LDN319 - Lindner und Immunität

Hallo liebes Lage-Team,

danke für diese wie immer unterhaltsame und informative Folge!

Ich hätte zwei Fragen zum Nachtrag zu den Lindner-Ermittlungen:

  1. Ihr sagt, dass die Bank sich u.U. auch der Vorteilsgewährung schuldig gemacht hat. Wären denn Ermittlungen wegen dieser Vorteilsgewährung gegen die Bank auch von der Immunität gedeckt, oder könnte die Staatsanwalt da ohne Genehmigung des Bundestags ermitteln? Und was wäre, wenn sie im Rahmen dieser Ermittlungen „überraschend“ auf belastendes Material gegen Herrn Lindner stoßen würde?
  2. Wenn das jetzt schon so lang und breit in den Medien diskutiert wird, könnte ich mir mit meinem laienhaften Verständnis vorstellen, dass diese Akten bei der Bank zufällig verschwinden und bei einer Durchsuchung nicht auffindbar wären. Kommt sowas häufiger vor?

Viele Grüße,
Heiko

Interessante Frage, da müsste ich tatsächlich mal in einem Kommentar nachlesen wie das bewertet wird. Daher kann ich nur Überlegungen anstellen, wie ich die Sache in einer Staatsorga-Klausur beantworten würde. Das würde wohl in etwa auf Folgendes hinauslaufen:

Art. 46 GG schützt erst einmal nur direkt den Abgeordneten vor jeder „Beschränkung der persönlichen Freiheit“ und „Einleitung eines Verfahrens“. Fraglich ist, inwiefern die Ermittlungen gegen die Bank, die denknotwendig komplementär eine Ermittlung gegen Abgeordneten beinhaltet, hier eine „Beschränkung der persönlichen Freiheit“ des Abgeordneten bedeutet, wenn die Staatsanwaltschaft davon absieht, gleichzeitig auch gegen den Abgeordneten offiziell zu ermitteln.

Denkt man zu Ende, wie diese Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ausgehen würden, kommt man zu dem Ergebnis, dass man bei einer Anklageerhebung und späteren Verurteilung des Verantwortungsträgers bei der Bank gleichzeitig auch den Abgeordneten öffentlich attestiert, eine Straftat begangen zu haben, weil eine Vorteilsgewährung der Bank nur schwer ohne eine verbotene Vorteilsannahme durch den Abgeordneten denkbar ist. Andererseits sind auch solche Fälle denkbar, beispielsweise wenn der Abgeordnete keinen Vorsatz der Vorteilsannahme hatte oder im Tatbestandsirrtum handelte, die Bank dies jedoch nicht wusste, sodass diese vorsätzlich handelte. In solchen Fällen kann es zu einer Verurteilung des Vorteilsgewährenden und zu einem Freispruch des Vorteilsannehmenden kommen.

Dennoch bleibt festzuhalten, dass Ermittlungen - und noch mehr: Verurteilungen - der Bank auch einen erheblichen medialen und politischen Fallout für den Abgeordneten zur Folge hätten. Der Zweck des Art. 46 GG ist die Aufrechterhaltung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestages. Fraglich ist daher zum einen, ob die Auswirkungen der Ermittlungen gegen die Bank auf den Abgeordneten eine Beschränkung dessen persönlicher Freiheit darstellen, zum anderen, ob dadurch die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestages in einem relevanten Maß beeinträchtigt werden.

Dabei sind auch die rechtspolitischen Konsequenzen zu berücksichtigen. Fraglich ist, wie eine von einer nur mäßig an rechtstaatlichen Grundsätzen orientierte Regierung gelenkte Staatsanwaltschaft (Stichwort: Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft) eine zu freizügige erlaubte Ermittlung gegen Dritte in Komplementärdelikten ausnutzen könnte, um die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestages, insbesondere der Opposition, einschränken könnte.

Dazu ist festzuhalten, dass die Erfahrung auch in anderen europäischen Staaten, vor allem aber in autokratischen Systemen, zeigt, dass ein Großteil aller politischen Ermittlungen gegen Abgeordnete und oppositionelle Kandidaten unter dem Vorwand von Korruptionssachen stattfinden, welche naturgemäß Komplementärdelikte sind. Erlaubt man folglich die Ermittlungen gegen Dritte in solchen Fällen kann durchaus auch die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestages dadurch gefährdet werden, denn auch, wenn es auf Grund der Immunität zu keinen direkten strafrechtlichen Konsequenzen für die Abgeordneten kommt, ist davon auszugehen, dass die Arbeitsfähigkeit der betroffenen Abgeordneten durch den Rechtfertigungsdruck gegenüber der Öffentlichkeit und den anderen Abgeordneten massiv eingeschränkt werden kann.

