LdN305 / BAG-Urteil zur Arbeitszeiterfassung

Wie einige hier darlegen, mag es häufig umgekehrt sein. Dieses Szenario ist jedoch keineswegs „weltfremd“. @Slartie hat sich selbst als Beispiel angefügt, ich möchte mich selbst ergänzen.

Ganz im Gegenteil. Ich muss meine Vorgesetzten regelrecht anbetteln, mehr Arbeit zu bekommen. Der Plural ist Absicht, denn ich habe inzwischen mehrere davon, damit überhaupt was dabei rumkommt.
Das ändert übrigens nichts daran, dass in unserem Unternehmen angeblich alle immer „voll ausgelastet“ sind.

Ich sag’s mal so: Wenn dein Unternehmen das Ziel hat, zu wachsen, stellt man gerne mehr (oder schneller) Leute ein, als man für die vorhandene Arbeit braucht.

Parallelen zu den Diskussionen rund um die Digitalisierung sind kein Zufall. :wink:

Sowas ist doch gang und gäbe in vielen Büro-Arbeitssituationen, nur nicht ganz so formalisiert und heutzutage auch kaum mehr streng in den klassischen Hierarchien.

Ich arbeite z.B. in der Softwareentwicklung, und unsere jeweiligen Arbeitsziele werden eigentlich immer auf Sicht von wenigen Tagen geplant. Zwar größtenteils von uns selbst in den Teams, aber wenn da jemand konstant weniger zustande bringt, als er gemäß seiner nominellen Arbeitszeit eigentlich müsste, dann fällt das irgendwann auf und wird durchaus auch ein Thema für seinen Personalverantwortlichen. Umgekehrt gilt: wenn jemand effizient arbeitet, kann er auch ganz praktisch in weniger Zeit eine gute, seiner nominellen Zeit entsprechende Arbeitsleistung schaffen und die verbleibende Zeit privat nutzen. Er kann natürlich auch eine weit überdurchschnittliche Menge Arbeit wegschaffen bzw. zusätzliche Verantwortung links und rechts neben der normalen Arbeit übernehmen. Das macht sich wiederum gut in Gehaltsverhandlungen.

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@Martino: Könntest du mir unauffällig mal einen Hinweis geben bei welchem Unternehmen das der Fall ist? Ich hätte da noch einige Bücher die ich immer mal gelesen haben wollte. :wink:
Aber ernsthaft: Die Unternehmen die ich kennen gelernt habe, waren alles privatirtschaftliche, keine staatlichen oder institutionelle Arbeitgeber. Dort war jemand der gerade nichts zu tun hatte angehalten die Kollegen zu unterstützen. Wenn das nicht möglich war gab es Onlineschulungen oder Fachliteratur die man durcharbeiten konnte. Im Studium wurde uns sogar nahegelegt, das 10% der vereinbarten Arbeitszeit als „freiwillige“ Mehrarbeit üblich sind.

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Bei dir in der Firma ist es also tatsächlich so, dass ich, wenn ich mein ausgemachtes Wochenarbeitsziel bereits am Donnerstag Nachmittag erreiche, dass ich dann am Freitag zu Hause bleiben kann?
Von so einer Regelung habe ich noch nie in der Praxis gehört.

Klar macht man Wochenarbeitsziele aus, aber wenn man die geschafft hat, dann gibts halt neue Arbeit und man bleibt immer mindestens so lange im Büro, wie im Arbeitsvertrag steht. Und die Motivation ist, dass, wenn man seine Ziele dauerhaft nicht schafft, dann gibts schlechte Beurteilungen usw.

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Ganz so plakativ geht es nicht, wir haben tatsächlich eine Zeiterfassung, aber du trägst die Arbeitszeiten selbst ein, und wenn du da bis Donnerstag genug Stunden eingetragen hast, dass du Freitag keine mehr leisten musst, kannst du Freitag auch praktisch zu Hause bleiben.

Ja, nominell trägt man Stunden ein. Hat abrechnungstechnische Gründe, die Arbeitszeit mancher Personen in manchen Tätigkeiten wird Kunden direkt in Rechnung gestellt, da ist die Zeiterfassung dann wichtig und sollte auch einigermaßen korrekt sein. Bei allen internen Tätigkeiten ist das aber mehr eine pro forma Aktion, keiner prüft das genauestens nach ob die Zeiten exakt stimmen, so lange die Gesamtleistung passt.

Und eine weitere Schwierigkeit gibt es: wenn man ganze Tage frei nimmt, sollte man das kurz mit den Kollegen abstimmen und im Zeiterfassungssystem einen Freizeitausgleichstag hinterlegen, weil die sich möglicherweise darauf verlassen, dass man zumindest irgendwann an dem Tag mal anwesend ist. Das ist aber bei der viel häufigeren Variante, wo man ein oder zwei Stunden des Tages kürzt, nicht so kritisch, die kann man in aller Regel einfach so machen.

