LdN297 - offener Brief: „Die Ukraine kann nicht gewinnen“

Schließt das mit ein, die Ukraine bei einem Vormarsch auf Moskau zu unterstützen, falls dies zur Überzeugung der russischen Führung notwendig ist? Und woran würde man erkennen, dass die russische Führung zu dieser Überzeugung gelangt ist?

Das hat niemand gefordert und wird auch niemand fordern, weil Russland in diesem Fall Atomwaffen einsetzen dürfte und auch würde.

Niemand fordert einen Offensiv-Sieg der Ukraine - daher ein Zurückschlagen aller russischen Invasoren mit anschließender Invasion Russlands. Wirklich niemand fordert das. Die Amerikaner liefern der Ukraine nicht mal ihre effektivsten Raketen für das HIMARS-System, weil deren Reichweite so groß wäre, dass die Ukraine damit Ziele tief in Russland angreifen könnte.

Was TRq und andere - so auch ich - fordern, ist, dass Russland nach dem Ukraine-Krieg auf den Scherbenhaufen blicken und zu der Erkenntnis kommen muss: „Das war es nicht wert - nicht einmal unter der optimistischsten Betrachtungsweise!“. Russland muss in der Ukraine auf Granit beißen, damit offensichtlich wird, dass dieser Angriffskrieg ein strategischer, politischer und wirtschaftlicher Fehlschlag war, von dem Russland in keiner Weise profitiert.

Und das geht nur, wenn die Ukraine zumindest den Zustand von Januar 2022 wiederherstellen kann, idealerweise auch noch die besetzten Ostgebiete zurückerobern kann (aber das ist nicht zwingend notwendig…). Russland darf, was die territoriale Integrität der Ukraine betrifft, nach dem Angriffskrieg nicht besser dar stehen als vorher.

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Mit deinem Hinweis auf die asymmetrischen Krieg hast Du mich auf einen weiteren Gedanken gebracht zur Ausgangsfrage, warum oft behauptet wird, die Ukraine könne den Krieg nicht gewinnen. Das hat mich erinnert an eine von Ulrike Guerot kürzlich gemachte Aussage (ich glaube bei Markus Lanz, das war die „ICH bin die Verhandlungslösung“-Folge), sie könne sich nicht daran erinnern, wann in den letzten Jahrzehnten jemals jemand einen Krieg gewonnen habe. Die Aussage zeugt natürlich einerseits von geradezu peinlicher Unwissenheit für eine Politikwissenschaftlerin. Die schnelle Antwort auf diese Aussage wäre gewesen: Aserbaidschan hat gegen Armenien kürzlich einen Krieg gewonnen, die Taliban in Afghanistan, Nordvietnam und der Vietcong den Vietnamkrieg (davor den Indochinakrieg), Israel gleich mehrfach (Unabhängigkeitskrieg, Sechs-Tage Krieg, Jom Kippur Krieg) und ja, die Alliierten den 2. Weltkrieg. Andererseits habe ich mir gedacht, dass diese Wahrnehmung des Phänomens Krieg vielleicht nicht (nur) mit Unwissenheit zusammenhängt sondern möglicherweise auch damit, welche Kriege bzw. welche Art von Krieg in unserer kollektiven Erfahrung als „typischer Krieg“ wahrgenommen werden.

Ein Mensch, der heute in Deutschland lebt und den 2. Weltkrieg nicht mehr miterlebt hat, der hat einerseits den Krieg nicht mehr persönlich erfahren und andererseits durch mediale Vermittlung viele Kriege wahrgenommen, die eine ganz andere Form als der typische Staatenkrieg aus der ersten Hälfte des 20. Jh. hatten. Ich denke besonders eindrücklich waren hier der Vietnam-Krieg, die verschiedenen Jugoslawien-Kriege, Besetzung des Irak, der Krieg in Afghanistan und in Syrien. Das waren allesamt Kriege, die von einer asymmetrischen Kampfweise geprägt waren, von unklaren Frontverläufen, mehreren Kriegsparteien, von Terror und Guerillakampf. Den Krieg zwischen Staaten gab es zwar auch noch, aber diese Kriege waren dann oft relativ schnell vorbei, hatten einen sehr geradlinigen Verlauf (Golfkrieg 1991, Irak 2003) oder waren geographisch begrenzt (Falkland-Krieg). Da kann man als Zeitgenosse schon den Eindruck gewinnen, dass Krieg etwas ist, das entweder als schnelle Intervention stattfindet oder als etwas, das diffus ist und lange vor sich hin gärt und ausser beständigem Schrecken keine Kriegsentscheidung für eine Seite bringt. Der Krieg in der Ukraine passt in keine dieser bekannten Kategorien. Es ist ein Kampf zwischen zwei Staaten, der mit großem Einsatz und hoher Intensität um die Existenz einer der beiden Kriegsparteien geführt wird. Und es ist ein Krieg, der nach meinem Eindruck wegen Entscheidungen auf dem Schlachtfeld schnell sich entweder in die eine oder andere Richtung entwickeln kann.

