LdN319 Gesetzentwurf für Wahlrechtsreform

Klingt erstmal logisch, allerdings hat das bei der jüngsten Bundestagswahl glaube ich nur ein einziger Wahlkreis überhaupt geschafft, für die SPD in Emden mit 52,8%. Das beste Ergebnis für die CDU war soweit ich das finden kann 49,1% in Cloppenburg, und für die CSU 47,8% in Kulmbach.

Tja. Anscheinend gibt es niemanden, der legitimiert wäre die gesamte Wahlbevölkerung eines Wahlkreises zu vertreten, außer in Emden. ¯\_(ツ)_/¯

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Hallo liebe Leute,

ich weiß nicht, ob dies die richtige Kategorie ist und ob Fragen dieser Art hier richtig positioniert sind, aber mich interessiert folgendes:

Was sind die soziologischen Gründe dafür, dass es zunehmend Überhangmandate gibt?

Das ist natürlich kein Themenvorschlag für die Sendung.

Besten Gruß

Überhangmandate entstehen letztlich durch eine Zersplitterung der politischen Landschaft. Desto stärker die „kleinen“ Parteien (Grüne, FDP, Linke, AfD) werden, desto mehr Überhangmandate wird es geben.

Selbst wenn es kein strategisches Stimmen-Splitting gibt (also jeder mit der Erst- und Zweitstimme die gleiche Partei wählen würde) führt eine vielfältige Parteien-Landschaft zu mehr Überhangmandaten.

Der Grund ist simpel:

Im Mehrheitswahlrecht gewinnt der Kandidat mit den meisten Stimmen 100% der Stimmgewalt. Es ist daher egal, ob der CSU-Kandidat den Wahlkreis mit 30% oder 60% der Stimmen gewinnt. Wenn die CSU stark ist (z.B. 50% der Erst- und Zweitstimmen gewinnt) gibt es kein Problem, weil sie zwar alle Wahlkreise gewinnt (z.B. mit 48% vor der SPD mit 30%), aber mit 50% der Zweitstimmen auch genug Zweitstimmen-Sitze hat, um keine Überhangmandate zu erzeugen.

Wenn die CSU allerdings schwach ist (z.B. 30% der Erst- und Zweitstimmen) kann sie zwar immer noch (fast) alle Wahlkreise gewinnen (z.B. mit 32% vor dem SPD-Kandidaten mit 28%, dem FDP-Kandidaten mit 16%, dem Grünen-Kandidaten mit 11% und dem AfD-Kandidaten mit 8%), hat aber nur 30% der Zweitstimmen und deshalb nicht genug Zweitstimmen-Sitze und es kommt zu Überhangmandaten.

Die soziologischen Gründe für mehr Überhang-Mandate sind daher identisch mit den soziologischen Gründen für die Schwäche der Volksparteien bzw. das Erstarken kleinerer Parteien. Und die sind relativ vielfältig (Individualisierungstendenzen, eine komplexer werdende Gesellschaft, in der keine Partei mehr realistisch „das gesamte Volk“ vertreten kann, zunehmende gesellschaftliche Spannungen, die einen Ausgleich der Interessen aller Bevölkerungsgruppen, wie sie eine Volkspartei klassisch verfolgt, nicht mehr möglich macht… gerade letzteres ist relevant: Wenn z.B. der Umweltschutz für mehr Menschen relevant wird, werden mehr Menschen die Partei wählen, die darauf ihren Fokus richtet und nicht die Partei, die zwar als Volkspartei auch die Umweltschützer bedienen will, gleichzeitig aber die Interessen der Unternehmer und Autofahrer bedienen muss…)

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Ich denke du hast recht mit dem was du hier sagst, ich würde noch ergänzen, dass die Auswahl größer geworden ist. Aufgrund der 5% Hürde kommen für die meisten nur die Parteien in Frage, die eine realistische Chance haben, über die 5%-Hürde zu kommen. Am Anfang gab es nur SPD, CDU und FDP, also keine so große Auswahl. Seit dem gab es Themen, die die großen Parteien nicht abgedeckt haben und, die kleineren Parteien über die 5% Hürde geholfen haben. Diese kleineren Parteien, haben es dann geschafft sich dort festzusetzen. Somit hat man heute die Wahl zwischen 6, statt vorher 3 Parteien.

