskutiert. Die USA hat keine Abrams in der Export Version vorrätig. Und die eigene USA-Version darf nicht exportiert werden, da sie eine streng geheime Panzerung aus abgereicherten Uran haben.
(…) Denken Sie ernsthaft 14 oder 16 deutsche Leopard würden DEN Unterschied in der Rückeroberung durch Russen besetzter Gebiete für die Ukraine bewirken?
Wenn es so ist, wie man es verschiedenen Medien entnehmen kann, dass Russland letztendlich noch ca. 4000 Panzer aufbieten kann, wird die Hilfe in Form von Panzerlieferungen (Leopard 2) nur punktuell zu Rückeroberungen führen, und Russland wird dauerhaft, wie Herr Masala bei ‚Sicherheitshalber‘ schon Anfang des Jahres prophezeit hat, vier Oblaste + die Krim auch im Falle eines Friedens/Waffenstillstandes weiter besetzt halten, damit dem Ziel, einen Korridor zu Moldau zu besetzen, näher kommen.
Unredlich finde ich, dem Bundeskanzler zu unterstellen, er würde durch seine Politik zum Sterben in der Ukraine beitragen, das ist kein sauberer Journalismus. Ich empfehle hierzu auch den Beitrag von Herrn Kister in der SZ vom Wochenende zum 2. Weltkrieg und dem Sterben in Stalingrad.
Diese Panzerung wurde wohl in der Vergangenheit auch nicht an Verbündete gegeben.
Aber ja, die Abrams-Lieferung mit derartig langer Vorlaufzeit ist definitiv mehr eine Art riesiger Wink mit dem Zaunpfahl für Scholz, und hat wenig damit zu tun, den aktuellen Bedarf der Ukraine zu befriedigen. Dass es stark diesen Eindruck macht wurde aber hier und in der Lage auch schon kommentiert.
Mir kommt das alles ehrlich gesagt sehr komisch vor. Leider weiß ich auch nicht, wo man verlässliche Zahlen bekommt, wieviele M1 von welchen Typ (es hatten ja nicht immer alle Modelle die Uran-Panzerung) die USA stehen haben.
Allerdings habe ich einen anderen interessanten Artikel gefunden:
Offenbar hatte das US Marine Corps bis vor kurzem noch spezielle Versionen des M1, die statt einer Uran-Panzerung eine Keramik-Verbundpanzerung eingesetzt haben. Die sind aber wohl kürzlich in die Werkstätten gekommen, um sie zu überholen. Zufälle gibt es…
Aber selbst wenn die USA schon länger keine Nicht-Uran M1 mehr haben, stehen bei ihren Verbündeten hunderte davon rum. Allein Ägypten hat angeblich über 700 davon. Und die hätten nun wirklich 30 davon abgeben und 2 Jahre auf fabrikneue Panzer warten können.
Ja, komisch. Die Lage ist auf einer Linie mit allen Expert:innen, die sich zum Thema äußern. Keiner versteht den Kurs von Scholz, niemanden überzeugen seine wechselnden Begründungen. Aber die sind offensichtlich alle blöd - weil sie nicht Ihrer Meinung sind bzw. der von so renommierten Expert:innen für Sicherheitspolitik und Kriegsführung wie Alice Schwarzer oder Universalgenie Richard David Precht.
Nennen Sie doch mal ein Argument, das sich nicht reduzieren lässt auf „die Risiken sind hoch, da muss man abwägen“. Das ist sicher richtig, nur hatte Scholz halt fast ein Jahr Zeit seit Kriegsbeginn, um abzuwägen.
Und in welchem Szenario würde es keine ukrainischen Leben kosten, wenn man Waffenlieferungen verzögert? Klar, wenn man als Alternative nur den Dritten Weltkrieg vor Augen hat, dann ist es natürlich besser, man überlässt Putin das Feld. Das ist aber halt sehr grobschlächtig gedacht und nicht von der Empirie gedeckt. Oder anders argumentiert: die langfristige Perspektive zu betrachten (in der Waffenlieferungen möglicherweise vielleicht wirklich mehr Opfer fordern, was allerdings wirklich niemand weiß) macht nur Sinn, wenn die Ukraine kurz- und mittelfristig überhaupt eine Perspektive hat. Und die hat sie nur mit Waffen!
