LdN279 - Kommt die allgemeine Wehrpflicht wieder?

In welchem Kontext meinst du das? Deutschland ist doch in der NATO. Meinst du deren Truppen hätten gegen Russland keine Chance? Das halte ich ehrlich gesagt für unwahrscheinlich.

Schwierig. Ich war beim Bund aber ich weiß heute kaum noch etwas, von dem, was ich da mal „gelernt“ habe.

Dafür weiß ich, dass die damals schon veralteten Funkgeräte, an denen ich ausgebildet wurde, jetzt für Unsummen in Frankreich nachgebaut werden:

20.000 Euro pro Stück für ein analoges Funkgerät ohne nennenswerte Verschlüsselung mit einer Datenrate von 16 kBit/s. Und das alles, weil die Bundeswehr es seit Jahrzehnten nicht auf die Kette kriegt, ein neues, modernes Funkgerät anzuschaffen.

Ich finde, solange wir solche Beschaffungsprobleme haben, sollten die Prioritäten der Bundeswehr dort liegen. Anschließend kann man dann mal schauen, ob wir wirklich mehr Bundeswehrsoldaten brauchen.

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Vor allem sollte man den Bürokratiehaufen da erstmal richtig ausmisten ehe man Geld, dass man für andere wichtige Sachen nicht hat, wieder mal in diese extrem schlecht geführte Institution pumpt.

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Der Generalinspekteur der Budneswehr selbst ist der Meinung, dass es die Wehrpflicht so nicht braucht.
Das sollten diejenigen, die für eine Wehrpflicht argumentieren, auch berücksichtigen.

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Aber gerade für dieses Ziel ist die Wehrpflicht denkbar ungeeignet.
Die Wehrpflicht ist geeignet, um im Szenario des Verteidigungsfalles möglichst viele wehrfähige Menschen mit militärischer Grundausbildung im Land zu haben. Dafür werden Ressourcen in diese Wehrpflichtigen investiert.

Wenn es um die effektive Bündnisverteidigung geht, ist es sinnvoller, diese Ressourcen nicht für einen Fall zu investieren, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eintreten wird. Niemand wird Europa konventionell angreifen, weil Europa schlicht über Frankreich, Großbritannien und die NATO eine mehrfache Atommacht ist. Wenn wir die Bündnisfähigkeit steigern wollen, brauchen wir Spezialisten bei der Bundeswehr, daher hoch ausgebildete Profis - und ganz sicher nicht hunderttausende minimal ausgebildete Ex-Wehrpflichtige.

Russland wird maßlos überschätzt - immer noch.
Russland hat sich an Tschetschenien fast schon verschluckt, die Ukraine wird Russland niemals halten können, aktuell scheitern die Russen schon beim Überrennen. Auch nur zu glauben, dass die Russen mal eben so ganz Polen und das Baltikum überrennen und besetzen könnten - was eine zwingende Voraussetzung für einen weiteren Vorstoß nach Zentraleuropa wäre (Stichwort: Nachschubwege - die wären in einem Guerilla-Krieg, wie er sich gerade in der Ukraine entwickelt, die Achillesferse…) - halte ich für extrem realitätsfern.

Als jemand, der seinen Wehrdienst bei der Bundeswehr abgeleistet hat, kann ich nur sagen:
Die Wehrpflicht hat damals definitiv nicht dazu geführt, dass Nazis in der Bundeswehr weniger salonfähig gewesen wären. Auch mit der Wehrpflicht - so lange es den Zivildienst als Alternative gibt - gehen größtenteils eher konservativ eingestellte Menschen zur Bundeswehr. Und rutschen dort ganz schnell noch ein Stück weiter nach Rechts.

Meine Erfahrung bei der Bundeswehr sagt mir daher, dass das Gegenteil der Fall ist:
Statt zu glauben, dass durch die Wehrpflicht mehr Menschen aus der Mitte bei der Bundeswehr landen und die Bundeswehr mehr zur Mitte verschieben, befürchte ich, dass durch eine Wehrpflicht eher mehr gemäßigt konservative zur Bundeswehr gehen und von der Bundeswehr dahingehend beeinflusst werden, deutlich weiter nach Rechts zu rücken, im schlimmsten Fall auch nach Rechtsaußen.

