LdN280 - "Strategischer" Atomkrieg am Beispiel Japans

Hallo zusammen,

in der neuesten Folge heißt es:

„…aber, denkbar wäre eben ein isolierter Einsatz von sogenannten taktischen Nuklearwaffen gegen die Ukraine. Das wäre also die selbe Taktik, wie die Vereinigten Staaten gegen Ende des zweiten Weltkriegs gegen Japan eingesetzt haben. Da gehts also nicht darum, einen großen Atomkrieg vom Zaun zu brechen und jetzt irgendwie dutzende oder hunderte von nuklearen Sprengköpfen zum Einsatz zu bringen - nein, sondern da geht es quasi um die gezielte, fast symbolische Nuklearexplosion. Also die Vereinigten Staaten haben ja im zweiten Weltkrieg wie man weiß zwei Städte in Japan mit Nuklearwaffen vernichtet und Japan so zur Kapitulation gezwungen."

Zwischenruf: „Na gut, aber dabei sind tausende von Menschen ums Leben gekommen.“

„Ja, das natürlich schon. Aber jedenfalls die Diskussion ist jetzt, dass Russland ja eben nicht tatsächlich ganze Städte auslöschen müsste oder gar die ganze Ukraine ausbomben müsste sondern, vermutlich würde um ein solches Erpressungspotenzial zu entfalten schon eine nukleare Explosion reichen - keine Ahnung, meinetwegen sogar über dem Schwarzen Meer, ja, in Sichtweite von Odessa, an der ukrainischen Südküste, so als Drohung nach dem Motto, liebe Ukrainer, wäre doch schade, wenn wir sowas an Land auslösen müssten.“

Also, zunächst sehe ich definitv ein, dass das geschriebene Wort nie das ausdrückt, was in einem Gespräch, gerade in einer Podcastsituation übermittelt wird. Gleichzeitig war mir das Abtippen hier wichtig, um auf die einzelnen Punkte korrekt eingehen zu können.

Vorweg, ich bin etwas emotionalisiert in dem Thema, da ich einige Zeit in Japan gelebt habe und in dieser Zeit auch Hiroshima und Nagasaki sowie die Atombombenmuseen besucht habe. An der Einordnung der Bomben über Japan stören mich hier einige Punkte:

  1. Meines Wissens nach gab es damals drei einsatzbereite Atombomben weltweit. Alle waren im Besitz der Amerikaner. Eine wurde für einen Test verwendet. Die zwei weiteren wurden über Japan abgeworfen. Daher kann man die Situationen von damals und heute wohl eher nicht vergleichen. Damals hat die USA alles an Atomwaffen eingesetzt, was zur Verfügung stand. Das dann als „gezielte(s), fast symbolische Nuklearexplosion“ - mindestens vergleichend einzubringen ist nicht korrekt und gerade das Wort „symbolisch“ fällt auf. Alleine in Nagasaki sind damals nur durch den direkten Einschlag 70.000 Menschen umgebracht worden (Deutsche Welle). Das exkludiert Folgeschäden und alle Opfer aus Hiroshima.

  2. Abgesehen davon, dass von einem „strategischen“ Angriff, zumindest in dem Sinne, wie danach die Einsatzmöglichkeit über der Ukraine besprochen wird, nicht die Rede sein kann, gibt es auch andere Punkte, die im Falle Japan/USA zu bedenken sind. Zum einen hatte auch die USA die Chance, die Bombe über unbewohntem Gebiet fallen zu lassen. Zudem wurde der Angriff auf Nagasaki nur drei Tage nach dem Angriff auf Hiroshima ausgeführt. Beim Einsatz einer Waffe mit einer vorher unbekannten Zerstörungskraft kann man zumindest hinterfragen ob hier nicht zu früh der Auslöser ein zweites Mal betätigt wurde. Zwischen Hiroshima und Tokio liegen 800km und inwiefern eine (schnelle) Lageübermittlung aus einer nuklear zerstörten Stadt in die Hauptstadt möglich war, darf man zumindest hinterfragen. In jedem Falle wurde keine Menschen-schonender Einsatz befehligt. Im Gegenteil.

Ich freue mich über Feedback und Punkte, die ich vielleicht unscharf oder sogar unkorrekt eingebracht haben könnte - man lernt ja nie aus. Ich habe das Gefühl, dass Japan hier nur beiläufig eingebracht werden sollte, um quasi die stage für Möglichkeiten in der Ukraine zu setten - aber das sehr schiefgegangen ist. Vielleicht ja daher auch der einordnende Zwischensatz: „Na gut, aber dabei sind tausende von Menschen ums Leben gekommen.“

Ich denke sowas kann passieren, aber ich konnte es nicht so stehenlassen. Krieg ist immer grauenhaft und auch „strategischer Krieg“ ist das. Gerade im Zusammenhang mit den Bomben im zweiten Weltkrieg passt die im Podcast getroffene Einordnung wohl nicht und es lohnt sich etwas über „das Beenden des Krieges durch die Atombomben“ hinauszuschauen.

Vielen Dank auf jeden Fall für die Möglichkeit, hier aktiv werden zu können und danke für Euren Podcast.

Liebe Grüße
Björn

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Danke.
Tausende statt Hunderttausende hat mich auch hart getriggert. Aber glaube nicht, dass es irgendwie despektierlich gemeint war…

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Wenn ich so drüber nachdenke scheint es mir, dass es tatsächlich an der Stelle kein zu Ende gedachtes „Gedankenspiel“ war, was man gerade an dem Hiroshima/Nagasaki Vergleich auch illustrieren kann.