Ein anderer Grund den man noch ergänzen kann ist, dass die Erststimme eher eine „lesser of two evil“ Wahl ist. Wenn man mit der Erststimme die FDP wählt, ist die Stimme eher verschenkt, als wenn man es mit der Zweitstimme macht. Von daher ist es vermutlich für SPD und CDU einfacher Erststimmen zu ergattern, als es ist Zweitstimmen zu ergattern. (Wobei ich glaube vielen ist nicht wirklich klar wie erst- und Zweitstimme + Überhangsmandate + Ausgleichsmandate wirklich funktionieren und daher auch viele bei der Erststimme nicht unbedingt strategisch wählen)

Meiner Meinung nach gibt es einige weitere Probleme mit dem aktuellen Wahlrecht, die man angehen könnte!

Erstes Problem ist, dass ein großer Teil der in Deutschland lebenden Bevölkerung nicht wahlberechtigt ist. Dies sind einerseits Personen ohne deutschen Pass [0], ca 12,8% der Erwachsenen, andererseits Kinder und Jugendliche, die bisher nicht repräsentiert werden [1] (16,5%).
Somit komme ich auf einen Anteil der Wahlberechtigten an der gesamten in Deutschland lebenden Bevölkerung von unter 73%!!!
Dazu lag die letzte Wahlbeteiligung an Zweitstimmen bei 76,6%, wovon 0,9% der Stimmen ungültig und 8,6% der Stimmen unter der 5%-Hürde lagen.

Insgesamt komme ich auf knapp über 50% gültiger Stimmen (für Parteien im Bundestag), wenn man alles zusammenrechnet. Das ist zu wenig und schadet der Legitimität und der demokratischen Kultur.

mögliche Lösungen:

  • Wahlrecht ab Alter 0
  • Wahlrecht nicht an staatsangehörigkeit sondern an Lebensmittelpunkt/Hauptwohnort koppeln.
  • soziale Programme
  • absichtlich ungültige Stimmen als Option zuzulassen

Zweites großes Problem:

  • Stimmen verfallen bei Wahl von Kleinparteien (die unter 5% der Zweitstimmen erreichen)
  • Taktisches Wählen, um bessere Chancen bei den Direktkandidaten/der 5%-Hürde zu haben verfälscht den eigentlichen Willen der Wähler:innen.

Lösung:

  • Ein System der [übertragbaren Einzelstimmgebung] erarbeiten, so dass man bei der Wahl Alternativen angeben kann, falls die erste Präferenz ausscheidet/nicht gewinnt.
    Idealerweise nutzt man ein solches System auch bei der Erststimme. Damit verhindert man teilweise, dass sich politisch nahe Kandidaten gegenseitig die Stimmen wegnehmen.

Was mir bei dem neuen Wahlrechtsentwurf noch nicht so ganz klar ist, ist wie Direktkandidierende von Parteien unter der 5%-Hürde gezählt werden. Wenn diese keine Chance mehr hätten auf diesem Weg ins Parlament zu kommen, wäre das ein herber demokratischer Rückschritt für Kleinstparteien.
Dies kann aber durch Folgefrage 2 von @vieuxrenard hier teilweise gelöst werden. Reform-Idee: Direktmandate nur im Rahmen der nach Zweitstimmen verfügbaren Mandate vergeben?

[0] Politische Teilhabe | Integration | Zahlen und Fakten | MEDIENDIENST INTEGRATION
[1] Der Deutschlandatlas - Karten - Altersgruppen der Bevölkerung (3 Karten)

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Hallo zusammen,

Eine kurze Frage bezüglich der Auswirkungen, welche die Wahlrechtsreform auf die Linken bei der Bundestagswahl 2021 gehabt hätte. Nach Zweitstimmen wäre die 5%-Hürde durch die Linkspartei nicht geknackt worden. Somit haben keinen Anspruch auf Bundestagsmandate erhalten, lediglich durch 3 gewonnene Wahlkreise konnten sie in den Bundestag einziehen.

Durch die Wahlrechtsreform wäre die Situation folgende: Die Linke hätte aus den Zweitstimmen keinen Anspruch auf Mandate gewonnen. Würde diese „Sonderregel“ der Direktmandate nach der Wahlrechtsreform abgeschafft werden?

Danke für eine kurze Antwort, ich habe in diversen Quellen darauf leider keine Antwort gefunden.