Ich glaube nicht, dass irgendwer diese Intention hat.

Es ist halt wie mit allen Dingen im Leben: Die Sachverhalte bewegen sich auf einer Skala und beide Extreme existieren. Das Extrem der „überlasteten Arbeitnehmer, die nicht dokumentierte Überstunden schieben“ kommt dabei ganz sicher im Rahmen der Vertrauensarbeit häufiger vor als das andere Extrem des Arbeitnehmers, der dank Vertrauensarbeitszeit wesentlich mehr Freizeit hat, weil er seine Arbeit schneller erledigt. Zumal ein großer Teil derer, die ihre Arbeit schneller erledigen können, Opfer ihrer eigenen Ambitionen werden und dann doch noch mehr arbeiten (in Erwartung von Gehaltserhöhungen oder Beförderungen).

Es gibt in der Realität durchaus all diese Gruppen - und bei einem wegweisenden Beschluss wie jenem des BAG macht es schon Sinn, die Konsequenzen für alle betroffenen Gruppen zu erörtern. Dabei sollte man diese Interessen natürlich nicht gegeneinander ausspielen. Der BAG-Beschluss versucht die Selbstausbeutung zu verhindern, aber für die kleine Gruppe der überdurchschnittlich leistungsfähigen Arbeitnehmer wäre das Ende der Vertrauensarbeitszeit halt eine Katastrophe.

Hallo in die Runde. :wave:
Ich habe gerade erst die aktuelle Lage gehört und mich beim Themenblock zum BAG-Urteil die ganze Zeit gefragt, ob das alles eigentlich auch für Beamte gilt bzw. ob es so eine Gesetzesgrundlage eigentlich auch schon längst für Beamte gibt, diese aber ebenso nicht wirklich umgesetzt wird.

Meine Frage hat ganz persönliche Hintergründe, denn ich arbeite als Grundschullehrerin. Lehrer:innen werden aber nicht nach Zeitstunden bezahlt, sondern nach Unterrichtsstunden. Als Grundschullehrerin muss ich in Vollzeit 27 Unterrichtsstunden pro Woche geben. Alles andere drum herum (sämtliche Bürokratie, Vor-/ Nachbereitung, Beratungsangebote, Konferenzen, schulische Zusatztermine wie Feste, Zusatzaufgaben wie Datenschutzbeauftragte / Fachkonferenzleitung - wovon viele meiste gleich zwei haben, usw.) sind darin eingepreist.
Ich arbeite pro Woche meist so um die 55 Stunden. Zu Zeugnisszeiten kann es auch noch etwas mehr sein.

Eine richtige Arbeitszeiterfassung wie in dem Gesetz, um das es hier ging, gibt es für uns Lehrer:innen nicht. Daher meine Frage: Weiß jemand, ob es auch für verbeamtete / angestellte Lehrer:innen gilt? Und falls es zum Beispiel nur für Angestelle gilt, wäre das dann nicht eine Ungleichbehandlung bzw. Benachteiligung der Beamten??

Vielleicht weiß ja jemand von euch etwas dazu. :slight_smile:
Liebe Grüße!

Eigentlich müsste das auch für Beamte gelten, zumal in den meisten Bundesländern bereits jetzt Verordnungen in Kraft sind, welche die Arbeitszeiterfassung vorschreiben. Für NRW z.B.:

Die Praxis war bisher eine andere, aus den gleichen Gründen wie oben. Organisatorisch ist es natürlich einfacher, das ganze an den Unterrichtsstunden zu messen… doof natürlich, wenn die angesetzten Zeitpauschalen (27 Unterrichtsstunden = 40 Zeitstunden) zu knapp bemessen sind und es deshalb systematisch zu Mehrarbeit kommt.

Wobei Lehrer hier noch mal ein Sonderfall sind, weil deren Urlaub durch die Ferien abgegolten ist, sie aber dennoch nur Anspruch auf 30 Tage Erholungsurlaub haben. Bedeutet: Ein Großteil der Unterrichtsvorbereitung sollte natürlich in dem Teil der Ferien stattfinden, der kein Urlaub ist, um so die Arbeitszeit während des Schuljahres zu entlasten.

