LdN279 - NATO-Osterweiterung

Hallo,

ich denke schon, dass es sinnvoll ist, über die NATO-Osterweiterung zu sprechen, denn die ist geopolitisch zentral und würde dem Westen eine Verhandlungsoption eröffnen - wenn wir nicht drüber sprechen, haben wir diese Option nicht.

Die Option ist: „Ja, wir garantieren, dass Ukraine und Georgien nicht in die NATO kommen“.

Das war schon seit vielen Jahren Russlands Anliegen. Nach den ersten beiden Phasen der NATO-Osterweiterung (zu jeder sagte Putin: „das geht so nicht!“ Man hat ihn aber nicht angehört) erklärte die NATO beim Bukarest Summit 2008, dass Ukraine und Georgien in die NATO sollen. Hier war die rote Linie überschritten und Putin machte damals auf dem Summit deutlich, dass er das nicht akzeptieren würde. Wieder hat der Westen nicht zugehört. Ein halben Jahr später ging es in Georgien los.

Was diese geopolitische Perspektive angeht, ist es erstmal zweitrangig, ob es bindende Zusagen des Westens gab, oder nicht. Das Sicherheitsinteresse Russlands hätte m.E. gewahrt werden müssen.

Es stimmt: mit dem Krieg ist das Kind in den Brunnen gefallen und man muss/wird mit Russland anders umgehen als noch vor der Invasion. Im Narrativ sollte m.E. aber die Option „Ukraine/Georgien kommen nicht in die NATO“ als Verhandlungsmöglichkeit bestehen bleiben, auch um mit einem Akzeptieren der russischen Sicherheitsinteressen deeskalierend auf den Krieg einwirken zu können.

Danke für die wieder mal tolle Sendung!

Viele Grüße
Erich

Die Frage, die sich aber jetzt stellt: hätte Putin die Länder langfristig als neutral anerkannt?
Hier muss man Putin vorwerfen, dass er die Interessen auf Selbständigkeit dieser Länder (nicht nur dieser), mindestens ignoriert hat.

Nun, man könnte es jetzt im Moment anbieten, mit der Hoffnung so den Krieg zu einem Ende zu bringen. Aber wenn er gewonnen wird, dann wäre die Ukraine neutral und Georgien würde sich vermutlich ähnlich verhalten. Wenn er verloren geht, hängt die Relevanz sehr davon ab, wie Russland danach aussieht.

Moin Erich, ich sehe deine Meinung zur Zusage zu (k)einer potenziellen Nato Ost-Erweiterung durchweg kritisch.

Zu deinem ersten Punkt:
Ich halte es für ein falsches Signal, eine Verhandlungsoption bzw. einen weiteren diplomatischen Kanal zu Russland aufzuspannen, indem man einen langfristigen Ausschluss der Ukraine und Georgien aus der Nato in Betracht zieht. Das Signal, das mit einer solchen Handlung gesendet wird ist: Seine Interessen, seien sie geopolitisch, sicherheitspolitisch, dem reinen Machterhalt gewidmet oder geschichtsrevisionistisch, setzt der erfolgreich durch, der den ersten Angriffskrieg in Europa seit dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen vom Zaun bricht, die Zivilbevölkerung eines souveränen Staates attackiert, friedliche Demonstranten verhaftet. Und wie man eben sonst noch jedwede Form des Miteinanders und Rechts, auf das sich die meisten Menschen geeinigt haben, mit Füßen tritt. Die Illusionen vom „Wandel durch Handel“ sind meiner Meinung nach erloschen, Wladimir Putin sieht in der freiheitlichen Demokratie eine grundlegende Bedrohung seines Regimes. Länder wie Russland oder auch China begreifen es nicht als Stärke, wenn man auf sie zugeht, sondern als Schwäche und sie wissen bestens darum, diese zu ihren Gunsten zu nutzen.

Zu deinem zweiten Punkt:
Es versteht sich und steht jedem Land dieser Erde zu, seine sicherheitspolitischen Interessen zu kommunizieren. Nun ist es meiner Ansicht nach allerdings so, dass die NATO meilenweit davon entfernt ist, eine sicherheitspolitische Gefahr für in sie nicht integrierte Staaten Europas darzustellen. Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis, dessen Zweck die Wahrung von Frieden ist. Es steht einem jeden europäischen Land zu, der Nato beitreten zu wollen. Der Beitrittswille von Ländern wie Georgien, der Ukraine oder Moldau ist in erster Linie getrieben von dem Faktum, dass Russland international seit über einem Jahrzehnt als Aggressor auftritt mit dem Ziel, jedwede Annäherung an demokratische Systeme wie die EU innerhalb Russlands „Einflusssphäre“ auch mit militärischer Gewalt zu unterbinden. Demnach ist Russland und sein aggressives, autokratisches Auftreten der Grund warum Ex-Sowjetrepubliken sich wünschen der Nato beizutreten. Diesen Fakt zu dem Narrativ umzukehren, Russlands Sicherheitsinteressen würden nicht gewahrt werden, wenn Länder wie die Ukraine der Nato beiträten ist demnach im Kern demokratiefeindlich. Ich bin überzeugter Demokrat, weshalb Ich mich folglich entschieden dagegen ausspreche, den kategorischen Ausschluss aus der Nato erwähnter Länder in Betracht zu ziehen.

