LdN286 Warum es uns interessieren sollte, was Russland von uns hält!

In Bezug auf die Diskussion um Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine äußert ihr, dass es uns egal sein sollte, was Russland von uns denkt, weil es sich aus der zivilisierten Weltgemeinschaft verabschiedet hat. Ihr fragt auch „Warum interessiert es in Berlin irgendjemanden was Putin denkt?“

Nun, ich meine es sollte eine der zentralen Überlegungen in einem Konflikt sein, welche Motive, Ängste und Überlegungen der politisch-militärische Gegner hat. Man sollte sich vor allem ein möglichst genaues Bild davon machen, wie weit der Gegner zur Eskalation des Konflikts bereit ist. Und genau da liegt mein Punkt.
Am Anfang des Krieges haben sich viele von uns eingestehen müssen, dass sie es lange Zeit nicht für möglich gehalten hätten, dass Putin den Schritt eines Angriffskrieges auf das gesamte Gebiet der Ukraine wagen würde. Man musste sich eingestehen, aufgrund dieser Annahme eine falsche Außenpolitik betrieben zu haben, weil man Putins Aussagen nicht wahrhaben wollte.
Putin hat zwischen den Zeilen dem Westen gegenüber damit gedroht die nukleare Option zu ziehen, sollte er sich zu sehr in den Ukraine-Russland-Konflikt einmischen. Wenn wir also einmal den Fehler gemacht haben, Putins Aussagen nicht für bare Münze zu halten, sollten wir dann nicht sehr genau abwägen, welche Form der Unterstützung Putin quasi noch für akzeptabel hält?
Die vorderste Aufgabe der Bundesregierung in diesem Kontext ist die Sicherheit Deutschlands und seiner Bevölkerung zu gewährleisten. Das mag egoistisch sein, aber so funktioniert die Welt. Ich finde es daher für höchst relevant Putins Gefühls- und Gedankenlage zu kennen. So sehr es uns auch widerstreben mag, aber wie sich die derzeitige Lage darstellt, kann dieser Krieg auch nur mit und nicht gegen Putin beendet werden. Dazu werden Verhandlungen notwendig sein. Und nur wer die … Beweggründe seines Gegenüber kennt wird in der Lage sein eine erfolgreiche Verhandlung zu führen.
Ich hätte mir demzufolge von Euch einen weitsichtigeren Blick auf die Gemengelage gewünscht.

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Das halte ich für keine Selbstverständlichkeit. Außer „mit Putin“ bedeutet, dass es nicht zwingend ist, dass er abgesetzt wird. Dann okay, dann geht es auch „mit Putin“.

Aber abgesehen davon kann dieser Krieg sehr wohl auch damit enden, dass Putin hinterher weniger hat als zuvor, und von seinen postulierten Zielen nichts erreicht hat. Dafür muss die Ukraine dermaßen ausdauernd unterstützt werden, dass Putins Militär irgendwann so dezimiert ist, dass ihm nichts anderes bleibt als der Rückzug ohne nennenswerte Erfolge.

Und um dem Einwand gleich vorzugreifen: die Atombomben spielen keine Rolle in der Frage. Putin hängt an nichts so sehr wie an seinem Leben, das hat er mehrfach unter Beweis gestellt. Setzt er strategische Atomwaffen ein, hat sein Leben ein garantiertes, schnelles Ende. Das weiß er, und deshalb wird er über Drohungen in dem Punkt nicht hinausgehen, so lange sein Leben nicht aktiv vom Westen bedroht ist.

Abgesehen davon habe ich die Aussage in der Lage auch so verstanden, dass Putins Interpretation indirekter Unterstützung auch deswegen egal ist, weil Putin so oder so in seiner öffentlichen Interpretation der Realität einzig von seinen Interessen und nicht von Fakten geleitet wird - auch dies mehrfach bewiesen. Er wird also, wenn es ihm in den Kram passt, einfach irgendwas als direkte Kriegsteilnahme des Westens interpretieren - völlig egal was, selbst die 5000 Helme der Bundeswehr. Da es keine Instanz über ihm gibt, der diese Erklärung genügen muss, damit sie durchgeht, hält ihn nichts davon ab, jede beliebige militärische Aktion inklusive einem Angriff auf Nato-Territorium mit jedem beliebigen Grund zu begründen, notfalls kann der auch frei erfunden sein. Im Umkehrschluss ist es folglich richtig, dass es keine Rolle spielt, wie Putin irgendwelche Aktionen öffentlich interpretieren wird, sondern einzig, was ihn tatsächlich und faktisch leitet - und das ist nun mal in letzter Konsequenz sein Überlebenstrieb. Der ist das Einzige, was man in der Kalkulation IMHO berücksichtigen muss.