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Geht es bei der Wahlrechtsreform darum 1. Geld zu sparen 2. juristisch im Recht zu sein oder 3. die Demokratie zu stärken?
Die Landeslisten werden durch die Parteien zusammengestellt. Innerparteiliche "QuerulantInnen", die z.B. zu stark für einen sozialen oder nachhaltigen Staat eintreten, werden auf die hintern Listenplätze gesetzt. Somit bietet hier die Erststimme eine Möglichkeit für PolitikerInnen, die nicht unbedingt der Parteilinie folgen. Eine Reduktion auf die Zweitstimme mag zwar juristisch kein Problem sein und Geld sparen, geht aber auch mit einem Verlust der Diversität unserer Demokratie einher.

Ich glaube Marco Bülow könnte hier ein sehr interessanter Gesprächspartner sein. Zumindest sein Podcast (Lobbyland) ist hier sehr aufschlussreich.

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Guten Abend,
ich halte die Regelung mit der die wegfallenden Direktmandate gesiebt werden für nicht optimal. Es gibt evtl. Wahlkreise, bei denen regelmäßig eine große Varianz der Stimmen auftritt, hier haben die Kandidaten schon schlechte Karten, auch hat ein kleiner Wahlkreis im Schwarzwald eher weniger Direktkandidaten, als die Wahlkreise in den Metropolen, was einer Tendenz zu höheren Ergebnissen für die jeweiligen Gewinner führt.
Demokratischer wäre eine Regelung, die Kandidaten bevorzugt, die sich in einem spannenden und interessanten Wahlkampf durchgesetzt haben. Ein Maß dafür wäre die Wahlbeteiligung im jeweiligen Wahlkreis. Ein Mensch mit einem Direktmandat hat dieses schließlich für alle Wähler seines Wahlkreises, nicht nur für die, die ihn gewählt haben.

Das Argument trägt nicht wirklich, weil die Parteien auch bestimmen, wer für sie als Direktkandidat antreten darf. Und es gibt nur wenige Ausnahmen, wo Politiker so etabliert in ihrem Wahlkreis sind, dass sie eine Chance hätten, als unabhängige Kandidaten gegen ihre Partei anzutreten. Ströbele war vermutlich eine dieser Ausnahmen, dem das hätte gelingen können, wobei ich selbst da keine Wetten abschließen wollen würde.

Der Einfluss der Parteien auf die Zusammenstellung der Listen ist daher nicht spürbar größer als auf die Bestimmung der Wahlkreiskandidaten.

Das ist leider nicht objektiv messbar und daher ein hoch-problematisches Kriterium.

Das wiederum führt dazu, dass die Wahlkreise, in denen besonders viel ärmere, bildungsferne Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund wohnen, das Nachsehen haben.

Zur Wahlbeteiligung - und vor allem, wer die üblichen Nichtwähler sind - gibt es eine ziemlich gute Datenlage. Grundsätzlich kann man sagen: Desto privilegierter ein Mensch ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er wählen geht. Würde man also Kreise mit hoher Wahlbeteiligung bevorzugen, würde man systematisch ohnehin unterprivilegierte Menschen weiter benachteiligen.

Die Wahlbeteiligung halte ich zudem auch nicht für einen geeigneten Maßstab dafür, wie spannend ein Wahlkampf ist. Naja, vielleicht schon, aber dann muss man sich fragen, ob man das Ergebnis auch will. Siehe Trump-Wahl in den USA. Desto umstrittener ein aussichtsreicher Kandidat ist, desto mehr wird für und gegen ihn mobilisiert. Die Wahlbeteiligung als Kriterium würde daher auch bedeuten, dass tendenziell eher umstrittene Kandidaten (oder deren Gegner) profitieren.

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Ich finde, der von @Matder gepostete Tagesschau-Link zum neuesten Unions-Vorschlag ist hier ein wenig untergegangen, daher hole ich ihn noch einmal hervor.

Es zeigt gut, was das Kernproblem bei der ganzen Debatte ist. Es geht weder um einen „aufgeblähten Bundestag“, noch um „verwaiste Wahlkreise“. Es geht nur darum, dass die Union das deutsche Äquivalent von Gerrymandering betreiben will.

Das Thema ist ja schon etwas älter. Wir hatten und haben einen Reformbedarf im Wahlrecht und die Union hat diesen zum Anlass genommen, sich ein Wahlrecht so zuschneiden lassen zu wollen, dass sie durch unausgeglichene Überhangmandate davon profitieren kann. Forderungen der CDU nach unausgeglichenen Überhangmandaten haben schon in der letzten Legislaturperiode eine Lösung verunmöglicht. Nun haben wir tatsächlich auch einen Kompromiss, der der CSU 0,4 Prozentpunkte mehr Einfluss im Bundestag beschert, als ihrem Zweitstimmenergebnis entspräche.