Die Berichterstattung fängt nach meinem Eindruck diesen neuen (alten) Charakter des Krieges aber nur bedingt ein. Die großen Online-Nachrichtenportale oder auch die Nachrichtensendungen konzentrieren sich sehr auf das immense Leid, das die Ukrainerinnen und Ukrainer erfähren und auf klassische politische Berichterstattung. Es ist hingegen echt schwer, aus den vereinzelten Meldungen Informationen über den aktuellen Kriegsverlauf herauszudestillieren. Wenn man sich da nicht weiter dafür interessiert, kann man schon den Eindruck bekommen, dass sich der Krieg festgefahren hat und ansonsten nur aus russischem Terror gegen die Zivilbevölkerung besteht. Wenn man diesen (m. E. verfälschten) Eindruck hat, ist es dann auch nachvollziehbar, einen Waffenstillstand zu fordern.

Kurz gesagt: Vielleicht könnte man die unausgesprochenen Prämissen hinter „die Ukraine kann nicht gewinnen“ damit erklären, dass in der Öffentlichkeit die besonderen Dynamiken des Krieges noch nicht ganz angekommen sind und immer noch der verfestigte Eindruck von anderen Kriegen das Urteil über den Ukraine-Krieg bestimmt.

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Es ist schwer einen Sieg zu verkünden, wenn keine territorialen Gewinne erzielt wurden und die Führung nicht ausgetauscht wurde. In Russland verkünden können sie zwar dann noch viel, aber an dem Punkt sollte klar sein das man international gezeigt hat das es ein Recht gibt auf der Weltbühne und es Konsequenzen hat wenn man einen Angriffskrieg führt.

Nun nach Tschetschenien, Georgien, Ostukraine, Syrien usw. war die Message klar:

Man kann alles machen und der Westen wird bis auf paar Sanktionen und wütende Reaktionen nichts zu Stande bringen. Daher werden sie auch nie aufhören, bis sie militärisch nicht mehr weiterkommen und dann zwangsläufig auf Verhandlungen setzen müssen. Wieso sollten sie verhandeln, wenn sie ihre Ziele militärisch erreichen können? (Menschenleben sind da kein Problem, die Führung im Kreml hatte nie Probleme zehntausende eigene Soldaten für ihre Ziele zu verheizen).

Dies ist nicht nötig (siehe oben) und fernab jeglicher Realität :smiley:

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Die Taliban traten 1994 das erste mal auf. Die Soviets zogen 1989 ab. Ich glaube, du verwechselst Mudschahidin mit Taliban an der Stelle.

Die Taliban bestanden bei ihrer Gründung aus früheren Mudschahedin

Was aber nicht heisst, dass das 1 zu 1 das gleiche ist. Sehr viele Mudschahedin sind dann auch in den Gegenbewegungen zu den Taliban aufgegangen. Bezeichnet man die Taliban als die Sieger über die Soviets, dann ist das eigentlich die Fortsetzung der Taliban eigenen ‚Propaganda‘.

Was deinen Standpunkt allerdings inhaltlich nicht entwertet.

Wie schon vorher angemerkt nicht realistisch und auch nie hilfreich so zu diskutieren: Es gibt Thesen Raum, die nur zu oft zu Propagandazwecken als Übertreibung genutzt werden.

Ich tue mich mit dieser Berichterstattung sehr schwer. Das 3 Minuten Format in dem sich die linearen Medien bewegen ist problematisch, da es mit Zuspitzungen und Weglassungen arbeitet. Youtube Formate mit 30 Minuten plus haben da große Vorteile.

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Mir ist völlig schleierhaft, wie man aus dem, was ich geschrieben habe, auf so eine Aussage kommen kann. Das ist kein offener Diskurs, sondern unterstellt mir eine Position, von der ich nicht weiter entfernt sein könnte.

Ziel ist nicht irgendeine Überzeugung der russischen Führung. Ziel ist, dass die russische Führung kein Erfolg hatte, internationales Recht zu brechen. D.h., die Souveränität der Ukraine und die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen durchgesetzt wurden.

Welche Schlüsse Russland / Putin daraus zieht, darauf haben wir ohnehin keinen Einfluss.