Wenn wir nun uns von davon abwenden, dass ein solches Angebot an Russland moralisch falsch wäre steht es realpolitisch in keinster Weise zur Debatte, dass Länder wie Georgien und die Ukraine der Nato beitreten aus einem einfachen Grund:
Beide Länder haben eine Grenze zu Russland und sind keine Nuklearmächte. Solange es nicht im russischen Interesse liegt, dass Länder mit Grenze zu Russland in die Nato eintreten ist es für Putin und sein Regime ein leichtes an der Grenze zu jedem dieser Länder einen konventionellen Konflikt direkt oder indirekt (durch z.B. die Finanzierung von Separatisten oder privaten Militärdienstleistern wie der Gruppe Wagner) zu entfachen, welcher etwaiges Land als Nato-Beitrittskandidat disqualifiziert, da es sich in einem solchen Fall um ein Krisengebiet handeln würde.

Ich hoffe meine Antwort war in sich schlüssig, ich freue mich über Kritik wie Zustimmung

LG

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Auch wenn du grundsätzlich Recht damit haben magst, dass aus russischer Sicht ein möglicher NATO-Beitritt natürlich absolut ungern gesehen würde, störe ich mich etwas an deiner Darstellung der Situation:
Keiner der osteuropäischen Staaten hat sich in irgendeiner Form aggressiv gegenüber Russland verhalten. Die Wunsch nach NATO-Beitritten folgt aus einem defensiven Interesse, nämlich dem Schutz vor russischer Aggression.
Natürlich sieht das Russland ungern und eventuell hätte man dies vor den durch Russland begonnen Aggressionen und dem jetzigen Krieg auch in irgendeiner Form berücksichtigen können. Einen Anspruch darauf hat Russland aber nicht!
Außerdem hat Russland, dadurch, dass es jetzt grundlos einen Krieg begonnen hat, meiner Meinung nach auch den Anspruch darauf verwirkt, die Sorge vor Krieg und Agrression für sich als Argument in Anspruch nehmen zu könnnen.

Im aktuellen Konflikt geht es nicht um defensive russiche Sicherheitsbedürfnisse.
Mit der Ukraine wurde gerade ein Staat angegriffen(!), der eben nicht in der NATO ist. Dies ist im Gegenteil nur noch mehr Anreiz für alle unabhängigen ost- und nordosteuropäischen Staaten über einen NATO-Beitritt nachzudenken.
Putin selbst hat für den aktuellen Krieg nationalistische und imperialistische Argumente und Ziele genannt. Die angebliche Sorge vor der NATO und die „Entnazifizierung“ der Ukraine sind nur vorgeschoben.

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Vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hätte ich noch der Aussage zugestimmt, dass eine Osterweiterung der NATO problematisch für den langfristigen Frieden mit Russland wäre.

Da Russland nach Georgien nun auch in der Ukraine zeigt, dass es bereit ist, sich die Nicht-NATO-Länder an seiner Grenze jederzeit Stück für Stück einzuverleiben, halte ich es für diese Länder für nicht zumutbar, auf Sicherheitsgarantien Russlands zu vertrauen.

Ein Eintritt in die NATO scheint das einzige Mittel zu sein, wie Länder wie die Ukraine und Georgien sich vor der russischen Aggression schützen können. Ich habe wirklich lange versucht, die russische Perspektive zu berücksichtigen und wurde dafür auch manches Mal als „Russlandversteher“ oder „Putinfreund“ verleumdet. Aber mit dem Angriff auf die Ukraine und der völlig absurden Rechtfertigung dafür hat Russland jedes Recht verwirkt, zu verlangen, dass die russische Position berücksichtigt werden muss.

Wenn Putin bereit ist, einen Angriffskrieg zu führen, macht er damit klar, dass er jedes Entgegenkommen, jedes Verständnis für die russische Position, als Zeichen der Schwäche ansehen wird. Man kann und darf gegenüber kriegstreibenden Diktatoren (vor dem Angriff auf die Ukraine hätte ich noch Autokraten gesagt…) keine Zugeständnisse machen, auch wenn das bedeutet, dass wir einen weiteren „Kalten Krieg“ riskieren. Russland darf den Angriff auf die Ukraine nicht als Erfolg verbuchen - auch wenn das bedeutet, dass wir dafür einen neuen „Kalten Krieg“ riskieren.

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