Typische rechte Sprüche von den Stuffzen gehörten ebenso zu meiner Grundwehrdienst-Erfahrung wie abends das „Reichskoloniallied“ von Landser über die Flure schallen zu hören, ohne, dass es jemanden gestört hätte… die Toleranz nach Rechtsaußen war zumindest zu meiner Wehrdienstzeit 2002 noch ziemlich groß…

Hierzu kurz ein Zitat von Carlo Masala von gestern Abend in der ZDF Sendung Lanz (kann man von halten was man will):

Zitat:
Die militärische Auseinandersetzung des 21. Jahrhunderts wird geführt von in hohem Maße professionalisierten Streitkräften, wo Soldaten ein technisches Gerät bedienen an dem sie im Prinzip Jahre lang ausgebildet werden müssen. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht lässt sich meines Erachtens nach nur dann sicherheitspolitisch begründen, wenn wir eine direkte territoriale Bedrohung haben. Die haben wir nicht das muss man ganz einfach sagen.

Ich schließe mich dieser Aussage an, Ich denke sie ist sie der hier geführten Diskussion durchaus dienlich.

Markus Lanz vom 1. März 2022 - ZDFmediathek
Min 35:38

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Als jemand, der seinen Wehrdienst bei der Bundeswehr abgeleistet hat, kann ich nur sagen:
Die Wehrpflicht hat damals definitiv nicht dazu geführt, dass Nazis in der Bundeswehr weniger salonfähig gewesen wären. Auch mit der Wehrpflicht - so lange es den Zivildienst als Alternative gibt - gehen größtenteils eher konservativ eingestellte Menschen zur Bundeswehr. Und rutschen dort ganz schnell noch ein Stück weiter nach Rechts.Meine Erfahrung bei der Bundeswehr sagt mir daher, dass das Gegenteil der Fall ist:
Statt zu glauben, dass durch die Wehrpflicht mehr Menschen aus der Mitte bei der Bundeswehr landen und die Bundeswehr mehr zur Mitte verschieben, befürchte ich, dass durch eine Wehrpflicht eher mehr gemäßigt konservative zur Bundeswehr gehen und von der Bundeswehr dahingehend beeinflusst werden, deutlich weiter nach Rechts zu rücken, im schlimmsten Fall auch nach Rechtsaußen.

Genau aus diesem Grunde habe ich am Anfang geschrieben, dass dieser (potentielle) Gesellschaftsdienst auch den „zivildiensthaften“-Teil beinhaltet. Das bedeutet, dass auch die ganzen Leute, die du erlebt hast, mal in einem Krankenhaus, Behinderteneinrichtung, oder einer Ausländereinrichtungen usw mithelfen müssen.
Außerdem habe ich oben geschrieben, dass selbst, wenn man verweigert, trotzdem den Bundeswehr-Teil machen sollte (nur eben ohne Waffen). (Und ja, es gibt auch sehr viele Dinge, die nicht „eine Waffe in der Hand halten“, die trotzdem indirekt soetwas sind (die Ketten vom Panzer blank polieren könnte ja auch als kriegstreiberisch interpretiert werden oder so). Aber es geht mir vor allem darum, dass die Gesellschaft sich nicht durch die Entscheidung in 2 unterschiedliche Lager einsortiert.

Deine persönliche Erfahrung möchte ich hier nicht kleinreden. Aber ich würde einfach mal frech mutmaßen, dass sie zu einer Zeit war, als es schon einen Zivildienst gab. Hättest du deine Zeit nicht nur mit den Bundis, die das wollen, sondern auch mit ein paar potentiellen Zivildienst-Wollern verbracht, dann hätte es evtuell ein paar interessante Debatten gegeben, oder? Aber auch ohne Debatten ist manchmal schon die einfache Existenz von Menschen, aus einer anderen Kultur Anlass genug, die eigenen Vorurteile etwas zu überdenken.
Ich könnte mir auch vorstellen, dass viele eher progressiv eingestellte Menschen im Bundeswehrumfeld dazu führen könnten, dass da ne ganze Reihe an „kulturellen Modernisierungsprozessen“ angeregt werden würden.

