Ich finde, dass ihr, Philipp und Ulf, sehr schön das Problem der Abwesenheit brauchbarer Konzepte für eine gesellschaftliche und staatliche Neuordnung des Landes diskutiert habt. Mir fehlt momentan auch die Kreativität, vielleicht auch der Mut, mir vorstellen zu können, dass die herrschenden Klassen des Landes (Klerus, Revolutionsgarden und deren Goons (Basij, andere Teile des revolutionären Sicherheitsapparates) den Laden abgeben werden. Ich befürchte tatsächlich, dass sie lieber verbrannte Erde zurücklassen oder den Konflikt vollends internationalisieren (ich möchte ungern hier von Syrien 2.0 reden, aber so etwas in die Richtung kann ich mir leider gut vorstellen).
Ich möchte hier aber auch eine andere These einspielen: Solange die Iraner im Land und in der Diaspora nicht gnadenlos ehrlich zu sich selber sind bei der Frage, wie es zu dieser Islamischen Republik kommen konnte, wird es eben auch keinen notwendigen meta-gesellschaftlichen Heilungs- und Vergebungsprozess geben, der so unbedingt notwendig ist, damit eine neue, konstruktive, positive politische Identität entstehen kann, die eine demokratische, fortschrittliche Gesellschaft bilden kann. Jedoch sehe ich selbst bei meiner eigenen Familie die typischen Verdrängungsreflexe im Umgang mit der eigenen Geschichte: Schuld an der Islamischen Revolution waren die Amerikaner, die Briten und die Franzosen, immer gerne auch die Araber. Eltern, die selbst 1979 kreischend und Brusthaare bei Khomeinis Ankunft rausreißend für die Bildung dieser „Republik“ (was für eine Vergewaltigung der Wortbedeutung…) waren, schweigen nun. Ihre Kinder und Enkel müssten nach Aufklärung verlangen, vielleicht ähnlich wie die 68er Generation in Deutschland. Das passiert jedoch nicht oft genug. Ich bin selbst überwältigt und begeistert von dem Mut und dem Drive der Menschen, insbesondere der Mädchen und Frauen. Was mir aber sehr fehlt, ist eben eine kritische Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit, um nicht dem nächsten Rattenfänger in die Falle zu laufen oder vom Regime, das irgendwann mal alle noch verbleibenden Skrupel über Bord wirft, zermalmt zu werden. Und sollte das Regime merken, sie können nicht mehr „gewinnen“, und das Land gleitet ihnen aus den Händen: Was sollte sie davon abhalten eine Politik der verbrannten Erde zu fahren? Überlegen wir uns dann mal die Lage für die Region… im Libanon, Irak, Jemen. Würde Israel nicht noch nervöser werden, wenn es den Feind noch nicht mal mehr fest identifizieren könnte? Vor einem Jahr wäre das für mich das klassische Black-Swan Szenario (katastrophal aber höchst unrealistisch). Jetzt ist es mindestens ein Worst-Case.
Ich sehe leider in der Diaspora eben keine wirklichen intelligente Modelle für eine zukünftige Gesellschaftsordnung im Iran. Ohne die Proteste, die wunderschönen Bilder und Lieder wird dieses Regime nicht zu überwinden sein. Aber ohne konkrete, konstruktive und positiv formulierte Ideen einer neuen iranischen Gesellschaft wird der Wandel im Heroismus dieser mutigen Menschen stecken bleiben. Die Islamische Republik wurde im Hass geboren. Hass gegen die USA, Hass gegen Israel, Hass gegen bestimmte Minderheiten etc. Ein neues Iran kann - wenn es mehr können soll als die Islamische Republik - nicht alleine aus dem Hass gegen jene Republik entstehen.