LdN296 Roe vs Wade

Dass in der Lage grundsätzlich über das „Abtreibungs“verbot in den USA berichtet werden wird, ist - denke ich - selbstverständlich und dafür braucht es diesen Vorschlag nicht (nebenbei: „Abtreibung“ meint hier auch Fehlgeburten. Die sind und werden in einigen Bundesstaaten nun kriminalisiert). Aber ich hätte eine Bitte: wäre es möglich, diese Rechtssprechung nicht als singuläres Ereignis quasi ohne Kontext zu erklären, sondern es in den größeren Zusammenhang der reaktionär faschistischen, christlich nationalistischen, Jahrzehnte alten Agenda der Amerikanischen Rechten zu stellen? Ich bin kein Experte, aber nur als Beispiel seien die Wählerinnenunterdrückung in einigen Bundesstaaten (v.a. seit Bidens Wahl) genannt und die Äußerungen einiger (wichtiger) Politiker, dass neben Abtreibung nun auch Verhütung, gleichgeschlechtliche Ehe und „interracial marriages“ (ja, wirklich!) verboten werden sollten. Vielleicht bietet sich auch ein Interview mit Annika Brockschmidt, Thomas Zimmer o.a. an, die Experten auf dem Feld sind.

Ich glaube, dass Deutschland und Europa den massiven reaktionären Roll Back in den USA zu sehr ignorieren und unterschätzen, teils einfach als Wahlkampf abtun. Einige Politikwissenschaftler (empirische Demokratieforscherinnen vor allem aus den USA selber) sprechen schon heute davon, dass die USA keine Demokratie mehr sind. Deswegen denke ich, dass man dem Thema viel Platz einräumen sollte. Es geht nicht „nur“ um Abtreibung - auch wenn das schon reichen würde.

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Eigentlich geht das ganze noch tiefer. Auch die Demokraten haben die Gesetzgebung während ihren Präsidentschaftszeiten nicht auf sicherere Füsse gestellt, obwohl sie wussten dass das Urteil angreifbar war.

Obama:

Die haben auch nichts getan, und jetzt tun sie entsetzt. Ist doch alles Heuchelei.

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Auch der Kontext in Deutschland/Europa ist nicht zu unterschätzen:

Auch hier haben wir radikalisierten und politisierten Glauben am Start. Diese formieren sich seit Jahren im Umfeld der AFD bez. haben eben dieses mit erschaffen. siehe Zivile Koalition

Es gibt Teile der CDU die auch nicht so weit von der entsprechenden Ideologie entfernt sind - Stichwort Liminski, aber der ist sicher nicht der einzige

Abtreibungen hielt er in den meisten Fällen für ethisch nicht vertretbar.[64] Liminski hat 2009 verschiedene Artikel für das Portal Die Freie Welt verfasst, das Teil des Vereinsnetzwerks Zivile Koalition der AfD-Politiker Beatrix und Sven von Storch ist.[22][69][70][71] Mehrere Medien kritisierten Positionen von Liminski als „fundamentalistisch“.[2][72]

aus wp

Wenn wir uns in Europa umschauen, dann schaut es nicht so viel besser aus: Polen, Ungarn, aber auch in Frankreich machen sich schon ewig ähnliche Bewegungen und Ideen breit, die daran arbeiten Rechtsstaaten so lange auszuhöhlen bis sowas auch geht.

Das kommt noch dazu! Die Globale Stimmungsmache gegen LGBTQI hat ja 2020-2022 eine größere Serie von Gewalttaten verursacht die man durchaus unter dem begriff ‚Stochastic Terrorism‘ zusammenfassen kann.

While the exact definition has morphed over time, it has commonly come to refer to a concept whereby consistently demonizing or dehumanizing a targeted group or individual results in violence that is statistically likely, but cannot be easily accurately predicted .

Siehe wp Lone Wolf Attack

Auch wir hatten hier in D. schon diverse Fälle die in eben dieses Spektrum zu zählen sind: Moschee Attacke in Dresden und Hanau. Es gibt leider eine falsch verstandene Doktrin im Journalismus nicht von den Tätern zu reden und darum haben wir in der Breite der Bevölkerung wenig Einblick in die Hintergründe dieses globalen Trends (zumindest im Westen) zu bekommen.

Es wäre sehr schön, wenn in Zukunft diesem Thema und seinen Protagonisten manchmal die entsprechende Aufmerksamkeit im Kontext gewidmet würde die über ‚ja die radikalisieren sich halt auf 4chan‘ hinausgeht. Die Protagonisten dieser Sache sitzen halt auch einfach Sonntag Abends in den öffentlich rechtlichen in den Talkshows und wirken sich durchaus auf die ‚Lage der Nation aus‘.