Und ich möchte mich den anderen Menschen hier im Thread anschließen: Ich selber glaube auch nicht, dass normale Soldaten im 21 Jahrhundert so wahnsinnig notwendig sind und so weiter.
Unabhängig davon geht gerade wieder eine Debatte über die Wehrpflicht los und da finde ich es wichtig, von anfang an mal noch die Wichtigkeit der zweiten Hälfte (Dienst an der Gesellschaft) mit in diese Debatte einzubringen.

Ich würde die Einführung eines solchen Dienstes vor allem als Bildungsmaßnahme sehen, die der nächsten Generation wieder ein gewisses Bewusstsein für Gesellschaftlichen Zusammenhalt zurückgeben könnte.

Also selbst wenn wir Leute zwingen würden, den Bundeswehr-Teil zu absolvieren, die sich als Linke und Pazifisten verstehen, würde das die Lagerbildung, die du befürchtest, nicht verhindern. Im schlimmsten Fall bilden sich die Lager innerhalb der Bundeswehr. Eine geringfügige Lagerbildung konnte man damals schon zwischen „Normalsoldaten“ und solchen, die einen 5-Kilo-Schein hatten, sehen. Klassisches Beispiel dafür waren immer die 30-km-Märsche: die Normalsoldaten gehen marschieren, die 5-Kilo-Schein-Soldaten putzen die Kaserne. Entsprechend wurde auch oft auf sie herabgeschaut, nach dem Motto: „Das sind doch keine richtigen Soldaten“.

Wenn plötzlich Leute zur Bundeswehr gezwungen werden, die wirklich keinen Bock darauf haben, wird sich da meines Erachtens sehr schnell eine Lagerbildung ergeben. Und ich sehe da massive Gefahren im Hinblick auf Mobbing, sowohl durch Vorgesetzte als auch durch Kameraden.

Früher konnte man Menschen gegen ihren Willen in den Wehrdienst zwingen - die späten 50er und frühen 60er waren halt noch autoritäre Zeiten, in denen Bürgerrechte wenig zählten. Das hat sich seit den 68ern zum Glück geändert - und in der heutigen Zeit ist es (außerhalb vom Verteidigungsfall) nahezu undenkbar, jemanden gegen seinen Willen in den Wehrdienst zu schicken.

Kurzum:
Generell habe ich nichts gegen deine Idee - meines Erachtens würden drei Monate militärische Grundausbildung samt körperlicher Ertüchtigung tatsächlich nahezu jedem jungen Menschen gut tun. Und mehr braucht es nicht - die damaligen 9 Monate Bundeswehr bedeuteten schon: 3 Monate AGA, 6 Monate im Keller sitzen und Eierkraulen. Die 6 Monate nach der Grundausbildung hätte ich mir definitiv schenken können. Und das ging wohl vielen Grundwehrdienstleistenden so.

Ein kombinierter Dienst (3 Monate militärisch, 3 Monate sozial, danach 6 Monate nach Wahl sozial oder militärisch) wäre daher auf dem Papier ein schönes Konzept, scheitert aber an den Realitäten.

Dazu müssen diese progressiv eingestellten Menschen aber in höhere Dienstgrade kommen.

Das Problem bei Polizei, Bundeswehr, Geheimdiensten und co. ist nicht nur, dass nur äußerst wenige progressiv-linke Menschen dort hin wollen, sondern auch, dass sowohl bei den Einstellungsverfahren als auch bei der Frage nach Beförderungen progressiv-linke Menschen strikt benachteiligt werden.

