LdN315 EU-Preisdeckel für Russisches Öl

Ich habe so eine leichte Vermutung, welche Auswirkung der europäische Preisdeckel auf den russischen Ölhandel haben wird: gar keine.

Selbst angenommen, europäische Reedereien werden so gut kontrolliert und fürchten so empfindliche Strafen, dass sie sich an die Vorschriften halten, und europäische Versicherungen setzen ebenfalls die Sanktionen um, und alle Frachtscheine werden immer 100% korrekt ausgefült: in Zukunft wird ein Liefervertrag für russisches Öl eben aus zwei Teilen bestehen, die Drittstaaten nur gemeinsam schließen können:

Für alle 10 Barrels, die der Drittstaat für $60 (oder was auch immer) einkauft, muss er ein Barrel für $360 abnehmen, das durch eine nicht-europäische Reederei geliefert wird – und schon liegt der Durchschnittspreis wieder bei $90 pro Barrel, ohne dass Kapazitätsprobleme durch den hohen Anteil europäischer Reedereien am Weltmarkt auftreten können. :wink:

Die Realität: Offenbar wirkt der Preisdeckel:

https://twitter.com/anders_aslund/status/1601622243271856129?s=61&t=oCYjafDQ3a4V6afAGq8NMg

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Also wenn ich den dort verlinkten Artikel richtig verstehe, und auch sonst mein Lagebild einigermaßen korrekt ist, dann…

  • gab es auch vor dem Deckel bereits einen erheblichen Preisabschlag auf russisches Öl, bedingt durch den kleineren Kreis möglicher Käufer
  • hat dieser Abschlag zusammen mit dem generell gesunkenen Ölpreis im Rest der Welt dafür gesorgt, dass Öl ohnehin schon vor Inkrafttreten des Deckels für unter 60$ von Russland verkauft wurde
  • ist der Deckel angesichts dieser Entwicklung auch eher als Absicherung gedacht, wenn die Preise nochmal steigen sollten. In dem Fall soll die Möglichkeit Russlands, an diesem Preisanstieg zu partizipieren, auf die Differenz des jetzigen Preises bis 60$ limitiert sein.

Sofern diese Zusammenfassung die Lage korrekt widerspiegelt, ist es aktuell IMHO noch nicht möglich, zu beurteilen, ob der Deckel tatsächlich wirkt. Denn dafür müsste der Ölpreis erst wieder auf Niveaus steigen, zu denen Russland in den letzten 9 Monaten irgendwann mal über 60$ erlösen konnte. Wenn sie das nun nicht mehr könnten, obwohl der Welthandelspreis dasselbe oder ein höheres Niveau erreicht, dann könnte man davon sprechen, dass der Deckel nachweislich funktioniert.

Hallo! Das klingt nach einer realistischen Perspektive, leider. Was mich interessiert: wie und von wem wird kontrolliert, zu welchen Preisen Öl gehandelt und transportiert wird? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Staat, der die Menschenrechte missachtet, es mit seinem Rechnungswesen allzu genau nimmt. Glaube auch, dass sich das leicht umgehen lässt, hier also eher eine symbolische Wirkung erzielt wird.

Das geht quasi „über Bande“, indem Schiffsversicherern - die zum allergrößten Teil in Europa und den USA sitzen - verboten wird, Schiffe zu versichern, deren Öl aus Russland für mehr als 60$ gehandelt wird. Ähnliches gilt für Redereien, die Schiffe vermieten bzw. Transportaufträge übernehmen. Und Schiffe ohne international akzeptierte Versicherung lässt kein Hafen und kein Schifffahrtskanal einfahren, weil der sonst die Risiken einer Havarie selbst tragen müsste.

Die Versicherer müssen genau über den Wert der Fracht Bescheid wissen, weil eine Versicherung natürlich abhängig von Menge und Wert der versicherten Ware kostet. Entsprechend gehe ich davon aus, dass die Unternehmen Prozeduren haben, um sich effektiv gegen falsche Angaben, sprich ein Untertreiben beim Verkehrswert der Ware, zu schützen - vielleicht durch Einblicke in Treuhandkonten oder Abrechnungen der beteiligten Firmen. Falsche Angaben zum Wert der Ware wären sonst ja auch abseits eines Preisdeckels eine sehr effektive Möglichkeit, Geld zu sparen.

Zwar wird jetzt durch die Deckelung der Anreiz, Umgehungswege zu finden, nochmal deutlich steigen, und es würde mich wundern, wenn sich nicht irgendwo ein Schlupfloch fände. Aber sofern das Schlupfloch nicht so riesig ist, dass der komplette Ölexport Russlands da durch passt, wäre immer noch was gewonnen - zumal Umgehungsmaßnahmen nur in den seltensten Fällen kostenlos sind, und jegliche Kosten in dem Zusammenhang immer Russland in Form geringerer Margen tragen wird, da die Käufer ja jederzeit auf andere Lieferanten zurückgreifen könnten, wenn Russland irgendwie meint, seine Mehrkosten den Kunden aufdrücken zu können.

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