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Vollkommene Zustimmung.

Das ist richtig. Das sollte man abwägen, also:
Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Mann, der offensichtlich aus Angst vor Corona, nur noch die aller notwendigsten Termine an absurd langen Tischen veranstaltet und sich sonst aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, einen nuklearen Krieg anfängt bei dem „der Westen“ jeden seiner vermuteten Aufenthaltsorten mit Atomwaffen beschießen würde?

Interessant ist doch viel eher, was Putin glaubt, dass wir von ihm halten.
Und da ist es doch gut, ihm zu zeigen, dass er uns falsch eingeschätzt und vor allem unterschätzt hat.
Das zu tun, was Putin von uns erwartet, wird ihn nur in seinem tun unterstützen.
Je mehr er sich aber fragen muss, zu was die Unterstützer der Ukraine noch fähig wären und je weniger er das einschätzen und vorhersehen kann, desto schwerer wird es für ihn, die Folgen und Gefahren seiner Entscheidungen abzuschätzen.
Nehmen wir zum Beispiel an, die EU hätte den Rückzug von Kiew genutzt, um eine Flugverbotszone zu errichten. Hätte Putin, der gerade aufgrund seiner Verluste seinen Angriff abbrechen musste, tatsächlich eine Aggression gegen Europa riskiert? (Ja, ich bin auch froh, dass sie es nicht ausprobiert haben, auch wenn das möglicherweise die jetzige Bombardierung verhindert hätte)

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Wenn die russische Führung dazu bereit ist, Kernwaffen nicht allein zur Abwehr einer existenziellen Bedrohung einzusetzen, sondern als „normales“ Mittel der Kriegführung im Ausland, dann ist unser aller Todesurteil bereits unterzeichnet. Denn dies wird unweigerlich in die Katastrophe führen. So funktioniert die über Jahrzehnte eingeübte atomare Abschreckung nicht. Weder ließ sich China durch US-amerikanische Kernwaffen vom Kriegseintritt in Korea abschrecken, noch die USA durch sowjetische Kernwaffen von der massiven Unterstützung der afghanischen Guerillakämpfer.

Kann sein, dass Putin tatsächlich soweit gehen würde. Kann auch sein, dass die russische Befehlskette dies dann tatsächlich ausführen wird. Aber daran kann niemand seine Politik ausrichten.

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Wieso hat man dann als NATO keine Flugverbotszone eingeführt und durchgesetzt? Wieso stellt man keine Truppen? Das widerspricht doch Deiner Ausführung.

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Weil dann NATO-Truppen auf russische Truppen schießen müssten. Ein paar 100 km vor Moskau.

Diese geringe Distanz gepaart mit der (vermuteten) absoluten Überlegenheit der NATO-Streitkräfte könnte auf russischer Seite nachvollziehbarweise den Eindruck einer existenziellen Bedrohungen erzeugen. Das ist der große Unterschied zu früheren „Stellvertreterkriegen“.

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@WilliWuff hat da schon einen Punkt. Die russische Doktrin für ihre Nuklearwaffen ist, dass sie damit ihr Staatsgebiet schützen. Das heißt die Krim wäre für eine Flugverbotszone tatsächlich tabu. Sonst nichts in der Ukraine.

Gerade wir in Deutschland haben schlicht Angst, dass wir unsere wirtschaftlichen Beziehungen mit Putin zu sehr ruinieren. Aktuell reden zwar alle von einer „Reduzierung der Abhängigkeit“, aber sobald der Krieg vorbei wäre, würden wir uns alle wieder auf das billige russische Gas stürzen.

DAS ist der ware Grund, warum wir keine weitere Militärische Hilfe gewähren wollen, da bin ich sehr sicher.

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Man kann Putin schon eine Form von Grössenwahn attestieren. Ob in einem solchen Gemütszustand das Überlebenwollen die höchste Instanz ist, würde ich nicht für gegeben halten. Welche Kriegsausgänge sind denkbar?

  • Unterwerfung der gesamten Ukraine - Kriegsziel erreicht.

  • Eroberung der Ostukraine - kann Putin als erreichtes Kriegsziel auch noch verkaufen.

  • Verschwörung gegen Putin durch Militärs („20. Juli 44“) ist immer noch denkbar. Wie jeder Gewaltherrscher wird auch Putin zunehmend an Paranoia leiden (Anzeichen bestehen). Das ist zwar gefährlich für alle um ihn, aber eröffnet auch Möglichkeiten, weil seine Realitätswahrnehmung gestört ist.

