LdN319 Gesetzentwurf für Wahlrechtsreform

Mir kommt in der politischen Diskussion viel zu kurz, dass das „Schurkenstaat-Argument“ der CSU auf das Wahlrecht zum Bayerischen Landtag auch zutrifft. Wer ist nochmal für diese Regelung zuständig?

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Die Gefahr sehe ich ehrlich gesagt nicht. Bisher gibt es kein Gerrymandering im großen Stil - jedenfalls ist es mir nicht bekannt - und es würde bei einer Wahlkreisreform auch nicht passieren. Abgesehen davon werden die Wahlkreise doch ohnehin regelmäßig an die Bevölkerungsverteilung angepasst.

Eine Verringerung der Wahlkreise wäre in meinen Augen das einfachste. Den AfDler, der bei uns 2021 den BT-Wahlkreis gewonnen hat, habe ich seit der Wahl noch nicht wahrgenommen. Aber auch den CDUler vorher kannte kaum jemand. Eine Bürgernähe, die durch eine Vergrößerung der Wahlkreise verloren gehen könnte, habe ich jedenfalls bisher nicht festgestellt.

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Die Frage ist, ob eine Wahlkreisreduktion wirklich zielführend ist.

Klar, der Bundestag wird dadurch definitiv kleiner, aber die Problematik, dass die Größe des Bundestags je nachdem, wie stark Erst- und Zweitstimmen auseinander fallen, erheblich variiert, bleibt. Und das ist eigentlich auch nicht wirklich gewollt, zumal das zu der Frage führen würde, auf wie viele Wahlkreise man verkleinern müsste, um sicher zu stellen, dass ein angestrebtes Maximum in jedem Fall nicht überschritten wird.

Die starke Schwankung der Abgeordnetenzahl ist auch aus anderen Gründen problematisch, sei es organisatorisch (Redezeiten, Raumplanung, Ausschussgrößen) oder finanziell (Budgetierung, Mitarbeiterstellen in der Bundestagsverwaltung). Es wäre schon wünschenswert, wenn die Zahl der Abgeordneten fix wäre, wie sie es in nahezu allen anderen Parlamenten auf der Welt auch ist.

Eine fixe Zahl finde ich tatsächlich fast am unwichtigsten. MMn sollte man einen Korridor festlegen innerhalb der die Zahl der Abgeordneten bleiben soll. Ob es jetzt 20 Personen mehr oder weniger sind ist nicht ausschlaggebend für mich.

Sollte man dann irgendwann nach oben oder unten den Korridor verlassen, müsste man gegebenenfalls nochmals die Anzahl der Wahlkreise anpassen.

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Man könnte auch argumentieren:

Ja weniger Wahlkreise es in einer Region gibt, und damit weniger aussichtsreiche Kandidaten, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Personen bekannt werden.

Man sollte erwähnen, dass das bei der Bundestagswahl 2021 zur Anwendung gekommene Wahlrecht die CSU leicht privilegiert. Eine Reform würde dieses CSU-Privileg streichen. Deshalb läuft diese auch gerade gegen diese Reform Sturm.

Im Kompromiss, der bei der letzten Bundestagswahl 2021 zur Anwendung kam, wurden bis zu drei Überhangmandate (im gesamten Bundestag) nicht ausgeglichen. Bei einer Größe des Bundestags von 737 MdB entspricht das 0,4% der Abgeordneten.

Vor drei Tagen hat die Zeit die Effekte der Reform bei der letzten Bundestagswahl simuliert (sorry, Paywall!) und kam zu dem Ergebnis, dass mit dem neuen Wahlrecht die CSU statt wie derzeit 6,1% der Abgeordneten, nur noch 5,7% der Abgeordneten stellen würde. Um das noch einmal zu betonen: Mathematisch „fair“ wäre eine CSU, die 5,7% der Abgeordneten stellt.

Die 0,4% „Wahlmasse“, die die CSU im derzeitigen Bundestag geschenkt bekommen hat, wurde den anderen Fraktionen weggenommen. In der momentanen Regierung hat das keine Auswirkungen, aber bei einer weiteren Zersplitterung der politischen Landschaft kann das irgendwann schon einmal koalitionsentscheidend werden.

