LdN283 - Eskalationsrisiken bei Energieembargos

Liebes Lage-Team,
in der aktuellen Folge habt ihr argumentiert, dass ein Energie-Boykott gegenüber Russland angemessen wäre. Ich würde dem grundsätzlich zustimmen, aber in der deutschen Debatte kommen mir die strategischen Aspekte leider etwas zu kurz. Der Westen führt um Grunde genommen einen ausgewachsenen Wirtschaftskrieg gegen die Russische Föderation, was durchaus auch nach hinten losgehen könnte.

Noch einmal: Das bedeutet nicht, dass man es nicht trotzdem tun sollte. Aber dieser Aspekt sollte eben zumindest erwähnt und dann in der Abwägung berücksichtigt werden.

Tut mir leid, aber das Argument, dass „unsere Sanktionen“ gegen Russland einem Krieg gleich kämen, nur weil man die Kosten für einen Krieg genau wie die Kosten für Sanktionen in Euro oder Rubel angeben kann, ist völliger Quatsch und obendrein massiv zynisch.

Sanktionen kann man zurücknehmen, Kriegsopfer nicht. Das wissen auch die Russen.

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Ich wollte auch eigentlich „Wirtschaftskrieg“ schreiben… Habe den Beitrag oben angepasst.

Nur denken sie, dass die Sanktionen zurückgenommen werden? Und sehen die Russen bzw. Putin auch den Unterschied zwischen „crippling Sanctions“ und einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg? Ich will es hoffen, aber das Denken nach moralischen Imperativen gilt nicht ohne Grund als schlechtes Rezept in der Außenpolitik. Wir sollten nicht nur die „Logic of Appropriateness,“ sondern auch die „Logic of Consequences“ bedenken.

Will sagen: Man sollte eben die Möglichkeit bedenken, dass Putin die Sanktionen eben doch als Kriegserklärung sieht.

Teilweise muss ich dem Argument natürlich zustimmen. Das moralische Maßstäbe in der Außen- und Sicherheitspolitik kein starker Leitfaden sind, sieht man leider gerade im Ukraine-Krieg aber ebenso z.B. 2003 beim Irak-Krieg.

Allerdings steht parallel dazu auch das viel rationalere Argument, dass Russland eine Ausweitung des aktuellen Konfliktes kaum wollen dürfte. Die Russen sind in der Ukraine schon überfordert und alle Welt sieht es. Und an einer nuklearen Eskalation hat wohl niemand Interesse.

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Auf jeden Fall besteht dazu die Option wie @Matder schon geschrieben hat.
Dazu bestätigt ja in die Weltgeschichte, dass selbst tiefst verfeindete Länder, auch nach schrecklichen Kriegen, sich wieder annähern können - allerdings ist das kein Selbstläufer.
Ein Wirtschaftskrieg ist aber wohl „humanitärer“ als der militärische Krieg, den Russland begonnen hat.

Dieses Angst-Szenario, das keiner vorhersehen kann was für ihn die nächste Eskalationsstufe ist, hat Putin doch bewusst als Drohkulisse aufgebaut.
Man sollte das sicherlich bei jeglichen Maßnahmen mit einbeziehen, aber wenn der Westen sich dadurch von Handeln abhalten lässt, hat Putin zumindest dieses strategisch Zeile erreicht.

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Das ist richtig. Deshalb sage ich ja auch nicht, dass kein Öl-Embargo verhängt werden sollte. Ich denke, ein Embargo wäre durchaus sinnvoll. Aber man soll eben auch nicht denken, dass rein wirtschaftliche Maßnahmen völlig ohne Eskalationsrisiko wären und dann am Ende von einer russischen Reaktion überrascht sein.

(Eskalation muss hier übrigens nicht nuklear sein, ein konventioneller Angriff auf einen NATO-Staat wie etwa Polen wäre deutlich wahrscheinlicher und ebenfalls eine Eskalation).

