Nicht „jenseits“ historischer Verantwortung, sondern vielmehr gerade als Ausdruck davon. Die historische Lehre ist ja nicht „nie wieder Kämpfe in Osteuropa“, sondern „nie wieder imperiale Aggression“.
Ich halte die Argumentation, warum die NATO keinesfalls Kriegspartei werden darf, nicht für schlüssig, denn sie gibt Putin und damit dem Aggressor einen Blankoscheck dafür, im Zweifel zu tun, was er will.
Es werden jetzt schon in der Ukraine geächtete Waffen wie thermobare Raketen eingesetzt. Es ist jetzt schon offensichtlich das Ziel Russlands, möglichst viel zivile Infrastruktur zu zerstören, um das ukrainische Volk zum Aufgeben zu bewegen.
Und wenn die Ukraine es nicht schafft, ihr Land zu verteidigen und die NATO nicht interveniert, was ist die Konsequenz? Dann wird als nächstes Moldawien fallen, weil die es auch nicht schaffen. Oder wir nehmen Moldawien, Georgien und alle anderen Nachbarstaaten Russlands sofort in die NATO auf, worauf Russland auch nicht positiv reagieren wird.
Also, wie viele Angriffskriege darf Russland erfolgreich führen, bis die NATO irgendwann Stopp sagt? Wie oft und vor allem wie massiv darf Russland das Völkerrecht verletzen, geächtete Waffen einsetzen und Menschen, auch Kinder, verschleppen, bevor die NATO interveniert?
Wenn die Ukraine tatsächlich den Krieg verlieren sollte, wäre ich für eine Intervention durch die NATO. Gerade weil ich davon ausgehe, dass Russland dann sofort den Schwanz einziehen wird, weil Russland offensichtlich kein gleichwertiger Gegner ist. Ja, die Eskalation des Krieges ist denkbar, es ist denkbar, dass Russland dann tatsächlich versucht, einen Abwehrkrieg (oder gar offensiven Feldzug) gegen die NATO zu führen. Aber dieses Risiko müssen wir im Zweifel bereit sein, einzugehen.
Russland handelt, wie es handelt, weil es genau davon ausgeht, dass der Westen sich nicht traut, im Zweifel direkt gegen eine Atommacht in einen konventionellen Krieg einzutreten. Russland ist hier der Bully, der die Grenzen austestet. Und desto mehr Grenzüberschreitungen die NATO zulässt, desto mehr fühlt sich Russland ermutigt, die Grenzen weiter auszutesten. Irgendwann muss die NATO den Mut haben, Russland offen mit einer kriegerischen Intervention zu drohen.
Die NATO wird nicht von sich aus intervenieren, wenn sie nicht angegriffen wird. Es ist ein Verteidigungsbündnis. Die einzig denkbare Alternative wäre wie in Afghanistan wenn sie um Hilfe gebeten wird und von einem UN-Mandat gedeckt tätig wird, aber das wird es garantiert nicht geben da es per Veto von Russland verhindert würde.
Ich denke der Kosovokrieg ist da ein gutes Beispiel aus der Geschichte, welches zeigt, dass die NATO durchaus auch ohne UN-Mandat aktiv in einen Krieg eingreift, wenn Russland und China ein Mandat verhindern.
Dazu auch zeitgeschichtlich folgendes Interview von 1999. An dieser dort geschilderten Einschätzung seitens der NATO dürfte sich wenig geändert haben (Kurzfassung: Ein UN-Mandat sollte gesucht werden, ist aber keine zwingende Voraussetzung)
Wenn es hart auf hart kommt und Russland die Ukraine einnimmt und dort massive Menschenrechtsverletzungen stattfinden (wovon auszugehen wäre!) wäre der Fall kaum anders zu bewerten als der Kosovo-Krieg.