  • Rückzug nach Niederlage auf Befehl von Putin - als Option schwer vorstellbar, weil völliger Gesichtsverlust und Vernichtung des Ego. Eine Verzweiflungstat zuvor wäre denkbar.

Meine grosse Hoffnung ist, dass Putin beseitigt wird, bevor er durchdreht. Bei einer sich abzeichnenden Niederlage, oder schon jetzt, müssen sich die Generäle überlegen, was ihnen blühen könnte. Vor Gericht landen, oder im Atomkrieg untergehen - oder als Held überleben. Man darf ja nicht annehmen, dass alle russischen MIlitärs so skrupellos sind wie Putin, eben wie Stauffenberg und doch erstaunlich viele Offiziere der Wehrmacht.

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Warum? Weil er die Ukraine angegriffen hat? Das kann man doch nun wirklich keinen Größenwahn nennen. Er hat die Ukraine unterschätzt, ja. Aber deswegen wird die Ukraine doch niemals eine ernsthafte Bedrohung für Russland selbst sein.

Ich finde, man sollte nicht „Verücktsein“ mit gewolltem „Unberechnbar-wirken“ verwechseln.

Berechtigter Einwand. Zweifel habe ich trotzdem, denn Russland befindet sich zunehmend in einer gefährlichen Position der Schwäche.

Dieser Krieg soll in erster Linie zerstören. Einerseits die Ukraine als potentiellen Partner für den Westen, andererseits am besten gleich mit die ganze westliche Friedensordnung, von der Russland aus seiner Sicht so wenig hat.
Mit dem Krieg um die Ukraine entscheidet sich auch der ohnehin schwindende Status als Groß- oder Supermacht Russlands. Verliert Putin die Ukraine bleibt außer Weißrussland nichts übrig von dem was man dort traditionell als „Einflusssphäre“ betrachtet, die imperialistischen Träume sind dann erledigt. Wenn man so will das letzte Aufbäumen eines sterbenden Riesen.

Ich halte inzwischen die nukleare Option traurigerweise für realistisch. Ich hoffe einfach ich irre mich.

Eine Flugverbotszone ist ein aktives Eingreifen in den Konflikt für eine Seite. Da diese niemals UN-seitig durchgesetzt werden kann, kommt es einer Kriegserklärung der NATO an Russland gleich.

Man darf dabei nicht den Fehler machen, den Rückzug Russlands aus dem Norden als Zeichen der Schwäche zu sehen („jetzt haben wir sie“). Russland hat sich im Norden und Westen verkalkuliert, indem es belarussische Offensiven und logistische (Hilfs)Kapazitäten überschätzt und den Ukrainischen Wiederstand in Kiew unterschätzt hat.

Meine etwas ketzerische Nachfrage bezog sich auf die Aussage von Guenther:

Es ist eben nicht „selbstverständlich“, dass Deutschland sich hier „egoistisch“ verhalten darf, wie es andere Länder dürften.

Deutschland ist wegen seiner Geschichte der Welt gegenüber in der Pflicht, einem Aggressor wie Russland mit aller Entschiedenheit und Mut entgegenzutreten. In dieser Hinsicht dürfen wir uns nicht „teilnahmslos“ verhalten, weil wir uns fürchten.

Im zweiten Weltkrieg hätte viel Leid verhindert werden können, wenn sich andere europäische Länder früher - und rechtzeitig - dem Naziregime in den Weg gestellt hätten.

Und zu guter letzt: Ich halte die Angst vor Russlands Atomdrohungen für sehr gut nachvollziehbar. Aber realistisch betrachtet ist Putin kein Verrückter, sondern ein kalt kalkulierender Schurke. Daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass er zu Atomwaffen gegen die NATO greifen würde.

Putin spielt ganz bewusst mit unserer Kriegsangst und dem Schaudern vor Atomwaffen. Er manipuliert die Gesellschaft damit, die in Schockstarre wie ein Kaninchen vor der Schlange verharrt. Das müssen wir durchschauen und uns dagegen mutig zeigen. Man nennt das am Ende auch Zivilcourage. Im Kleinen wie im Großen.

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Ukraine ist ein Schritt zu seinem grossrussischen Traum,. Seine „historische“ Herleitung mit ihm als den Vollstrecker hat mE schon die Züge von Grössenwahn. Da ist er Hitler gar nicht so unähnlich, bei weitem nicht verrückt aber eben doch ein wenig. Oder in welche Schublade (naturgemäss grob) würdest du seine gegenwärtige mentale Konstitution einsortieren?

Nur weil „wir“ proklamieren, dass atomare Abschreckung so nicht funktioniert muss sich ein, möglicherweise in die Ecke gedrängter, Diktator nicht an diese „Spielregel“ halten.
Der Einsatz von Atomwaffen könnte sich auch nur auf das Gebiet der Ukraine beschränken. Würde die NATO darauf mit nuklearer Vergeltung reagieren? Ich denke eher nicht.