Wobei ich eine Einschränkung machen möchte: Nach meinem Eindruck und heutigem Kenntnisstand wäre eine Rückeroberung der Krim mit derart großen Opfern auf Seiten der Ukraine verbunden, dass man ihr das nicht empfehlen sollte. Aber der Westen sollte alles daran setzen, dass die völkerrechtswidrige Annexion der Krim von so wenigen Staaten wie möglich anerkannt wird und dass die Sanktionen aufrecht erhalten werden, bis die Russen die Krim aufgeben (oder die Ukraine und Russland sich auf dem Verhandlungswege eine andere Lösung dazu finden).

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In einer ganzen Reihe von Kommentaren hier wird der Sieg der Ukraine unter gleichzeitiger Ablehnung jeglicher Verhandlungslösungen gefordert. Wenn man Verhandlungen ablehnt, kann man den Sieg nur durch Kapitulation des Gegners erreichen - die man irgendwie erzwingen muss. Oder man richtet sich auf einen endlosen Krieg ein, der noch auf Jahre und Jahrzehnte Unmengen an Geld, Material und Menschenleben fordert. Ich sehe halt bei vielen Kommentaren die Perspektive nicht, da fehlt mir die Fantasie für.

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Welche Kommentare meinst du da? Das einzige was gesagt wird, ist dass eine Verhandlungslösung derzeit unrealistisch ist, weil Russland glaubt militärisch weiter Erfolge zu erringen. Die Perspektive besteht darin, die Ukraine zu befähigen, den russischen Vormarsch zu stoppen und Gebiete zurück zu erobern. In diesem Szenario wird dann die Verhandlungslösung realistischer. Abgesehen davon würde glaube ich auch jetzt niemand ernsthafte Verhandlungsangebote Russlands ausschlagen. Nur dass es die nicht gibt…

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Ja, geht mir ähnlich. Vor allem wenn der Eindruck aus den klassischen Medien für eine politische Argumentation herangezogen wird. Interessant fand ich in diesem Zusammenhang die These eines ISW-Mitarbeiters am Beispiel der Kämpfe im Donbass (vom 6. Juni) : „The fight for Severodonetsk is a Russian information operation in the form of a battle. One of its main purposes for Moscow is to create the impression that Russia has regained its strength and will now overwhelm Ukraine.“

https://time.com/6184437/ukraine-russian-offensive/

Und so war es ja tatsächlich. Zwei Monate lang bekam man aus den klassischen Medien den Eindruck, die russische Armee würde jeden Tag ungehindert Fortschritte machen und näherte so das Bild der unbesiegbaren Armee. Es blieb relativ unbeachtet, dass diese Fortschritte nur unter höchstem Einsatz gelingen konnten, gemessen an den politischen und militärischen Ansprüchen der russischen Armee und Regierung äußerst gering waren und der strategische Nutzen überschaubar blieb, während die Ukraine gleichzeitig Gebiete befreien konnte.

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Es ist aber nicht realistisch, den Krieg mit dem Ziel führen bzw. im Fall des Westens zumindest tatkräftig zu unterstützen, dass zum Zeitpunkt eines Waffenstillstands der Frontverlauf genau dem Grenzverlauf des Soundsovielten im Jahre XYZ entspricht. So funktioniert ja nicht ein Kampfgeschehen.

Dass sich die russischen Streitkräfte auf die bereits vor 24.2. besetzten Gebiete zurückziehen, kann ein Ziel in Verhandlungen sein, nachdem ein Waffenstillstand vereinbart wurde. Aber wenn es möglich wäre, Russland allein mit militärischer Stärke zurückzudrängen, warum sollte die Ukraine dann nicht ganz auf Sieg setzen und versuchen, ihr Staatsgebiet in Gänze zurückzugewinnen? Deren Militär wird nicht einfach an einer imaginären Linie stehen bleiben, während es von der anderen Seite weiterhin von den Russen beschossen wird. In so einer Lage wäre aber die Gefahr gegeben, dass die russische Führung im Angesicht einer nicht zu leugnenden Niederlage mit Atomwaffen droht.

Allerdings ist die Realität von all diesen Überlegungen noch ein Stück entfernt. Noch geht es in erster Linie darum, den russischen Vormarsch komplett zu stoppen.

Wenn das Militär der Ukraine ab Tag 1 eines russischen Angriffs Zugriff auf westliche Waffen im notwendigen Ausmaß hat, dann wird Russland auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein, einen weiteren Eroberungskrieg zu starten. Ich nehme an, dass dies als Perspektive sowohl für die Ukrainer als auch den Westen bereits akzeptabel wäre, wenn das Verfolgen eines weitreichenderen Ziels einen Atomkrieg auslösen könnte.