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25 Beiträge wurden in ein neues Thema verschoben: Paragraf 218 abschaffen

Ich beziehe mich jetzt auf die Aussage zu den demokratischen Wahlen (tut mir leid, ich weiß noch nicht so genau wie das Forum hier funktioniert. Ist mein erster Beitrag):
Deswegen spreche ich auch explizit von empirischer Demokratieforschung. Normativ sind es demokratische Wahlen, keine Frage. Aber die empirische Betrachtung (nicht meine Meinung; es geht um Wissenschaft) zeigt deutlich, dass es eine systematische Unterdrückung von Wählerschichten gibt, die eher dem linken Spektrum zugeordnet werden. In der Forschung gibt es die Kriterien von Robert Dahl, dem Urvater der empirischen Demokratieforschung, der Kriterien für eine real existierende Demokratie aufgestellt hat. Daraus haben Wissenschaftlerinnen über die Jahrzehnte Kriterienkataloge entwickelt, die flächendeckend (auch von der US Regierung selber) genutzt werden, um den Zustand der Demokratien in der Welt zu beschreiben. Wendet man nun dieselben Kriterien, die zur Bewertung von Somalia, Chile, Frankreich oder der Türkei verwendet werden, auf die USA an, zeigt sich, dass man konsistenter Weise bei den USA mittlerweile nicht mehr von einer Demokratie, sondern einer Anokratie sprechen muss (einem Mischwesen aus Demokratie und Autokratie).

Habe den Link gerade leider nicht parat, aber im Anschluss an die neuen Voter Suppression Laws nach dem 6.1. gab es dazu einige Berichte in CNN etc

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Ein paar weitere Informationen:

https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-05/supreme-court-schwangerschaftsabbruch-grundsatzurteil-ok-america

Wo es ein Recht gibt, wird es auch jemanden geben, der dies in Anspruch nimmt. Allein schon das Vorhandensein eines Rechts auf die Tötung eines bereits weit entwickelten ungeborenen Kindes ohne Vorliegen zwingender Gründe ist eine bemerkenswerte Abweichung vom sonstigen Bemühen um den Schutz menschlichen Lebens. Womit ich die Regelung in Kanada nicht verdammen will. Aber eine Extremposition ist das auf jeden Fall. Und - ich vermute - eine, die in Deutschland mit dem Artikel 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar wäre (sofern man den Menschen nicht erst mit dem Moment der Geburt als existent begreift).

Zwischen der völligen Freigabe und einem juristischen (oder faktischen) Verbot jeglicher Schwangerschaftsabbrüche gibt es ein breites Spektrum an möglichen, für die jeweilige Gesellschaft akzeptablen Regelungen. Die USA sind mit ihrem Kulturkampf bei diesem Thema ein krasser Ausreißer.

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Die rechtlichen Regelungen in der Welt.
Und die USA nach dem Urteil.

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Hallo,

ich will jetzt kein neues Thema aufmachen und schreibe deshalb hier, auch wenn ich mich nicht direkt auf meine Vorredner beziehe sondern auf die Aussagen aus dem Podcast. Vorneweg Danke, dass hier der Kontext zu möglichen Konsequenzen für andere Grundrechte (was ist das eigentlich, wenn nicht ein Recht, das explizit in der Verfassung oder auch den allgemeinen Menschenrechten definiert wurde?) diskutiert wurde. Ferner möchte ich gleich sagen, dass ich die Situation in den USA mit großer Sorge betrachte und natürlich mit viel Sympathie für die Frauen, deren Situation sich in der Folge des Abtreibungsurteils dramatisch verschlechtert. Dennoch:

Mir ist der Ton insgesamt zu aufgeregt und mir fehlt einiges, was im Einspruchpodcast der FAZ herausgearbeitet wurde (Folgen 208 (?) und aktuelle Folge 215).

Punkt eins wäre, dass es meiner Meinung nach auch in Deutschland zu erheblichem Aufschrei kommen würde, wenn jemand die Frist der Abtreibung ohne Einschränkungen bis in die 20. Schwangerschaftswoche oder darüber hinaus verlängern wollte. Das ist quasi ein kompletter Mensch, nur die Lunge funktioniert noch nicht richtig … (ich bin kein Mediziner).