Die Amerikaner hätten damals tatsächlich die Möglichkeit gehabt, die Atombombe über mehr oder weniger unbewohntem Gebiet abzuwerfen, eine Flotte zu versenken oder ähnliches. Die Bombe war zu dem Zeitpunkt ein gut gehütetes Geheimnis und man hätte den Japanern auch ohne Hunderttausende tote Zivilisten zeigen können, was auf sie zukommt, wenn sie nicht kapitulieren.

Über das Arsenal Russlands weiß die Welt dagegen gut Bescheid. Die Frage ist allein, ob Putin willens ist, es gegen die Ukraine einzusetzen und diesen Willen kann man nur mäßig gut damit belegen, dass man eine Bombe über dem schwarzen Meer zündet.

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Generell klang diese Aussage so, als ob die Atombomben damals einen strategischen Nutzen hätten oder mit der Kapitulation zusammenhingen. Das ist aber zumindest umstritten.

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Guter Punkt! Ich meine, mich zu erinnern, dass es ziemlich gute Indizien gibt, Japan habe aufgrund der Kriegserklärung der UdSSR kapituliert, nicht wegen der Atombomben. Die Atombomben als entscheidender Faktor sind natürlich hervorragend geeignet, um diese Grausamkeiten der USA nachträglich moralisch zu rechtfertigen.

Aber auch ohne diese umstrittene Deutung muss ich mich anschließen: Hiroshima und Nagasaki als Beispiele strategischer Nuklearwaffen zu nennen, finde ich sehr problematisch.

Viele Grüße,
Matthias

In so einem Szenario würde eine „taktische Nuklearwaffe“ eingesetzt, was wohl eine Stufe unter den „strategischen Nuklearwaffen“ liegt.
Hier wurde das ganz gut beschrieben

Liebe Alle,
zur LdN280 bei etwa 31:00 (Russland versetzt Atomstreitkräfte in Alarmzustand): Da erwähnt ihr die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Ich weiß, dass das nicht euer zentraler Punkt ist, aber mit der Formulierung, dass die USA mit diesen Bomben „Japan zu Kapitulation gezwungen hat“ muss man glaube ich ein bisschen vorsichtig sein. Es gibt ein Video-Essay der das ziemlich gut aufdröselt: Dropping the Bomb: Hiroshima & Nagasaki - YouTube
Die wichtigsten Argumente dabei sind:
a) Die Bomben haben rein militärisch keinen großen Unterschied gemacht. Japan war vor den Detonationen bereits eindeutig militärisch unterlegen, auch wurden die Bomben strategisch auf zivile (nicht militärische) Ziele abgeworfen (Großstädte).
b) Der Abwurf diente unter anderem dem Ziel die USA zur alleinigen Siegermacht des Weltkriegs zu machen, und Russlands Einfluss in Asien langfristig zu reduzieren. Russische Truppen waren zu dem Zeitpunkt bereits auf dem Weg nach Japan und die USA (oder zumindest einige wichtige Akteure der USA) wollte eine frühere Kapitulation Japans alleinig vor der USA und nicht vor Russland bewirken. Andere Motive waren sicherlich eine Legitimierung der Ressourcen und Mühen, die in die Entwicklung der Atombomben geflossen waren, Rache am japanischen Regime, da diese zu Kriegsbeginn Pearl Harbor angegriffen hatten, und nicht zuletzt Rassismus (ein Einsatz gegen PoC ließ sich in den USA besser verkaufen als gegen Weiße, Japan als Ziel der Bomben wurde bereits 1943 ausgewählt, als ein Einsatz gegen Deutschland ebenso möglich gewesen wäre).
c) Die Kapitulation folgte zwar zeitlich schnell auf die Detonationen, allerdings ist trotzdem fraglich, ob sie unmittelbar durch diese ausgelöst wurden. In den ersten Tagen nach den Detonationen akzeptierte das japanischen Regime die Möglichkeit der bedingungslosen Kapitulation ebenso wenig wie vor den Detonationen. Ausschlaggebend dafür, dass diese schlussendlich doch akzeptiert wurde war eher das einschreiten des japanischen Kaisers, welches durch das beharren der Siegermächte auf eine bedingungslosen Kapitulation (Achtung Mutmaßung) eher herausgezögert wurde, als hätten die Siegermächte eine Kapitulation unter Beibehaltung der Monarchie angeboten (wie mehrere Akteure im US-Regime es gefordert hatten).

Warum das wichtig ist? Die Rechtfertigung der Bomben, in dem Sinne, dass sie eine Kapitulation „erzwungen“ hätten verkürzt die Entscheidungsprozesse, die zum Abwurf einer solchen Bombe führen können enorm. Auch missversteht sie die Bomben als rein militärisches Mittel. Beides sind Aspekte, die man in Bezug auf Putin und den aktuellen Krieg ebenfalls bedenken sollte.

Sorry für den langen Text, falls ihr mal die Zeit habt, schaut euch gerne den Video-Essay an, der ist echt gut gemacht und spannend (kann man auch als Podcast hören). Beste Grüße

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Dass der Abwurf der Atombomben den Krieg beendet hätte, ist ohnehin sehr umstritten. Siehe dazu etwa:

Fakt ist aber: Heute wäre es illegal

Tatsächlich gab es nicht mal eine richtige „Entscheidung“. Dieses sogenannte Stimpson-Narrativ wird heute als falsch betrachtet: What journalists should know about the atomic bombings | Restricted Data