Du tätigst, wenn ich dich richtig verstehe, zwei Aussagen:
- Die Menschen können bei einer Zusammenlegung immer noch Nein stimmen oder nicht teilnehmen, deshalb sei aus „neutraler Sicht“ kein Grund zur Beschwerde auf Seiten der Volksentscheid-Gegner gegeben.
- Die getrennten Termine wollen die Trägheit der Menschen ausnutzen, um den positiven Ausgang des Volksentscheids unwahrscheinlicher zu machen
Ich sage: Choose one. Wenn die Zusammenlegung eine positive Wirkung für den Volksentscheid hat, muss man aus neutraler Sicht akzeptieren, dass sich die Volksentscheid-Gegner dadurch - nachvollziehbar - benachteiligt fühlen. Das kann man nicht durch einen Verweis auf die Möglichkeit, mit Nein zu stimmen oder nicht teilzunehmen, verwerfen.
Die Frage der Fairness von Volksentscheiden im Hinblick auf die Verbindung mit anderen Wahlen ist daher durchaus, unabhängig vom Anliegen des Volksentscheids, berechtigt. Die Erfolgswahrscheinlichkeit eines Volksentscheides sollte nicht maßgeblich davon beeinflusst sein, ob zeitgleich eine Wahl stattfindet.
Um das ganze mal in Zahlen zu fassen, damit der Unterschied klarer wird:
Bei der letzten Berlin-Wahl lag die Wahlbeteiligung bei 75,4% (wegen Gleichzeitigkeit mit der Bundestagswahl), 2016 lag sie immer noch bei stolzen 66,9%. Selbst wenn wir jetzt nur von 66,9% Wahlbeteiligung ausgehen, reicht es schon, wenn 37,369% derjenigen, die an der Wahl teilnehmen, dem Volksentscheid zustimmen, um das Zustimmungsquorum von 25% zu erreichen. Bei 75,4% Wahlbeteiligung müsste sogar eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Wähler am Wahltag gegen den Volksentscheid stimmen oder nicht daran teilnehmen, damit er abgelehnt wird (33,157% an Ja-Stimmen würden ausreichen, selbst wenn die anderen 66,843% mit Nein stimmen würden). Dass vor diesem Hintergrund ein Erfolg des Volksentscheides extrem wahrscheinlich ist, kann man denke ich kaum bezweifeln.
Ein Volksentscheid ohne begleitende Wahl hingegen würde verlangen, dass man 25% der Wahlberechtigten aktiv mobilisieren müsste, abzustimmen. Deshalb ist das Ganze auch so ein Politikum, eben weil die Entscheidung über die Trennung so eine große Auswirkung hat, weil das System der Volksentscheide mit einem Zustimmungsquorum dahingegen „balanced“ ist, dass die Volksentscheide außerhalb von Wahlen stattfinden (wäre es auf das gemeinsame Abhalten mit Wahlen ausbalanciert, würde man kein Zustimmungsquorum verlangen, sondern schlicht eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen). Anders gesagt: Das Wahlsystem „Volksentscheid“ mit Zustimmungsquorum ist nicht wirklich kompatibel mit dem normalen Wahlsystem.
Wie gesagt, ich bin für den Volksentscheid, aber ich muss auch akzeptieren und verstehen können, dass Gegner des Volksentscheides aus sehr nachvollziehbaren Gründen gegen die Zusammenlegung sind, auch wenn ich für die Zusammenlegung bin, weil sie meiner Position zum Erfolg verhelfen würde. Diese Empathie für den demokratischen Gegner sollte uns nicht abhanden kommen, weil wir sonst langfristig so enden wie die USA, was hoffentlich niemand will.