Noch ein kurzer Nachtrag. Die Art und Weise, wie bisher Waffen geliefert wurden, hatte / hat zwei Gründe. Zum einen ging es anfangs darum, möglichst schnell zu helfen mit Material, das ganz akut den russischen Vormarsch aufhalten sollte, also z.B. Panzerabwehrwaffen. Man hatte / hat also immer auf ganz akute Notwendigkeiten reagiert. Gleichzeitig war die scheibchenweise Lieferung neuer Waffensysteme auch immer ein diplomatisches Signal an Russland: „Ja, wir könnten noch mehr, halten uns aber in manchen Sachen noch zurück. Du kannst noch raus aus der Nummer.“ Gleichzeitig war es ein Versuch, die russische Führung nicht in Panik zu versetzen durch eine Aufrüstung der ukrainischen Armee gleichzeitig in allen Bereichen. Kann sein, dass das klug war. Was man aber der Bundesregierung bzw. insbesondere Olaf Scholz und bestimmten SPD-Kreisen vorwerfen muss ist, dass sie der Bevölkerung vorgemacht haben, es ließe sich mit der Beschränkung auf bestimmte Waffensysteme eine nachhaltig effektive Verteidigung der Ukraine aufbauen. Das ist einfach in der Sachlage nicht begründet. Ganz so, als würden sich die Russen auf das Fehlen bestimmter Waffensysteme beim Gegner nicht anpassen. So wie jetzt auch. Im Moment müssen sie nicht fürchten, dass ihnen die Ukraine irgendwo mit einer Offensive in die Flanke fällt, also können sie Meter für Meter den Donbass abgraben. Deswegen halte ich die Fokussierung der Diskussion auf einzelne Waffensysteme für militärisch verfehlt. Und die intendierte diplomatische Wirkung hat dieses Vorgehen anscheinend auch nicht entfaltet. Bis vielleicht auf die Tatsache, dass man die Russen nicht in Panik versetzt, sondern den „Frosch langsam gekocht“ hat (Vergleich aus nem Artikel).
Wie es mit dem Krieg weitergeht, weiß ich nicht. Aber die Debatte in Deutschland sollte sich ändern.
Diese typische Twittermechanik, wonach es eine gute Seite gibt, deren einzige Aufgabe es ist, darzustellen wieviel moralischer, klüger und strategischer sie doch ist, muss aufgegeben werden.
Es gibt keine amoralischen, überforderten „Zauderer“ auf der einen und here, auf wissenschaftlichen Tatsachen argumentierende, Freunde der Ukraine auf der anderen Seite. Bis auf ganz wenige Ausnahmen wollen doch alle an der Debatte beteiligten das Beste für die Ukraine und eine klare Niederlage für Putins Russland.
Es gibt verschiedene Argumente für und gegen Waffenlieferungen. Es gibt die situative Moral und es gibt Ethik. Es gibt Vagheiten und Ungewissheiten.
Eine Meinung sollte sich auch dann nicht automatisch durchsetzen, wenn sie eine mediale Mehrheit vereinnehmen kann, aber auch nicht schön wegen einer Bevölkerungsmehrheit.
Das alles muss man berücksichtigen. Der Umgang mit dem Kanzler in den letzten Wochen war insofern verheerend. Absolut undemokratisch. Erst recht, angesichts des inhaltlich jetzt überzeugenden Ergebnisses.
Wir werden noch lange Zeit über diesen Krieg und andere Dinge debattieren. Die Lagermentalität und damit verbundene Selbstgerechtigkeit, die bei den Lageproduzenten und -hörenden manchmal doch recht ausgeprägt sind, sollte abgelegt werden.
Kann ich nicht mitgehen. Er zögert, sagt es geht nicht, will dann irgendetwas erkältet eskaliert - und macht es dann doch. Weil Montag das Wetter schlechter ist als am Freitag - oder was ist das neue Argument?
Abrahams - lachhaft! Sind wir mal froh, dass die Amis eine Menge größer 10 liefern, sonst wäre es peinlich geworden.
Lieferung von Waffen - aus meiner Sicht sogar soweit, dass wir die Bundeswehr in manchen Bereichen „nackig“ machen können. Beispiel: Panzerhaubitzen PzH 2000 - alle liefern an die Ukraine bis auf das eigene operative Minimum.
Warum? Russland wird uns konventionell nicht angreifen können, solange in der Ukraine Krieg herrscht. Eine wirkliche Bedrohung in der wir bis aus die Kräfte in Osten wirklich signifikant Truppe brauchen, sehe ich nicht.
Einen langen Krieg können wir uns nicht leisten - finanziell ja, wegen mangelndem Interesse in der Bevölkerung nicht.
Also, alles liefern, ausbilden und Munition produzieren lassen, was nur geht - und liefern. Dieses bisschen hier und da führt zu einem Patt.
Das stimmt, aber gerade dafür hat sie auch massiv Kritik bekommen, bzw. bekommt diese immer noch. Es ist daher politisch ein gelinde gesagt schwieriger Präzedenzfall; wenn man ihm folgen wollte, müsste das Vorgehen Russlands schon sehr massiv sein. Ich fürchte, nicht einmal die Einnahme der ganzen Ukraine wäre dafür „schlimm genug“.
Den Kosovokrieg mit einem Krieg mit einer Atommacht zu vergleichen, kann doch unmöglich ernst gemeint sein.
Wie leichtfertig hier über einen Eintritt in einen Weltkrieg gesprochen wird, ist schlicht erschreckend.