Der neue, völlig bizarre Unions-Kompromiss sieht nun bis zu 15 nicht ausgeglichene Direktmandate (2,5% der Wahlmasse des Bundestags) vor. Hier ist ein hypothetisches, nicht ganz unrealistisches Rechenbeispiel, was das 2025 bedeuten könnte. Angenommen, es erhielten:

  • die Union 33% bei Zweitstimmen,
  • die SPD 28% bei Zweitstimmen,
  • die Grünen 12% bei Zweitstimmen,
  • die FDP 7% bei Zweitstimmen,
  • die AfD 9% bei Zweitstimmen,
  • die Linke 4% (fliegt aber nicht aus dem Bundestag)
  • Sonstige Parteien 7% bei Zweitstimmen.
  • Die Union gewinne zudem bundesweit genau 15 Überhangmandate, anderen Parteien keines.

Nach Zweitstimmen würde die Ampelkoalition 48/93*598=302 Abgeordnete im Bundestag stellen und hätte damit eine Mehrheit von 8 Abgeordneten. Das ist knapp, aber Schröder regierte z.B. 2002-2005 mit einer Mehrheit von 9 Abgeordneten, Kohl von 1994-1998 mit einer Mehrheit von 10 Abgeordneten. Nach dem Unionsvorschlag würde der Bundestag allerdings mit 15 zusätzlichen, unausgeglichenen Unions-Abgeordneten aufgefüllt und an einem Kanzler März käme quasi kein Weg mehr vorbei. Das ist nur ein Rechenbeispiel und man kann sich viele andere ausdenken, bei denen (wegen der bayerischen Besonderheit) die Union in besonderem Maße von Zweitstimmen profitiert.

Klar hat der „Kompromiss“ der Union keine Change, und am Ende wird hoffentlich der Ampel-Vorschlag umgesetzt werden, aber es zeigt noch einmal, dass CSU und CDU hier mit einer Chuzpe vorgehen, die den Republikanern in den USA in nichts nachsteht.

(edit: kleiner Rechenfehler korrigiert)

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Ich finde es wichtig, dass jeder Wahlkreis durch einen Abgeordneten im Bundestag vertreten ist und würde mich daher eher für eine Verringerung der Wahlkreise aussprechen.

Ohne lokale Repräsentanten haben sonst diese Wahlkreise keine Chance bei zB Standortentscheidungen, Trassenplanungen, etc., die auf Bundesebene getroffen werden.

Würde wetten, dass zB ein zukünftiges Atommüllendlager dann in einem Wahlkreis ohne Direktkandidaten im Bundestag entsteht…

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Das Argument halte ich, wie viele andere auch schon gesagt haben, nicht für schlüssig.

Jede Partei hat in jedem Wahlkreis ein Wahlkreisbüro, unabhängig davon, ob die Partei den Abgeordneten für diesen Wahlkreis stellt. Wenn ich nun ein Anliegen hätte würde ich mich an das Wahlkreisbüro der Partei wenden, von der ich mir Abhilfe erhoffe - nicht an das Büro der Partei, die gerade den Abgeordneten stellt.

Die Erwartung, dass sich z.B. ein Linker sich mit seinem linken lokalen Anliegen an ein CDU-Wahlkreisbüro wendet, weil die CDU diesen Wahlkreis gewonnen hat und deshalb den Abgeordneten stellt, ist einfach weltfremd.

Alle diese „lokalen Anliegen“ werden auch auf der lokalen Ebene anhand der Parteilinien entschieden und von den Ortsvereinen im Zweifel auch an die Bundesparteien getragen, wenn es ein relevantes Anliegen ist.

Da würde ich locker gegen halten, auch um sehr große Geldsummen. Alleine schon, weil das Verfahren, nach dem das Endlager ausgewählt wird, dies nicht wirklich zulässt, zum anderen, weil du die Bedeutung eines einzelnen Abgeordneten maßgeblich überschätzt.

Wenn der Bundestag sich mit einer Mehrheit darauf einigt, dass das Endlager nach Abwägung aller wissenschaftlichen und politischen Argumente in Landkreis X kommen soll, ändert daran absolut gar nichts, ob dieser Landkreis einen Abgeordneten stellt oder nicht. Der Abgeordnete muss sich auch hier der Mehrheit seiner Partei fügen, eine „Not in my Backyard“-Politik gegen die eigene Partei zu führen führt höchstens dazu, dass der Abgeordnete seine politische Karriere begräbt. Mit Recht - denn so funktioniert unser demokratisches System einfach nicht.