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Erstmal danke an @philipbanse und @vieuxrenard für die sehr gute Erklärung der Thematik in der aktuellen Folge. :slight_smile:

Ohh, danke für den Hinweis. Da wirken die Schurkenstaatsprüche der CSU gleich noch viel ungerechtfertigter. :laughing: Die Unions-Antwort auf einen zu großen Bundestag war tatsächlich gewesen, einfach je drei Überhangmandate pro Bundesland nicht ausgleich. Ein Wunder, dass der Bundesverfassungsgerichtshof das offenbar durchgewunken hat.

Laut Tagesschau hat die Union heute auch einen weiteren Vorschlag gemacht:

Geht es nach der Union, sollen zudem die ersten 15 Überhangmandate nicht ausgeglichen werden. Letztere entstehen, wenn eine Partei über Direktmandate prozentual mehr Sitze holt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustünden. Auch soll eine Partei, die die Fünf-Prozent-Hürde nicht überspringt, nur dann in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen, wenn sie mindestens fünf Direktmandate holt.

Unfassbar. Das ist also die Union-Vorstellung von einem Kompromiss.

Aber diesen Korridor werden die Parteien auch irgendwann reißen. Und was soll dann sein? Dann muss man sich wieder mit einer Verkleinerung rumärgern. Nein ich finde das sollen die jetzt klären. Es kann ja nicht sein, dass wir in Deutschland kein faires Wahlsystem ohne Ballon-Parlament hinkriegen.

Aber ich muss sagen, dass mir diese Wahlrechtsreform fast etwas zu schön vorkommt um war zu sein. Schließlich schneiden sich Grüne und SPD damit auch ins eigene Fleisch. Vielleicht möchten sie mit dem Thema auch gerade einfach ein bisschen von anderen Problemen ablenken. Naja zur nächsten Wahl sind wir schlauer.

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Es hat mich gewundert, dass in der Lage nicht über die Verringerung der Wahlkreise diskutiert wurde, denn das wäre für mich die sinnvollste Variante. Allerdings wäre hier die Frage, ob das organisatorisch bis zur nächsten Wahl klappen würde.

Außerdem bin ich auch entschieden gegen eine Vergrößerung der Regelgröße des Bundestages. Wir haben zur Zeit das zweit größte Parlament auf der Welt und es sind schon einiges an Kosten die das nach sich zieht. Meiner Meinung trägt das auch zur Politikverdrossenheit bei, wenn hier die Kosten ausufern.

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Das ist für mich das allerschwächste Argument. Klar bekommt jeder einzelne Bundestagsabgeordnete ca. 150.000 Euro im Jahr an Diäten, aber selbst wenn man mit Mitarbeitern und Zusatzkosten für Infrastruktur 1 Million anrechnet, kosten 50 zusätzliche Abgeordnete immer noch weniger als 1 Euro pro Jahr pro Bürger. Das ist so wenig, das merkt nichtmal ein Hartz4-Empfänger im Portemonnaie.

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Zwei Fragen sind bei mir offen geblieben bei der Diskussion in der Lage:

  1. Kann die CSU (oder eine andere Partei) auf diese Weise nicht massiv manipulieren? Wenn in den von @CB87 genannten 70%-Wahlkreisen der gewählte Abgeordnete aus der Partei austritt, oder eben auch in München-Nord, zählt er nicht mehr, steht aber trotzdem auf dem Wahlzettel noch ganz oben, wird evtl gewählt, und schon wird die Fraktion de facto stärker. Klar, die aktuelle demokratische Kultur spricht gegen so ein Vorgehen, aber man sollte sich nicht darauf verlassen, dass das so bleibt.
  2. Obwohl es statistisch unwahrscheinlich ist, dass Wahlkreise nicht repräsentiert werden, wird es dennoch passieren, und das ist definitiv schlecht! Da werden dann 100.000e Menschen keine direkten Ansprechpersonen haben. Warum werden nicht die Zweitplatzierten mit einbezogen?

Meinst du als Parteilose die sich dann einer Fraktion anschließen?

Zum einen gibt es noch genug Listenabgeordnete.
Zum zweiten gibt es reichlich unter den 100.000e die nichtmal wissen wer ihr Wahlkreisabgeordneter ist.
Was soll der Zweitplatzierte tun? Der gehört ja auch noch einer anderen Partei an.