Ich stimme dir voll und ganz zu, dass wir mehr progressiv eingestellte Menschen in Polizei und Bundeswehr brauchen - aber eben nicht auf der untersten Ebene, sondern dort, wo sie auch tatsächlich etwas bewegen könnten. Die Bundeswehr funktioniert leider nicht nach dem Graswurzel-Prinzip, sondern nach strikter Hierarchie…

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aber ist das nicht wieder so eine Folge (unter anderem, nicht ausschließlich) von ungleicher Verteilung? Klar werden progressive Menschen bei den angesprochenen Institutionen nicht so einfach befördert, wenn sie unangenehme Fragen stellen oder so.
Aber bei allen Beispielen, die du genannt hast waren ja die „linken“ eher die ausnahme. Überall ist die Wahl entscheidend, weshalb bei den Organisationen vor allem Leute auftauchen, die es wollen. Das führt eben zu dieser Überrepräsentanz gewisser Einstellungen.

Deshalb würde ich gerne auch durchgesetzt haben, dass die Verweigerung trotzdem zu einer gemeinsamen Teilnahme an waffenfreien Bundewehr-Sachen führt. Es gibt ja genug Aspekte, die nicht direkt was mit Krieg zu tun haben bei der Bundeswehr (so blöd das klingt. aber ich habe selber etwas gestaunt, als ein Bekannter mir erzählte, dass er beim Bund war und damals beim Elbhochwasser Sandsäcke tagelang getragen hat.).

Naja, dass die Bundeswehr Sandsäcke beim Hochwasser schleppt hat schlicht damit zu tun, dass sie beim Katastrophenschutz aushilft, wenn der Katastrophenschutz an seine personellen Grenzen stößt. Wer also derartiges machen will, sollte eher zum THW als zur Bundeswehr. Gleiches gilt für die Amtshilfe der Bundeswehr bei der Kontaktnachverfolgung im Hinblick auf Corona.

Und eingefleischte Pazifisten in waffenlosen Bereichen der Bundeswehr zu verwenden halte ich weiterhin für fragwürdig. Natürlich könnte man Kriegsdienstverweigerer in der Wehrverwaltung oder im Sanitätsbereich ohne Waffen einsetzen, aber wenn die Leute aufgrund ihrer pazifistischen Einstellung die Bundeswehr als Ganzes ablehnen dürften diese Leute eher eine massive Belastung für die Bundeswehr sein. Meiner Erfahrung nach bringt es grundsätzlich wenig, Menschen zu zwingen, etwas zu tun, was sie nicht wollen. Die Arbeit wird in diesen Fällen fast immer schlampig erledigt, da ist man schon froh, wenn das Resultat nur „Dienst nach Vorschrift“ und nicht direkt „Wehrkraftzersetzung“ ist…

Wenn es um die Effektivität der Bundeswehr geht, bin ich jedenfalls fest davon überzeugt, dass es nichts bringt, Leute zum Dienst zu zwingen, die keinen Bock darauf haben. Und was gesellschaftliche Werte angeht finde ich es auch besser, in einer Gesellschaft zu leben, in der jeder Bürger sagen darf: „Mit der Bundeswehr will ich nix zu tun haben!“ als in einer Gesellschaft zu leben, in der jeder beim Militär gedient haben und das Militär toll finden muss.

Klar ist es doof, dass es in gewissen politischen Lagern auch eine teilweise irrational starke Ablehnung (um nicht zu sagen: Hass) gegenüber der Bundeswehr gibt, aber das gehört in einer pluralistischen Gesellschaft dazu. Gerade diese Leute sind auch als Kontrollfunktion wichtig, weil sie den Finger in die Wunde legen, wenn wirklich etwas im Argen liegt. Im Gegenentwurf einer Gesellschaft, in der jeder im Hinblick auf die Verehrung des Militärs gleichgeschaltet ist und jede Kritik am Militär quasi ein Tabu ist, würde ich nicht leben wollen. Und darauf laufen die meisten Vorschläge hinaus, wenn Leute lamentieren, es müsse wieder eine Wehrpflicht geben, damit die Leute die Bundeswehr wieder „mehr respektieren“ würden. Und das habe ich aus konservativen Kreisen die letzten Tage viel zu oft gehört.