Dem gegenüber steht, dass ein Versagen von Ermittlungen gegen Dritte in Komplementärdelikten dazu führt, dass der Strafanspruch des Staates beeinträchtigt wird. Allerdings gilt hier, wie auch bei Abgeordneten, dass auch eine auf Dritte im Komplementärdelikten erweiterte Immunität ein Verjährungshindernis darstellt, daher die Tat nach Ausscheiden des Abgeordneten aus dem Bundestag unabhängig von etwaigen Verjährungsfristen verfolgt werden kann. Dies ist somit ein hinnehmbarer Zustand.

—> Ich würde daher zu dem Ergebnis kommen, dass die Ermittlung gegen die Bank nicht zulässig ist. Aber mit anderen Argumenten kann man auch zu einem ganz anderen Ergebnis kommen. Ob es dazu schon Rechtsprechung gibt, wäre tatsächlich interessant.

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@Daniel_K Also ich merke bei deinen wunderbaren Antworten immer wie gut es für mich war nicht Jura zu studieren ^^ mein Strom fließt immer wunderbar und eindeutig von plus nach minus :wink:

Aber du hast eine wunderbare Art die Juristischen Irrungen und Wirrungen für mich dummen Elektriker zu erklären.
Bitte nicht aufhören!

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Und schon hat die Berliner Staatsanwaltschaft den „ohnehin fernliegenden“ Anfangsverdacht als unbegründet angesehen und das Prüfverfahren eingestellt.
Da war wohl so wenig dran, dass die Berichterstattung von BILD, Spiegel und Lage vielleicht doch ein wenig übertrieben war.

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Warum übertrieben?

Wie ich zuvor schon schrieb, die LdN hat den Sachverhalt offen dargestellt (könnte was dran sein, könnte auch nicht…) und über eine Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft berichtet. Ebenso wie etliche andere Qualitätsmedien.

Wenn solche Vorwürfe gegen einen Minister im Raum stehen ist es nun einmal die Aufgabe der Presse als „vierte Gewalt“, darüber zu berichten. Aber eben neutral. Das ist geschehen. Zum guten Ton gehört es nun, auch dieses entlastende Ende der Ermittlungen in der nächsten Episode kurz zu erwähnen und dann war’s dann.

Ich sehe weiterhin nicht das Problem. Ja, es war einer dieser Fälle im Randbereich dessen, was im Rahmen der Verdachtsberichterstattung noch vertretbar ist, aber es war eben noch im Rahmen. Hätte die Generalstaatsanwaltschaft kein Statement rausgehauen, wäre darüber auch nicht berichtet worden. Aber nachdem das Statement damals draußen war, war es offensichtlich öffentliches Interesse, darüber zu berichten. Denn andernfalls würden irgendwelche Verschwörungs-Deppen kommen und sagen: „Warum wird denn über dieses offizielle Statement der Generalstaatsanwaltschaft nicht berichtet? Vertuschen hier Medien und Politik etwa einen Skandal!!!1!!!11!elf“. Alleine schon um diesen Anschein zu vermeiden musste darüber berichtet werden.

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Zu einem guten Journalismus gehört eben auch, die politische Agenda der Generalstaatsanwaltschaft mit einfliessen zu lassen. Bei der politischen Färbung der Berliner Justiz sollten dann umsomehr Füße stillgehalten werden. Ansonsten wird Journalismus immer mehr ein parteipolitisches Sprachrohr und damit in seiner Qualität abgewertet.

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Du unterstellst der Berliner Justiz pauschal, eine politische Agenda zu verfolgen?!? Seriously?

Du nimmst an, dass ausgerechnet eine Staatsanwaltschaft, der üblicherweise konservativste Teil des ohnehin schon konservativ geprägten Justizapparates, eine linke Agenda gegen die neoliberale FDP verfolgt? Da fehlen mir die Worte…

Es war schlicht ein Fehler der Staatsanwaltschaft, bei einem offensichtlich noch sehr geringen Anfangsverdacht an die Öffentlichkeit zu gehen… sowas passiert, auch ohne, dass da politischer Wille eine Rolle spielen würde. Wäre jetzt der zuständige Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft bekannt dafür, politische Positionen zu vertreten oder wäre sowas in der Vergangenheit häufiger gegen spezifische Gruppen vorgekommen,. könnte ich deinen Verdacht zumindest im Kern nachvollziehen. Aber dafür gibt es nicht den Hauch eines Indizes… Selbst Lindners Parteikollege und Justizminister Buschmann, der die Generalstaatsanwaltschaft für die öffentliche Stellungnahme - durchaus mit Recht - klar kritisiert hat, äußert nichts dergleichen.