Zum einen zählt nicht, in welcher Partei der Kandidat Mitglied ist, sondern welche ihn zur Wahl stellt, unabhängig davon, ob er nun Mitglied ist oder nicht oder ein- oder austritt. Klar könnte er sich als „Einzelkandidat“ zur Wahl stellen, aber dann steht er auf jeden Fall nicht oben, sondern ganz unten auf dem Wahlzettel, seine demente Wählerschaft findet ihn nicht, weil den Namen des örtlichen Wahlkreisabgeordneten sowieso kaum jemand kennt, usw.

Und zum zweiten gibt es einen Schutzmechanismus dagegen im Bundeswahlgesetz § 6 (1). Und zwar gilt, falls ein Einzelkandidat (oder einer von einer Partei, die an 5%-Hürde und Direktmandatsklausel scheitert) das Direktmandat gewinnt, dann zählen die Zweitstimmen all der Wähler nicht mehr, die diesen gewählt haben. Die Herleitung ist, dass deren Stimme dann ja bereits für den Proporz wirksam geworden ist, wofür ja eigentlich die Zweitstimme da ist, weil dieses Direktmandat eben nicht von irgendeiner Parteiliste abgezogen werden kann. In so einem Fall müssten also dann alle Stimmzettel noch einmal sortiert und nachgezählt und das Ergebnis im Wahlkreis entsprechend angepasst werden.

Dieses Argument kommt immer wieder, aber ich verstehe es nicht. Gibt es wirklich irgendwelche Milieus, in denen (nur) der gewählte Wahlkreisabgeordnete als Ansprechpartner wahrgenommen wird, völlig unabhängig davon, aus welcher Partei er kommt? Wenn ein AfD-Kandidat irgendwo im Osten mit 28% das Direktmandat erhält. Für wieviele 100.000 Menschen ist der dann ein valider Ansprechpartner und für wieviele nicht? Wer wendet sich denn an den örtlichen CDU-Abgeordneten, um sich für ein humanes Sterberecht oder eine Vermögenssteuer oder günstigere Mieten einzusetzen? Kann man natürlich machen, um den zu trollen, aber da wird doch nichts sinnvolles bei rauskommen.

Im Grunde ist es doch so: Je mehr Wähler den Wahlkreisabgeordneten nicht gewählt haben, umso mehr haben sowieso keinen „direkten Ansprechpartner vor Ort“. (Außer zufällig über die Liste einer anderen Partei.) Da finde ich es jetzt nicht soo unspektakulär zu sagen, wenn die Zahl derer, für die er sowieso kein Ansprechpartner ist, die Zahl seiner Wähler deutlich übersteigt, dann kann seine Legitimität als Ansprechpartner auch gleich ganz vernachlässigt werden.

Das wäre ja totaler Humbug. Welche Legitimität hätte denn jemand, der von noch weniger Leuten gewählt wurde? Was, wenn das dann einer von der AfD wäre? Oder andersrum, ein CDUler in Sachsen bekommt wegen seinem schlechten Ergebnis das Direktmandat nicht, und stattdessen erhält es der Zweitplatzierte von den Linken. Das wäre imho völlig absurd.

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Ich finde den Vorschlag sehr gut und hoffe, dass er nicht all zu sehr verwässert wird. Hoffentlich kann die Ampel dieses Vorhaben auch wirklich durchbringen.

Dass dann evtl. weniger junge Personen und Frauen ins Parlament einziehen ist meines Erachtens kein Problem dieser Wahlrechtsreform, sondern zeigt die Problematik bei der Listenerstellung bei den Parteien auf. Dort sollten die jungen Personen und Frauen viel selbstbewusster Auftreten bzw. die Parteien sollten sich selbst Regeln auferlegen. Mit Sicherheit werden das nicht alle Parteien machen - aber dann kann man/frau diese Partei einfach nicht wählen.

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Die Zweitplatzierten haben in diesen Fällen die Wahlkreise nur knapp verloren. Zum Thema AfD/Linke: Die Partei sollte bei einer Wahlrechtsdiskussion wohl egal sein, denke ich.

Danke für die Erklärung!