Ich finde es wichtig auf die Sprache zu achten. Wenn Du Philip (und das nicht zum ersten mal) den amtierenden Bundeskanzler trotzig nennst (an anderer Stelle auch „trotzig wie ein Kleinkind“), reproduzierst Du nicht nur Eindrücke anderer Medienschaffender, sondern Du ziehst den Menschen, der gerade unser Land regiert ins Lächerliche. Ich bin weder SPD Wählerin, noch Fan ABER in Krisenzeiten halte ich das für destabilisierend. Die Menschen sind ohnehin verunsichert und stehen vor zahlreichen, teilweise unüberschaubaren Herausforderungen. Da hilft das Gefühl einen kindlich trotzigen Kanzler zu haben wirklich nicht weiter. Außerdem wünsche ich mir auch thematisch im Kontext zur Panzerlieferung mehr Anspruch zum Perspektivwechsel. Ohne mich großartig in der rüstungsfokussierten Außenpolitik auszukennen, denke ich dass das Verhalten unserer Bundesregierung auch noch nicht erwähnte Gründe haben kann (abgesehen davon macht sich niemand extra langfristig bei allen europäischen Partnern unbeliebt). Zum Beispiel könnte es doch auch zeigen, dass die USA nach der Trump-ära und in Hinblick auf die kommenden Wahlen ein nicht mehr ganz so sicherer Bündnispartner sind und eine gemeinsame Lieferung von Kampfpanzern mehr Bündnissicherheit in Bezug auf eventuelle Konsequenzen aus Russland darstellen kann. Mögliche Gründe zu recherchieren fand ich hilfreicher als mit allen anderen in eine Richtung zu argumentieren…
Und ich finde es erschreckend, wie leichtfertig die Grundfesten der europäischen Sicherheitsordnung im Zweifel geopfert werden, weil man sich von Russland einschüchtern lässt. Angst ist ein unglaublich schlechter Ratgeber.
Wenn die „Vernünftigen“ aus Angst nicht handeln und den unvernünftigen Bullies damit alles durch gehen lassen, ist doch klar, dass Länder wie Russland immer und immer weiter machen werden. Wenn wir hier in der Ukraine nicht im Zweifel eine rote Linie ziehen, wird Russland halt nach Moldawien gehen. Und wenn wir dort keine rote Linie ziehen ist irgendwann tatsächlich ein Angriff auf ein NATO-Land (z.B. im Baltikum) zu erwarten, denn dann weiß Russland, dass die NATO auch hier im Zweifel den Schwanz einzieht, um bloß keinen Krieg mit einer Atommacht zu riskieren.
Diese Denkweise muss aufhören. Der aggressivere darf nicht gewinnen, weil der weniger aggressive zu viel Angst vor Konsequenzen hat. Ich sage weiterhin, dass Russland keinerlei Interesse an einem konventionellen Krieg mit der NATO haben kann - noch weniger an einem Atomkrieg. Die Angst vor diesen Szenarien darf nicht unser Handeln bestimmen.
Sowohl Linke als auch AfD kritisieren die Lieferungen deutscher Kampfpanzer an die Ukraine mit der gleichen Argumentation („Verlängerung des Konfliktes, Eskalation des Konfliktes, usw“), aber wohl aus unterschiedlichen Motiven?
Die Linke vermute ich eher aus einer historischen Verbundenheit zu Russland, die AfD eher aus Gleichgültigkeit gegenüber der Ukraine und Bewunderung für den Autokraten und „starken Mann“ Putin.
Die „diplomatische“ Lösung beider bleibt unklar. Tendenziell eher Richtung Diktatfrieden Russlands mit Verlust der besezten Gebiete für die Ukraine.
Bedeutet aber, das beide Parteien kein Interesse an einem langfristigem Frieden bzw dauerhaften Fortbestand der Ukraine haben.
Lassen sich damit tatsächlich Wählerstimmen in nennenswertem Umfang generieren?
Beiden Parteien geht es leider nicht um eine nachhaltige Lösung des Problems, sondern nur um die Frage, wie Deutschland am besten davon profitieren kann. Für die Wagenknecht-Fraktion ist es halt falsch, dass Deutschland massive Einbußen durch den Wirtschaftskrieg mit Russland erleidet - was da in der Ukraine passiert interessiert vor diesem Hintergrund nicht, es wird nur auf die eigene Situation geschaut. Die AfD ist da leider erschreckend ähnlich, was der Linken zu denken geben sollte.