Also noch mal:
Wenn eine Staatsanwaltschaft so ein öffentliches Statement rausgibt und die Medien greifen es nicht auf, wie wirkt das auf ohnehin staatskritische geprägte Menschen? Es wirkt so, als würde hier offensichtlich etwas vertuscht werden. Eine offene, neutrale Berichterstattung war daher der einzige sinnvolle Ausweg aus dieser Situation. Nicht zu berichten wäre nicht besser gewesen.

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Hey @lib, vielleicht kannst du das mit der „politischen Färbung der Berliner Justiz“ nochmal genauer erläutern?

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Schade, dass die Einstellung des Verfahrens nicht kurz in der neuen Lage thematisiert wurde. So entsteht der Eindruck, man wolle nur negativ über Lindner berichten.

Das Konzept „Redaktionsschluss“ ist dir bekannt?

Die Argumentation wird hier typisch neoliberal sein:
Er, also die Privatperson Lindner, ist wie ein Unternehmer total an einem effizienten Wirtschaften interessiert. Wenn er also einen Kredit für sein Haus bekommt, dessen Zinsen niedriger liegen als die Rendite seiner Kapitalanlagen, wird er hier natürlich einen indirekten Leverage-Effekt nutzen wollen.

Der Staat hingegen ist natürlich in der neoliberalen Denkweise total unfähig und wird nie effizient wirtschaften. Wenn der Staat also Schulden aufnimmt kann das quasi nur in die Hose gehen :wink:

Als Finanzminister kann Lindner die Inflation (=Kreditausweitung) entscheidend mitgestalten.
Wenn er also plant viele Schulden zu machen (Bundeswehrsondervermögen o.ä.), dann ist es durchaus unternehmerisch klug, vorher eine Menge Schulden auch privat aufzunehmen. Die Rückzahlung der Schulden wird dann weginflationiert. Sprich: Die Bank bekommt wertlosere Euros zurückgezahlt, während das zugrundeliegende Asset wie hier die Villa im Vergleich zum Wert des Euro steigt.
Jede Person, die von einer Entwertung der lokalen Währung ausgeht, versucht sich aktuell zu verschulden und wertbeständige Assets zu kaufen. In einer inflationären Welt ist der Sparer der Dumme und der Kreditnehmer der Kluge.

Hallo,
ich habe diese Kreditvergabe an Herrn Lindner auch mit Spannung verfolgt. Neben den hier und in der Sendung erwähnten "Geschmäckle“, stelle ich mir heute die Frage, ob die Bank zukünftig auch etwas vom Kuchen des Renten-Rettungspaketes (10 Mrd.€) des Finanzministers hat. Irgendwer muss diese Anleihen und Aktien für das Ministerium doch händeln?
Wenn ja, dann wäre der gute Kredit doch fast erklärt…. ist aber sicher zu einfach gedacht.

An der Börse würde man das „Insiderhandel“ nennen. Bei der FDP und deren Anhänger ist das also „unternehmerisch klug“. Gut zu wissen.

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Insiderhandel bezieht sich zumeist auf Einzelaktien.
Da sich die Eurozone von einem per Saldo Exportverbund zu einem Importverbund wandelt, ist von einer weitgehenden Währungsentwertung auszugehen. 2022 lag die Entwertung bei etwa 20% - 2023 kann nochmal von dieser Größenordnung ausgegangen werden. Der Euro wird italienisch - und Deutschland macht mit. Insiderhandel wäre es, wenn z.B. Frau Lagarde so handeln würde wie Hr. Lindner.
Einzelne Minister Deutschlands haben jedoch zu wenig Macht, um diesen strukturellen Währungsabstieg aufzuhalten. Daher ist ein arrangieren mit der neuen Situation allen anzuraten. Es bedarf einer strukturellen Reform - diese wird aber nicht angestoßen werden, ehe wir nicht ein paar Jahre Stagflation hatten.