LDN320 - Koalitionsausschuss kann sich nicht auf Beschleunigung einigen

Hallo zusammen,
Beschleunigung von Verwaltungsverfahren sind meine Lieblingsthemen in der LdN. Zu der neuen Ausgabe habe ich aber einen Kommentar zur Schlussfolgerung von Ulf und Philip: Die Lösung ist mehr Personal. Zumindest habe ich dies so verstanden, korrigiert mich, wenn das eine Fehlinterpretation meinerseits ist.

Mein Problem an der Lösung „Mehr Personal“ ist, dass es dieses Personal (in der notwendigen Menge) einfach nicht gibt und zukünftig auch nicht geben wird. Vielmehr müssten die Verwaltungsprozesse optimiert werden (insb. durch IT).
Zwei Anekdoten dazu:

  1. Als ich vor wenigen Jahren als Schöffe tätig war, musste ich doch sehr staunen, dass die recht zierliche Richterin bei jedem Verfahren einen Berg an Akten mitschleppte, der ihr tägliches Workout ersetzte. Faxe sind in den meisten Verwaltungen kein Thema mehr, außer in den Bereichen, die mit Gerichten kommunizieren müssen. Hier ist ein enormes Optimierungspotenzial für Gerichte.

  2. Während ich die Pandemie in einer Verwaltung operativ managen durfte, war die Lösung für steigende Fallzahlen immer „Mehr Personal“. Ganze Abteilungen haben ihre eigentliche Arbeit niedergelegt und Kontakte nachverfolgt. Ehrenamtliche von DRK etc. und Soldaten der Bundeswehr wurden in den kritischsten Zeiten kurzfristig eingebunden. Es half alles wenig, weil sich die Fallzahlen eben exponentiell entwickelten. Gamechanger war die digitale Kontaktnachverfolgung: Die Infizierten gaben ihre Kontakte nicht mehr am Telefon durch, sondern in einem digitalen Verfahren. Anstatt stundenlang zu telefonieren, schickten die Verwaltungsmitarbeitenden nur noch einen Link per Mail durch. Da konnte deutlich besser skaliert und beschleunigt werden als mit Personalzuwachs.

btt: Die Lösung „Mehr Personal“ ist okay, sollte aber nachrangig priorisiert und vorrangig die Prozesse optimiert oder komplett neu gedacht werden. Aber um die Verknüpfung zum Tempolimit zu kriegen: Das eine schließt das andere ja nicht aus.

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Eine Anmerkung und eine Anregung meinerseits:

  1. Die Verfahren dauern häufig weniger wegen Verfahrensrecht so lange („weil die Anträge so lange bei den Behörden liegen“, …) sondern wegen des materiellen Rechts („Was hat der Gesetzgeber gemeint? Brauchen wir noch mehr Untersuchungen, z.B. Vogelkartierungen, oder reicht die Informationsmenge?“). Hier wird zu wenig Klarheit darüber geschaffen, was gilt, was der Maßstab ist. § 45b BNatSchG zu Brutvögeln bei Windenergieanlagen ist ein Anfang, aber am Ende nur ein Punkt unter vielen bei der Genehmigung von WEA, der dazu noch mit wenig Gründlichkeit durchgepeitscht wurde. Das wahre Beschleunigungspotenzial liegt aber in eben diesen materiellen Voraussetzungen. Eine Genehmigungsfiktion 3 Monate nach Antrag wirkt zwar auch sehr beschleunigend, aber schafft eine Rechtslage, die wir eigentlich nicht haben wollen.

  2. Vergangene Woche habe ich einen sehr interessanten Vortrag von RAin Dr. Roda Verheyen, u.a. Vorstand von Green Legal Impact Germany e.V. (https://www.greenlegal.eu/), gehört und kann eure Begeisterung für das (oder auch nur die positive Einstellung zum) LNGG und zum dortigen „Deutschlandtempo“ nicht teilen. Der Umwelt- und auch Klimaschutz wird dadurch massiv ausgehebelt und Sachverstand von Verbänden etc. aus den Verfahren gedrängt, gerade durch Verfahrensvorschriften wie lächerlich kurze Fristen (1 Woche Stellungnahmefrist bei Anträgen mit >1000 Seiten exkl. Gutachten). Dabei bietet das Umweltrecht erhebliches Beschleunigungspotenzial (s.o.) und ja, es wird sich nicht jeder Artenschutzstandard (materielles Recht!) halten lassen (damit müssen sich auch die Verbände wie Nabu und Co. arrangieren), aber das LNGG zeigt keinen Weg dorthin auf. Frau Dr. Roda Verheyen wäre bestimmt eine spannende Interviewpartnerin für euch!

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Danke für die Antwort. Das ist die klassische Henne-Ei-Problematik: Ist das materielle Recht zu fordernd oder zu unklar formuliert (#Synopse) ODER sind die Verfahren nicht optimal. Auch hier gilt wahrscheinlich: Beides zu optimieren wäre am sinnvollsten.

Beim Lesen der Antwort kommt mir noch der Gedanke, dass Kommunen endlich anfangen sollten die Aufgaben an die Herausgeberebene zurückzugeben, wenn Gesetze erlassen werden ohne die Prozesse mindestens zu modellieren, besser noch optimieren. Im Idealfall sollte der Bund dazu noch ein zentrales IT-Verfahren mitliefern und die Kommunen nicht im Regen stehen lassen. Das Gesetz zum Führerscheinumtausch ist da ein grandioses Negativbeispiel: Gesetzgeber verpflichtet Hunderte kreisfreie Städte und Landkreise zu einer neuen Dienstleistung und erwartet, dass sich alle Kommunen gleichzeitig um einen guten Prozess kümmern. Dazu kommt, dass das Gesetz von 2019 ist!