Punkt zwei wäre mein allgemeines Demokratieverständnis. Auch in den USA dürfen sie sich eine Verfassung nach eigenem Ermessen geben, haben dies getan und könnten diese mit entsprechenden Mehrheiten ändern. Selbst ohne die Verfassung zu ändern, könnte man mit einer entsprechenden Mehrheit und mal kurz über Filibuster hinweggegangen Dinge über Bundesgesetze regeln. Diese Freiheit steht den Amerikanern zu, ob uns das gefällt, ob wir es sindflutlich halten oder nicht.

Punkt drei: Ich möchte jetzt auch nicht den ganzen Einspruchpodcast wiedergeben. Letztlich war Roe vs Wade aus europäischer Sicht wohl sehr komisch argumentiert über die Freiheit des Arztes, eine angemessene Behandlung zu wählen. Ebenso ist es zumindest aus deutscher Sicht mit einer ganz modernen Verfassung kaum vorstellbar, wie es ist, mit einem uralten Text und Interpretationen zu leben, die laufend durch Gerichtsurteile geändert werden können. Wenn nun der Supreme Court feststellt, dass irgendeine Entscheidung aus der Vergangenheit (vergessen wir mal kurz, um was es geht) überinterpretiert wurde und es konkret keine entsprechende Aussage in der Verfassung gibt und er die Verantwortung für eine moderne Regelung an den Gesetzgeber delegiert, dann finde ich ein „das gefällt mir vom Ergebnis her nicht“ nicht wirklich ausreichend als Kritik.

Ich fand es schön, dass Ihr, Ulf und Philip, in dieser Folge mal die Lage der FDP dargestellt habt, aus Eurer eigenen herausgetreten seid, die „Gegenseite“ gebeten habt, Euch Feedback und Input zu geben. Vielleicht gelingt Euch das auch bei diesem Thema beim nächsten Mal noch etwas mehr. Wenn ich mich persönlich mal rein mathematisch verorte zwischen „Keine Abtreibung erlaubt, auch nicht in der ersten Woche“ und der bisherigen Regelung in den USA „Alles erlaubt bis über die 20. Woche hinaus“ dann lande ich ziemlich genau in der Mitte und somit bei der deutschen Regelung. Beide Extreme fände ich sehr schwierig.

Im Sinne der Amerikanerinnen in den betroffenen roten Staaten hoffe ich, dass erstens vielleicht doch bald ein Bundesgesetz durchgeht oder zweitens möglichst schnell ein Urteil (Vergewaltigung? Gefahr für das Leben der Mutter? …) vor das höchste amerikanische Gericht kommt, dass dann doch von den Rechten der Frau her kommend Beschränkungen für das Ausmaß der Verbote von Abtreibungen definiert.

Beste Grüße

Hans

Wie gesagt haben wir die Diskussion der Lage in Deutschland bewusst um eine Woche verschoben, weil es sonst insgesamt zu lang geworden wäre.

Was soll denn daran demokratisch sein, wenn vier Richter und eine Richterin ein Grundrecht abschaffen, obwohl fast 70 % der Menschen in den Vereinigten Staaten dieses Grundrecht befürworten? Eines der vielen Probleme der Entscheidung ist doch gerade, dass ohne eine demokratische Mehrheit die Rechtslage geändert wurde.

Ich höre Einspruch nicht, aber falls das dort gesagt worden sein sollte, dann ist das ziemlich irreführend. Das war nämlich nur ein Nebenaspekt. Wie die Entscheidung wirklich begründet war, haben wir ja in der Lage erläutert: mit dem Right to Privacy.

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Hallo Ulf,

Danke für Deine Antwort. Ich bin gespannt auf nächste Woche.

Was soll denn daran demokratisch sein, wenn vier Richter und eine Richterin ein Grundrecht abschaffen, obwohl fast 70 % der Menschen in den Vereinigten Staaten dieses Grundrecht befürworten? Eines der vielen Probleme der Entscheidung ist doch gerade, dass ohne eine demokratische Mehrheit die Rechtslage geändert wurde.

Würdest Du bitte erklären, wie Du den Begriff Grundrecht definierst und woraus Du ableitest, dass es ein solches Grundrecht in den USA ganz konkret gibt? Die USA regeln ihre Verfassung, die Rolle der Gerichte, die Prozesse zur Besetzung von Richtern. Und gerade letztere sind eingehalten worden, wenn auch nicht die Fair-Play-Regeln, die wohl lange gegolten haben. Dass das System erhebliche Schwächen hat (aus unserer Sicht), darüber brauchen wir nicht sprechen. Dennoch sehe ich hier keine Verletzung des demokratischen Prinzips.