Das ist dann wohl der Grund dafür, dass man bei der Auszählung als Wahlhelfer die Stimmzettel am Ende nach Erststimmen sortieren muss :slight_smile: habe mich schon immer gefragt, warum das so ist^^

Danke erst einmal für die interessante Aufbereitung des Themas. V.a. das Interview mit Frau Major fand ich sehr gut. Auch wenn ich selbst ein Störgefühl habe, wenn jemand nicht in den Bundestag kommt, obwohl er seinen Wahlkreis eigentlich gewonnen hat, finde ich es gut, dass jetzt einmal ein Lösung auf dem Tisch liegt, die die Abgeordnetenzahl wieder auf 598 begrenzt. Und die Erklärung, dass jemand eben nur gewählt ist, der 1.) seinen Wahlkreis gewinnt und 2.) dessen Partei ausreichend Mandate über die Hauptstimme geholt hat und er/sie dann eben nicht gewählt ist, wenn die Voraussetzungen nicht kumulativ vorliegen, kann zumindest mein Störgefühl etwas abmildern.

Eure Aussage, dass nach dem neuen Vorschlag das Verhältnis von Listen- zu Direktmandaten „wieder exakt 50:50“ wäre (bei Minute 48:50), ist aber m.E. unzutreffend.
Wenn wir euer Beispiel von der CSU von der letzten Wahl nehmen, würde die CSU insgesamt elf Mandate verlieren, d.h. insgesamt kämen aus Bayern auch elf DirektkandidatInnen weniger (da ja nicht der jeweilige Zweitplazierte aus dem Wahlkreis nachrückt). Damit wären nach der neuen Regelung alleine durch das CSU-Ergbenis nur noch maximal 288 DirektkandidatInnen im Bundestag gewesen, damit zwangsläufig (da ja die Zahl von 598 immer fix bleibt) 310 über die Liste (+ 11).
Wenn man alle Überhangmandate deutschlandweit berücksichtigt (34), wären dies nach der neuen Regelung nur noch 265 DirektkandidatInnen und 333 über die Liste gewesen. Damit hätten wir hier ein Verhältnis von gerundet 43 % zu 57 %, also ähnlich wie aktuell.

Oder habe ich da einen Denkfehler?

Grüße
Thomas

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Ich bezog mich nicht explizit auf Parteien, ich stellte nur fest, dass der Zweitplatzierte in der Regel einer anderen Partei angehört.

Du hast die Frage in den Raum gestellt, warum man den zweitplatzierten im Wahlkreis nicht mehr berücksichtigt, wenn der Erstplatzierten nach der Reform nicht mehr in’s Parlament einzieht.

Ich habe dich gefragt, welche Aufgaben du dir für den Zweitplatzierten dann vorstellst.

Achso, sorry. Ja, die haben dann halt auch Wahlkreisbüros, und sind ansonsten völlig normale Abgeordnete. Ist ja nicht so, dass Erststimmengewählte aktuell besondere Pflichten haben würden. Ich finde nur das Argument legitim, dass es überall Ansprechpartner geben sollte, weil es eben auch lokale Angelegenheiten gibt, für die sich MdBs einsetzen.

Nur dann wird ja der BT noch größer?

Oder habe ich eine völlig falsche Vorstellung was du mit den Zweitplatzierten machen willst?

Können direkt gewählte Kandidaten nicht doch demokratische Vorteile haben? Klar ist die CSU-Fraktion, die immer mit der Parteiführung auf Linie liegt, ein Gegenbeispiel. Aber Wolfgang Bosbach oder Christian Ströbele waren Direktkandidaten, die durchaus mit der jeweiligen Parteiführung auseinandergingen und das halte ich für sinnvoll.

Könnten sie. Also wenn in einem Wahlkreis 90% für ein Kandidaty stimmten, dann wäre das ein starkes Votum. Anders z.B. in UK, wenn jeweils 5 Parteien in einem Wahlkreis antreten antreten und dann die Kandidatys einer Partei A 21% der Stimmen, die einer anderen Partei B 20,5% und die der restlichen jeweils 19,5% der Stimmen bekämen, sitzen in UK nur Kandidatys der Partei A im Parlament. Würde wenigstens noch das Kandidaty mit den zweitmeisten Stimmen berücksichtigt, gäbe es wenigstens eine starke Opposition. Trotzdem werden die Stimmen von fast 60% der Wähler ignoriert.
Ich finde das jetzige System eigentlich okay, die Kosten sind, wie schon jemand anders sagte, vernachlässigbar.
Das größere Problem ist, dass die Entscheidungsfindung immer schwieriger wird, je mehr Leute beteiligt sind.

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