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Das wäre dann ja ziemliches Glück, wenn ein geeigneter Platz zufällig genau in einem Wahlkreis liegt, wo es keinen örtlichen NIMBY-Abgeordneten gibt um das zu verhindern.^^

Ich bin bestimmt kein Polit-Profi, somit ist diese Frage vielleicht leicht zu beantworten:

Ich verstehe, dass der Ausgleich zwischen Erst- und Zweitstimme zu Überhangs- und Ausgleichsmandaten führen kann / muss. Dies vor allem, weil dieser Ausgleich auf Länderebene geschieht.
Gibt es einen Grund, warum dieser Ausgleich nicht auf Bundesebene vollzogen wird? Ich stelle mir vor, dass dann regionale Unterschiede / politische Präferenzen zwischen den einzelnen Bundesländern sich eher ausgleichen und die Erststimme somit eher zu einem regulären Mandat führen kann OHNE die Notwendigkeit, ein Überhangsmandat zu schaffen. Vielleicht nicht in jedem Fall … trotzdem …

Grundsätzlich finde ich es nämlich schon einen charmanten Aspekt unseres Wahlsystems, dass lokales Engagement und ein guter Wahlkampf auf Wahlkreisebene belohnt werden und solche Politikerinnen in den Bundestag einziehen können, anstatt dass diese Plätze über Listenplätze an wie auch immer präferierte Parteimitgliederinnen vergeben werden.

Bin gespannt, mit Hilfe der Community zu verstehen, wo da der Haken in meinem Denken ist.

Mich wundert hier, wieso bei den Direktmandaten keine Stichwahl der beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen stattfindet, solange kein Kandidat die absolute Mehrheit der Stimmen im ersten Wahlgang erhält. So würden doch auch in den Städten zumindest Ergebnisse knapp über 50% erreicht und auch Szenarien wie bei der letzten Wahl mit Maaßen wären nicht so realistisch, wo sich die anderen Parteien zunächst die Stimmen gegenseitig geklaut haben und es fast einen lachenden Dritten gegeben hätte.
Gibt es Gründe, die Stichwahlen auf Bundesebene nicht ermöglichen?

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Ich denke die Zweitstimme ist sehr viel wichtiger als die Erststimme und es darf auf keinen Fall zu gunsten der Erststimme geopfert werden, dass die Verteilung im Bundestag nicht mehr den Zweitstimmen entspricht. Von daher lieber die Erststimme komplett rausschmeißen.

Zur Erststimme: Deutschland ist kein Zusammenschluss aus Wahlkreisen. Das heißt bei der Bundestagswahl sollte man nicht für regionale Interessen stimmen, sondern für Interessen, die man als Bundesbürger hat. Wenn man regionale Interessen umgesetzt werden sehen möchte, sollte man zu Kommunalwahlen und Landtagswahlen gehen. Des Weiteren, wenn man den Herrn Loos aus der Lage Folge als Beispiel nimmt, gerade mal 25% haben für ihn gestimmt, das heißt 75% haben nicht für ihn gestimmt, und z.B. die Grünen Wähler, die nicht für ihn gestimmt haben, vertritt er auch nicht. Wenn die zu ihm kommen und sagen, sie hätten gerne ein Tempolimit, würde der sagen „schön für euch“. Das heißt auf ganz Deutschland betrachtet haben sehr wahrscheinlich weniger als 50% der Einwohner einen direkten Abgeordneten, der ihre Interessen vertritt.

Es gibt nur einen Vorteil, den ich bei direkt Abgeordneten sehe, sie können sich etwas mehr gegen ihre Partei stellen und sind etwas mehr ihren Wählern verpflichtet, als Listenkandidaten. @Daniel_K hat ja aber auch schon drauf hingewiesen, dass das nur beschränkt gilt.