Nehmen wir mal an, dass tatsächlich 70% der Menschen in den USA für ein Grundrecht auf Abtreibung sind und dies für sie so zentral ist, dass es in Abgrenzung zu anderen zentralen politischen Positionen so ausschlaggebend für sie ist, dass sie ihre Wahl danach ausrichten. Wenn diese nun gleich verteilt sind und auch 70% der Menschen in jedem der Bundesstaaten ein liberales Abtreibungsrecht haben wollen, dann können sie das bei der nächsten Wahl geltend machen und es reicht, um die Verfassung zu ändern. Wenn andererseits als rechnerisches Beispiel 100% der Leute in 50% der Staaten ein solches Recht sehen, in den restlichen 50% der Staaten aber nur 40%, dann bekommen die einen Staaten ein solches Recht und die anderen nicht. Auch das finde ich zunächst demokratisch. Dass ich hoffe, dass bald eine Entscheidung vor das höchste Gericht kommt, die umgekehrt die Rechte der Frauen absteckt, habe ich bereits vorher gesagt.

Ich höre Einspruch nicht, aber falls das dort gesagt worden sein sollte, dann ist das ziemlich irreführend. Das war nämlich nur ein Nebenaspekt. Wie die Entscheidung wirklich begründet war, haben wir ja in der Lage erläutert: mit dem Right to Privacy.

Ich würde Dir den Einspruch-Podcast sehr empfehlen und vielleicht willst Du ja testweise mal die zwei von mir erwähnten Folgen hören. LdN und auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte wurden im Einspruch Podcast übrigens immer wieder erwähnt und immer mit viel Respekt.

Ich möchte mir jetzt nicht anmaßen, amerikanisches Recht zu beurteilen. Dennoch habe ich eben versucht in den Originaltext zu lesen (Jane ROE, et al., Appellants, v. Henry WADE. | Supreme Court | US Law | LII / Legal Information Institute) und finde dort im Wesentlichen, dass sich aus dem Right to Privacy ein Abtreibungsrecht ableiten lässt (u.a. Abschnitt 77), dass dieses aber nicht uneingeschränkt gilt (u.a. Abschnitte 79, 82). Wenn ich es richtig lese, dann leitet sich erst aus z. B. Abschnitt 96 ab, dass letztlich in Bezug auf diese Einschränkungen der Arzt in seiner Entscheidung nicht eingeschränkt werden darf. Aber ich bin kein Jurist, kein Spezialist für amerikanisches Recht und falls die Freiheit des Arztes für das bisher sehr liberale Abtreibungsrecht nicht ausschlaggebend sein sollte, dann liegt es vermutlich eher an mir und meiner Interpretation als den sehr abgewogen klingenden Darstellungen, wie sie im Einspruch Podcast dargestellt wurden. Dort wurde übrigens auch darauf eingegangen, warum nicht gleich im aktuellen Urteil auch die Rechte der Frauen und ein Mindestmaß an Recht auf Abtreibung festgelegt wurden.

Beste Grüße

Hans

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Ich stimme hier zu und hätte auch die Expertise von Annika Brockschmidt und Thomas Zimmer hierzu vorgeschlagen.
Eine Sache, die mir aufgefallen ist, die auch in diesem Segment wiederholt wurde ist, dass die Evangelikale über das Thema Abtreibung mobilisiert hätten. Das stimmt so nicht, ich beziehe mich hier auch auf die Recherchen von Annika Brockschmidt. Abtreibung war nach der Entscheidung Roe v. Wade 1973 kein Aufregerthema unter Evangelikalen und höchstens von den Katholiken besetzt. Der ursprüngliche politische Mobilisierungsgrund war die Aufhebung der Segregation an Schulen und die fortschreitende Trennung von Kirche und Staat: „Davor hatte die Bewegung unter anderem gegen die Aufhebung der Segregation an Schulen und den drohenden Verlust des steuerfreien Status segregierter christlicher Privatschulen mobilisiert[…]“ ( Annika Brockschmidt: Religiöse Rechte in den USA: Herrschaft der Minderheit - taz.de ). Erst Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre, schrieben sich auf Evangelikale das Thema Abtreibung auf die Fahnen und versuchten so strategisch die tatsächlichen rassistischen Motive hinter der Politisierung der evangelikalen Community zu vertuschen.

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Infolge von Roe v Wade sind die Abtreibungszahlen in den USA stark gestiegen. Da ist es aus meiner Sicht nicht verwunderlich, dass das Thema Anfang der 80er auch politisch höhere Aufmerksamkeit bekommen hat.

Dass verschiedene Faktoren dazu beigetragen haben können, die Politisierung des Themas voranzutragen ist ja auch gar nicht mein Punkt. Dinge sind ja nie monokausal. Die Geschichte wird nur meistens so erzählt, als wäre der Moment der Roe v. Wade Entscheidung der Anfang des politischen Aufschreis der Evangelikalen gewesen. Und dem ist nicht so. Auf dieses falsche Framing zielte mein Beitrag ab.