Du meinst so wie das Argument, dass ein Einmarsch in der Ukraine total irrational wäre? Ich wäre mir da nicht so sicher. Rationalität aus Putins Sicht kann zu anderen Ergebnissen führen als Rationalität aus unserer Sicht.

Naja, das ist schon so eine Art zweischneidiges Argument:
Klar, ich, aber auch etliche andere Leute, dachte nicht, das Putin wirklich einen Krieg gegen die gesamte Ukraine lostreten würde.
Aber:
Das war ja auch nicht sein Plan. Sein Plan war, die Ukraine mit einer Art „Enthauptungsschlag“ zu überfallen und das Überraschungsmoment zu nutzen. Zu mindestens sagen das so gut wie alle Quellen.
Aber dieses Überraschungsmoment ist doch jetzt weg. Und um z.B. in Polen einmarschieren zu können, müsste Russland enorme logistische Anstrengungen unternehmen. Und Polen ist zwar nicht so groß und vermutlich nicht so wehrhaft wie die Ukraine. Aber Polen ist auch nicht so klein wie Georgien.

Just had a dark thought suggesting escalation may be coming: Putin may prefer to lose a war to the U.S. and NATO to losing one to Ukraine.

Das tatsächlich ein interessanter Gedanke. Nicht das Russland wirklich Gefahr läuft, in der Ukraine zu „verlieren“, denn sie könnten sicher über Monate einen militärischen Konflikt in der Ukraine durchhalten.
Aber es könnte tatsächlich sein, dass Putin es quasi vor sich selbst und der Geschichte, eher rechtfertigen kann, wenn Ukraine+Nato ihn zu Verhandlungen zwingen, als wenn die Ukraine das allein schafft.

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Ich hab dich da schon richtig verstanden :smirk:
Worin wir uns aktuell sicher sein können dass Putin nicht eskaliert (im Bezug auf die Ukraine), wäre wenn sich die Ukraine ergeben würde und der Westen das Narrativ der kurzfristigen „Spezialoperation“ übernehmen und Putin machen lassen würde.
Und selbst diese Passivität könnte dazu führen, dass er weitere Länder aus der ehemaligen Sowjetunion ins Visier nimmt.
Viel hätte und könnte, das macht es ja so schwierig und Putins Russland auf Sicht gesehen, zu keinem glaubwürdigen Verhandlungspartner, egal auf welcher Ebene.

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Das Ziel muss ja nicht einmal sein, in Polen einzumarschieren. Aber da die NATO richtigerweise weiter Waffen an die Ukraine liefert und Russland militärisch weiterhin nicht sonderlich erfolgreich ist, könnte es schon rational sein, etwa einen Flugplatz in Polen anzugreifen – je nachdem wie Putin das Risiko einschätzt, ob es danach zu einem ausgewachsenen, konventionellen Krieg kommt. Wenn er annimmt, dass die NATO nur mit begrenzten Mitteln zurückschlagen würde… dann ist das kein wahnsinnig abwegiges Szenario.

Natürlich gibt es die nukleare Abschreckung, aber wie gut funktioniert sie? Ist Putin überzeugt, dass die Vereinigten Staaten im Falle eines limitierten Angriffs auf Polen direkt nuklear eskalieren würden? Ich persönlich kann mir das hinsichtlich der konventionellen Überlegenheit der USA nicht vorstellen. Aber dann wäre die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung natürlich dahin.

Alles schwierige Abwägungen, zudem Passivität in der Tat auch keine Lösung ist, wie @AlexS schon bemerkt hat.

Aber mit welchem Ziel denn? Was hätte Putin/Russland davon? Das macht doch nur Sinn, wenn man von dem Szenario ausgeht, das du oben in dem 2. Tweet zitiert hast. Und dann würde die Eskalation mit NATO-Einsatz ja nur zum Einleiten eines russischen Rückzuges provoziert werden.

Das können wir gerne diskutieren, aber das sollten wir dann eher in einem separaten Thread machen.