LDN293 Ukraine, ungelöste Grenzkonflikte und EU-Beitritt

Anschließend an den Beitrag in der letzten Folge über Szenarien nach dem Krieg und der (womöglichen) Position von Scholz wollte ich hier mal eine kleine Frage in den Raum stellen, die ich jetzt schon seit einer Weile habe. Kurz nach dem Ausbruch des Krieges hat die EU der Ukraine einen möglichen Beitritt angeboten. Allerdings hatte ich irgendwie im Hinterkopf, dass die EU keine Länder mit ungelösten territorialen Konflikten aufnimmt und ein EU Beitritt damit seit 2014 ohnehin faktisch vom Tisch gewesen wäre. Allerdings fiel mir dann auf, dass die Republik Zypern ja auch Mitglied der EU werden konnte, obwohl es dort ja weiterhin einen ungelösten Grenzkonflikt gibt. Jetzt frage ich mich, ob der Weg wie man das seinerzeit mit Zypern gelöst hat (ich habe leider irgendwie noch nichts gefunden, was einem das schlüssig und verständlich erklärt) eine Blaupause für die Ukraine sein könnte? Wenn nein wäre die Frage, die sich für mich daran anschließt, ob die Position, die Olaf Scholz in der letzten Folge mit viel Kritik unterstellt wurde, vielleicht nicht sogar unter dem Gesichtspunkt eines möglichen EU Beitritts die Beste ist? Wenn man andere Probleme und Einwände, die es für einen EU Beitritt der Ukraine sicherlich noch gäbe, erst einmal natürlich außen vor lässt, versteht sich.

Im Unterschied zu den von Russland initiierten „eingefrorenen Konflikten“ ist die Lage auf Zypern sehr ruhig und erscheint berechenbar. Die Türkei ist, wie Griechenland, Mitglied in der NATO und sieht sich nicht in erster Linie als Gegenspieler „des Westens“. Zudem lag im Jahr 2002, als der Beitritt Zyperns fertig verhandelt wurde, mit dem Annan-Plan eine Lösung des Konflikts buchstäblich in der Luft. Der Beitritt beinhaltete also einen gewissen Vertrauensvorschuss bezüglich eines positiven Ausgangs dieser Verhandlungen. Jedoch wurde der Vorschlag dann von der griechisch-zypriotischen Seite mit überwältigender Mehrheit abgelehnt.

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Also sehe ich das richtig, dass wenn man die EU-Regeln streng ausgelegt hätte, Zypern eigentlich nicht hätte beitreten dürfen?

Wenn ich das richtig im Kopf habe sind sogar UK und Irland parallel in die damalige EG eingetreten bevor das Karfreitagsabkommen geschlossen wurde. Meines wissens ist das kein konretes Kriterium aber sicherlich in gewisser Weise ein Teil des Stabilitätskriteriums. Glaube nicht dass der zypern Beitritt in dem Sinne nicht hätte passieren dürfem.

Die Aufnahmekriterien sind auch recht flexibel wenn ich das richtig verstehe. Selbst die Kritik an der Aufnahme griechenlands lag nicht an den Aufnahme (Kopenhagen) Kriterien sondern an den Maastricht kriterien die ja auch für Mitglieder gelten.

Allerdings hat die EU wie auch die Nato eine Beistandsklausel, die etwas ambivalent ist wegen der neutralen Staaten in der EU. Eine Aufnahme einer Kriegspartei ist da eher unwahrscheinlich zumindest während eines laufenden Krieges.

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Wenn sein Plan ist, dass sich die Frage des EU-Beitritts in absehbarer Zeit erledigt, weil es keine Ukraine mehr gibt, ergibt das vielleicht Sinn.

Wenn einem Mitgliedsland der EU daran gelegen gewesen wäre, den Beitritt zu verhindern, dann hätte es jedenfalls nicht lange nach einem guten Argument suchen müssen. Aber solange sich die Mitgliedsstaaten sowie die Institutionen der EU einig sind, können sie tun und lassen was sie wollen, bei der Auslegung der Regeln ihres eigenen Clubs.

In der Lagefolge wurde die Pattsituation als keine Lösung abgetan, aber das find ich ebenfalls unlogisch.
Denn die Ukraine könnte die umkämpften Gebiete doch einfach schnell abtreten und dann mit dem verbleibenden und befriedeten Staatsgebiet der EU beitreten. Beides zur selben Sekunde von mir aus, damit Putin nicht mehr dazwischen schlüpfen kann. Gibt es da völkerrechtlich ein Problem, wenn die Regierung sagt: „Ihr gehört nicht mehr zu uns / seid unabhängig / seid Russland / macht, was ihr wollt / etc.“ ?

Außerdem: Wenn ein EU Beitritt nur durch einen Friedens"Vertrag" möglich sein sollte (wie in der Lage angedeutet), dann wird Putin doch eh einfach nie den Kugelschreiber zücken, ganz egal, wie der Krieg ausgeht. (Außer, er kriegt was ganz Tolles dafür. Was kann das sein ? Z.b. den Donbass, ohne dass er ihn sich weiter erkämpfen muss ? Aber es wurde ja grad gesagt, dass es ihm gar nicht um Gebiete geht, also egal, dann unterschreibt er halt nicht…)

Darum ist der einzig für die Ukraine langfristig tragbare Ausgang des Krieges der, den Russen solche Verluste zuzufügen, dass sie von sich aus an einem dauerhaften Friedenschluss interessiert sind. Ansonsten könnte die russische Regierung, genau wie du sagst, den Konflikt nach ihrem Belieben hoch- bzw. runterfahren, aber nie soweit einschlafen lassen, dass die Ukraine für EU oder NATO als Mitglied in Frage käme.