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Es wird hier auch sehr viel über die Vertrauensarbeitszeit im Home Office bzw. beim mobilen arbeiten gesprochen. Es gibt sie aber auch bei Abwesenheit im Betrieb. Bei meiner Frau sah das dann so aus, dass ihr in der Probezeit gesagt wurde, sie solle länger bleiben, denn der Chef käme immer erst später und würde so nur sehen, dass sie jeden Tag früh geht und das sei schon negativ aufgefallen.
Ich finde, wenn eine Arbeitszeit vereinbart ist, ist es am fairsten und gerecht, diese auch zu erfassen. Wenn jemandem dass wichtig ist, kann es ja auch vertraglich so vereinbart werden, indem im Vertrag darauf hingewiesen wird, dass es um die Erfüllung der Aufgaben geht und die Arbeitszeit zwischen 30-50 Wochenstunden liegen darf. Wäre sowas nicht rechtlich möglich?

Ich fand es auch sehr erheiternd zu hören, wie in der Folge erst die ca. 900 Millionen unbezahlten Überstunden erwähnt werden, die in Deutschland pro Jahr geleistet werden, um dann aber in der Bewertung auf die wenigen zu fokussieren, die eventuell wirklich weniger arbeiten als vereinbart. Mal abgesehen davon, dass diese Arbeitnehmer dann nicht ehrlich sind, wenn sie dies nicht auch offen der Arbeitgeberin kommunizieren und wenn sie es getan haben dürfte das dann auch weiterhin kein Problem sein.

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Was ja wiederum kompletter Quatsch ist (in Bezug auf die reale Situation), da sich nur wenige Aufgaben tatsächlich abgekoppelt vom tagtäglichen Arbeiten trennen und schon so weit im Voraus bearbeiten lassen. Man kann Unterricht nicht stets ein Vierteljahr im Voraus komplett durchplanen - wie soll man dann auf die Entwicklung der Schüler:innen noch wirklich eingehen? Von Elterngesprächen, Bewertungen jeglicher Art, der Planung von außerschulischen Events usw. mal ganz abgesehen.
Aber das führt jetzt hier zu weit vom Thema weg …

Merke bei Lehrer:innen müsste vielleicht generell mal was an der Berechnung der Arbeitszeit verändert werden?!

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Da sehe ich erst mal grundlegend kein Problem. Beamte werden in vielerlei Hinsicht anders behandelt als Angestellte, das ist ja der Punkt am Beamtentum, sonst könnte man es abschaffen. Beamte sind in vieler Hinsicht bevorteilt (Beihilfe zur PV, Kündigungsschutz, enorme Zulagen für Kinder, …), aber in mancher Hinsicht auch benachteiligt, z.B. kein Streikrecht. Die zentrale Begründung für die Unterschiede lautet meines Wissens üblicherweise, dass eine Verbeamtung kein Beruf, sondern eher eine Berufung ist, die sehr viel tiefer ins Leben eingreift und den Dienstherren dort verankert als ein Angestelltenverhältnis, und das könnte man auch hier hernehmen um zu begründen, warum Beamte damit leben müssen, dass sie nicht per Zeiterfassungspflicht geschützt werden müssen: Beamte verkaufen eben nicht wie Angestellte einfach nur schnöde ihre Zeit.

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Aber: Es gibt auch zahlreiche angestellte Lehrer:innen ohne Verbeamtung (manche Bundesländer verbeamten ja gar nicht, in den anderen ist es gemischt, Stichwort Lehrkraftmangel und Seiteneinstieg), und die machen ziemlich genau dieselbe Arbeit wie die verbeamteten Kolleg:innen mit fast denselben organisatorischen Anforderungen (ein paar Unterschiede gibt es, z.B. die Möglichkeit bei Beamten zu zusätzlich angeordneten Unterrichtsstunden oder Zwangsversetzungen; dafür bekommen Angestellte für den Job weniger Geld).

Das stimmt, und für die angestellten Lehrer müsste das auch gelten, dass die ihre Stunden erfassen müssen. Aber daraus folgt nicht, dass verbeamtete Lehrer ebenso behandelt werden müssen, wie du schon selbst sagst gibt es ja auch jetzt schon diverse Unterschiede.

Aber tatsächlich erfassen die Angestellten Lehrer:innen ihre Arbeitszeit genauso wenig wie die Beamten. Denn sie werden genauso nach den (sogenannten) 27 Lehrerwochenstunden abgerechnet. Also sie haben auch keine 40-Stunden-Woche oder so in ihrem Vertrag, sondern immer die Unterrichtsstunden als Grundlage. :thinking: Das müsste dann doch jetzt für die Angestellten eigentlich geändert werden, oder? Und ja bei uns wäre davon mittlerweile mehr als die Hälfte des Kollegiums betroffen, da wir ca. 60% Seiten-, Quereinsteiger oder sonstige Angestellte ohne klassische Lehrbefähigung haben. :sweat_smile:

Klingt ein bisschen nach moderner Leibeigenschaft. :face_with_hand_over_mouth: :see_no_evil:

Das klingt nicht nur so, das IST so. Frag mal einen Beamten bzw. eine Beamtin deines Vertrauens, die bzw. der sich mit dem Hintergrund des Eides, den man da leistet, mal tiefer befasst hat. Da kommt einem als modernem, aufgeklärten und vom Wert von Selbstverantwortung und Individualismus überzeugten Menschen häufiger mal das nackte Grausen.