Ja, das war eine ungeschickte Formulierung. Aber was ist denn ihre Befürchtung? Dass deswegen Russland jetzt in einen Krieg mit der NATO eintritt? Das ist doch vollkommen absurd. Das Blöde ist nur, dass es dem russischen Narrativ dient, wir lägen bereits mit ihnen im Krieg. Daraus folgert Russland ja aber explizit nicht, NATO-Länder anzugreifen. Diese ebenso durchsichtige wie inkonsistent Kommunikation dient einzig und allein dem Zweck, die europäische Bevölkerung zu verunsichern und die Unterstützung für die Ukraine zu untergraben.
Wie @vieuxrenard nicht müde wird zu betonen hat Scholz immer wieder gefordert Panzerlieferungen gäbe es nur im Gleichmarsch mit anderen Partnern.
Darf man den aktuellen Meldungen glauben, dann schauen die Partner, die kürzlich Deutschland zu Lieferungen drängten indem sie eigene Lieferungen ankündigten, nun betreten zu Boden und verweigern klare Absprachen.
Laut Bericht des „Spiegel“ hatte das Verteidigungsministerium nach der Panzer-Entscheidung von Scholz umgehend begonnen, mit EU-Nationen wie Polen zu sprechen. Warschau hatte sich zuvor öffentlich zu einer Lieferung von Leopard-2-Panzern bereit erklärt und Berlin damit erheblich unter Druck gesetzt. Das Magazin berichtete weiter, dass bei einer Video-Konferenz, zu der Verteidigungsminister Boris Pistorius vergangene Woche eingeladen hatte, kein EU-Land konkrete Zusagen über eine Beteiligung an dem Panzer-Paket machen wollte. Selbst die niederländische Regierung, die wie Polen in den Medien schon die Lieferung von Leopard-2-Panzern zugesagt hatte, wolle sich nicht festlegen.
Es wäre schön wenn die Lage dazu noch einmal Stellung nehmen könnte. Hat man da die Lage falsch eingeschätzt und hat beispielsweise Polen eher geblufft?
Das Risiko besteht sicher. Aber gäbe es eine Einigung und fleißiges beteiligen an der Leo-Allianz, hätte man dann nicht aus den Teilnehmerländer bereits klare Zahlen vernommen?
Ich habe bisher nicht viel aus der Ecke gehört das klang wie „Wir liefern mit unseren Partnern x Leos Version y aus unseren Beständen.“
Das wir hier es noch nicht hatten:
Ausfuhrgenehmigung für „Leopard 1“-Panzer erteilt:
Die Panzer stehen bei der „Industrie“ und müssen noch aufbereitet werden. Auch ist mir nicht klar wer die bezahlt. ev. ist aus den EU Topf für Waffen ja noch Geld vorhanden?
Was ich nicht verstehe wieso die Munition knapp ist. Die 105er Kanone (Royal Ordnance L7 – Wikipedia) ist eigentliche weit verbreitet und wird auch heute noch genutzt (Meist auf leichten- & Rad-Panzern). Außerdem hatte noch eigne andere Länder Leopard 1 Modelle im Bestand.
Möglicherweise die unterschweillige Angst, das im März oder April die russische Frühjahrsoffensive startet, bis dahin sind noch keine Panzer aus dem Westen in nennenswerter Zahl da, und die Leos, Challenger und sonstiges Waffen den Russen in die Hände fallen.
Brennende Leos oder welche mit russischen Flaggen drauf machen sich in der Presse nicht so gut, zudem liefert man recht moderne Technik indirekt an Russland.
Nur Vermutungen, spielt aber ggf auch eine Rolle im Zögern vieler Länder.
Und was man abgibt, hat man selbst für Monate oder Jahre nicht mehr.
Na wenn es das wäre dann müsste man jetzt, da die Kanadier das erste Gerät einfach so an den Angsthasen vorbei auf den Weg geschickt haben, den Vorwärtsgang mit Turbo einlegen, denn ob jetzt nur ein paar kanadische Leos oder ein paar mehr europäische noch dazu für unangenehme Bilder sorgen, spielt keine Rolle. Ein einziger Leopard ist genug um für Propagandabilder herzuhalten. Mit ein paar mehr europäischen erhöht man aber die Chance, dass es statt unangenehmen Bildern sehr willkommene geben könnte, solche von Leos die besetzte Gebiete befreien etwa.