Hallo,
im Hinblick auf die für nächste Woche angekündigte Darstellung der Lage/möglichen Entwicklung in Deutschland fände ich es wirklich wichtig, die Rechtsprechung des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch mal darzulegen. Ihr schafft es ja immer sehr gut, juristische Sachverhalte klar darzustellen.
Diese Rechtsprechung ist in sich sehr widersprüchlich (Stichwort: es heißt, die Schwangere habe eine grds. Gebährpflicht; damit sind alle zugelassenen Ausnahmen eig. nicht vereinbar) und rechtsdogmatisch sehr unsauber (Stichwort: Tatbestand nicht erfüllt, trotzdem rechtswidrig). Auch besagt die Rechtsprechung, dass die Schwangere verpflichtet ist, ihren Körper den Ungeborenen zur Verfügung zu stellen, da dessen Rechte überwiegen würden; so wird ihm nach der Logik des BVerfG ein Leistungsrecht ggü. der Schwangeren gewährt —> der Grundrechtsdogmatik ist soetwas total fremd. Grundrechte sind Abwehrrechte gegenüber dem Staat, teilweise auch Leistungsrechte. Man kann sie aber nicht gegenüber anderen Bürger*innen geltend machen. Interessant finde ich da einen Vergleich zur Organspende: niemand wird verpflichtet (auch nach dem Tod) ein Organ zu spenden. Die Schwangeren werden aber verpflichtet, ihren Körper zur Verfügung zu stellen… Man hat eine unwirksame Verbotsnorm geschaffen, obwohl das Strafrecht ultima ratio sein sollte.
Egal wie man zu der Frage steht, ob ein Schwangerschaftsabbruch möglich sin sollte und unter welchen Voraussetzungen, kann man nicht leugnen, dass die zwei Urteile des BVerfG einfach schlecht und sehr unsauber sind.

Also: ich fände es super, wenn ihr die Urteile mal im Wortlaut lest und wiedergebt.

Auch gut würde ich es finden, wenn ihr Statistiken zum Schwangerschaftsabbruch wiedergeben würdet. Pro familia hat z. B. interessantes Material. Man sieht klar, dass ein restriktives Recht zum Schwangerschaftsabbruch nicht zu weniger Abbrüchen führt. Auch hat Deutschland eine recht niedrige Quote was wohl auf (halbwegs) gute Aufklärung zurückzuführen ist. Die meisten Schwangeren die abtreiben, haben auch schon mindestens ein Kind. Mein Eindruck ist, dass die Vorstellung vieler ist: junge naive Frau hat nicht richtig verhütet und ist noch zu unreif für ein Kind. Das spiegelt die verschiedensten Bewggründe von Personen die einen Abbruch vornehmen lassen aber einfach nicht wieder.

Freue mich auf die Folge nächste Woche!

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Das ist ein hervorragender Vergleich, auf den ich nie gekommen bin, danke dafür!

Das betrifft auch die Abbrüche im dritten Trimester. Die finden ja teils auch statt um die Mütter zu retten in einer gesundheitlich problematischen Situation. (falls ich das richtig verstanden habe).

Ist schon interessant Roe vs Wade so isoliert zu betrachten und auch deren Begründung. Halte das ehrlich gesagt für nachrangig, weil es genau wie die zahlreichen anderen Rechte und Grundsätze die in den letzten Wochen gekippt wurden (Waffenkontrolle in New York, EPA Regulierungen, religiöse Neutralität etc man kommt ja kaum noch hinterher) der Schulen explizite Agenda der konservativen ist. Wie gut die Begründungen sind variiert halt danach was die Rechtsprechung so her gibt. Das Thomas eine Agenda hat ( anti Sodomie gesetzte, Aufhebung gleichgeschlechtliche ehe etc) hat er selbst gesagt. Die Begründung hat da doch eher instrumentellen Charakter denn Funktion der logischen Herleitung.

Nicht zuletzt die bewusst ambige Begründung privater religionsfreiheit des Urteils zum Beten eines Coaches nach dem Spiel in Form eines Medienevents lässt offen ob diese Entscheidung bei allen Religionen so angewendet wird.

Btw kleines Schmankerl für die Leute die es noch nicht mitbekommen haben: Eine jüdische Glaubensgemeinschaft verklagt Florida weil deren strikteres Abtreibungsrecht gegen ihre liberalere religiöse Vorstellung vom Schutz der Mutter verstößt