LdN295 Regelbarkeit/Lastfolgebetrieb AKW

Hallo zusammen,

in der Diskussion über den Weiterbetrieb der AKW, habt ihr das Gegenargument der lagsamen Regelbarkeit der AKW angeführt. (Bis zu Wochen)
Ich bin mir in der Tat nicht 100% sicher, aber ich fürchte diese Argument ist leider falsch.
Die aktuell verblieben AKW sind für einen Lastfolgebetrieb ausgelegt und werden auch so gefahren.
Ich bin darüber gestolpert, weil ich vor kurzem eine Talkshow mit Frau Anna Veronika
Wendland gesehen habe. Auch eine kurze Recherche zum AKW Isar 2 bestätigte das.

(Minute 38)

Ihr könnt das ja ggf. auch nochmal erörtern. Wenn man Argumente anbringt, sollten sie zumindest richtig sein.

Gruß Jakob

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Hi @Kowski,

guter Hinweis. In der öffentlichen Debatte gibt es tatsächlich immer wieder unterschiedliche Einschätzungen zur Regelbarkeit von AKWs. Daher hat das TAB (Büro für Technikfolgenabschätzung des deutschen Bundestages) eine Studie in Auftrag gegeben um das zu untersuchen : Fokus war unter anderem, wie gut AKWs hinsichtlich dieser Eigenschaften mit erneuerbaren Energien harmonieren würden. Ich hab die Studie [1] unten verlinkt und fasse sie hier nur mal in eigene Worten zusammen (ohne Gewähr):

Es gibt drei Aspekte, die für die Regelbarkeit zu beachten sind:

  1. Geschwindigkeit (also % Nennleistung pro Minute)
  2. Minimallast (% Nennleistung die mindestens gehalten werden muss)
  3. Kosten

Zu 1: Da sind Kernkraftwerke mit 10% pro Minute ziemlich gut. Zum Vergleich: Gasturbinen liegen bei 12% und Kohlekraftwerke zwischen 2,5 und 4% pro Minute. Das sagt ja auch Frau Wendland.

Zu 2: Das ist der schwierigste Punkt. Eine Gasturbine kann ich recht bedenkenlos hoch und wieder runter fahren und das sogar vollständig. Beim AKW geht das bis 80% auch noch ziemlich gut. Will ich das vollständig wieder runter fahren, sind AKWs so ausgelegt, dass das nur etwa 10 Mal im Jahr möglich ist. Häufigere Lastwechsel würden die Lebensdauer der Druckbehälter etc. reduzieren. Eine Problematik, mit der z.B. Frankreich meines Wissens derzeit kämpft.

Zu 3: Hier ist ziemlich klar, dass die die Flexibilität beim AKW recht teuer erkauft wird. Kernkraftwerke kosten viel in der Anschaffung man zahlt wenig für den Brennstoff. Bei Gaskraftwerken ist es relativ gesehen genau anders herum. Unabhängig von den technischen Gesichtspunkten eignen sich Gaskraftwerke also ökonomisch gesehen viel besser für die Teillast.

Zusammengefasst: Kernkraftwerke können zwar schnell Lastwechseln folgen, aber keine großen Spitzen ausgleichen. Damit sind sie zwar besser für die Mittellast geeignet als Kohlekraftwerke, kommen aber nicht an die Gaskraftwerke heran. Es wäre also fair zu argumentieren, dass man ggf. mit Atomkraftwerken mehr Mittellast ersetzen könnte als mit Kohlekraft, allerdings bleibt ein Großteil der Spitzenlast übrig, wo AKWs die Gaskraftwerke nicht ersetzen könnten und die erkaufte Flexibilität wäre sehr teuer.

[1]

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Moin Markus,
schönen Dank für die konkretisierte Ausformulierung.

Was für mich nicht ganz klar heraus kommt ist wo die Kraftwerke geregelt werden können

Im Atomkraftwerk wird Strom durch Kernspaltung erzeugt. Durch die Spaltung des Urans wird Wasser aufgeheizt und Wasserdampf gewonnen. Der Wasserdampf treibt wiederum eine Turbine an, die an einen Generator gekoppelt ist; dieser Generator erzeugt den Strom im Kernkraftwerk.

  • Die 1. Stelle ist dort wo der Brennstoff den Wasserdampf erhitzt. Hier ist die Reaktionszeit der Regelung verhältnismäßig lang.
  • Die 2. Stellen ist dort wo der Wasserdampf die Turbine antreibt. Hier ist eine genauere Regelung mit kürzerer Reaktionszeit möglich. Der zu viel erhitzte Wasserdampf muss dann abgeleitet und an anderer Stelle abgekühlt werden.

Die Kernspaltung selbst ist auch regelbar, dazu haben die Kerne der Reaktoren sogenannte Steuerstäbe.

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Das wäre die Stelle Nr. 1. Da das Bottleneck bei der Regelungsgeschwindigkeit der Dampferzeuger und nicht die Dampfturbine ist, stimme ich zu, dass Stelle 2 schneller wäre, allerdings würde das natürlich massiven Wirkungsgradverlust bedeuten und die Frage ist, ob das Kraftwerk überhaupt die Kapazitäten hätte, diese zusätzliche Abwärme herunter zu kühlen.

Achtung, das ist jetzt reines Theoriewissen (vielleicht weiß jemand mehr, der mehr mit der Branche zu tun hat): Beim SWR ist die bevorzugte Regelungsmethode nach meinem Wissensstand der Kühlmitteldurchsatz. Wird der verringert, sinkt die Reaktivität im Reaktor. Die Steuerstäbe werden hier i.d.R. nur zum Hoch- und Runterfahren der Anlage genutzt. Beim DWR hingegen nutzt man die Steuerstäbe auch zur Lastregelung. Die thermische Leistung des Reaktors sinkt in jedem Fall sofort. Durch die thermische Trägheit des Systems dauert es natürlich ein paar Sekunden, bis das sich in der Leistung der Dampfturbine bemerkbar macht. Da die Durchsätze im System relativ hoch sind, geht aber auch das verhältnismäßig schnell (eben mit den bis zu 10% Nennlast pro Minute im optimalen Lastbereich).

Ein Grund, warum das verhältnismäßig schnell funktioniert ist, dass der Lastfolgebetrieb ein Auslegungskriterium für die deutschen AKWs war. Man hat also Durchsätze und Größe der Komponenten nicht nur auf optimalen Wirkungsgrad sondern auch auf schnelle Reaktionszeit optimiert. Theoretisch könnte man also wahrscheinlich auch ein Kohlekraftwerk so designen, dass es schneller reagiert, wenn man Abstriche beim Wirkungsgrad macht.

Wie der TAB Bericht zeigt, ist diese Regelung entgegen der ursprünglichen Planung halt nur in einem sehr eingeschränkten Leistungsbereich sicher möglich. Wenn wir also über drei deutsche AKWs mit je ca. 1 GW Leistung reden, dann wären das bei einem Betrieb zwischen 80 und 100% Last gerade mal 600MW Regelleistung. Zum Vergleich: wenn man sich das Agorameter anschaut, schwankt der deutsche Strombedarf vielleicht so zwischen 50 und 80GW am Tag.

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