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Das müsste eigentlich auch für Beamte gelten, ich zitiere mal aus dem eingangs verlinkten Twitter-Thread:

Besonders bedeutsam: Der Anwendungsbereich des ArbSchG ist nicht auf Arbeitnehmer*innen beschränkt, sondern erfasst alle Beschäftigten i.S.d. § 2 Abs. 2 ArbSchG. Dazu zählen neben Arbeitnehmer*innen auch Auszubildende, Beamt*innen und Richter*innen

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Wie soll das denn zu den geltenden Arbeitsschutzregeln funktionieren? Das geht doch nur bei Teilzeit. Bei einer 35 Std/Woche müsste man inkl. vorgeschriebener Pausen genau 10 Std/Tag anwesend sein. Bei der 36 Std/Woche ist man über 10 Std/Tag, was dann nicht mehr legal wäre und die Perso müsste einschreiten.

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Es hat doch niemand zwingend verlangt, dass die Plusstunden innerhalb einer Woche aufgebaut worden sein müssen. Kann doch genauso gut im Verlauf von 2 oder 3 Wochen geschehen sein. Niemand hat behauptet, die „30-Stunden-Woche“ sei ein wöchentlich wiederholbares Ereignis.

Die Variante, auf Basis einer Vertrauensarbeitszeit ganze Tage frei zu machen ist wie schon gesagt sowieso eher eine theoretische, das passiert meiner Erfahrung nach äußerst selten. Häufiger geht es um eine oder zwei Stunden an einem ansonsten völlig normalen Arbeitstag, die man sich einfach mal einsparen bzw. mit irgendwas anderem als Arbeit verbringen kann, weil man effizient bei der Arbeit war.

Ich bin schon sehr gespannt, was dieses Urteil für mich für Konsequenzen haben wird. Bin Software-Entwickler, früher im Büro und da gab es zwar Gleitzeit, aber letztlich war das Verarsche. Denn unterschwellig wurde immer gefordert, man solle doch ein dickes Gleitzeitplus haben wenn man Karriere machen will.

Dann wurde bekannt gegeben, dass der Laden dicht gemacht wird und alle die Jobs verlieren. Der Zeitpunkt an dem man mit Abfindung gehen dufte wurde von der Firma bestimmt und zum „Glück“ kam Corona und so durften wir dann doch im Home-Office „arbeiten“ obwohl der Chef ja meinte „Home-Office“ heißt ja dass ich nicht sehen kann ob der Mitarbeiter tatsächlich arbeitet. Egal, ist Geschichte, genauso wie die diversen Anschisse die man kassiert hat weil man beim Kundenbesuch auch mal mehr als 10 Stunden unterwegs war. Da hätte man ja ein Hotel nehmen müssen um nicht die Arbeitszeitordnung einzuhalten.

Nun bin ich in einer anderen Firma, 100% HomeOffice und Vertrauensarbeitszeit. Ja, die tracke ich selbst, habe mir dazu extra einen Timeular Tracker geleistet, um zu sehen, wofür meine Zeit jeden Tag verwendet wird. Und ich arbeite tatsächlich nur die vereinbarten 40 Stunden pro Woche für die Firma, zu mehr hätte ich auch gar keine Zeit, da ich nebenbei auch noch pflegebedürftige Personen im Haus habe, um die ich mich kümmern muss. Und ja klar, es kommt auch mal vor, dass ich länger im HomeOIffice sitze weil eben was dringendes zu erledigen war. Oder ich auch nach „Feierabend“ noch über ein blödes Problem nachdenke, das ich an dem Tag nicht lösen konnte. Ich kann damit problemlos leben und auch mein Arbeitgeber hat keine Probleme damit.

Aber jetzt kommt eben die Frage auf, wie mache ich im HomeOffice eine Erfassung der Arbeitszeit? Login ins Firmen VPN und dann Arbeit bis zum Logout? Oder eine App mit allen Bedenken nach DSGVO? Klar, ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es Firmen gibt, in denen der Arbeitnehmer diese Zeiterfassung braucht um sich nicht ausbeuten zu lassen, aber es gibt eben auch gute Firmen, die jetzt wieder einen bürokratischen Aufwand treiben müssen, den weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer haben wollen.

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