Bisher war die russische Führung nicht bereit Atomwaffen einzusetzen, aber das muss nicht so bleiben. Entscheidungen werden, gerade im Krieg, aus dynamischen Entwicklungen heraus getroffen. Und, unabhängig von der Frage der Waffenlieferungen, sollte man sich Gedanken darüber machen wie ein für Putin gesichtswahrender Frieden aussehen kann. Auch diesbezüglich halte ich die Aussagen von Ulf und Philip falsch.

Womit hat Putin das bewiesen? Nenne bitte Beispiele!
Meiner Meinung nach deutet vieles daraufhin, dass er unter Realitätsverlust und Wahnvorstellungen leidet. Die zahlreichen Berichte über die zunehmende Isolation des Präsidenten deuten in diese Richtung.
Ich sehe nur Anzeichen dafür, dass er an Machterhalt interessiert ist bzw. die Vision eines Großrussischen Reiches verfolgt. Wenn diese Vision scheitert, könnte er bereit sein Atomwaffen einzusetzen, auch in dem Wissen welche Konsequenzen das hätte. Man sollte einkalkulieren das wir es hier mit einem Menschen zu tun haben, der zu irrationalen Entscheidungen neigt.

Eine steile „These“, denn schließlich gehörst du nicht zum unmittelbaren Umfeld von Herrn Putin und kannst das in dieser Absolutheit nicht beurteilen.

3 Generationen nach dem 2.Weltkrieg sollten wir aufhören uns Verpflichtungen aus dieser Zeit abzuleiten. So unfassbar die Verbrechen Nazi-Deutschlands waren, sollten sie uns nicht bis in alle Zeit erpressbar machen. So wie Deutschland, ganz klar, zu seiner historischen Schuld stehen muss, so sollte auf der Seite der Opfer auch Vergebung stattfinden. Und damit einher geht auch, dass man die Karte „historische Verpflichtung“ nicht mehr spielt/spielen kann.
Das heißt nicht, dass ich keine Verpflichtung Deutschlands zur Hilfe sehe. Sie begründet sich nur aus anderen Motiven. Leitmotiv wäre hier diesbezüglich für mich der Ursprung der „Ukraine-Krise“ nämlich das Assozierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine.

Ein Tisch, der für seine panische Angst vor Corona steht. Ein Vorkoster, weil er eine panische Angst davor hat, vergiftet zu werden. Er ist fast nur noch im Bunker, weil er Angst vor Anschlägen hat.
Dabei ist es völlig egal ob er den Tod fürchtet oder das Schicksal Russlands wenn der Prophet stirbt.

Darum geht es nicht sondern um die Erkenntnis, dass so etwas nie mehr passieren darf.

Russland hat wohl auch genug Luftabwehr auf eigenem Staatsgebiet, mit Reichweite bis in die Ukraine. Das Durchsetzen einer Flugverbotszone würde bedeuten, dass die NATO russische Truppen auf russischem Staatsgebiet angreifen müsste. Das ist eine definitiv eine starke Eskalation.

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Seine extremen Isolationsmaßnahmen die mit Ausbruch von Corona begonnen haben um eine Ansteckung um jeden Preis zu vermeiden.

Die Tatsache, dass er seine eigene Tochter als Versuchskaninchen für den russischen Impfstoff genutzt hat, bevor er sich selbst sehr spät erst impfen ließ.

Die Tatsache, dass er selbst jetzt noch nicht mal engste Vertraute in seine Nähe lässt, vermutlich, um möglichst wenig Gelegenheit für „Königsmord“ zu bieten.

Gibt ne Menge Hinweise in diese Richtung.

Leidet er auch. Seine Realität ist erheblich verzerrt, aber eher in Folge der Isolation, nicht die Isolation auslösend. Und natürlich war sie das auch vorher schon zu guten Teilen, er hat sich seit Jahren wie jeder Diktator nur noch mit Ja-Sagern und Speichelleckern umgeben, da bekommt man langfristig einfach kein wahres Bild von der Welt mehr mitgeteilt.

Halte ich wie gesagt für unwahrscheinlich, weil Überleben für ihn wichtiger ist als alles, inklusive des „Großrussischen Reiches“ (das er abgesehen davon auch durch Atombombeneinsatz nicht herbeibomben kann, und ganz so dämlich ist er nicht, dass ihm das nicht klar wäre).

Du auch nicht. Deine These ist also keinen Deut wertvoller als meine und haargenau gleich „steil“.

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