Zum Vorschlag der Ampel: Auch wenn ich nicht der größte Fan von direkten Abgeordneten bin, muss ich sagen, kann ich den Kritikpunkt der Union verstehen. Weil, wenn man schon davon ausgeht, dass es einen Vorteil hat einen direkten Abgeordneten zu haben, dann sollte man diesen Vorteil auch allen Bürgern geben. Und um da nochmal auf die Lage Folge einzugehen, ich denke nicht, dass es das Gleiche ist, ob man einfach nur einen Abgeordneten aus München hat oder einen direkt gewählten Vertreter. Der direkt gewählte Vertreter ist viel mehr davon abhängig regionale Interessen zu vertreten, als es der Abgeordnete ist, der nur zufällig aus München kommt. Auch find ich die Argumentation nicht gut, dass es ja die richtigen Wahlkreise treffen würde, sowas find ich einfach undemokratisch. Auch der find ich es falsch zu sagen, dass auf den hinteren Listenplätze sich junge, diverse Leute befinden und deswegen sollte man den Bundestag größer machen. Das geht erstens zu sehr in die Richtung, ich mach mir das Wahlsystem so, dass die Ergebnisse rauskommen die ich haben will und zweitens wäre das ja nur Symptombekämpfung und nicht Ursachenbekämpfung.

An sich hab ich aber auch keine Vernünftige Idee wie man das Wahlrecht reformieren könnte. Ich fand das wie @Olaf.K das aus Schweden beschrieben hatte nicht schlecht als Grundlage, wo die Leute direkt Listenkandidaten wählen können. Also man könnte z.B. in jedem Bundesland die Kandidaten aus den Listen wählen. Das hat mehrere Vorteile:

  1. Der Bundestag hätte eine feste Größe
  2. Leute könnten direkte Vertreter ihrer Interessen finden, die sie anschreiben können und das in jedem Bundestag und nicht nur in den Jahren, wo ihr Wahlkreis zufälligerweise mal genau so abgestimmt hat wie sie.
  3. Wenn ein Abgeordneter zu beschäftigt ist, können sie sich wen neues suchen. Ich glaube das könnte für mehr Volksnähe der Vertreter sorgen.
  4. Abgeordnete könnten zumindest indirekt abgewählt werden
  5. Der Fraktionszwang würde etwas abgeschwächt erden, sodass es vielleicht nicht mehr reichen würde nur Sigmar Gabriel zu lobbyiere, um die Stimmen der ganzen SPD zu bekommen

Einen großen Nachteil würde ich daran sehen und zwar, dass die Wahlzettel zu groß werden würden.

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Ich wunderte mich bei der Diskussion in der Lage, darüber, dass gar nicht auf eine, wenn nicht sogar die einzige Ursache des aktuellen Problems eingegangen wurde. Nämlich, dass die Vergabe der Direktmandate durch relative Mehrheitswahl in einer Parteienlandschaft mit mittlerweile 6+ Parteien nicht mehr angemessen ist. Es gäbe ja recht einfache Verfahren der Präferenzwahl, durch die dann vermutlich auch andere Parteien Direktmandate erreichen könnten und das Problem mit Überhangsmandaten deutlich geringer ausfallen dürfte.

Ich habe aber nie irgendwelche Diskussionen darüber gelesen. Gibt es da einen Grund dafür?

Ich möchte hier mal eine ketzerische Frage stellen:

Brauchen wir im Bundestag wirklich direkt gewählte Abgeordnete?

Auf Bundesebene werden ja Entscheidungen getroffen, die für ganz Deutschland Bedeutung haben. Ist es da nicht sogar undemokratisch, wenn einzelne Landkreise bzw. deren Wähler einen überproportionalen Einfluss geltend machen, weil sie sich so im Zweifel gegen eine legitime Mehrheitsentscheidung aller anderen Wähler stellen?

Hinzu kommt, dass in Deutschland ja das Subsidiaritätsprinzip gilt und wir über eine föderale Struktur verfügen, so dass man ja argumentieren kann, dass Entscheidungen mit regionaler Bedeutung auch regional getroffen werden.

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Ich persönlich finde den aktuellen Entwurf nicht gut. Meiner Auffassung nach steht in 38GG „unmittelbar“ - eine Verlagerung zur Zweitstimme würde dem nicht ausreichend gerecht werden. Ich bin auch der Meinung, dass spätestens seit dem Grünen-Slogan „2. Stimme - Joschka Stimme“ in vielen Köpfen ist: Zuerst kommt die Erststimme und erst dann die Zweitstimme - die füllt dann auf. Ich glaube auch, dass deshalb so viele kleinere Parteien so viele Mandate bekommen haben.
Eine Verlagerung führt zu noch mehr Hinterzimmerpolitik. Ich möchte direkte Demokratie.