Beiden Parteien ist es egal, ob die Ukraine sich gegen Russland behaupten kann oder Russland die Ukraine unterwirft. Und ich fürchte, damit kann man durchaus auch Wählerstimmen gewinnen, denn mit immer größer werdenden Einbußen (v.a. hohe Inflation) wird auch der Anteil der Bevölkerung wachsen, dem die Erhaltung des eigenen Lebensstandards wichtiger ist als die politische Lage der Ukraine oder der erhalt der europäischen Nachkriegs-Friedensordnung. Eben weil die Leute nicht an die langfristigen Konsequenzen denken…
Oder anders gesagt: Auch historisch gab es immer eine wachsende Kriegsmüdigkeit, desto länger der Konflikt andauert. Von dieser Kriegsmüdigkeit wollen Linke und AfD profitieren.
Sehr gut!
Das sehe ich auch so.
Dem stimme ich zu, solange die USA einen Präsidenten haben, der konsequent zur NATO steht - was ja keine Selbstverständlichkeit mehr ist.
Dazu kommt noch, dass für einen Angriff Russlands weniger entscheidend ist, was wir für Russlands Interessen halten, sondern was der Hobbyhistoriker Putin oder sein Nachfolger für die seinen.
Eine Einschätzung zu dieser Darstellung der NZZ würde mich sehr interessieren! Aus meiner fachfernen Sicht klingt es grundsätzlich plausibel und steht in keinem Widerspruch zum Verhalten verschiedener Akteure (z.B. Polen). Auf der anderen Seite hat z.B. Claudia Major dieses Argument nicht erwähnt und auch sonst habe ich es noch nicht gesehen. Kann das jemand einordnen?
Nochmal der Link: Kampfpanzer Leopard 2: US-Rüstungsinteressen lassen Scholz zögern
Kurzer Einwurf zur häufigen Phrase Angst sei ein schlechter Ratgeber:
Wer angstfrei lebt, überlebt wahrscheinlich kein Jahr. Angst ist ein wichtiger Bestandteil des Menschen, um sich vor großen Gefahren zu bewahren. Ob eine Gefahr als groß oder eher gering eingeschätzt wird, liegt beim Individum.
Dieser pauschale, stets unwidersprochene Claim „Angst ist ein schlechter Ratgeber“, schmeckt mir nicht.
Was du schreibst, ist für Tiere korrekt, nicht für Menschen.
Angst ist eine Emotion, und Emotionen dürfen das professionelle Verhalten nicht steuern.
Professionelles Verhalten muss sich an rationalen Risikoabwägungen orientieren, nicht an Ängsten. Ängste können als Hinweisgeber auf ein Risiko genutzt werden, aber dürfen nicht dazu führen, das Risiko dann über zu bewerten, während andere, realere Risiken, unterbewertet werden, weil diese keine Angst mehr auslösen.
Als Beispiel immer die Reaktion von einigen Leuten, wenn ich vor Corona gesagt habe, dass ich im Sinai tauchen war. Da kommt dann gleich: „Sinai, da sind doch noch Terroristen aktiv! Und überhaupt Ägypten, das ist doch viel zu gefährlich!“. Würde man deshalb diese Reise nicht antreten, wäre das ein Handeln aus Angst. Ich hingegen bin rational. Die Wahrscheinlichkeit, beim Tauchurlaub im Sinai Opfer von Terrorismus zu werden, ist in etwa ein Tausendstel so hoch, wie vor’m Hotel in einem beliebigen Land in einen Verkehrsunfall verwickelt zu werden.
Wir neigen dazu, übersteigerte Angst vor Dingen zu haben, die besonders Präsent in den Medien sind und mit denen wir keine persönlichen (abstumpfenden, angst-abbauenden) Erfahrungen haben (Terrorismus, Krieg). Andererseits unterschätzen wir konsequent Dinge, die tatsächlich gefährlich sind, an die wir uns aber gewöhnt haben (z.B. Autofahren, ungesundes Essen, Fettleibigkeit, Bewegungsmangel).
„Angst ist ein schlechter Ratgeber“ bedeutet daher in erster Linie, dass man niemals sein Verhalten unreflektiert an Ängsten ausrichten sollte. Dass es viele Dinge gibt, vor denen wir berechtigte Ängste haben und die wir auch nach einer rationalen Abwägung meiden sollten, steht dem nicht entgegen.
Bezogen auf die Russland-Diskussion erwarte ich, dass eine rationale Risikobewertung jedes weiteren Schrittes betrieben wird, statt aus Angst davor, in einen (Atom-)Krieg zu geraten, Russland einfach gewähren zu lassen.
So nachdem nun die Panzer abgehandelt sind: auf zur nächsten Folge ind der Diskussion - Flugzeuge
Kam gerade rein in meinen Nachrichten dass Selenkij jetzt nach solchen fragt ^^
Natürlich wäre das anders zu bewerten, da ein Krieg viel riskanter wäre.