Das ist ja, was ich meine. Die am 23.2. gültigen Grenzen schließen ja die „unabhängigen Repliken“ (Russlands Marionettenregime) im Donbas ein!

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Quellen aus meiner Liste

Das sind alles ‚Long Formats‘ die ich sehr schätze und das ganze auch erträglicher machen als die Zuspitzungen.

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Vielleicht mal ein anderer Aspekt: Russland hat die Krim besetzt sowie den Donbass weitgehend. Was wäre da nun die Perspektive? Ähnlich wie in Afghanistan müsste Russland dort dauerhaft große Truppenkontingente stellen, um diese Gebiete zu halten und gegen die sehr wahrscheinlichen Angriffe der Ukraine zu verteidigen. Eine sehr kostenintensive langwierige Sache, viele Tote und materielle Verluste inbegriffen. Die dortigen Ukrainer unter russischer „Besetzung“ werden ja nicht alle begeistert russische Pässe beantragen, sondern es wird viel Partisanentätigkeit geben. Dazu werden die Sanktionen in irgendeiner Intensität beibehalten.
Rein logisch gesehen kann Russland im Grunde nicht gewinnen…

Warum haben Sie das ausgerechnet bei dieser Quelle hinzugefügt? A priori würde ich gerade dieser Quelle die höchsten Fachkunde zuordnen. Oder bezweifeln Sie die Intention der Quelle, objektiv zu informieren?

Müsste Russland nicht sowieso große Truppenkontigente an seiner Westflanke positionieren um sich in einem neuen kalten Krieg der NATO entgegenzustellen?

Würde es die geben, sobald sich Russland selbst für ein Einfrieren des Konflikts einsetzt und die Gebiete ggf. offiziell durch Annexion unter seinen Atomschirm gestellt hat?

Aber aufgrund der geografischen, ethnischen und kulturellen Nähe vermutlich weniger stark als beispielsweise bei der westlichen Besetzung von Afghanistan oder dem Irak.

Bisher haben die Sanktionen dazu geführt, dass Russland mehr Geld eingenommen hat als davor.

Es macht schon einen Unterschied, ob Russland „nur“ militärischen Grenzschutz aufstellen muss oder eine Besatzungsarmee, die zudem noch gegen irreguläre ukrainische Soldaten kämpfen muss.

Diese „Nähe“ sollte wohl nicht überbewertet werden, wenn man sich den Widerstand der Ukrainer bis dato anschaut.

Wärst du also für eine Aufhebung der Sanktionen? Russlands Einnahmeseite ist doch vor allem durch die gestiegenen Energiepreise noch gut.

Ich bin für eine quantitative Auswertung der Effekte der verschiedenen Sanktionen. Bei speziellen Gütern, die nun nicht mehr nach Russland exportiert werden dürfen, beispielsweise Mikrochips, ist der Effekt der Sanktionen vermutlich schädlich für Russland. Bei anderen Gütern, insbesondere bei denen die aus Russland importiert wurden, beispielsweise fossile Energieträger, ist der Effekt der Sanktionen auf Russland wegen der steigenden Weltmarktpreise anscheinenend positiv.

Alle Sanktionen, die die Ukraine mehr schädigen als Russland, sollten sofort abgeschaft werden. Dazu zählen alle Sanktionen die Russland explizit nutzen. Aber auch jene, die den westlichen Geldgebern deutlich mehr schaden als Russland. Das Geld, das die westlichen Unterstützer der Ukraine zur Zeit zusätzlich für Energieimporte ausgeben müssen, könnten sie ansonsten der Ukraine direkt in Form von Waffen oder Finanzmitteln überweisen.

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Pauschal würde ich Quellen aus einem Nicht-Nato und nicht-russlandnahen Staat erst einmal mehr Vertrauen - woher rührt dein Unbehagen?

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Ein weiterer Aspekt: Russland übernimmt in den Gebieten ja nicht ausnahmslos intakte Infrastruktur, die man zur Steigerung des eigenen BSP nutzen kann, sondern hauptsächlich viel zerstörte Industrie und zivile Einrichtungen. Das muss erst viel Geld (von Russland) investiert werden, um das erst wieder bewohnbar und wirtschaftlich nutzbar zu machen.
Obwohl ich Russland durchaus zutraue, das sie Reparationen von der Ukraine oder NATO fordern…

Duktus und eigentlich als Natomitglied schon fast Kriegsbeteiligter. Die Reduktion von Realität auf eine quantitative Analyse (wie es hier geschieht) lässt mich aufhorchen. Ich habe nicht gesagt es sei RT oder so. Aber es ist eine rein staatliche Quelle die im Sinne des Staates agiert. Das steht so sicher auch. in einem Österreichischen Gesetz.